CDU-Sicherheitspapier: Die Sprache der Diktatur

Die Innen- und Justizminister von CDU und CSU haben am 1. September eine Erklärung zur Inneren Sicherheit verabschiedet, die sich wie eine Blaupause für eine Diktatur liest.

Gleich zu Beginn rühmen sich die Unterzeichner: „Wir sind in der Innen- und Rechtspolitik die treibende Kraft.“ In diesem Stil geht es weiter, bis es abschließend heißt: „Wir stehen für einen starken Staat, der die Verantwortung für die Sicherheit und den Schutz seiner Bürger ernst nimmt. Sicherheit in Freiheit braucht Ordnung…. Rechtsfreie Räume wird es mit uns nicht geben.“

Das Wort „Recht“ kommt in dem Text nur in Ausdrücken wie „Rechtsstaat“, „Rechtsordnung“, „Strafrecht“ und „Rechtsprechung“ vor, nicht aber in Verbindung mit Demokratie. Der Ausdruck „Demokratie“ selbst erscheint nur ein einziges Mal, wenn es heißt: „Rechts- und Linksextremismus stellen unsere Demokratie in Frage.“ Der Begriff des „Grundrechts“ oder „demokratischen Rechts“, das den Bürger vor Willkür und Übergriffen des Staates schützt, existiert im Vokabular und der Vorstellungswelt der Unionsminister nicht.

Unter dem Titel „Ein starker Rechtsstaat für die Sicherheit unserer Bürger“ schlagen sie einen Katalog von Maßnahmen vor, die jeden Diktator mit Stolz erfüllen würden. Das beginnt mit dem Satz: „Eine optimale Zusammenarbeit von Bund und Ländern, insbesondere von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz ist der entscheidende Erfolgsfaktor für die Sicherheit in unserem Land.“

Dass das Trennungsgebot von Nachrichtendiensten und Polizei und deren Dezentralisierung zu den Grundsätzen der deutschen Nachkriegsordnung gehören, ist den Herren Ministern offensichtlich „entfallen“. Es war die wichtigste Schlussfolgerung, die nach dem Fall des Nazi-Regimes aus der kriminellen Rolle der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gezogen wurde.

Die deutsche Bourgeoisie war allerdings nicht freiwillig zu dieser Einsicht gelangt, sie wurde ihr von den alliierten Mächten 1949 im sogenannten „Polizeibrief“ aufgezwungen. Seit Deutschland mit der Wiedervereinigung seine volle Souveränität erlangte, wird die Gültigkeit des Trennungsgebots zunehmend in Frage gestellt. Die CDU-Minister halten es offensichtlich für irrelevant.

Viele der Maßnahmen, die die Unionsminister dann vorschlagen, ließen selbst die Gestapo vor Neid erblassen, zumal diese noch nicht über die elektronischen Techniken verfügte, auf die sich die heutigen Verfechter eines starken Staats stützen.

„Wir werden Polizei und Sicherheitsbehörden personell und mit modernster Ausstattung stärken“, heißt es in der Erklärung. „Wir wollen modernste Technik (z.B. intelligente Videotechnik zur Fahndung mit Gesichtserkennung), zeitgemäße Befugnisse, eine enge Kooperation der Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt eine moderne Datenpolitik voranbringen, die Sicherheitsinteressen und Datenschutzbelange in einen angemessenen Ausgleich bringt.“

Als Vorwand für die massiven Aufrüstungspläne muss der „islamistische Terrorismus“ herhalten, obwohl bekannt ist, dass alle größeren Anschläge der letzten Jahre – von Paris über Brüssel und Berlin bis Barcelona – von Tätern begangen wurden, die den Sicherheitsbehörden bekannt waren und teilweise in enger Verbindung zu ihnen standen. Bezeichnenderweise beschränken sich die Innenminister aber nicht darauf. Als weiteren Grund für ihre Aufrüstungspläne nennen sie den „Rechts- und Linksextremismus“, wobei das Schwergewicht eindeutig auf letzterem liegt.

Die Auseinandersetzungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg, die von der Polizei gezielt provoziert und von den Medien maßlos aufgebauscht wurden, dienen nun als Vorwand, um gegen politische und soziale Opposition von links vorzugehen. „Die brutale Gewalt auf den Straßen Hamburgs beim G20-Gipfel hat uns das erschreckende Gewaltpotential gezeigt, das von Linksextremisten ausgeht,“ heißt es in dem Text.

Mit dieser Begründung wollen die Unionsminister das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit aushebeln. So soll der Straftatbestand des Landfriedensbruchs so verschärft werden, dass ein beliebiger Polizeiprovokateur mit einem Steinwurf eine friedliche Demonstration in eine Horde von Straftätern verwandeln kann. In Zukunft soll nicht nur bestraft werden, wer selbst Gewalt ausübt, sondern auch diejenigen, „die Angreifer unterstützen, indem sie ihnen Schutz in der Menge bieten“.

Autonome Zentren – genannt werden die „Rote Flora“ in Hamburg und die Rigaer Straße in Berlin – sollen nicht länger „toleriert“ werden, die Vermummung des Gesichts auf einer Demonstration soll eine Straftat bleiben und nicht „zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden“.

Auch die Staatsanwaltschaften und Gerichte wollen die Unionsminister aufrüsten, um Opposition zu bekämpfen und einzuschüchtern. Das soll durch eine bessere „personelle und materielle Ausstattung“, die Weiterentwicklung des Strafrechts sowie die Modernisierung „des Instrumentenkastens unserer Strafverfolger“ geschehen. Unter anderem sollen „die Auswertungsmöglichkeiten von DNA-Spuren“ sowie die „Verkehrsdatenspeicherung und -erhebung“ erweitert werden. Die „Sympathiewerbung“ für „terroristische und kriminelle Vereinigungen“ (was immer das heißen mag) „auf unseren Straßen und Plätzen“ soll unter Strafe gestellt werden.

Viele Vorschläge tragen einen unverhüllten rassistischen Einschlag, so wenn die Minister DNA-Spuren „auf Hautfarbe, Haarfarbe und biogeographische Herkunft“ untersuchen wollen oder drohen: „Parallelgesellschaften werden wir nicht dulden – unser Recht, unsere Werte, unsere Prinzipien gelten.“

Dass der Angriff auf demokratische Rechte im Namen der „Sicherheit“ zu den Wesensmerkmalen einer Diktatur zählt, gehörte noch bis vor wenigen Jahren zum ABC des Staatskundeunterrichts. So heißt es in einem Beitrag über die Militärdiktaturen in Chile, Argentinien und Uruguay, der 2006 auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung erschien, sie hätten sich alle drei auf die „Doktrin der Nationalen Sicherheit“ gestützt. „Diese Doktrin behauptet die äußere und innere Sicherheit als wichtigste Aufgabe des Staates; staatliches Handeln untersteht zu diesem Zweck keinen (menschen-)rechtlichen Beschränkungen und Kontrollen. So legitimiert die Doktrin erhebliche Verschärfungen vorhandener Sicherheitsgesetze.“

Gemessen an diesen Kriterien zielen die Vorschläge der Unionsminister eindeutig auf die Errichtung einer Diktatur. Und sie sind damit nicht allein. Wie wir bereits in einem anderen Artikel geschrieben haben, überbieten sich im Bundestagswahlkampf alle Parteien – von der AfD bis zur Linken – „mit Forderungen nach mehr Polizisten, nach martialischer Polizeiausrüstung und nach besseren Überwachungstechniken“.

Es ist bezeichnend, dass unter den Innen- und Justizministern aus neun Bundesländern, die gemeinsam mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Erklärung verfasst haben, auch die Minister aus Baden-Württemberg und Hessen sind, wo die CDU in bestem Einvernehmen mit den Grünen regiert. Auch in den Programmen der SPD und der Linkspartei nimmt die Forderung nach Aufrüstung von Polizei und Justiz eine zentrale Stelle ein.

Man kann diesen Drang nach Staatsaufrüstung und Diktatur nur damit erklären, dass sich alle Parteien für die Zeit nach der Bundestagswahl auf heftige soziale und politische Auseinandersetzungen vorbereiten. Sie wissen, dass die Politik des Militarismus und des Sozialabbaus, mit der sie auf die globale Krise des Kapitalismus und auf die wachsenden internationalen Spannungen reagieren, auf Ablehnung stößt, und bereiten sich darauf vor, jede Opposition gewaltsam zu unterdrücken.

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