Perspektive

Amerikanisch-mexikanische Grenze:

Mehr als 6000 Todesopfer seit der Jahrtausendwende

Laut einem Artikel in der New York Times vom 4. Mai hat die amerikanische Zoll- und Grenzschutzbehörde (Customs and Border Patrol, CBP) in den Jahren 2000 bis 2016 die sterblichen Überreste von 6.023 Immigranten ohne Papiere gefunden, die versucht haben, die amerikanisch-mexikanische Grenze zu überwinden.

Die wahre Zahl der Todesopfer dürfte weitaus höher liegen. Ein Polizeichef aus Texas erklärte: „Auf jede gefundene [Leiche] kommen meiner Meinung nach fünf weitere, die wir nicht finden.“ Das bedeutet, dass möglicherweise Zehntausende Opfer noch nicht aufgefunden wurden.

Wie die Times schrieb, werden „mit erschreckender Regelmäßigkeit“ Leichen an der amerikanisch-mexikanischen Grenze gefunden. Im Grenzgebiet von Brooks County wurden beispielsweise seit Januar 2009, also seit Barack Obamas Amtseinführung, 550 Tote entdeckt. In Texas waren es seit 2014 auf einer einzigen Ranch 31 Leichen. Teilweise werden sie von der CBP achtlos in Massengräbern entsorgt, oft werden sie nicht einmal aus den Leichensäcken geholt.

Viele der Körper wurden von der Wüstensonne verbrannt oder von Geiern angefressen und können nicht identifiziert werden. Routen, die stark von Immigranten benutzt werden, sind „mit Toten gepflastert“. Neben Kinderleichen liegen Stofftiere. Eine erfrorene Frau war in eine Mülltüte gehüllt, mit der sie sich offenbar wärmen wollte.

Im Jahr 2015 hatte der mexikanisch-stämmige ehemalige Maschinist Francisco Gonzalez mitten in der Wüste den Notruf angerufen und den Grenzschutz dringend gebeten, ihn zu verhaften und ihm damit das Leben zu retten. Er erklärte dem Telefonisten, er habe in die USA zurückkehren wollen, um erstmals seine neu geborene Tochter zu sehen. Zuvor war er von der Obama-Regierung wegen Trunkenheit am Steuer abgeschoben worden. Als ihn die Behörden nicht lokalisieren konnten, nannte Gonzalez dem Telefonisten die Nummer seiner Frau und bat ihn: „Rufen Sie sie an und sagen Sie ihr, ich habe es nicht geschafft. Rufen Sie sie an und sagen Sie ihr, ich liebe sie und sie soll sich um unser Baby kümmern.“ Kurze Zeit später starb er in der Wüste.

Daniel Martinez, ein Assistenzprofessor der Soziologie an der George Washington University, erklärte in der Times: „Wenn der Kontext ein anderer wäre, wenn diese Toten durch eine Überschwemmung oder ein Erdbeben oder einen schweren Flugzeugabsturz umgekommen wären, würde man von einer Massenkatastrophe sprechen.“

Die Times wies darauf hin, dass die Gesamtzahl der gefundenen Leichen höher ist als die Zahl der Todesopfer durch die Anschläge vom 11. September 2001 und den Hurrikan Katrina zusammengenommen. Und obwohl die Zahl der Immigranten seit Donald Trumps Wahlsieg zurückgegangen ist, wurden allein in den ersten Monaten des Jahres 2017 so viele Leichen gefunden wie im gesamten Jahr 2010.

Die hohe Zahl von Todesopfern an der amerikanisch-mexikanischen Grenze ist das Ergebnis einer Politik, die Regierungen beider Parteien seit mindestens zwei Jahrzehnten betreiben. Mit Programmen wie „Operation Gatekeeper“ und „Operation Hold-the-Line,“ die Mitte der 1990er Jahre von dem Demokratischen Präsidenten Bill Clinton eingeführt wurden, wurden stark frequentierte Grenzübergänge mit militärischen Verteidigungsanlagen gesichert und die Patrouillen um Städte wie San Diego (Kalifornien) oder El Paso (Texas) verstärkt.

Die Folgen waren vorhersehbar und wurden auch vorhergesagt. Immigranten, die vor wirtschaftlichen und politischen Krisen flohen, mussten lebensgefährliche Wüstenregionen durchqueren, in denen die Temperaturen über 49 Grad Celsius erreichen.

Unter Bush und Obama wurden weitere Hürden für Grenzüberschreitungen eingeführt, darunter der Secure Fence Act von 2006, der von den Demokraten unterstützt wurde. Der „Ober-Abschieber“ Obama unterzeichnete im Jahr 2010 ein Gesetz, auf dessen Grundlage Predator-Drohnen und 1.500 Nationalgardisten an der amerikanisch-mexikanischen Grenze stationiert wurden, um verzweifelte Einwanderer aufzuhalten.

Unter Trump geht die amerikanische herrschende Klasse noch weiter. Trump will nicht nur eine „Mauer“ an der amerikanisch-mexikanischen Grenze bauen, sondern hat auch angekündigt, den Grenzschutzbeamten, die sich wie eine Neuauflage der Gestapo aufführen, freie Hand zu lassen.

Die Trump-Regierung hat bereits Zehntausende Immigranten abgeschoben und will Tausende Einwanderungs- und Grenzschutzbeamte neu einstellen. Die riesigen Haftzentren, die bereits unter Obama errichtet wurden, sollen auf doppelte Größe ausgebaut werden. Die Bundesregierung arbeitet zudem mit Polizeibehörden im ganzen Land zusammen, um Immigranten festzunehmen. Die Trump-Regierung hat ein Programm namens VOICE eingeführt, mit dem Einwanderer an den Pranger gestellt werden sollen, die einer Straftat beschuldigt werden. Die Vorgehensweise erinnert fatal an die Angriffe der NS-Presse auf jüdische Angeklagte in den 1930er Jahren.

Die Flüchtlingskrise ist das Ergebnis des Imperialismus und des irrationalen kapitalistischen Nationalstaatensystems.

Die Tausenden verarmten Menschen, die in den amerikanischen Wüsten sterben, fliehen vor der Armut und den Kriegen, die Jahrzehnte imperialistischer Ausbeutung und amerikanischer Militärinterventionen rund um die Welt verursacht haben. In den 1970ern, 1980ern und 1990ern haben die USA ganz Mittelamerika verwüstet, Diktatoren unterstützt, Todesschwadronen finanziert und Bürgerkriege geschürt, die Hunderttausende Todesopfer forderten.

Im Nahen Osten und Nordafrika ist es genauso. Von dort fliehen in noch nie dagewesenem Ausmaß Menschen vor den Kriegen der USA in Syrien, Libyen, dem Jemen, Irak, Somalia und weiteren Ländern. Bei dem verzweifelten Versuch, in Europa Zuflucht zu finden, ertrinken Tausende im Mittelmeer. Im Jahr 2015 bezifferten die UN die Zahl der Flüchtlinge weltweit auf 65,3 Millionen, mehr als jemals zuvor in der Geschichte.

Der technische Fortschritt hat die Menschheit weltweit so eng miteinander verbunden, wie es vor noch 30 Jahren undenkbar gewesen wäre. Durch Mobiltelefone, das Internet, weltweite Versorgungsketten und moderne Verkehrsmittel können selbst die Bewohner der abgelegensten Dörfer der Welt mit Freunden und Bekannten in den Metropolen kommunizieren und mit einer Fingerbewegung von internationalen Ereignissen erfahren.

Und doch gibt es keinen gesellschaftlichen Fortschritt, weil eine Handvoll Ausbeuter die Produktivkräfte der Welt kontrollieren und den Regierungen die Politik diktieren.

Und so verschärfen sich die Konflikte zwischen Nationalstaaten und ein dritter Weltkrieg rückt in den Bereich des Möglichen. In den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern werden rechtsextreme Parteien regierungsfähig gemacht und lenken die Wut der Bevölkerung über Ungleichheit und Armut gegen Einwanderer. Unter dem Banner der nationalen Überlegenheit kämpft „jeder gegen jeden und schützt sich mit Zollschranken und einem Wall aus Bajonetten“, wie Leo Trotzki es 1934 in seinem Essay „Nationalismus und Wirtschaftsleben“ formulierte.

Die Socialist Equality Party lehnt die Aufspaltung der Welt in konkurrierende Nationalstaaten ebenso ab wie alle Formen von Nationalismus, dieses ideologische Gift eines veralteten Systems. Wie schon der Philosoph Montesquieu im achtzehnten Jahrhundert sagte: „Vom Wesen her bin ich ein Mensch und nur zufällig Franzose.“ Die SEP betont, dass alle Menschen das Recht haben, sicher zu reisen, wohin sie wollen, ohne Visa, Reisepässe oder das Risiko, misshandelt und abgeschoben zu werden.

Dies ist nicht möglich, solange ein winziger Teil der Weltbevölkerung allen Reichtum kontrolliert und mit Wällen von Bajonetten und Atomwaffen verteidigt. Die internationale Arbeiterklasse braucht die sozialistische Weltrevolution, weil sie nur so den internationalen Charakter der Weltwirtschaft und ihre materiellen Bedürfnisse in Einklang bringen kann.

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