Fremdenfeindliche Messerattacke auf Bürgermeister von Altena

Die Messerattacke auf den Bürgermeister von Altena im Sauerland ist das Ergebnis des flüchtlingsfeindlichen Klimas, das die Berliner Parteien und die Medien geschaffen haben.

Am Montagabend, dem 27. November, bestellte Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) sich in einem City-Imbiss in Altena gerade einen Döner, als ein 56-jähriger Einwohner ihn ansprach und fragte: „Sind Sie der Bürgermeister von Altena?“ Als er dies bejahte, packte ihn der Mann von hinten und versuchte, ihm mit einem langen Messer in den Hals zu schneiden.

Nur das beherzte Eingreifen des Lokalinhabers und seines Sohnes rettete Hollstein das Leben. Sie rissen den Angreifer zurück und hielten ihn fest, bis die Frau des Inhabers die Polizei geholt hatte.

Der Bürgermeister hätte leicht das nächste Opfer in einer Reihe von Politikern sein können, die von aufgehetzten Rechtsradikalen angegriffen werden. Vor ihm war schon die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker von einem Neonazi niedergestochen worden. Sie überlebte nur knapp. In Großbritannien wurde die Labour-Abgeordnete Jo Cox im Juni 2016 von einem Rechtsradikalen brutal erstochen.

Hollstein war ins Fadenkreuz ausländerfeindlicher Kräfte geraten, weil er sich vor zwei Jahren bereit erklärt hatte, 100 Flüchtlinge mehr nach Altena zu holen, als die Stadt nach dem üblichem Verteilungsschlüssel hätte aufnehmen müssen. Die gelungene Integration, die Unterbringung in leer stehenden Privatwohnungen statt in Notunterkünften und die Eingliederung der Geflüchteten in regionale Arbeitsstätten hatten der Stadt Altena und ihrem Bürgermeister mehrere Auszeichnungen eingebracht.

Am Montagabend schrie der Angreifer: „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena.“ Dem arbeitslosen, psychisch gestörten Maurer hatte die Stadt zuvor das Wasser abgestellt.

„Dieser Mensch ist für mich nicht der Täter“, so Hollstein am Dienstag, „sondern derjenige, der durch Brunnenvergiftung zum Täter wurde.“ Verantwortlich sei das veränderte Klima in Deutschland. Er beobachte seit Jahren einen „kulturellen Werteverfall“, erklärte der Bürgermeister, der als Erstes der Imbissbetreiberfamilie Demir ausdrücklich dankte: „Ich hatte großes Glück, dass die beiden mir sofort zu Hilfe kamen.“

Der Bürgermeister betonte, er werde an seiner liberalen Flüchtlingspolitik festhalten. Auch verzichtete er ausdrücklich auf Personenschutz. Ein Bürgermeister, der seine Arbeit richtig mache, könne im Umgang mit den Menschen unmöglich Polizeischutz akzeptieren.

Mit diesen Aussagen ist Andreas Hollstein nicht nur in der CDU ein Einzelfall. Jedenfalls sind die Glückwünsche und Warnungen vor Pegida, AfD und Co, die Hollstein jetzt von zahlreichen Politikern erhält, reine Heuchelei. Für das veränderte Klima, über das er sich zu Recht beklagt, sind Politiker aller Parteien, von der Linken bis zur AfD, und die Medien verantwortlich, die seit Jahren systematisch gegen Flüchtlinge hetzen.

Den Auftakt machte 2010 der langjährige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“. Das fremdenfeindliche Machwerk wurde von den Medien regelrecht gehypt und machte den Rassismus wieder salonfähig.

Als dann im Sommer 2015 mehrere hunderttausend Flüchtlinge, die den höllischen Zuständen in Syrien, Irak, Libyen und anderen von Stellvertreterkriegen zerstörten Ländern entrinnen wollten, die deutsche Grenze erreichten, schwappte ihnen erst eine Welle der Sympathie entgegen, von der sich selbst die Bundeskanzlerin ganz kurz mitreißen ließ.

Umso erbitterter war die Gegenreaktion. Nicht nur Pegida und die AfD hetzten gegen die Flüchtlinge. Auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht verkündete: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht verwirkt.“

Auch Humboldt-Professor Jörg Baberowski hetzte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Basler Zeitung und zahlreichen anderen Medien gegen Flüchtlinge und das „Gerede von der Willkommenskultur“. So schrieb er am 14. September 2015 in einem üblen Beitrag für die FAZ: „Warum soll eigentlich ein Einwanderer gratis erhalten, wofür diejenigen, die schon hier sind, jahrzehntelang hart gearbeitet haben?“ Baberowski wurde nicht nur von der sozialdemokratischen Präsidentin der Humboldt-Universität gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus verteidigt, sondern auch von zahlreichen Professoren und Medien.

Eine Schlüsselrolle in der Kampagne gegen die „Willkommenskultur“ spielte dann die Kölner Silvesternacht 2015/16. Ereignisse und Übergriffe, die bei Großveranstaltungen mit viel Alkohol leider öfter vorkommen, wurden systematisch aufgebauscht, um Flüchtlinge pauschal als Vergewaltiger, Gewalttäter und potentielle Terroristen abzustempeln.

Im Bundestagswahlkampf fand zwischen den Parteien ein regelrechter Wettkampf statt, wer Flüchtlinge am besten und am effektivsten abwehren und aus dem Land schaffen kann. Das Thema beherrschte den Wahlkampf und auch die anschließenden Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition. Die Auseinandersetzung drehte sich nicht darum, ob die Grenzen abgeschottet und Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollen, sondern nur darum, mit welchen Methoden das am wirkungsvollsten – oder am geräuschlosesten – zu bewerkstelligen sei.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der dem verletzten Bürgermeister von Altena nach der Tat mitteilte, wie „entsetzt“ er über diese „verabscheuungswürdige Attacke“ sei, hatte wenige Tage vor der Bundestagswahl der Heilbronner Stimme gegenüber erklärt, man müsse den Flüchtlingen klipp und klar sagen: „Ihr habt keine Chance, wenn ihr Armutsmigranten seid, in Deutschland und in Europa bleiben zu können.“ Er versprach auch, dass er persönlich dafür sorgen werde, dass der Familiennachzug für geduldete Flüchtlinge verboten bleibe.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat höchstpersönlich durch einen neuen Lagebericht des Außenamts dafür gesorgt, dass der Abschiebestopp nach Afghanistan kurz vor der Bundestagswahl aufgehoben und die Abschiebeflüge wieder aufgenommen wurden.

In den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen war die Obergrenze für Flüchtlinge und das Verbot des Familiennachzugs dominierendes Thema, das jeden Tag durch die Medien geisterte. Die Grünen betonten schließlich, sie seien „an ihre Schmerzgrenzen“ gegangen und der rechten Haltung von CSU und FDP in der Flüchtlingspolitik weitgehend entgegengekommen.

Als Folge fühlen sich rechte, rassistische Gewalttäter regelrecht enthemmt und vor Strafverfolgung sicher. Das Bundeskriminalamt schätzt, dass es 2016 etwa 1800 und im ersten Halbjahr 2017 450 rechte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger gab. Der Bundesverfassungsschutz nennt die rechten und fremdenfeindlichen Motive solcher Täter in seinem offiziellen Bericht nicht beim Namen, sondern bezeichnet sie beschönigend als „asylkritisch“.

Zu den Rechtsradikalen, die Todeslisten mit Politikernamen anfertigten, zählt auch der Bundeswehroffizier Franco A., der im Frühjahr verhaftet wurde, weil er sich als syrischer Asylbewerber ausgab und Waffen hortete. A. stand in Verbindung zu einer bewaffneten Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern, die Angriffe auf Muslime vorbereitete und ebenfalls etwa hundert Politikernamen gesammelt hatte. Doch am selben Tag, an dem in Altena der Anschlag gegen den Bürgermeister Hollstein stattfand, wurde Franco A. vom Bundesgerichtshof aus der Untersuchungshaft entlassen und auf freien Fuß gesetzt.

Hollstein, der auch nach dem Anschlag wieder Todesdrohungen erhielt, ist auch deshalb ins Fadenkreuz rechter Hetzer geraten, weil die Stadt Altena deren menschenverachtende Propaganda anschaulich wiederlegt.

Der Zuzug der Migranten hat nicht nur die stark rückläufigen Einwohnerzahlen des einstigen Metallarbeiterstädtchens verbessert. In Altena gibt es heute auch weniger Arbeitslosigkeit und weniger leer stehende Ladenlokale. In der Kleinstadt von rund 17.000 Einwohnern sind bisher etwa 450 Flüchtlinge eingezogen. Es sind hauptsächlich Menschen aus Syrien, Afghanistan und Nordafrika.

So beteiligten sich am Dienstagabend zahlreiche Einwohner Altenas an einem Lichtermarsch gegen die Messerattacke auf den Bürgermeister. Gemeinsam demonstrierten Alteingesessene und Zugezogene durch die Innenstadt.

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