Perspektive

Lehrerstreik in den USA weitet sich aus

Die Protestbewegung der Lehrer in den USA tritt in eine neue Phase ein. Am Donnerstag werden fast 60.000 Lehrkräfte in Arizona im Südwesten der USA den ersten landesweiten Lehrerstreik in der Geschichte ihres Bundesstaates beginnen. Sie fordern eine Gehaltserhöhung um zwanzig Prozent und die Rücknahme der Kürzungen des Bildungsetats in Höhe von über einer Milliarde Dollar während der letzten zehn Jahre.

Für Freitag ist im Nachbarstaat Colorado eine Demonstration für höhere Gehälter und Renten geplant, zu der mehrere tausend Lehrer erwartet werden. Sie soll vor dem State Capitol, dem Regierungssitz des Bundesstaats in Denver, stattfinden.

Am Dienstag traten 3.000 Dozenten und wissenschaftlicher Mitarbeiter der New Yorker Columbia University in einen viertägigen Streik.

Die Streikwelle der Lehrer, die vor zwei Monaten in West Virginia und Oklahoma begann, ist Ausdruck eines objektiven Prozesses und hat weitreichende Folgen. Während sich die Trump-Regierung und ihre Gegner in der herrschenden Klasse einen erbitterten Konflikt um Fragen der Außen- und Kriegspolitik liefern, ist ein gänzlich anderer Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und der ganzen kapitalistischen Elite entstanden.

Die Revolte der Lehrer in den USA ist Teil eines internationalen Wiederauflebens des Klassenkampfs, an dem sich Lehrkräfte und Angestellte im öffentlichen und privaten Sektor in ganz Europa, Lateinamerika, Afrika, Asien und Australien beteiligen.

Die Gewerkschaften haben den Klassenkampf jahrzehntelang unterdrückt, sodass die herrschende Klasse ungehindert die soziale Stellung der Arbeiterklasse angreifen und den Reichtum der Gesellschaft an die Wirtschafts- und Finanzoligarchie umverteilen konnte. Diese Periode neigt sich dem Ende zu. Die Lehrerstreiks sind die Vorboten immenser Klassenkämpfe.

Damit wird es für Lehrer und die ganze Arbeiterklasse eine noch dringendere Aufgabe, die bisherigen Lehren aus dem Kampf sorgfältig zu studieren.

Erstens: Wie von der World Socialist Web Site vorweggenommen, hat die Entwicklung des Klassenkampfes die Arbeiter in direkte Opposition zu den prokapitalistischen und korporatistischen Syndikaten gezwungen, die sich selbst Gewerkschaften nennen. Die Streiks gingen nicht von den Gewerkschaften aus, sondern von den Lehrern selbst. Statt den Widerstand anzuführen, sind die National Education Association (NEA), die American Federation of Teachers (AFT) und ihre Ableger in den Bundesstaaten als Streikbrecher im Interesse des wirtschaftlichen und politischen Establishments aufgetreten.

In West Virginia und Oklahoma gingen die Gewerkschaften nach dem gleichen Schema vor. Zuerst versuchten sie, den Lehrerstreik zu verhindern, dann arbeiteten sie systematisch daran, die Streiks zu isolieren, abzuwürgen und zu unterdrücken. Ein Lehrer aus Oklahoma äußerte dazu: „Die OEA [Oklahoma Education Association] hat sich an die Spitze unseres Zuges gestellt, als er an Fahrt nahm, und so getan, als ob sie den Zug anführen würden und dann sagten sie, dass sie ihn stoppen.“

In beiden Bundesstaaten setzten die Gewerkschaftsbosse das Prinzip um, das sie in ihrer Argumentation vor dem Obersten Gerichtshof im Fall Janus vs. AFSCME erklärt hatten. In diesem Prozess geht es um ein mögliches Verbot von Arbeitsverträgen, die festlegen, dass öffentlich Beschäftigte sogenannte „Mittlergebühren“ oder „Absicherungsgebühren“ an die Gewerkschaftsbürokraten zahlen müssen, obwohl sie keine Gewerkschaftsmitglieder sind.

Der Anwalt der Gewerkschaft American Federation of State, County and Municipal Employees (AFSCME) erklärte: „Die Gebühren sind eine Gegenleistung. Die Absicherung der Gewerkschaften gewährleistet, dass es keine Streiks gibt.“ AFT-Präsidentin Randi Weingarten ging in einem Interview mit der Washington Post noch weiter und warnte die Richter des Obersten Gerichtshofs, wenn die finanzielle Stabilität der Gewerkschaften weiter geschwächt würde, so würden „Aktivismus und politische Aktionen“ wie diejenigen der Lehrer in West Virginia „stark zunehmen und sich auf das ganze Land ausdehnen“.

In Arizona, Colorado und weiteren Staaten spielen die NEA und die AFT die gleiche Rolle. Selbst wenn Lehrer die kleinsten Gehaltserhöhungen aushandeln, werden diese durch Kürzungen bei anderen wichtigen Leistungen und durch regressive Steuern für Arbeiter finanziert werden. Die Geldberge der Gas-, Kohle- und Ölindustrie hingegen bleiben unangetastet.

Die Gewerkschaften wollen vor allem verhindern, dass die Lehrer mehrerer Bundesstaaten zusammen kämpfen oder ihre Proteste mit denen anderer Teile der Arbeiterklasse verbinden.

Zweitens: Die Streiks in West Virginia und Oklahoma haben enthüllt, welche Rolle die Hilfsagenten der Gewerkschaften spielen, die u.a. nominell unabhängige Facebook-Gruppen betrieben haben. Sie hatten Unterstützung unter den Lehrern gewonnen, weil diese dort anfangs ihren Widerstand gegen Armutslöhne und Einsparungen sowie ihre Unterstützung für die Streiks äußern konnten. Doch die Administratoren der Gruppen „Oklahoma Teachers United“ und „Oklahoma Teacher Walkout - The Time is Now!“ haben die Kontrolle über die Bewegung ebenso an die Gewerkschaften und die Demokraten abgegeben wie diejenigen, die momentan die Gruppe Arizona Educators United (AEU) organisieren.

Der Leiter von OTU, Larry Cagle, pflegt enge Beziehungen zur International Socialist Organization (ISO). Er hat die WSWS mit der reaktionären Begründung zensiert, der Kampf für das öffentliche Bildungswesen sei nicht politisch. Damit versuchte er, die Demokraten zu stärken und die Lehrer von einer sozialistischen Perspektive fernzuhalten, in der Arbeiter aufgerufen werden, aus dem Korsett der beiden großen Parteien auszubrechen und eine politisch unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Banken und das Großkapital aufzubauen.

Die ISO, die Democratic Socialists of America und ähnliche Gruppen aus dem Umfeld der Demokraten haben die Arbeiter in Bundesstaaten wie West Virginia und Oklahoma, die mehrheitlich für die Republikaner gestimmt hatten, bisher ignoriert und als rassistische Trump-Unterstützer verunglimpft. Jetzt tun sie alles in ihrer Macht stehende, um die Kontrolle der Gewerkschaften über die Arbeiterklasse wiederherzustellen.

Auf Socialist Worker, der Website der ISO, hieß es vor kurzem, die Lehrerstreiks „zeigen eine Strategie auf, wie die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst überleben können, wenn der Oberste Gerichtshof im Fall Janus vs AFSCME so entscheidet wie erwartet“. Sie hoffen also, dass der Kampf der Lehrer, der im Widerstand gegen die Gewerkschaften entstanden ist, genutzt werden kann, um die Autorität der Gewerkschaften zu stärken.

Drittens: Die Proteste bringen die Lehrer und die gesamte Arbeiterklasse in direkten Konflikt mit den Demokraten, den Republikanern und dem ganzen Staatsapparat, der die Interessen der herrschenden Klasse vertritt. Gewerkschaftsbürokraten rufen auf allen Kundgebungen unentwegt die plumpe Parole: „Erinnert euch im November.“ Damit meinen sie, die Lehrer sollten ihren Kampf einstellen, Wahlkampf für die Demokraten betreiben und bei den Zwischenwahlen im November für die Demokraten stimmen.

Laut der Gewerkschaften und ihren politischen Verbündeten ist die Krise im öffentlichen Bildungswesen ausschließlich die Schuld der Republikaner. Paul Krugman fasste diese Position am Dienstag in seiner Kolumne in der New York Times zusammen. Er behauptete, die „Angriffe auf das Bildungswesen und vor allem gegen Lehrkräfte“ würden ausschließlich von rechten Republikanern durchgeführt. Er gab zwar zu, dass die Gehälter der Lehrer bereits seit Mitte der 1990er Jahre sinken, erwähnte aber nicht, dass demokratische Gouverneure und Präsidenten von Clinton bis Obama die Angriffe auf die Lehrer nicht minder rücksichtslos vorangetrieben haben.

Die Republikaner haben versucht, die Gewerkschaften zu schwächen. Die Demokraten hingegen haben sich darauf verlassen, dass die NEA, die AFT und andere Gewerkschaften Streiks unterdrücken und ihre wirtschaftsfreundlichen Pläne für „Schulreformen“ durchsetzen, u.a. Bezahlung nach Leistung und private Charter-Schools. Die NEA und die AFT sind wichtige Pfeiler der Demokratischen Partei. AFT-Präsidentin Randi Weingarten (Jahreseinkommen: 500.000 Dollar) sitzt sogar im Nationalkomitee der Partei.

Aus diesen Lehren ergeben sich zwei Aufgaben. Zum einen brauchen die Lehrer und alle Arbeiter unabhängige und demokratische Kampforganisationen: Basiskomitees, die völlig unabhängig von den Gewerkschaften sind. Diese Komitees sollen den Arbeitern die Möglichkeit geben, ihre Kämpfe über die Grenzen der Bundesstaaten und Länder hinweg miteinander zu verbinden und die Lehrer in den USA und weltweit in einer gemeinsamen Bewegung zu mobilisieren.

Der Kampf der Lehrer erfordert nicht nur die moralische Unterstützung, sondern auch die aktive Teilnahme der Arbeiter in allen Bereichen – von der Autobranche, der Telekommunikationsbranche, dem Gesundheitswesen, der Dienstleistungsbranche bis zum öffentlichen Dienst. Alle Teile der Arbeiterklasse sind mit den gleichen Problemen und den gleichen Feinden konfrontiert. Die Organisation von Komitees in Betrieben und an anderen Arbeitsplätzen ist notwendig, um einen Generalstreik vorzubereiten.

Zum anderen muss der Ausbruch des Klassenkampfs zu einer bewussten politischen Bewegung gegen das kapitalistische System und seinen Staatsapparat entwickelt werden. Wie die Lehrer zunehmend erkennen, erfordert jeder Versuch, dringend benötigte Sozialreformen umzusetzen, die Enteignung der Vermögen der kapitalistischen Oligarchie und einen Frontalangriff auf die Diktatur der Banken und Großkonzerne. Solche Maßnahmen sind jedoch unmöglich, solange die Kapitalistenklasse die Macht im Staat innehat.

Die Socialist Equality Party und die International Youth and Students for Social Equality kämpfen in allen Teilen der Arbeiterklasse dafür, die Unterstützung für die Lehrer auszuweiten, das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu entwickeln, die politischen Fragen zu klären und den Zusammenhang zwischen den Lehrerstreiks und dem Kampf gegen Kapitalismus und für Sozialismus in den USA und weltweit zu erklären.

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