Innenministerkonferenz: Deutschland wird zum Polizeistaat

Die Innenministerkonferenz (IMK) der Länder hat bei ihrem Frühjahrstreffen in Dresden eine massive Verschärfung der Sicherheitsgesetze beschlossen. Die Umsetzung der Maßnahmen, die vor allem auf eine enge Vernetzung der Sicherheitsbehörden sowie eine deutliche Ausweitung ihrer Befugnisse zielen, laufen faktisch auf die Errichtung eines Polizeistaats hinaus. Während sämtliche Maßnahmen mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus gerechtfertigt werden, bereitet sich die herrschende Klasse in Wirklichkeit auf heftige Klassenkämpfe vor.

Im Zentrum der dreitägigen Konferenz standen die Bemühungen um eine Vereinheitlichung und Vernetzung der Sicherheitsbehörden der Länder mit denen des Bundes. Das hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits im Vorfeld angekündigt.

Das Trennungsgebot der Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, das nach den Erfahrungen der NS-Zeit und dem Terror der Gestapo im Grundgesetz verankert worden war, wird weiter unterlaufen. Spätestens seit der Errichtung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) in Berlin, in dem Vertreter von über 40 deutschen Sicherheitsbehörden unter einem Dach arbeiten, existiert das Trennungsgebot ohnehin nur noch auf dem Papier.

Jetzt aber soll insbesondere im digitalen Bereich nachgearbeitet und ein „Musterpolizeigesetz“ verabschiedet werden. Ziel ist die Vernetzung der Datenbanken, mit denen die Behörden all diejenigen Personen und Gruppen ausspionieren können, die sie in irgendeiner Weise für verdächtig halten. Mit den erst kürzlich beschlossenen Sicherheitsgesetzen ist es nun auch möglich, ganze Schattendatenbanken anzulegen, die sich jeder demokratischen Kontrolle entziehen.

De Maizière hatte im Vorfeld der IMK sogar eine vollständige Zentralisierung der Sicherheitsbehörden ins Spiel gebracht. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagte der Innenminister im Hinblick auf die kommende Legislaturperiode: „Und sicher ist auch, dass wir weiter darüber diskutieren werden, ob unsere föderale Sicherheitsarchitektur in Anbetracht der Herausforderungen wirklich unantastbar bleiben sollte.“

Mit der Vernetzung der Datenbanken sollen auch einheitliche Vorgaben für alle Länderbehörden geschaffen werden. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte auch gemeinsame Katastrophenschutzübungen vorgeschlagen. Bereits jetzt gibt es gemeinsame Übungen von Bundeswehr und Polizei auf der Ebene einzelner Bundesländer, die ebenfalls klar gegen das Grundgesetz verstoßen.

Neben der Vernetzung der Behörden untereinander werden auch ihre Kompetenzen massiv ausgeweitet. Ein Blick auf die zukünftigen Befugnisse, die auf der IMK beschlossen wurden, macht klar, dass es um eine schrankenlose Überwachung der Bevölkerung geht. Dies betrifft sowohl die digitale Kommunikation als auch die Überwachung des öffentlichen Raums.

Bereits seit längerem beklagten führende Innenpolitiker, es sei den Behörden nicht möglich, auf die Kommunikation von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Telegram zuzugreifen, weil diese – anders als eine gewöhnliche SMS – mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ausgestattet sind. Diese Verschlüsselung soll nun umgangen werden, indem Polizei und Verfassungsschutz erlaubt wird, eine so genannte Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) bei verdächtigen Personen durchzuführen. Dabei wird z.B. das Smartphone eines Betroffenen direkt ausgelesen, noch bevor die Kommunikation beim Versenden über den Messenger verschlüsselt wird.

Eine weitere geplante Maßnahme ist die sogenannte Online-Durchsuchung. Sie soll es ermöglichen, durch den Einsatz von Trojanern Festplatten auszulesen, ohne dass dazu ein physischer Zugriff notwendig ist. Anders als bei einer Hausdurchsuchung, bei der bisher schon regelmäßig Festplatten der Verdächtigen beschlagnahmt wurden, weiß der Betroffene bei einer Online-Durchsuchung nicht, dass diese Maßnahme gegen ihn durchgeführt wird, und kann sich dementsprechend auch nicht juristisch dagegen wehren.

Sowohl die Quellen-TKÜ als auch die Online-Durchsuchung sollen nach Auskunft von de Maizière noch vor der Sommerpause des Bundestags in die Strafprozessordnung integriert werden.

Ebenfalls beschlossen wurden Maßnahmen zur Gesichtserkennung bei Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Die bisherige großflächige Videoüberwachung von Bahnhöfen und anderen öffentlichen Orten reicht den Behörden bei weitem nicht aus.

Innenminister de Maizière formulierte gegenüber dem Tagesspiegel die Pläne für eine gezieltere Verfolgung von Verdächtigen: „Wir haben derzeit zwar Videoüberwachung an Bahnhöfen. Wir haben aber bislang nicht die Möglichkeit, das Bild von beispielsweise einem flüchtigen Terroristen in die Software einzuspielen, sodass ein Alarm angeht, wenn er irgendwo an einem Bahnhof auftaucht.“ Das müsse auch unter schwierigen Bedingungen funktionieren, „zum Beispiel wenn es dunkel ist oder jemand eine Kapuze aufhat“.

Wie selbstverständlich der Bruch mit den Grundrechten jedes einzelnen Bürgers de Maizière inzwischen geworden ist, zeigt seine rechtliche Einschätzung dieser Maßnahme: „Die Grundrechtseinschränkung ist dabei gering, da Unbeteiligte gar nicht erfasst werden.“

Flüchtlinge werden zukünftig mitsamt ihren minderjährigen Kinder unter Generalverdacht gestellt. Schon bisher hat jeder Asylsuchende ab 14 Jahren bei der Stellung seines Asylantrags auch seine Fingerabdrücke abzugeben. Jetzt soll das entwürdigende Prozedere sogar auf Kinder ab sechs Jahren ausgeweitet werden, verkündete Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der in diesem Jahr den Vorsitz der IMK innehat.

Vor Beginn der IMK hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine Ausweitung der Überwachungsrechte auch auf unter 14-Jährige gefordert. De Maizière hatte diesen Vorschlag zwar nicht lauthals unterstützt, aber auf einen Vorfall in Hannover verwiesen, bei dem ein 14-jähriges Mädchen einen Polizisten niedergestochen hatte und im Alter von elf Jahren von Salafisten radikalisiert worden sein soll.

Die Bespitzelung macht nicht bei der Kommunikation und der Videoüberwachung halt. In Zukunft sollen die Sicherheitsbehödern durch die Analyse von DNA-Spuren das Alter, die Hautfarbe, die Augenfarbe und die Herkunft von Verdächtigen feststellen und zur Fahndung verwenden dürfen.

Auf eine bundesweit einheitliche Regelung zur Schleierfahndung konnten sich die Innenminister nicht einigen. Bisher ist diese massenhafte, anlasslose und systematische Kontrolle durch die Polizei schon in dreizehn von sechzehn Bundesländern möglich. Nur in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bremen gibt es keine Rechtsgrundlage dafür.

Doch deren Opposition gegen eine einheitliche Einführung der Maßnahme entspringt nicht demokratischen Erwägungen. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) ließ über einen Sprecher erklären, man halte eine Schleierfahndung nicht für den richtigen Weg, um Verdächtige erfolgreich aufzuspüren: „Aufwand und Ertrag liegen in keinem ausgeglichenen Verhältnis.“

Über die Notwendigkeit, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auszuweiten, besteht unter allen Parteien Einigkeit. Taktische Differenzen bestehen höchstens darin, wie man dabei am besten vorgeht, d.h. mit welchen Methoden man einen Polizeistaat aufbaut.

Von der angeblichen Ablehnung der Staatsaufrüstung durch die Linkspartei, von der im Zusammenhang mit der IMK in den letzten Tagen gelegentlich zu lesen war, bleibt bei genauem Hinsehen nichts übrig. Die Linke ist selbst an mehreren Landesregierungen beteiligt, deren Innenminister jetzt eine verstärkte Staatsaufrüstung beschließen.

Thüringen, wo die Linke den Ministerpräsidenten stellt, gehört bezeichnenderweise zu den Ländern, in denen die Schleierfahndung erlaubt ist. Und in Berlin, wo sie in der Landesregierung sitzt, hat sie unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie einen Ausbau des Sicherheitsapparats aktiv mitträgt.

Erst zu Beginn des Jahres hatte die Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei in der Hauptstadt ein „Sicherheits- und Präventionspaket“ verabschiedet, das allein für 2017 Mehrausgaben für innere Sicherheit in Höhe von 45 Millionen Euro vorsieht.

Klaus Lederer, Kultursenator und rechtspolitischer Sprecher der Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte dazu lapidar erklärt, man diskutiere das „pragmatisch“. Bei der Frage der Videoüberwachung im öffentlichen Raum komme es schließlich nicht auf die konkrete Zahl der Kameras an, sondern darauf, wo sie den größten Sicherheitsgewinn brächten.

Der Aufbau eines Polizeistaats wird mit dem Kampf gegen Terrorismus und islamistische Gefährder begründet. Der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz und ähnliche Terroranschläge in Paris, Brüssel und Manchester dienen dafür als Rechtfertigung. Aber das ist offensichtlich ein Vorwand. All diese Anschläge waren nicht das Ergebnis mangelnder Überwachung. Im Gegenteil, die Attentäter waren den Sicherheitsbehörden bestens bekannt, einige so gut, dass sich der Verdacht staatlicher Komplizenschaft aufdrängt.

Vergangene Woche schrieb die WSWS: „Nach den Terroranschlägen reagieren die Regierungen stets mit verstärkten Unterdrückungs- und Überwachungsmaßnahmen. Soldaten patrouillieren auf den Straßen, demokratische Rechte werden suspendiert und – wie in Frankreich – der Ausnahmezustand verhängt. All diese Maßnahmen tragen zwar nicht dazu bei, um künftige Anschläge zu verhindern, aber sind sehr nützlich, um die einheimische Bevölkerung zu kontrollieren und soziale Unruhen zu unterdrücken.“

Die Beschlüsse der Innenminsiterkonferenz bestätigen das. Angesichts massiver sozialer Ungleichheit und zunehmenden politischen Widerstands bereiten sie sich mit der Errichtung eines Polizeistaats auf eine soziale Explosion vor.

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