Die Verwandlung einer Arbeiterstadt in eine Stadt sozialer Gegensätze

Am heutigen Dienstag lädt die Sozialistische Gleichheitspartei in der Arbeiterstadt Duisburg zu einer Wahlversammlung ein. Die Kandidaten für die Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen stellen ein internationales sozialistisches Programm gegen Krieg und Armut vor und rufen zur Unterstützung ihres Wahlkampfs auf.

Infostand mit Dietmar Gaisenkersting, Kandidat der SGP

Duisburg hat eine lange Geschichte der Stahlindustrie und des Bergbaus. Heute zählt es zu den am meisten verarmten Städten des Ruhrgebiets. Die Bergbau-Schächte sind alle geschlossen, aber noch immer brennen hier die letzten sieben Hochöfen des Ruhrgebiets, die etwa für die Hälfte der deutschen Stahlproduktion aufkommen.

In den 60er Jahren waren in den beiden Stahlriesen Thyssen und Krupp noch rund 70.000 Stahlwerker beschäftigt, und das Pro-Kopf-Einkommen von Duisburg gehörte zu den höchsten in der Bundesrepublik. Heute arbeiten im fusionierten Betrieb ThyssenKrupp nur noch rund 13.000. Eine neue massive Entlassungswelle steht bevor. Der Konzern hat angekündigt, bis September seine Stahlsparte zu verkaufen. Bei einer Fusion mit dem britisch-indischen Konzern Tata Steel, über die gegenwärtig verhandelt wird, könnten 10.000 Arbeitsplätze in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien verloren gehen.

Das ThyssenKrupp-Werk

Die Armut ist in Duisburg mit Händen zu greifen, und die sozialen Spannungen treiben auf den Siedepunkt zu. Einen Vorgeschmack lieferte kürzlich eine Straßenschlacht zwischen Anwohnern und Polizisten im besonders armen Stadtbezirk Duisburg-Bruckhausen, als die Beamten auf provokative Weise einen Falschparker festnehmen wollten. In Windeseile waren über zweihundert Bewohner zusammengeströmt, um den Mann zu befreien und die Polizei davon zu jagen.

Bruckhausen ist das ärmste Stadtviertel im Duisburger Norden. Im Schatten der Werkstürme von ThyssenKrupp leben hier zahlreiche rumänische und bulgarische Familien, darunter Roma und Sinti, in elenden Verhältnissen. Viele Männer werden von privaten Firmen für Stundenlöhne von drei bis fünf Euro als Tagelöhner angeheuert und müssen dafür horrende Mieten in halbverfallenen Häusern von Immobilienhändlern zahlen. Die jungen Frauen werden auf einem wachsenden Schwarzmarkt für Prostitution ausgebeutet.

SGP-Kandidatin Elisabeth Zimmermann betonte am Info-Stand der SGP, dass Arbeiter sich nicht spalten lassen dürfen. „Die Menschen aus Rumänien und Bulgarien kommen aus den ärmsten Ländern Europas. Sie werden von der EU als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Wir verteidigen das Recht jedes Menschen, in dem Land seiner Wahl zu leben und zu arbeiten, mit allen sozialen und demokratischen Rechten.“

Die Angriffe auf Arbeiter aus armen EU-Ländern und auf Flüchtlinge, die sämtliche Parteien unterstützen, richteten sich letztlich gegen alle Arbeiter, warnte sie. „Notwendig ist ein gemeinsamer Kampf aller hier lebenden Menschen gegen den Kapitalismus – der Ursache von Krieg, Unterdrückung und sozialer Ungleichheit.“

Bulgarische und rumänische Familien leben in elenden Verhältnissen im Duisburger Norden

In der Ruhrgebietsstadt Duisburg mit knapp einer halben Million Einwohner müssen 77.000 Menschen von Hartz IV leben. Die Arbeitslosigkeit lag im Juni 2017 bei 13,2 Prozent. Seit den 60er Jahren gingen rund 120.000 Arbeitsplätze verloren, und heute haben nur noch 160.000 Menschen ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, meist im Dienstleistungsbereich. Am krassesten zeigt sich die Verelendung der Stadt in der massiv gestiegenen Leih- und Teilzeitarbeit.

Die Zahl der Leiharbeiter stieg in der Zeit von 2006 bis 2016 nahezu um das Dreifache auf fast 10.000. Hinzu kommen 37.000 Duisburger, die einen Mini-Job (geringfügige Beschäftigung) haben, darunter 10.000, die diesen als Zweitjob ausüben, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Die Teilzeitarbeit stieg innerhalb von zehn Jahren um über 50 Prozent von 24.000 auf 38.000. Fasst man die Zahlen zusammen, die mehrere Studien – u.a. der Hans-Böckler-Stiftung – kürzlich veröffentlichten, arbeiten in Duisburg mehr als ein Drittel aller Beschäftigten in Teilzeit, Minijob oder Leiharbeit.

Auch bei ThyssenKrupp arbeiten viele Leih- und Werkvertragsarbeiter. Sie werden häufig über das Zeitarbeitsunternehmen START NRW vermittelt, das 1995 von der SPD-Landesregierung, dem Arbeitgeberverband Stahl, dem Nordrhein-Westfälischen Handwerkstag, Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Spitzenverbänden sowie den Gewerkschaften gegründet wurde.

Vor wenigen Monaten statteten der IG Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler, gemeinsam mit dem damaligen Arbeitsminister Rainer Schmeltzer (SPD) ThyssenKrupp einen Besuch ab, um das Management für seinen „fairen Umgang“ mit Leiharbeit und Werkverträgen zu loben. Allerdings erhalten zwei Drittel dieser Zeitarbeiter keine Festanstellung.

„Mein Sohn hat schon die dritte Leiharbeitsstelle“, klagte eine ältere Frau gegenüber einer SGP-Vertreterin in Duisburg-Hamborn, die Wahlaufrufe verteilte. „Ein Arbeitsverhältnis wie es noch mein Mann hatte, der über vierzig Jahre im Öffentlichen Dienst beschäftigt war, gibt es überhaupt nicht mehr.“

Die meisten Arbeiter, die die SGP-Mitglieder während des Wahlkampfs in Duisburg treffen, machen für den sozialen Niedergang die SPD und die Gewerkschaften verantwortlich. Ein türkischer Arbeiter, der das Parteikürzel der Sozialistischen Gleichheitspartei, SGP, mit „SPD“ verwechselt hatte, kam wütend auf den SGP-Kandidaten Dietmar Gaisenkersting zu und wollte den Aufruf zurückgeben. Mit der SPD wolle er auf gar keinen Fall etwas zu tun haben. Umso interessierter war er, als Gaisenkersting erklärte, es gehe um den Aufbau einer wirklich sozialistischen Arbeiterpartei, die die Arbeiter international gegen Kapitalismus und Krieg vereint.

Die SPD sei eine rechte bürgerliche Partei, betonte Gaisenkersting. Sie sei nicht nur für die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010, einen riesigen Niedriglohnbereich und massive Sozialkürzungen verantwortlich, sondern auch für Militäreinsätze der Bundeswehr, für eine massive Aufrüstung und den Aufbau eines immer autoritäreren Polizei- und Geheimdienstapparats, mit dem die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse ausgehebelt werden.

Viel Diskussion gab es am Informationsstand in Duisburg Hamborn über das jüngste Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia durch Bundesinnenminister de Maizière und über die Google-Zensur gegen die WSWS und andere kritische Websites.

„Ich dachte, wir haben Meinungsfreiheit“, sagte ein Arbeiter einem jungen SGP-Vertreter. Dieser erklärte, die deutsche Regierung habe genauso wie die Trump-Regierung in den USA Furcht vor wachsendem Widerstand in der Bevölkerung gegen Krieg und soziale Ungleichheit. Sie wolle deshalb jede kritische Stimme unterdrücken. Die SGP habe eine Gegenkampagne gegen die Google-Zensur begonnen, die große Unterstützung erhalte.

Gedenkort an dem Tunnelausgang, an dem die Massenpanik 21 Tote forderte

Im vergangenen Monat jährte sich die Love-Parade-Katastrophe zum siebten Mal. Hunderte Angehörige und Freunde kamen zum Ort, wo 21 junge Menschen starben, weil ein windiger Eventunternehmer gemeinsam mit der Stadtspitze über eine Million Besucher der Technoparty durch einen engen Tunnel in die Todesfalle trieb. Bisher haben Politiker und Gerichte eine Anklage gegen die wirklich Verantwortlichen und Schuldigen verhindert, und erst im Dezember soll ein langwieriges Verfahren beginnen.

Die Katastrophe am 24. Juli 2010 steht synonym für alles, was die Duisburger Bevölkerung an der offiziellen Politik hasst: Eine Elite in Politik und Industrie, zu der sie die SPD zählt, ist bereit, für Profit über Leichen zu gehen. Die Sozialistische Gleichheitspartei nimmt an den Bundestagswahlen teil, um Arbeitern eine Stimme zu geben und für die Beseitigung des Profitsystems zu mobilisieren.

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