US-Berufungsgericht lehnt Trumps Antrag auf Wiederinkraftsetzung des Einreiseverbots ab

Ein mit drei Richtern besetztes Berufungsgericht entschied am Donnerstagnachmittag einstimmig gegen den Anspruch der Trump-Regierung auf „unanfechtbare“ präsidiale Vollmachten. Es lehnte den Antrag der Regierung ab, die vorläufige Einreisesperre wieder in Kraft zu setzen, die Trump gegen Personen aus sieben Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung verhängt hatte. Gleiches gilt für das befristete Einreiseverbot für Flüchtlinge aus sämtlichen Ländern.

Unterzeichnet wurde das Urteil von Richter William Canby (eingesetzt 1980 von Jimmy Carter), Richter Richard Clifton (eingesetzt 2001 von George W. Bush) und Richterin Michelle Friedland (eingesetzt 2013 von Barack Obama). Sie wiesen den Antrag der Trump-Regierung auf die sofortige Aufhebung der einstweiligen Verfügung ab, mit der Bundesrichter James Robart am 3. Februar in Seattle (Washington) das Einreiseverbot ausgesetzt hatte.

Die Richter erklärten: „Die Regierung konnte weder nachweisen, dass sie mit ihrer Berufung Aussicht auf Erfolg in der Sache hat, noch, dass das Ausbleiben einer Aufhebung irreparablen Schaden verursachen würde. Daher lehnen wir ihren Eilantrag auf Aufhebung ab.“

In der 29-seitigen Urteilsbegründung werden sowohl die juristische Argumentation als auch die Tatsachenbehauptungen der Trump-Regierung einer vernichtenden Kritik unterzogen. Die Regierung habe keinerlei Beweise dafür vorgelegt, dass die Aussetzung des Einreiseverbots die nationale Sicherheit oder Menschenleben in Amerika gefährde. Im Gegenteil, so das Urteil, hätten die Staaten Washington und Minnesota, die den Antrag auf Aussetzung des Präsidentenerlasses gestellt hatten, den Nachweis erbracht, dass ihren Bürgern und Institutionen im Falle der Wiederinkraftsetzung des Einreiseverbots umfassender und irreparabler Schaden entstehe.

Doch mit der Entscheidung des Berufungsgerichts ist der Streit um das Einreiseverbot keineswegs abgeschlossen. Aus rechtlicher Sicht ist kein endgültiges Urteil in der Sache gefallen, sondern lediglich die Aussetzung des Einreiseverbots vorbehaltlich der weiteren gerichtlichen Klärung bestätigt worden.

Präsident Trump reagierte binnen Minuten mit dem Tweet: „WIR SEHEN UNS VOR GERICHT WIEDER, ES GEHT UM DIE SICHERHEIT UNSERER NATION.“ Das Justizministerium ließ in einer Erklärung verlauten, es prüfe die Entscheidung und erwäge die weiteren Schritte. Als Justizminister wurde soeben Jeff Sessions vereidigt, ein erbitterter Gegner von Einwanderern mit und ohne Papiere.

Möglicherweise wird die Trump-Regierung nun vor dem Obersten Gerichtshof der USA Berufung gegen die Entscheidung vom Donnerstag einlegen. Beim Obersten Gerichtshof ist allerdings seit dem Tod von Antonin Scalia vor einem Jahr eine von neun Richterstellen nicht besetzt. Seither gehen seine Entscheidungen oft unentschieden aus. Im Falle eines solchen Patts hätte die Entscheidung der Vorinstanz Bestand.

Einige reaktionäre Kommentatoren drängten Trump, sein Dekret aufgrund seiner zahlreichen technischen Mängel zurückzuziehen und es nach Rücksprache mit führenden Kongressabgeordneten und den neuen Kabinettsmitgliedern einschließlich Sessions in überarbeiteter Form erneut zu erlassen. Auf diese Weise könnte die Prüfung durch den Obersten Gerichtshof so lange hinausgezögert werden, bis Trump die freie Richterstelle mit seinem Wunschkandidaten Neil Gorsuch besetzt hat. Gorsuch dürfte dann die ausschlaggebende Stimme zugunsten der Regierung abgeben.

Eine dritte Möglichkeit, die Trump in einer Serie zunehmend gehässiger Äußerungen vorzubereiten scheint, besteht darin, dass er sich direkt über das Urteil des Gerichts hinwegsetzt und den Konflikt innerhalb des politischen Systems bis zu einer Verfassungskrise treibt. Seine Äußerung: „Wenn etwas passiert, ist er [Richter Robart] und das Gerichtssystem schuld“, ist eine deutliche Warnung. Das Weiße Haus würde einen Terrorangriff als Vorwand nehmen, Verfassungsnormen außer Kraft zu setzen und mit Unterstützung von Militär und Polizei ein autoritäres Regime zu errichten.

Die herrschende Elite in den USA ist über ihren weiteren Kurs tief zerstritten. Im Namen der Gegner Trumps im Militär- und Geheimdienstapparat erklärte der ehemalige Koordinator der US-Geheimdienste James Clapper wenige Stunden vor dem Urteil des Berufungsgerichts im Sender CNN, ihm sei keine Terrorgefahr bekannt, die das Einreiseverbot rechtfertige. Dieses habe, so warnte er, die Beziehungen der USA zu ihren Verbündeten in Nahost beschädigt und treibe extremistischen muslimischen Gruppen Anhänger zu.

Selbst Trumps eigener Kandidat für den Obersten Gerichtshof, Gorsuch, wandte sich gegen die Tweets, in denen Trump von einem „sogenannten Richter“ gesprochen und das Urteil des Gerichts vom Dienstag als „schändlich“ bezeichnet hatte. Gorsuch, der bislang selbst als Richter an einem Berufungsgericht tätig war, bezeichnete derartige Ausfälle gegenüber einem Senator der Demokraten als „betrüblich“ und „entmutigend“.

Welche Intensität der politische Konflikt nur drei Wochen nach Trumps Amtsübernahme erreicht hat, zeigt sich auch in der Wortwahl des Berufungsgerichts, das in seiner Urteilsbegründung die Argumente, welche die Trump-Regierung in ihren Schriftstücken und während der mündlichen Anhörung vorgebracht hatte, nach allen Regeln der Kunst verriss.

Die Richter stellten fest, dass das Bundesgericht durchaus befugt gewesen sei, über das Dekret des Präsidenten zu entscheiden, und wies die Behauptung der Regierung zurück, dass der Präsident über „unanfechtbare Vollmachten verfüge, Einreisegenehmigungen für Ausländer jeder Art auszusetzen“. Die Regierung belasse es nicht bei der Behauptung, dass sich die Judikative in Fragen der nationalen Sicherheit den politischen Organen unterwerfen solle, erklärten sie. „Darüber hinaus vertritt die Regierung den Standpunkt, dass die Entscheidungen des Präsidenten über die Einwanderungspolitik, insbesondere, wenn sie auf Erwägungen der nationalen Sicherheit zurückgehen, unanfechtbar sind, und zwar auch dann, wenn die damit verbundenen Maßnahmen gegen von der Verfassung geschützte Rechte verstoßen könnten.“

Das Gericht unterstrich die Implikationen des Vorgehens und der Rechtsauffassung der Trump-Regierung: „Es gibt keinen Präzedenzfall für diesen Anspruch auf Unanfechtbarkeit, der den Grundlagen unserer auf der Verfassung beruhenden Demokratie widerspricht.“

In der Urteilsbegründung werden eine Reihe von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs gegen Maßnahmen zitiert, die frühere Regierungen im Namen der „nationalen Sicherheit“ ergriffen hatten. Ein solches Beispiel ist die Rechtssache „Boumediene“ aus dem Jahr 2008, in der das Gericht entgegen der Auffassung der Bush-Regierung zu dem Schluss gelangte, dass die in Guantanamo Bay einsitzenden Häftlinge das Recht hätten, einem Untersuchungsrichter vorgestellt zu werden und eine Haftprüfung zu beantragen.

Die Richter stellten fest, dass die Beweislast im gegenwärtigen Verfahrensstadium bei der Regierung liege. Sie müsse nachweisen, dass sie in der Sache Aussicht auf Erfolg habe und dass ihr irreparabler Schaden entstehe, wenn das Einreiseverbot weiterhin ausgesetzt bleibe. Beides sei ihr nicht gelungen.

Die Urteilsbegründung hob vor allem auf die Argumentation der Bundesstaaten Washington und Minnesota ab, wonach das Einreiseverbot einen groben Verstoß gegen das Verfassungsgebot eines ordentlichen Verfahrens darstelle. Dieses gelte nicht nur für amerikanische Staatsbürger, sondern auch für Personen mit ständiger Aufenthaltserlaubnis und für Personen ohne Ausweispapiere, die sich auf amerikanischem Boden befinden.

Auch Flüchtlingen, die Einlass in die USA begehren, stünden gemäß den „im Bundesrecht vorgesehenen Verfahren“ Rechte zu, die der Präsident nicht außer Kraft setzen könne. Die Richter widersprachen der Behauptung der Trump-Regierung, dass „die meisten oder alle Personen, die von dem Dekret betroffen sind, keinen Anspruch auf ein ordentliches Verfahren haben“.

Mit Verachtung reagierten sie auf die Versuche der Trump-Regierung, die ganz offenkundig verfassungswidrige Aberkennung der Rechte von Personen, die legal in den USA ansässig sind, im Nachhinein zurechtzubiegen. Die Einbeziehung der Inhaber einer Green Card, d. h. einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, in das Dekret war von Trumps faschistischem Chefberater Stephen K. Bannon gefordert worden. Er hatte sich damit über Einwände von Vertretern des Ministeriums für Heimatschutz hinweggesetzt. Nach einer Reihe von Niederlagen vor Gericht hatte das Weiße Haus dann eiligst versucht, das Dekret umzudeuten. Es ließ Stabschef Reince Priebus eine entsprechende Erklärung abgeben und erteilte dem Ministerium für Heimatschutz neue Anweisungen. Am Ende gab Donald F. McGahn in seiner Funktion als Rechtsberater des Weißen Hauses eine „maßgebliche Richtlinie“ heraus, wonach Green-Card-Inhaber von dem Einreiseverbot ausgenommen seien.

In der Urteilsbegründung heißt es: „An dieser Stelle können wir der Auffassung der Regierung nicht folgen, dass das Dekret für Personen mit legaler Aufenthaltserlaubnis nicht länger gilt. Die Regierung hat keinen Nachweis für die Befugnis des Rechtsberaters des Weißen Hauses erbracht, eine geänderte Anordnung zu erlassen, durch die das vom Präsidenten unterzeichnete und von den Bundesstaaten angefochtene Dekret aufgehoben würde, und ein solcher Sachverhalt erscheint auch unwahrscheinlich.

Ebenso wenig hat die Regierung den Nachweis erbracht, dass die Auslegung des Dekrets durch den Rechtsberater des Weißen Hauses für alle Exekutivorgane, die mit der Umsetzung des Präsidentendekrets betraut sind, verbindlich wäre. Der Rechtsberater des Weißen Hauses ist nicht der Präsident, und er hat keine Stellung in der für Exekutivabteilungen geltenden Befehlskette inne. Darüber hinaus können wir im Lichte der wechselnden Auslegungen des Dekrets durch die Regierung nicht davon ausgehen, dass die derzeitige Auslegung des Rechtsberaters des Weißen Hauses, selbst wenn sie maßgeblich und verbindlich wäre, jenseits des unmittelbaren Stands dieses Verfahrens Bestand hat.“

Des Weiteren wird in der Urteilbegründung festgestellt, dass der Vorwurf, Trumps Dekret verstoße gegen das im ersten Verfassungszusatz verankerte Verbot einer Staatsreligion und Recht auf freie Religionsausübung (die sog. „Establishment Clause“), weil es sich gegen Muslime richte, ernst zu nehmen ist. Den Einwand des Weißen Hauses, dass Trumps Absichten ausschließlich aus dem Wortlaut des Dekrets – in dem Muslime nicht erwähnt werden – und nicht aus seinen öffentlichen Äußerungen hergeleitet werden müssten, wies das Gericht rundheraus ab.

Die Richter schreiben: „Es ist gängige Praxis, dass bei Fällen mit Bezug auf die Establishment and Equal Protection Clause auch Beweggründe beurteilt werden, die sich nicht aus dem unmittelbaren Wortlaut der angefochtenen Rechtsetzung ergeben ... Die Staaten erheben schwerwiegende Vorwürfe und werfen bedeutsame Verfassungsfragen auf.“

Allerdings äußern sich die Richter nicht weiter zu dieser Frage, die im weiteren Verfahren geklärt werden müsse.

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