Leipzig: „Tsar to Lenin“-Film stößt auf großes Interesse

„Tsar to Lenin“ steht in großen Lettern auf den Plakaten und Flyern, mit denen der Mehring Verlag seit Anfang der Woche für eine Vorführung des gleichnamigen Films zur Russischen Revolution im Rahmen der Leipziger Buchmesse wirbt. Der Film wird durch einen Vortrag ergänzt, der auf die Bedeutung des Films und die aktuelle Relevanz der Oktoberrevolution eingeht.

„Wenn man in Diskussionen die Frage der Oktoberrevolution aufwirft, ist man sofort mit verschiedenen politischen Fragen konfrontiert“, sagt Iason Stolpe, der zusammen mit anderen Mitgliedern der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) und Unterstützern der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) bei der Vorbereitung der Veranstaltung hilft.

BMW-Arbeiter beim Schichtwechsel

Am Dienstag verteilten sie Flyer für die Veranstaltung zusammen mit einer Erklärung zum Verkauf von Opel vor dem Tor des BMW-Werks in Leipzig, in dem mehr als 5.000 Arbeiter tätig sind. „Der Opel-Deal leitet die Umstrukturierung der gesamten Autoindustrie auf Kosten der Arbeiter ein“, erklärt ein SGP-Unterstützer. „Arbeiter müssen an die internationalistischen und sozialistischen Perspektiven der Russischen Revolution anknüpfen.“ Die Flugblätter finden reißenden Absatz.

Lebhafte Diskussionen führen Vertreter der IYSSE an der Albertina-Universitätsbibliothek. Die Plakate mit einem Bild von Lenin erregen die Aufmerksamkeit vieler Studierender. Einige haben bisher noch wenig von der Oktoberrevolution gehört und sind interessiert, mehr zu erfahren. Andere haben sich schon mit den Ereignissen beschäftigt und haben viele Fragen.

Fred, der 24 Jahre alt ist und Afrikanistik studiert, hat sich schon etwas mit der Oktoberrevolution beschäftigt und findet das Thema hoch interessant. „Besonders interessiert mich die Frage, wie die Errungenschaften der Revolution nach fünf Jahren durch Stalin wieder zunichte gemacht werden konnten.“

Ben studiert Musik und Philosophie

Eine ähnliche Frage wirft Ben auf. Der 21 jährige Philosophie- und Musikstudent hält die Oktoberrevolution für ein wichtiges Ereignis, „das dann in der Sackgasse der Totalität“ gemündet sei. „Vielleicht sind die hohen Ideale der Revolution an der Realität gescheitert“, überlegt er. Vertreter der IYSSE erklären, dass man den Aufstieg der Stalinismus als konterrevolutionäre Tendenz angesichts der Isolation der Revolution begreifen müsse.

Wichtig findet Ben, an das Denken der Revolution anzuknüpfen, „um den wachsenden Nationalismus und den Neoliberalismus zu kontern“. Nötig seien gleiche Bildungschancen für alle und aufgeklärte Medien. Besonders wichtig sei es, dem Antiislamismus entgegenzutreten und eher das Verbindende zu sehen.

Das findet auch Lucie, die Medizin studiert. Sie sieht die Gefahr, dass der Friede und die Sicherheit der letzten Jahrzehnte auf dem Spiel stehen. „Der Terrorismus ist das Ergebnis der Kriege, die der Westen in Afghanistan und dem Irak geführt hat.“ Die Möglichkeit eines umfassenden Kriegs sei wieder sehr real geworden. „Eben deshalb stellt sich auch wieder die Frage der Revolution“, antwortet Stolpe. „Wir sind heute mit den gleichen Problemen konfrontiert, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben und auf die die Oktoberrevolution die Antwort war.“

Anneliese Jahr

Während der Diskussion nähert sich eine ältere Dame dem Tisch der IYSSE, an dem die Plakate für die Veranstaltung angebracht sind. „Lenin“, ruft sie. „So schlecht war der gar nicht!“ Die Dame stellt sich als Anneliese Jahr vor. Sie werde in wenigen Wochen 84 Jahre alt und habe in der Albertina Bibliothek schon als junge Geschichtsstudentin gebüffelt.

Sie habe schon den Film „Der junge Marx“ gesehen und sei begeistert gewesen. „Marx war so weitsichtig. Er hat das alles vorhergesehen, was jetzt wieder kommt.“

„Die Situation heute ist wie damals zu Zeiten der Oktoberrevolution“, fährt sie fort. „Die Rechten sind im Vormarsch. Die Situation ist sehr gefährlich. Trump will Krieg gegen China führen. Und wenn man sieht, wie Deutschland aufrüstet, ist es dann mittendrin. Ich habe große Angst, wieder in den Bunker zu müssen.“

Sie berichtet bewegend davon, wie ihre Familie im Januar 1945 aus den ehemaligen Ostgebieten fliehen musste und dann in Neuruppin landete. Als junges Mädchen sei sie auch Zeugin davon geworden, wie Juden zusammengetrieben und abtransportiert wurden. „Es war schrecklich“, sagt sie. In Neuruppin habe sie SS-Kämpfer erlebt und später russische Soldaten. Diese hätten die Kinder gut behandelt und mit Nahrung versorgt.

Als Vertreter der IYSSE sie darauf ansprechen, dass an der Humboldt-Universität daran gearbeitet werde, die Geschichte umzuschreiben und den Vernichtungskrieg der Nazis an der Ostfront als Reaktion auf die Kriegsführung der Sowjetunion darzustellen, schaut Anneliese die Studenten erschrocken an. „Das ist eine Schweinerei, dass so etwas gelehrt wird. Die Studenten können doch gar nicht wissen, wie das damals war. Die Studenten müssen dem unbedingt entgegentreten und lesen, wie es wirklich war.“

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