Perspektive

Naher Osten am Rande eines umfassenden Kriegs

Letzte Woche haben Saudi-Arabien und seine Verbündeten Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain dem Emirat Katar ein zehntägiges Ultimatum vorgelegt, das ihre Konfrontation mit dem winzigen Golfstaat dramatisch verschärft und die Gefahr eines militärischen Konflikts erhöht hat.

Anfang des Monats haben Saudi-Arabien und seine Verbündeten bereits eine diplomatische, Reise- und Handelsblockade gegen Katar verhängt. In dem jetzigen Ultimatum hat die saudische Monarchie bewusst Forderungen gestellt, die Katar zurückweisen und ihr damit den Vorwand liefern wird, weitere Strafmaßnahmen zu verhängen. Katar soll nicht nur gegen angebliche terroristische und kriminelle Gruppierungen vorgehen und den Nachrichtensender Al Jazeera einstellen, sondern auch seine Beziehungen zum Iran deutlich einschränken, türkische Soldaten ausweisen und sich Riads diplomatischem, militärischem und wirtschaftlichem Kurs unterwerfen. Außerdem soll es noch nicht näher beschriebene Reparationen für die angeblichen Schäden bezahlen, die seine Politik verursacht haben soll. Das alles soll über die nächsten zehn Jahre durch gründliche Prüfungen überwacht werden.

Vertreter der katarischen Regierung haben das Ultimatum zurückgewiesen, da es ihr Land in einen Vasallenstaat Saudi-Arabiens verwandeln würde. Auch die Türkei, die Katar seit Beginn des saudischen Embargos gemeinsam mit dem Iran mit Hilfsgütern versorgt, wies die Forderungen zurück. Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die Forderung nach dem Rückzug türkischer Truppen als „respektlos gegenüber der Türkei“.

Saudi-Arabien hat zwar noch nicht ausdrücklich mit militärischen Mitteln gedroht, doch jeder Rückzieher von seiner kriegerischen Haltung könnte eine politische Krise in Riad auslösen. Die saudische Monarchie hat Katar heuchlerischerweise als Finanzier des Terrorismus im Nahen Osten bezeichnet, doch in Wirklichkeit ist ihr Ultimatum an den Golfstaat Teil einer allgemeinen Strategie mit dem Ziel, den Einfluss des Iran in der Region zu zerstören.

Der neue saudische Thronerbe Kronprinz Mohammed bin Salman versprach letzten Monat, er werde sicherstellen, dass ein Krieg gegen den Iran auf iranischem, nicht auf saudischem Boden stattfinden würde. Mohammed ist der Öffentlichkeit als Architekt des brutalen Kriegs gegen die Huthi-Rebellen im Jemen bekannt. Der Krieg hat bisher 12.000 Todesopfer gefordert, mehr als sieben Millionen Menschen an den Rand des Hungertods gebracht und eine Cholera-Epidemie ausgelöst, die noch viele weitere Todesopfer fordern könnte.

Die saudischen Forderungen an Katar ähneln dem Ultimatum des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs an Serbien im Juli 1914 nach der Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand. Auch die Forderungen Österreich-Ungarns, das von Deutschland einen Blankoscheck für einen Krieg erhalten hatte, waren bewusst unannehmbar, um einen Krieg gegen Serbien zu rechtfertigen. Inmitten der akuten geopolitischen Spannungen in Europa führte der österreichische Angriff auf Serien in weniger als zwei Wochen zum Weltkrieg.

Es ist unmöglich vorherzusagen, ob dieser oder ein anderer Krisenherd einen Weltkrieg auslösen wird. Allerdings verschärft die zunehmende globale Wirtschaftskrise die Spannungen zwischen den Regional- und Großmächten deutlich, da jede von ihnen versucht, ihre Probleme auf ihre Rivalen abzuwälzen und sich alle einen Wettlauf um Märkte, billige Arbeitskraft und geostrategische Vorteile liefern.

Leo Trotzki warnte im Jahr 1938, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, im Gründungsdokument der Vierten Internationale: „Unter dem wachsenden Druck des kapitalistischen Niedergangs haben die imperialistischen Widersprüche die Grenze erreicht, jenseits derer die einzelnen Konflikte und blutigen Explosionen [...] unausweichlich in einem Weltbrand münden. Gewiss, die Bourgeoisie ist sich klar über die tödliche Gefahr, die ein neuer Krieg für ihre Herrschaft bedeutet. Aber diese Klasse ist augenblicklich noch tausendmal unfähiger, den Krieg zu verhindern, als am Vorabend von 1914.“

Trotzkis Warnung gilt auch für die heutige explosive Situation, die nicht nur im Nahen Osten herrscht, sondern auch in Osteuropa und Nordostasien. Der stärkste destabilisierende Faktor in der heutigen Weltpolitik ist der US-Imperialismus. Im Persischen Golf stachelt er Saudi-Arabien auf ähnliche Weise an wie Deutschland Österreich im Juli 1914.

US-Außenminister Rex Tillerson drängte zwar zu Gesprächen und deutete an, einige der saudischen Forderungen seien für Katar „sehr schwer erfüllbar“. Präsident Donald Trump hingegen signalisierte Riad seine vollständige Unterstützung für das aggressive Vorgehen und bezeichnete die Blockade als „hart, aber notwendig“. Trump prahlt, dass sein Besuch in Saudi-Arabien im letzten Monat, bei dem Waffengeschäfte in Höhe von einer halben Billion Dollar ausgehandelt wurden, für Riads harte Haltung gegen den „Terrorismus“ und Katar verantwortlich sei.

Tillersons mehrdeutigere Äußerungen sind Ausdruck von Bedenken in Washington, vor allem im Pentagon, hinsichtlich der Folgen des Konflikts für die riesige US-Basis in Katar. Dort befindet sich die vorgeschobene Kommandobasis des US Central Command und der Auslandsgeheimdienste mit mehr als 11.000 US-Soldaten.

Trump hat jedoch keinen Hehl aus seiner Entschlossenheit gemacht, den Iran zu schwächen. Der erste Schritt dazu war die Verschärfung des von den USA angefachten Konflikts in Syrien. Jetzt versuchen die USA unter dem Vorwand, den Islamischen Staat im Irak und Syrien (IS) zu besiegen, sogenannte No-Go-Areas und „Deeskalationszonen“ einzurichten, die als Stützpunkte im Krieg gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad dienen sollen, der mit dem Iran und Russland verbündet ist. Die Ursprünge des IS gehen dagegen auf sunnitische Extremisten zurück, die von Saudi-Arabien und seinen Verbündeten selbst aufgebaut wurden.

Die explosive Situation im Nahen Osten ist nicht nur das Ergebnis der Rücksichtslosigkeit der Trump-Regierung, sondern von einem Vierteljahrhundert verbrecherischer Interventionskriege des US-Imperialismus, die ganze Gesellschaften zerstört, Millionen Menschenleben gekostet und viele weitere Millionen zu obdachlosen Flüchtlingen gemacht haben. Der Nahe Osten ist eine strategisch wichtige, ölreiche Region, die zwischen Europa, Afrika und Asien liegt. Um ihre Vorherrschaft über die Region zu sichern, haben die USA das Staatensystem, das der britische und französische Imperialismus nach dem Ersten Weltkrieg errichtet haben, faktisch zerstört und damit einen neuen Kampf der Großmächte um die Neuaufteilung des Nahen Ostens entfacht.

Der US-Imperialismus hat sich an die Seite der reaktionärsten Regimes im Nahen Osten gestellt: der ägyptischen Militärdiktatur und der autokratischen Monarchien von Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Israel hat seine Unterstützung für die Blockade gegen Katar sowie den Krieg der USA in Syrien zum Sturz von Assad angekündigt. Die Türkei und der Iran unterstützen Katar, während in Syrien ein Zusammenstoß zwischen amerikanischen und russischen Streitkräften einen Konflikt zwischen zwei Atommächten auslösen könnte.

Die europäischen Mächte stehen dieser Krise keineswegs gleichgültig gegenüber, da sie ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen im Nahen Osten gefährdet, besonders ihre wachsenden Beziehungen zum Iran und zu Katar. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hatte vor kurzem in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die „dramatische“ Härte der Beziehungen zwischen Katar und Saudi-Arabien und seinen Verbündeten kritisiert und gewarnt, dieser Streit könnte zu einem Krieg führen. Frankreich hat vor kurzem mit Katar gemeinsame Militärübungen im Persischen Golf abgehalten.

Was sich hier zeigt sind die Anfänge eines sich entwickelnden Kriegs, der die Regional- und Großmächte schnell hineinziehen und zu einer Katastrophe für die Menschheit werden kann. Ein solcher Konflikt ist unvermeidbar, egal ob er in Europa, Asien oder dem Nahen Osten beginnt, wenn nicht die Arbeiterklasse mit ihrem eigenen sozialistischen und internationalistischen Programm eingreift und der Ursache für Kriege ein Ende setzt: dem Profit- und Nationalstaatensystem.

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