Perspektive

Warum profitiert die extreme Rechte von der Krise des Kapitalismus?

Die Bundestagswahl vom Sonntag markierte sowohl den Aufstieg der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) als auch den Zusammenbruch der offiziellen Linken, der Sozialdemokratischen Partei (SPD). Zum ersten Mal seit dem Ende des Dritten Reichs werden offene Faschisten und Rassisten mit einer mehr als 90-köpfigen Fraktion Mitglieder des deutschen Bundestags sein.

Dieser Wahlsieg der neofaschistischen Partei in Deutschland ist keine Ausnahme, sondern Teil eines Musters, das sich in einem Land nach dem anderen in Europa und international wiederholt.

In Großbritannien wurde die extrem rechte, fremdenfeindliche UK Independence Party (UKIP) beim Referendum über den Austritt aus der Europäischen Union im letzten Jahr zur führenden politischen Kraft. In Frankreich erreichte die Führerin des Front National bei der Präsidentschaftswahl in diesem Jahr die Stichwahl und kam auf 34 Prozent der Stimmen. Sie verdoppelte damit das Ergebnis, das ihr Vater 2002 erreicht hatte. In Österreich wird die neofaschistische Freiheitliche Partei (FPÖ) nach den Wahlen im kommenden Monat voraussichtlich Teil der Bundesregierung werden.

In den Vereinigten Staaten gewann der faschistoide Milliardär, Immobilienspekulant und TV-Star Donald Trump 2016 die Wahl und etablierte seither die rechteste Regierung der amerikanischen Geschichte.

Diese Entwicklungen werfen eine entscheidende Frage auf: Warum wurden in dem Jahrzehnt nach der tiefsten Krise des Weltkapitalismus seit den 1930er Jahren, die das gesamte Finanzsystem beinahe in den Abgrund riss und weltweit zu brutaler Sparpolitik und Militarismus führte, rechtsextreme Parteien ständig stärker? Warum haben die sozialdemokratischen Parteien und die Demokratische Partei in den USA trotz der Kürzung von Sozialprogrammen und der Verarmung breiter Schichten von Arbeitern nicht nur keine Unterstützung gewonnen, sondern im Gegenteil eine Niederlage nach der anderen eingefahren?

In den vergangenen zehn Jahren – und darüber hinaus in den letzten vierzig Jahren, besonders aber seit der Auflösung der Sowjetunion – war vermeintlich linke Politik völlig losgelöst von jeder Opposition gegen den Kapitalismus. Die britische Labour Party, die australische Labor Party, die französische Sozialistische Partei, die deutsche SPD und die Demokratische Partei in den USA haben allesamt jede Orientierung auf die Arbeiterklasse und jedes Interesse an den sozialen Fragen, mit denen Arbeiter konfrontiert sind, fallen gelassen. Sie haben eine Orientierung auf Klassenfragen ersetzt durch die Orientierung auf Fragen der Hautfarbe und der Identitätspolitik. Das ist eine vollkommen ungesunde und reaktionäre Grundlage für Politik.

Die reaktionärsten politischen Kräfte haben das Vakuum, das durch das Fehlen jeglicher Infragestellung des kapitalistischen Systems entstanden ist, genutzt, um sich als Repräsentanten der Massen hinzustellen. Sie haben die soziale Unzufriedenheit in rechte nationalistische Kanäle umgelenkt. Ihr populistisches Gehabe ist völlig zynisch. Die gleichen Kräfte verlangen selbst noch brutalere soziale Kürzungen und größere Steuergeschenke für die Wirtschaftselite.

Es ist nicht etwa so, als würde rassistische und faschistische Politik in der breiten Masse der Arbeiter großen Rückhalt genießen. Die Stimmen für diese rechten Parteien sind großenteils Ausdruck des Protests gegen die etablierten Parteien, die keinen fortschrittlichen Ausweg aus der sozialen Unzufriedenheit anbieten. Außerdem wissen die Massen sehr genau, dass die „linken“ Parteien direkt an der Umsetzung der Kürzungsmaßnahmen beteiligt sind, die von den Banken und Konzernen gefordert werden.

In Großbritannien hat die Labour Party unter Tony Blair und Gordon Brown die Politik der Sozialkürzungen und der Anti-Streik-„Reformen“ verschärft, die unter Margaret Thatcher begann und von ihrem Tory-Nachfolger John Major fortgesetzt wurde.

In Frankreich setzte die Sozialistische Partei unter François Hollande die erste Runde der Arbeitsmarktreformen um, die zu Angriffen auf die Rechte und den Schutz der Arbeiter führen, senkte die Steuern für die Reichen und rief einen dauerhaften Ausnahmezustand aus. Hollandes Nachfolger Emmanuel Macron, der per Dekret eine noch weitergehende „Reform“ des Arbeitsrechts einführt und noch tiefere Sozialkürzungen fordert, war Minister in Hollandes Regierung.

In Deutschland begann die Zerstörung des Sozialstaats der Nachkriegszeit durch die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005. Bei der jetzigen Bundestagswahl bot die SPD keine Alternative zur AfD an, sondern versuchte im Gegenteil, die Neofaschisten mit Forderungen nach militärischer Aufrüstung, schärferen Angriffen gegen Flüchtlinge und einer Stärkung der Polizei zu übertreffen. Die Angriffe der SPD richteten sich schwerpunktmäßig nicht gegen die Rechtsextremen, sondern gegen sogenannten „Linksextremismus“.

Das Vorbild der „Linken“ für die Umsetzung brutaler Sparmaßnahmen ist die griechische Syriza-Regierung. Sie wurde 2015 wegen ihres Versprechens gewählt, gegen die Spardiktate der Europäischen Union zu kämpfen, stimmte danach jedoch sofort für weitere Sparmaßnahmen. Danach setzte sie sich über ein Referendum gegen die Kürzungen hinweg und setzte sogar noch brutalere Maßnahmen um als die früheren konservativen und sozialdemokratischen Regierungen.

In den USA wurde Obama gewählt, weil er einen „Wandel“ versprach, „an den man glauben kann“. Seine Regierung weitete die Rettungsaktion für die Wall Street aus, setzte Angriffe auf Sozialleistungen und das Gesundheitssystem um und war verantwortlich für die größte Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben in der Geschichte der USA.

Mittlerweile haben die Demokraten die Verteidigung von Immigranten gegen Trumps Angriffe völlig aufgegeben und schweigen über sein neues, erweitertes Einreiseverbot. Sie haben sich bereit erklärt, mit Trump in wirtschaftspolitischen Fragen zusammenzuarbeiten, u.a. bei Steuersenkungen für Reiche und bei neuen Angriffen auf das Gesundheitswesen.

Während das Weiße Haus mit atomarem Völkermord gegen Nordkorea und mit Krieg gegen den Iran droht, konzentriert sich die Demokratische Partei wie besessen auf ihre Kampagne gegen Russland. Dabei ist sie mit den wesentlichen Teilen des „Staats im Staate“ aus Militär und Geheimdienst verbündet, die von Trump eine aggressivere Politik gegen Moskau fordern.

Obwohl Trumps Amtseinführung von Demonstrationen in den USA und auf der ganzen Welt begleitet wurde (die die Demokraten unterdrücken und in die Kanäle ihres Kriegskurses gegen Russland lenken wollten), liegt die politische Initiative heute bei den rechtesten Kräften der Republikanischen Partei und ihres Umfelds.

Trump und sein ehemaliger Chefberater Stephen Bannon von Breitbart News arbeiten gemeinsam am Aufbau einer Basis für eine faschistische Bewegung in Amerika.

Diese Woche hielt Bannon während einer Wahlveranstaltung für den rechtsextremen christlichen Fundamentalisten Roy Moore, der die Republikanische Vorwahl für einen Senatssitz in Alabama gewonnen hatte, eine faschistoide Rede, in der er die sozialen Probleme von Arbeitern und anderen unterdrückten Schichten ansprach. Der millionenschwere ehemalige Investmentbanker von Goldman Sachs verurteilte die „Wirtschaftsvertreter, Spender, Berater, Lobbyisten“ aus der „Politikerklasse“ und die „wirtschaftlichen Hassverbrechen an arbeitenden Männern und Frauen in diesem Land.“

Er erklärte: „Sie haben dieses Land ausgeschlachtet. Sie haben die Jobs in der Industrie zerstört und ins Ausland verlagert.“ Er stellte einen Zusammenhang zwischen der Drogenkrise und „den Fabriken und Arbeitsplätzen“ her, „die nach China verlagert wurden und die Arbeiter verzweifelt zurückgelassen haben.“

Solange die Arbeiterklasse den Demokraten und dem amerikanischen Zweiparteiensystem, bzw. den sozialdemokratischen und „linken“ nationalistischen Parteien in Europa, Asien und Lateinamerika untergeordnet bleibt, ist der Aufstieg des Faschismus eine echte Gefahr.

Das Anwachsen der extremen Rechten zeigt, dass der Kampf gegen Trump losgelöst von der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus eine Sackgasse ist. In jedem Land stellen sich die gleichen Fragen mit enormer Dringlichkeit.

Nur eine revolutionäre sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse kann den Aufstieg rechter Kräfte verhindern. Einhundert Jahre nach der russischen Oktoberrevolution muss die Perspektive, die dieses historische Ereignis angeleitet hat, wiederbelebt werden. Die Bolschewiki bestanden darauf, dass die einzige Antwort auf den imperialistischen Krieg und die soziale Krise ein direkter Angriff auf den Kapitalismus sein muss.

Genau wie damals muss auch heute die Arbeiterklasse den Reichtum der Finanzelite enteignen und ihn benutzen, um die soziale Ungleichheit drastisch zu reduzieren. Die Großkonzerne und Banken müssen in öffentliche und demokratisch kontrollierte Einrichtungen umgewandelt werden, die für gut bezahlte Arbeitsplätze, Bildung, Wohnung, Gesundheitsversorgung und eine sichere Rente für alle sorgen.

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