SGP-Wahlversammlung mit Julie Hyland in Berlin

Am vergangenen Samstag sprachen zwei wichtige Vertreter des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) auf einer Wahlversammlung in Berlin-Schöneberg. Neben Christoph Vandreier, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), trat auch Julie Hyland auf, die stellvertretende Vorsitzende der britischen Socialist Equality Party (SEP).

Vandreier erläuterte die Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution. Er betonte, es sei die einzige Möglichkeit, die Wiedergeburt des deutschen Militarismus und die Gefahr eines atomar geführten Weltkriegs zu verhindern. Die SGP hat diese Fragen ins Zentrum ihres Wahlkampfes gestellt.

Als Direktkandidat für Berlin-Schöneberg fasste Vandreier die Diskussionen zusammen, die in politischen Denkfabriken und Militärfachzeitschriften über einen möglichen Krieg gegen Nordkorea und China geführt werden, und er sagte: „Was wir zu Beginn unseres Wahlkampfes gesagt hatten, wird nun sehr aktuell: 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges führt die Krise des Kapitalismus erneut zu Faschismus und Krieg.“

Nationalismus und Militarismus seien in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Vandreier erklärte: „Alle Parteien bereiten eine umfassende Aufrüstung vor. Sie wollen, dass Deutschland Europa dominiert, damit es in der Lage ist, wieder eine Rolle als Weltmacht zu spielen. Und jeder weiß, wohin das führt.“

Vandreier beschrieb, wie SPD und Linkspartei die Aufrüstung vorantreiben, und dass sie für die deutsche Bourgeoisie eine von den Vereinigten Staaten unabhängige Rolle anstreben.

„Diese Parteien sind die aggressivsten Repräsentanten des deutschen Imperialismus“, sagte Vandreier. „Dies wird auch deutlich in ihren Angriffen auf demokratische Grundrechte und ihrer Unterstützung für rechtsextreme Kräfte und die Relativierung der Nazi-Verbrechen.“

„Dass wir, die Sozialisten, heute die einzige politische Kraft sind, die der Opposition in der Öffentlichkeit gegen Krieg eine Stimme geben, ist selbst ein Ausdruck der Tiefe der kapitalistischen Krise.“

Dies sei es, was hinter den Angriffen stecke, die die bürgerliche Presse gegen die deutsche Sektion des Internationalen Komitees führe, sagte er, und auch hinter der Zensur, die Google in Absprache mit der deutschen Regierung gegen die WSWS betreibe. „Der Grund dafür ist, dass wir die sozialistische Bewegung repräsentieren und in der Tradition der Russischen Revolution stehen“, erklärte Vandreier.

Die Versammlung in Berlin-Schöneberg

Julie Hyland begann ihre Rede mit einem Überblick über die Titel in den großen englischsprachigen Zeitungen. Diese drücken Besorgnis über das Anwachsen der sozialen Ungleichheit in Deutschland aus und darüber, dass sich die Arbeiter von der SPD abwenden, weil diese eine führende Rolle bei der Durchsetzung drakonischer Kürzungen im Sozialstaat spielt.

Die britischen Medien sorgen sich nicht wegen der Bedingungen, unter denen die deutschen Arbeiter leben müssen, sondern wegen der wachsenden Klassenspannungen, die die Stabilität der bürgerlichen Ordnung in ganz Europa bedrohen, erläuterte Hyland. Insbesondere gilt dies jetzt, wo der französische Präsidenten Emmanuel Macron die Arbeits-„reformen“ durchsetzt, um die Arbeiter jeglichen rechtlichen Schutzes zu berauben. Die britischen Journalisten sehen große Klassenkämpfe voraus, sagte Hyland, und befürchten, dass diese sich über nationale Grenzen hinweg ausbreiten könnten.

„Das sollte man sich bewusst vor Augen halten, wenn man Berichte über die Spannungen in den EU-Gesprächen mit Großbritannien über den Brexit liest. So erbittert sie ihre nationalen Rivalitäten auch austragen, und diese sind tatsächlich scharf, so wissen sie doch alle, dass sie auf einem sozialen und politischen Pulverfass sitzen. Es könnte jederzeit in die Luft gehen, denn sie treiben ihr Programm des Klassenkriegs im Inneren und der militärisch geführten Kriege nach außen immer energischer voran.“

Vor vierzehn Monaten gewann das Austritts-Lager im Referendum über den EU-Verbleib Großbritanniens eine knappe Mehrheit. Die nachfolgenden Ereignisse haben die Bedeutung des SEP-Aufrufs zu einem aktiven Boykott des Brexit-Referendums bestätigt, sagte Hyland.

Bei diesem Referendum habe die arbeitende Bevölkerung nur die Wahl zwischen Pest oder Cholera gehabt, sagte sie. Das Lager des Verbleibs habe sich auf alle großen bürgerlichen Parteien und die City of London gestützt, das britische Finanzzentrum. Auch Nato-Generäle und die Regierungen der USA und Europas standen dahinter. Das Lager setzte auf die EU, das Hauptinstrument zur Durchsetzung drastischer Sparmaßnahmen auf dem gesamten Kontinent, besonders gegen Griechenland. Die EU hat die Festung Europa errichtet und trägt die Verantwortung dafür, dass tagtäglich Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken.

Das Austrittslager vertrat die Interessen der führenden Hedge-Fonds und anderer Oligarchen wie Rupert Murdoch, dessen Kampagne „Großbritannien zuerst“ sich auf ausländerfeindliche Rhetorik stützte und die weitverbreitete soziale Unzufriedenheit ausbeutete.

Wie Hyland erklärte, war das wichtigste Element der SEP-Kampagne ihre Opposition gegen die Vertreter des „linken“ Nationalismus‘, die Socialist Workers Party und die Socialist Party. Diese befürworteten einen Austritt mit dem Argument, ein souveräner kapitalistischer britischer Staat könne die Basis für eine fortschrittliche Politik gegen Austerität abgeben.

Julie Hyland

Hyland machte besonders auf die Rolle aufmerksam, die der ehemalige Labour-Parlamentarier George Galloway spielte. Er hatte sich offen mit der rechten UK Independence Party solidarisiert, den damaligen UKIP-Führer Nigel Farage als Verbündeten „in einem einzigen Punkt“ bezeichnet und zum gemeinsamen Sieg von „Rechts-Links“ im Referendum aufgerufen.

Wie Hyland feststellte, hatte Farage nur einen Tag vor dem SGP-Meeting auf einer Veranstaltung der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) in Berlin gesprochen. Er trat gemeinsam mit der stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch auf, einer Enkelin von Hitlers Finanzminister.

Galloways Unterstützung für UKIP verwische nicht bloß die Klasselinien, „sie löscht sie aus“, sagte Hyland. Galloway habe sich neben Farage gestellt und „behauptet, dass die Trennlinien zwischen rechts und links, und zwischen der Arbeiterklasse und der herrschenden Klasse, nicht zählten im Vergleich mit ihrem gemeinsamen Interesse, die britische Souveränität zu verteidigen“.

Dies bestätigt die Einschätzung des IKVI, dass die pseudolinken und bürgerlichen Tendenzen dem Sozialismus und der Arbeiterklasse feindlich gegenüberstehen. Die Rolle, die sie spielten, gestattete es den Rechten, die Opposition gegen die EU zu dominieren.

Im Zusammenhang mit Galloways gemeinsamem Auftritt mit Farage hatte die SEP betont, dass die erste Aufgabe eines Sozialisten darin bestehe, sich dem Vermischen von Klassenbannern entgegenzustellen. „Wir mussten den Standpunkt definieren, den eine politisch bewusste, unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse einnehmen muss“, erklärte Hyland. „Diese Haltung weist sowohl den britischen kapitalistischen Nationalstaat als auch den europäischen kapitalistischen Markt zurück. Sie geht von den Interessen der internationalen Arbeiterklasse aus und strebt ihren Zusammenschluss an.“

Dies war von entscheidender Bedeutung, denn das Referendum in Großbritannien war lediglich der bislang deutlichste Ausdruck des Zusammenbruchs aller Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden waren, unter den Auswirkungen der globalen Krise des Kapitalismus.

„Der fundamentale Widerspruch im Zentrum dieser Krise kann nicht friedvoll im Rahmen des Kapitalismus aufgelöst werden“, erklärte Hyland. „Das ist der Widerspruch zwischen dem integrierten Charakter der globalen Wirtschaft und der Aufteilung der Welt in antagonistische Nationalstaaten, die auf Privatbesitz der Produktionsmittel beruhen. Seine Auflösung kann nur von unten erfolgen, durch den Kampf der Arbeiterklasse für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas, als integraler Bestandteil des Kampfes für den Weltsozialismus.“

Die SEP orientiere sich an der explosiven sozialen Unzufriedenheit unter Arbeitern und Jugendlichen in Großbritannien und ganz Europa, erklärte sie. Diese Wut habe sich besonders nach dem schrecklichen Brand vom 14. Juni am Hochhaus Grenfell Tower in West-London verschärft.

Hyland wies darauf hin, dass es bis heute keine offizielle Opferzahl gibt. „Das zeigt die Gleichgültigkeit und Verachtung, die das Establishment für die arbeitenden Menschen hegt“, sagte sie. „Mindestens 80 verbrannten im Feuer und hunderte weitere wurden verletzt und verloren ihr Zuhause.“

Der Brand war kein Unfall, sondern ein Verbrechen, wie sie weiter erklärte: „Menschen starben im Feuer allein deshalb, weil sie arme Angehörige der Arbeiterklasse waren und in einer Gesellschaft lebten, in der nur Menschen zählen, die superreich sind. So viel zu Galloways Loblied auf die ‚nationale Einheit‘.“

Um Kosten einzusparen, war das Gebäude mit entflammbarem Material verkleidet worden. Zusätzlich wurde eine wärmedämmende Schicht untergesetzt, die im Brandfall größere Mengen Blausäure freisetzte. Weitere kostensparende Maßnahmen führten dazu, dass dutzende Gasrohre unverkleidet blieben, kein Sprinklersystem und keine zentrale Feueralarmanalage installiert waren und nur ein einziges Treppenhaus bestand.

„Die Grenfell-Bewohner hatten sich beschwert und warnten vor einer Katastrophe mit tödlichem Ausgang. Doch sie wurden nicht nur ignoriert, sondern die Gebäude-Manager drohten ihnen mit Rechtsmitteln“, berichtete Hyland.

„Viele der Toten mussten sterben, weil ihnen gesagt wurde, sie sollten bleiben, wo sie waren. Doch dieser Rat macht nur Sinn, wenn keine Vergiftungsgefahr besteht“, so Hyland. Als sich das Feuer rasch ausbreitete, versuchten die Insassen verzweifelt, telefonisch Hilfe zu verständigen. Aber Hilfe war nur in sehr begrenzter Zahl verfügbar. Die Rednerin beschrieb die Kürzungen, die der damalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson bei dem Londoner Feuerwehren durchgesetzt hatte.

Bis heute leben Hunderte der Überlebenden in Hotels und zeitweiligen Unterkünften. Mindestens zwanzig von ihnen haben seit dem Brand versucht, Selbstmord zu begehen, weil sie weder mit ihrem Trauma noch mit der fehlenden Unterstützung fertig wurden. Tausende Menschen im ganzen Land stehen vor ähnlichen Gefahren, da dieselben gefährlichen Materialien für hunderte Wohnblocks, für Schulen und Krankenhäuser verwendet worden sind.

„Das war sozialer Mord“, schloss Hyland, „genauso wie von Friedrich Engels vor 150 Jahren in seinem berühmten Werk Die Lage der arbeitenden Klasse in England beschrieben.“ Indessen sei niemand verhaftet oder überhaupt zur Verantwortung gezogen worden. „Stattdessen veranstalten dieselben Leute, deren Entscheidungen für den Grenfell-Brand verantwortlich sind, eine sogenannte öffentliche Untersuchung. Sie wird genauso zur Vertuschung dienen, wie jede andere Untersuchung davor, vom Irak-Krieg bis zur Hillsborough-Tragödie“, warnte Hyland.

Ähnliche Tragödien wie Grenfell widerholen sich in jedem Land der Welt. Hyland führte eine Reihe von Beispielen an, darunter die kolossalen Verwüstungen durch die zwei Hurrikane Harvey und Irma in den letzten Wochen in Houston, Florida und auf den karibischen Inseln. Die herrschende Elite der Vereinigten Staaten erweist sich außerstande, die Evakuierung zu organisieren. Gleichzeitig werden Milliarden für Kriege in Afghanistan, dem Irak, Libyen und Syrien verschleudert, sowie für den Bau, die Entwicklung und die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen. Wie die Drohungen der Vereinigten Staaten gegen Nordkorea nur allzu deutlich zeigen, beschwört dies die Gefahr herauf, dass der ganze Planet in einem Atomkrieg ausgelöscht werden könnte.

Hyland ging auf die Reaktion von Jeremy Corbyn auf das Brexit-Referendum und den Grenfell-Tower-Brand ein. Corbyn hatte seine frühere Opposition gegen die EU verworfen und im Referendum eine Kampagne zum EU-Verbleib geführt, wie sie berichtete. Jetzt befürworte Labour eine Post-Brexit-Vereinbarung, die die britische Mitgliedschaft in einem einheitlichen europäischen Markt und einer Währungsunion für unbegrenzte Zeit beibehalte, zugleich die Einwanderung aber einschränke.

Zu Grenfell unterstütze Corbyn die Untersuchung der Regierung, die der Vertuschung dient, berichtete Hyland. „Die Labour-Ratsmitglieder, die sie durchführen, sind selbst für eine umfangreiche soziale Säuberung verantwortlich. Sie haben Menschen aus ihren Häusern vertrieben, damit Projektentwickler die Grundstücke kaufen konnten. Von Labour geleitete Stadträte setzen die Sparmaßnahmen der Tories durch.“

Dies mache klar, dass Labour unter Corbyns Führung die Gebote der herrschenden Elite ebenso zuverlässig umsetze, wie dies Blair zuvor getan habe.

„Wir sahen dies schon zuvor in Griechenland, wo im Jahr 2015 die Syriza-Regierung an die Macht kam. Innerhalb weniger Tage ließ sie ihre Opposition gegen Sparmaßnahmen fallen und schloss eine Koalition mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen. Sie setzte Kürzungen durch, die noch umfassender waren als diejenigen der rechts-konservativen Koalition, die sie gerade gestürzt hatten. Im Namen der EU führte sie einwandererfeindliche Maßnahmen durch.“

Hyland schloss: „Wir leben in gefährlichen Zeiten … Doch dieselbe globale Krise, die diese Entwicklung vorantreibt, schafft zugleich die Bedingungen für die sozialistische Revolution. Wir wissen dies, denn wir verfügen über die Erfahrungen der Oktoberrevolution von 1917, deren hundertjährige Wiederkehr wir in diesem Jahr begehen.“

„In der Periode, die jetzt bevorsteht, wird die internationale Arbeiterklasse hervortreten und dem Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung entgegentreten“, sagte sie. „Was die Arbeiter und Jugendlichen vor allen anderen Dingen benötigen, ist ihre eigene Strategie: eine sozialistische Strategie. Diese darf sich nicht auf die Landkarte der imperialistischen Geopolitik der Nationalstaaten stützen, sondern auf die Landkarte des internationalen Klassenkampfs. In der bevorstehenden Wahl vertritt nur die SGP eine solche Strategie. Es ist die einzige realistische Strategie zur Beendigung von sozialer Ungleichheit, Militarismus und Krieg.“

Eine lebhafte Diskussion schloss sich dem Bericht an. Viele Fragen wurden gestellt – zum Brexit, zur Zukunft der britisch-amerikanischen Beziehungen, zur Haltung der deutschen und der britischen Bourgeoisie bezüglich der Gefahren eines Weltkriegs – und sie wurden eingehend besprochen.

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