Französische Jugendliche protestieren gegen die zweite Runde der Präsidentschaftswahl zwischen Le Pen und Macron

Am Donnerstag kam es überall in Frankreich zu Protesten, an denen sich tausende Schüler beteiligten; sie blockierten ihre Schulen und kamen in den Städten zu Demonstrationszügen zusammen. Die Proteste sind Ausdruck der wachsenden Wut über die zweite Runde der Präsidentschaftswahl. Die Wahl ist auf zwei rechte Kandidaten beschränkt: den Ex-Bankier Emmanuel Macron und die Führerin des Front National (FN), Marine Le Pen.

Millionen von arbeitenden Menschen verstehen, dass diese Wahl ihnen lediglich die Entscheidung darüber lässt, welche Person an der Spitze einer autoritären, militaristischen Regierung in Frankreich stehen wird. Le Pen ist eine Neofaschistin. Was Macron angeht, so wird er von der Jugend wegen seiner Rolle als Wirtschaftsminister der gegenwärtigen Regierung der Sozialistischen Partei (PS) weitgehend verabscheut. Diese Regierung hat im letzten Jahr Streiks und Massenproteste der Jugend gegen die reaktionäre Arbeitsgesetzgebung brutal unterdrückt.

Tausende von Jugendlichen demonstrierten gestern auf den Straßen. Mehrere weiterführende Schulen in Paris, Rennes und Nantes wurden blockiert. Auf Transparenten stand: „Die Wahl zwischen Pest und Cholera“ und „Weder Marine noch Macron, weder Vaterland noch Boss“.

In Paris waren 20 Schulen abgeriegelt oder von Protesten betroffen. Am Place de la République bildete sich eine nicht genehmigte Demonstration von Tausenden von Schülern, die sich unter der Parole „Weder Faschismus noch marktwirtschaftlicher Kapitalismus“ sowohl gegen Le Pen als auch gegen Macron richtete. Am Place de la Bastille kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Schülern. Viele Schüler, die alt genug sind, um zu wählen, erklärten, sie würden leere Stimmzettel abgeben.

Einige der Schüler verglichen die jetzige Stichwahl mit der von 2002, bei der es der FN zum ersten und einzigen Mal in die zweite Runde geschafft hatte. Damals kam es zu spontanen Massenprotesten. Elise aus einem Pariser Gymnasium erklärte: „Ich bin schockiert, dass heute niemand protestiert. Alle haben erwartet, dass Marine Le Pen die zweite Runde erreichen wird. Aber das ist es ja gerade: Es ist furchtbar, dass alle davon ausgegangen sind! Wir haben uns entschlossen, etwas gegen den FN zu tun, um unsere Werte zu verteidigen. Auch wenn wir noch nicht alt genug sind, um zu wählen, ist das doch unsere Zukunft. Und wir wollen keine rassistische und ausländerfeindliche Partei in der Regierung.“

Viele Schüler werden am Freitag um 19:00 Uhr erneut zu einer Protestkundgebung vor dem Pariser Rathaus zusammen kommen.

In Rennes zogen tausende Demonstranten friedlich durch die Stadt. Es kam zu zusammenstoßen mit den Sicherheitskräften, als diese versuchten, den Protestmarsch daran zu hindern, ins Stadtzentrum zu gelangen, und Tränengas einsetzten. Die Zusammenstöße breiteten sich dann über die Innenstadt aus. Die Jugendlichen riefen: „Macron, Le Pen, wir wollen sie nicht.“ In Anspielung auf die demagogische Behauptung des FN, er sei eine „Anti-System“-Partei, riefen die Jugendlichen: „Die wirklichen Anti-System-Kräfte sind wir.“

Weitere Proteste gab es in Lyon, Toulouse und Dijon. In Dijon zogen Hunderte unter Sprechchören wie: „Weder den Banker noch die Faschistin“ durch die Stadt.

Die Proteste der Jugendlichen sind die ersten Äußerungen einer tief sitzenden sozialen Wut über die Präsidentschaftswahl. Die Kandidaten der zwei traditionellen Regierungsparteien Frankreichs sind schon ausgeschieden– der Kandidat der regierenden Sozialistischen Partei und der Kandidat der Republikaner (LR). Die Wähler schwankten zwischen den Lagern und zeigten ihre Frustration angesichts eines Wahlkampfs, der von Korruptionsvorwürfen und Law-and Order-Hysterie bestimmt war. Macron wie Le Pen sind in breiten Schichten verhasst.

Der Ausbruch der Jugendproteste unterstreicht, dass der Aufruf der Parti de l’égalité socialiste (PES) für einen aktiven Boykott der zweiten Runde genau zur richtigen Zeit erschienen ist, um die politische Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen gegen beide Kandidaten zu mobilisieren und einen politischen Kampf der Arbeiterklasse gegen den Sieger der Wahlen vorzubereiten, unabhängig davon, welcher der beiden reaktionären Kandidaten das sein wird.

Nach Jahren von Krieg, Massenarbeitslosigkeit und Ausnahmezustand, mit dem die Regierung von Präsident François Hollande grundlegende demokratische Rechte außer Kraft gesetzt hat, gibt es eine explosive soziale Wut in der Arbeiterklasse. In den französischen überseeischen Departements von Guyana brach nur wenige Wochen vor der ersten Runde ein Generalstreik aus.

Für die Jugendlichen, die gegen die Wahl demonstrieren, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie sich trotz der reaktionären Pro-Macron-Propaganda in den Medien der Arbeiterklasse zuwenden und diese für einen politischen Kampf gegen die gesamte herrschende Klasse mobilisieren.

Um die wachsende Wut in der Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten und Macrons knappen Vorsprung vor Le Pen zu halten, entfesselt die Presse einen Sturm heuchlerischer Propaganda, der diejenigen, die Macron von links bekämpfen, als Verbündete des Neofaschismus verleumdet. Umfragen zeigen, dass Le Pen mit 40 Prozent der Stimmen, einem Rekordergebnis für den FN, rechnen kann. Die französische Tageszeitung Libération veröffentlichte am Donnerstag einen offenen Brief des Journalisten Johan Hufnagel. Er richtet sich an „meine Freunde auf der Linken, die nicht gegen Le Pen stimmen werden“. Hufnagel macht erst auf das Schicksal der Arbeiter von Whirlpool in Amiens aufmerksam, um sich dann gleich wieder darüber hinwegzusetzen. Die Arbeiter dort sind unmittelbar von der Schließung der Fabrik und dem Verlust ihrer Arbeitsplätze bedroht.

Er schreibt: „Von allen Seiten betrachte ich die Sache, um euer Unbehagen darüber zu verstehen, einen Kandidaten zu wählen, der von den Rechten, den Großunternehmen und Anhängern der Marktwirtschaft unterstützt wird, die die Whirlpool-Arbeiter mit Freude ihren großen aufregenden Plänen opfern würden. Ich kann nicht glauben, dass ihr nicht an die Wahlurnen gehen wollt.“ Hufnagel fügt hinzu: „Emmanuel Macron sieht für einige von euch wie ein Gegner aus, aber er ist kein Feind. Marine Le Pen ist die Feindin der Demokratie, der Republik, die Verbündete von Rassisten, Antisemiten, von Holocaust-Leugnern, von extrem gewalttätigen und homophoben Gruppen.“

Diese Zeilen sind ein politischer Betrug. Sie vereinen zwei besondere Merkmale der bankrotten, gehobenen „linken“ Schichten des Kleinbürgertums, die sich seit der Gründung der PS im Jahr 1971 in deren Dunstkreis aufhalten: Geringschätzung gegenüber demokratischen Rechten und Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse.

Zunächst einmal ist Macron ebenfalls ein Feind der Demokratie. Als Chefberater Hollandes hat er die PS unterstützt, als sie den Ausnahmezustand verhängte und immer wieder verlängerte, inklusive willkürlichen Festnahmen, polizeilichen Beschlagnahmungen und Pressezensur. Was die Frage von Rassismus und republikanischen Prinzipien angeht, so hat dieselbe PS-Regierung, in der Macron ein Ministeramt bekleidete, Roma massenhaft abgeschoben und damit auf eklatante Weise das republikanische Prinzip der ethnischen Neutralität verletzt.

Zweitens treten mit am Beispiel Hufnagels, der sich ganz beiläufig über das Schicksal der Whirlpool-Arbeiter hinwegsetzt, die Klassenkräfte deutlich hervor, die dem Aufstieg des FN zugrunde liegen. Die dominierende Stellung von Vertretern der aufstrebenden Mittelschichten in der offiziellen „linken“ Politik, denen völlig gleichgültig ist, ob tausende Arbeiter auf der Straße landen, hat es den rechtsextremen Populisten erlaubt, sich als die wahren Verteidiger der Arbeiterfamilien zu inszenieren.

Das Schicksal der Whirlpool-Arbeiter von Amiens, deren Fabrik schon bald nach Polen verschifft werden könnte, ist ein typisches Beispiel. Macron hatte geplant, sich mit Vertretern der Gewerkschaft bei Whirlpool zu treffen und Whirlpool für seinen Wahlkampf zu nutzen. Er wagte es jedoch nicht, die Fabrik zu besuchen oder mit Arbeitern zu sprechen, die ihn in der Presse erbittert anklagten. Einer von ihnen erklärte gegenüber einem Gewerkschaftsdelegierten, der Macron treffen sollte: „Gib ihm nicht die Hand. Deine schmutzigen Arbeiterhände wird er sowieso nicht anfassen wollen.“

Sybille, eine Arbeiterin von Whirlpool, erklärte gegenüber der WSWS: „Wir werden mit Sicherheit alle gefeuert. Alles richtet sich gegen uns. Deshalb haben wir auch kein Vertrauen in Macron. Er denkt doch nur, dass wir Analphabeten sind, dass unser IQ nicht hoch genug ist, um ihn zu wählen.“

Der Freund eines pensionierten Whirlpool-Arbeiters fügte hinzu: „Wir gehören zur Arbeiterklasse, also wählen wir Macron nicht.“

Le Pen nutzte die Gelegenheit, um Macron die Schau zu stehlen. Sie profitierte dabei von dem allgemein bekannten Klassengraben, der die Arbeiter von der staatlich finanzierten, französischen Gewerkschaftsbürokratie trennt. Le Pen besuchte Whirlpool überraschend, sprach mit Arbeitern und verurteilte Macrons Verhalten. Sie erklärte: „Ich dachte, es zeigt soviel Verachtung gegenüber dem, was die Whirlpool-Arbeiter durchmachen, dass ich beschlossen habe, her zu kommen.“ Sie machte sich darüber lustig, dass Macron mit den Gewerkschaften „Torte“ essen gehe.

Le Pens populistische Demagogie in Amiens ist eine Warnung: Angesichts der explosiven Wut in der Arbeiterklasse stärken diejenigen den FN, die versuchen, die Opposition gegen Macron von links zu unterdrücken. Die PES wird sich nicht durch eine Zusammenarbeit irgendwelcher Art mit Macron kompromittieren, sondern die Opposition gegen beide rechten Kandidaten auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms mobilisieren.

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