Rassistische Ausschreitungen in Polen

In der nordostpolnischen Stadt Ełk gab es zu Neujahr nach der Ermordung eines 21-jährigen Polen rassistische Ausschreitungen. Seitdem ist es auch in mehreren anderen Städten Polens zu rassistischen Übergriffen gekommen. Die Ausschreitungen sind ein Ergebnis der rassistischen Hetze unter der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und ein Ausdruck wachsender sozialer und politischer Spannungen im Land.

Die Ausschreitungen in Ełk begannen an Neujahr, nachdem der 21-jährige Daniel R. von dem tunesischen Koch eines Kebab-Restaurants in der Sylvester-Nacht offenbar erstochen worden war. Laut der Gazeta Wyborcza hatte Daniel R. zusammen mit einem Freund alkoholische Getränke in dem Restaurant geholt, die Kebab-Bude jedoch ohne zu zahlen verlassen. Daraufhin seien ihm der Koch und der Buden-Besitzer, der aus Algerien stammt, gefolgt. In der darauffolgenden Rangelei habe der Koch mit einem Küchenmesser auf Daniel eingestochen, der noch vor Ort starb. Inwiefern Alkohol und Rassismus bei der Auseinandersetzung im Spiel waren, ist angesichts von widersprüchlichen Medienberichten unklar.

Daraufhin versammelte sich ein Mob von 100 bis 200 Leuten vor der Bude. Sowohl das Kebab-Bistro als auch eine weitere Bude desselben Besitzers wurden demoliert. Dabei grölte der Mob muslim- und immigrantenfeindliche Parolen. Beim Zusammenstoß mit der Polizei warfen die Rechten mit Flaschen und Steinen. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und nahm 28 Personen fest. 34 Menschen wurden bei den Ausschreitungen verletzt. Der tatverdächtige Koch wurde von der Polizei festgenommen; gegen ihn wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Die Schwester des Getöteten wandte sich gegen die Ausschreitungen.

An der Messe für den Toten und der Beerdigung nahmen laut einem Bericht der Gazeta Wyborcza auch Mitglieder der faschistischen Narodowcy teil, die die Falanga, das Symbol der polnischen Faschisten, auf ihren Ärmeln trugen. Auf Facebook hatten Rechte zur Lynch-Justiz aufgerufen. Am Samstag, den 7. Januar, organisierten die faschistische Organisation ONR (Obóz Narodowo-Radykalny) und die Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend) unter dem Banner des Kampfes gegen die „islamische Aggression“ einen Marsch in Ełk. Laut Presseberichten nahmen an dem Marsch nur einige Dutzend Menschen teil, von denen mehrere von außen angereist sein dürften.

Die letzten Tage über gab es zwar keine weiteren Ausschreitungen in Ełk, doch die Stimmung bleibt Medienberichten weiterhin angespannt. Die Polizei patrouilliert immer noch mit erhöhtem Aufgebot in den Straßen der Stadt. Laut einem Bericht der liberalen Zeitschrift Newsweek Polska haben Anwohner und Zeugen der Auseinandersetzung in der Kebab-Bude Angst, gegenüber Reportern offen über das zu sprechen, was sie gesehen haben. Der Soziologie Stefan Marcinkiewicz von der Universität Warmińsko-Mazurski sagte der Zeitschrift: „Die Leute haben Angst. Es herrscht eine Pogrom-Atmosphäre.“

In anderen Städten hat es seit den Ausschreitungen in Ełk vermehrt Angriffe auf Döner-Buden und Immigranten gegeben. So wurde in der Kleinstadt Ozorków nahe der Industriestadt Łódź in Zentralpolen ein 44-jähriger Mann aus Pakistan von einer Gruppe Rechter angegriffen, die ihn schwer verprügelten. In Wrocław wurde am vergangenen Montag im Restaurant Kebab House die Scheibe eingeworfen. Am Dienstag wurde dann in Legnica ein Mann aus Bangladesch auf dem Weg zur Arbeit von maskierten Männern angegriffen und krankenhausreif geprügelt. Am Donnerstag wurde wieder in Wrocław ein Restaurant angegriffen, das von einer Ägypterin betrieben wird. Unbekannte warfen eine angezündete Flasche Benzin in den Laden. Das Feuer konnte jedoch glücklicherweise rasch gelöscht werden.

Die Ausschreitungen in Ełk sind ein Ergebnis der fremdenfeindlichen und rechten Stimmung, die von der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) systematisch geschürt werden, um den sozialen Unmut der Arbeiterklasse und breiter Schichten der Landbevölkerung in rechte Bahnen zu lenken.

Der polnische Innenminister Mariusz Błaszak stellte sich implizit hinter die rassistischen Krawalle, indem er „die vielen Jahre von Multi-Kulti-Politik, politischer Korrektheit und offenen Grenzen“ für die Ausschreitungen verantwortlich machte. Zudem erklärte er: „Wir haben nicht die gesellschaftlichen Probleme, mit denen sie im Westen Europas kämpfen müssen, wo wir große Enklaven von muslimischen Immigranten haben, die sich nicht in den Rest der Gesellschaft integrieren.“ Błaszak bekräftigte noch einmal, dass PiS keine muslimischen Flüchtlinge ins Land lassen werde.

Ein Ratsmitglied von PiS in Ełk, Michał Tyszkiewicz, hatte die Stimmung vor den Ausschreitungen mit einem Post über den „Mord“ auf Twitter angeheizt, zu dem er die Hashtags „Sylvester, Schock, Immigranten, Sense im Rücken“ hinzufügte.

PiS schürt seit Jahren systematisch rassistische Ressentiments, um das politische Klima zu vergiften und rechten Kräften Aufwind zu verleihen. In ihrer einjährigen Regierungszeit hat PiS ultra-rechte Kräfte gestärkt und eng mit der Katholischen Kirche zusammengearbeitet, einem traditionellen Hort radikaler rechter und faschistischer Tendenzen. Dies ging so weit, dass der polnische Präsident Andrzej Duda im November gemeinsam mit den polnischen Bischöfen Jesus Christus in einer kirchlichen Zeremonie offiziell zum „König Polens“ erklärte. Auch antisemitische Fälschungen der Geschichte und Ressentiments hat die PiS-Regierung gezielt ermutigt.

Es ist kein Zufall, dass diese nationalistische und rassistische Propaganda gerade in Ełk zu Ausschreitungen geführt hat. Die mittelgroße Stadt befindet sich mit ihren 60.000 Einwohnern im Zentrum der sozialen und politischen Krise Polens. Ełk liegt in der nordöstlichen Woiwodschaft Ermland-Masowien, der mit Abstand ärmsten Region des Landes, die auch am stärksten von der massiven militärischen Aufrüstung und den Kriegsvorbereitungen gegen Russland betroffen ist.

In Ermland-Masowien leben nach offiziellen Angaben weit mehr Menschen in extremer und relativer Armut als im Landesdurchschnitt. Während 2014 laut der Staatlichen Statistikbehörde (GUS) landesweit etwa 7,4 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut, d.h. mit einem Einkommen von weniger als 545 Zloty (ca. 125 Euro), lebten, waren es in Ermland-Masowien 14,8 Prozent. Weitere 26 Prozent lebten in relativer Armut von weniger als 2056 Zloty (468 Euro) im Monat, verglichen mit 16,2 Prozent im landesweiten Durchschnitt. Zudem war die Armutsrate in den vorangegangenen Jahren deutlich angestiegen, obwohl sie im Landesdurchschnitt gesunken war.

Ełk ist eine der größeren Städte in der ländlich geprägten Region. Sie liegt bei einer von vierzehn Sonderwirtschaftszonen – der Suwalska Specjalna Strefa Ekonomiczna –, die in Polen seit den 1990er Jahren eingerichtet wurden. In der Sonderwirtschaftszone sind etwa 10.000 Arbeiter angestellt, die meisten von ihnen zu Hungerlöhnen.

Die sozialen Spannungen werden durch die Kriegsvorbereitungen gegen Russland verschärft, die gerade in Ermland-Masowien viel Nervosität hervorrufen. Die Region grenzt direkt an Kaliningrad, eine russische Enklave in Osteuropa, die aufgrund ihrer geostrategischen Lage und der Stationierung von russischen Truppen dort ein Brennpunkt der Auseinandersetzung zwischen der Nato und Russland ist. Unter der PiS-Regierung ist Polen noch stärker als bereits unter der Vorgängerregierung der liberalen Bürgerplattform (PO) zu einem Vorposten der Nato-Aufrüstung gegen Russland geworden.

Im Sommer beendete die polnische Regierung im Vorfeld des Nato-Gipfels den 2012 eingeführten visafreien Verkehr zwischen den polnischen Grenzregionen und Kaliningrad. Im Herbst lehnte der polnische Innenminister die Aufhebung der Maßnahme ab, obwohl sie in der Bevölkerung von Anfang an zutiefst unpopulär war. Viele Menschen, die in der polnischen Grenzregion leben, haben Verwandte und Freunde in Kaliningrad und sind unter dem visafreien Regime immer wieder in die russische Enklave gereist. Auch wirtschaftlich profitierte die Region vom visafreien Grenzverkehr, da viele Russen über die Grenze kamen, um in Polen einzukaufen.

Die Woiwodschaft Ermland-Masowien ist wie der Rest von Nordostpolen auch der Hauptfokus von paramilitärischen, rechten Einheiten, deren Aufbau der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz über das letzte Jahr systematisch vorangetrieben hat. Im November hatte der Sejm die Gründung einer Territorialverteidigung (WOT) beschlossen, die 53.000 Mann umfassen und größtenteils im Nordosten und Südosten des Landes konzentriert werden soll. Paramilitärische Organisationen der radikalen Rechten wurden explizit ermutigt, sich der WOT anzuschließen. Zu den Kräften, die PiS im Rahmen dieser Aufrüstung in den Staatsapparat integrieren will, gehört auch die faschistische ONR, die versucht hat, die Ausschreitungen in Ełk auszuschlachten.

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