Joschka Fischer fordert, dass Europa „machtpolitisch erwachsen“ wird

Zu den Stimmen, die als Antwort auf die nationalistische Politik von US-Präsident Donald Trump eine massive Aufrüstung Deutschlands und Europas fordern, hat sich nun auch die des früheren deutschen Außenministers Joschka Fischer gesellt. „Die richtige Antwort auf Trump“, schreibt der Grünen-Politiker in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung, bestehe darin, dass Europa „machtpolitisch erwachsen“ werde und Deutschland „entschlossen in EU und Nato“ investiere.

Fischer lässt keinen Zweifel daran, dass er damit eine massive Erhöhung der Militärausgaben meint. Deutschlands Stärke liege „in seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“, und diese Stärke werde es „jetzt für EU und Nato in einem Maße einsetzen“ müssen, wie nie zuvor, schreibt er. „Sparsamkeit ist ohne jeden Zweifel eine Tugend, aber wenn das Haus brennt und einzustürzen droht, gelten andere Prioritäten.“

Wie der neue Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) betrachtet Fischer Trumps Präsidentschaft nicht nur als Risiko und Herausforderung. Sie beinhalte auch „große Chancen, wenn die Europäer zusammenhalten und endlich machtpolitisch erwachsen werden“.

Trumps Parole „America first“ stehe für die Abkehr und die bewusste Zerstörung der „amerikanischen Weltordnung“, schreibt er. „Jahrzehnte alte Bündnisse und Sicherheitsgarantien werden erschüttert oder ganz infrage gestellt werden, Institutionen, Verträge und Werte, die bis heute die Grundlage dieser Ordnung bildeten, könnten zerstört werden, kurz: Die alte Ordnung der Pax Americana wird fallen, zerstört ohne Not durch Amerika selbst.“

Deutschland und Japan, „die beiden ehemaligen Feindmächte der USA aus dem Zweiten Weltkrieg“, gehörten „zu den großen Verlierern dieser großen Transformation“. Beide hätten 1945 eine totale Niederlage erlebt und seien nur aufgrund einer „radikalen Absage an jede Form von Machtstaat“ und ihrer „Transformation zu Handelsstaaten unter der Sicherheitsgarantie der Siegermacht USA“ wieder aufgestiegen. Nun stünden sie „vor einem gewaltigen Sicherheitsproblem“.

Dieses „gewaltige Sicherheitsproblem“ will Fischer mithilfe der Europäischen Union lösen. Ein militärischer Alleingang Deutschlands, eine „Renationalisierung seiner Sicherheitspolitik“, würde seiner Ansicht nach den Kontinent zerreißen. Man dürfe nicht vergessen, schreibt er, „dass die von Amerika nach 1945 geschaffene globale und regionale Ordnung vor allem auch dazu diente, die beiden ehemaligen Feindmächte einzubinden und dauerhafte Sicherheit vor ihnen zu schaffen“.

Aus diesem Grund setzt er auf die EU, um wieder deutsche Großmachtpolitik zu betrieben – oder, wie er es ausdrückt, „machtpolitisch erwachsen zu werden“. Deutschland bleibe „aufgrund seiner geopolitischen Lage und seines Gewichts nur Europa als Perspektive“, schreibt Fischer.

Er betont zwar, er wolle „kein Europa der Hegemonie, sondern des Rechts, der Integration und des friedlichen Interessenausgleichs“. Doch das ist Augenwischerei, Machtpolitik und Aufrüstung vertragen sich nicht mit „friedlichem Interessenausgleich“. Betrachtet man die enormen ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte innerhalb Europas, die Brutalität, mit der Deutschland schwächeren Staaten seine Austeritätspolitik aufzwingt, oder die Offenheit, mit der in Berlin über Deutschlands Rolle als „Zuchtmeister“ Europas gesprochen wird, ist unverkennbar, was Fischer wirklich vorschwebt.

Schon das Deutsche Kaiserreich hatte versucht, Europa zu „organisieren“, d.h. den europäischen Kontinent unter seiner Leitung wirtschaftlich zu vereinen. Die Folge war der Erste Weltkrieg. Hitlers zweiter Anlauf, dasselbe Ziel gewaltsam zu erreichen, führte zum Zweiten. Erst unter den Bedingungen des Kalten Kriegs und der amerikanischen Vorherrschaft sahen sich die herrschenden Eliten Westeuropas gezwungen, ihre Interessengegensätze zurückzustellen und zusammenzuarbeiten.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 25 Jahren, der globalen Finanzkrise von 2008 und dem Übergang der USA zu einer nationalistischen Außenpolitik sind diese Voraussetzungen verschwunden. Die Vorstellung eines vereinten kapitalistischen Europas erweist sich erneut als Illusion. Die einzige Möglichkeit, Europa auf kapitalistischer Grundlage zu einen, besteht darin, dass das stärkste Land (oder eine Gruppe von Ländern) den anderen seinen Willen aufzwingt.

Fischer ist ein Vorreiter dieser Politik. Er hatte bereits als Außenminister der Regierung Schröder die Weichen für die Rückkehr des deutschen Militarismus gestellt. Nachdem die Grünen zur Bundestagswahl 1998 noch mit einem pazifistischen Programm angetreten waren, schickten sie 1999 die Bundeswehr in ihren ersten Kampfeinsatz im Jugoslawienkrieg. Nun betrachtet Fischer die Krise, die Trumps aggressive Außenpolitik in Europa ausgelöst hat, als Chance, andere Staaten auf deutsche Linie zu bringen und die EU zu einer Militärmacht zu entwickeln, die Krieg gegen Russland und notfalls auch die USA führen kann.

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