Frankreich lässt Rettungsschiff mit Flüchtlingen nicht anlegen

58 verzweifelte Flüchtlinge aus dem kriegszerstörten Libyen befinden sich zurzeit an Bord des Flüchtlingsrettungsschiffs Aquarius. Am Dienstag verweigerte die französische Regierung dem Schiff die Erlaubnis, in einem französischen Hafen anzulegen. Die Europäische Union versucht zeitgleich, alle Rettungsoperationen für Flüchtlinge im Mittelmeer zu unterbinden, obwohl dort Tausende ertrinken. Zudem hat die italienische Regierung erfolgreich Panama aus dem Schiffsregister gestrichen – vor dem Hintergrund, dass die Aquarius unter panamaischer Flagge fährt .

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire erklärte, Frankreich werde der Aquarius keine Erlaubnis zum Anlegen im Hafen von Marseille erteilen: „Momentan heißt die Antwort ‚Nein‘.“ In einem Interview mit dem Fernsehsender BFM erklärte er, laut den Regeln der EU müssten Rettungsschiffe im nächstgelegenen europäischen Hafen anlegen. Weiter sagte er: „Das Thema Zuwanderung muss mit Bestimmtheit und Klarheit behandelt und die europäischen Regeln müssen eingehalten werden.“

Auch ein Sprecher des Elysée Palastes bekräftigte gegenüber AFP, dass die Aquarius keine Erlaubnis erhalte, anzulegen. „Wir lehnen ganz klar ab, dass das Schiff erst vier oder fünf Tage nach Spanien, Frankreich oder auf ein anderes Land zusteuert. Die Aquarius muss bald anlanden. Sie befindet sich zur Zeit in der Nähe von Malta.“

Berichten zufolge sind die Passagiere der Aquarius überwiegend eher wohlhabende Libyer. Sie fliehen angesichts der Eskalationen und Zusammenstöße zwischen Stammesmilizen und Islamisten, wollen sich und ihre Familien vor Gewalt und Entführung schützen und der libyschen Hauptstadt Tripolis entfliehen. Diese Zustände sind das Ergebnis des Bürgerkriegs, der mit dem Natokrieg 2011 begonnen hat und dem Tod von Oberst Muammar Gaddafi folgte. Seit August diesen Jahres haben die Kämpfe in Tripolis deutlich zugenommen und mindestens 100 Todesopfer gefordert. Immer mehr Menschen ergreifen die Flucht.

Eine Passagierin der Aquarius namens Malak erzählte, ihr Mann sei „vor einem Monat in Tripolis entführt worden. ... Er hatte einen Lebensmittelhandel und deshalb Geld.“ Daraufhin beschloss sie, mit ihren Kindern zu fliehen. Allerdings sei es „unmöglich gewesen, einen Reisepass mit Visum zu bekommen“, deshalb habe sie die Überfahrt über das Mittelmeer in einem Boot riskiert.

Ibtissem, eine weitere Passagierin, erzählte, ihre Familie sei ursprünglich aus Tripolis nach Zawiya geflohen, weil es dort scheinbar sicherer war. Als ihr Sohn an einer Straßensperre von Männern mit Kalaschnikows entführt wurde, war für sie klar, dass sie weiterfliehen musste. Sie verkaufte ihre beiden Autos, um die umgerechnet 8.750 Euro zusammenzubekommen, die die Entführer für die Freilassung ihres Sohnes forderten. Während der Geiselhaft wurde er so schwer misshandelt, dass er danach noch zwei Tage im Krankenhaus verbringen musste. Ibtissem sagt: „In Libyen sind wir lebende Tote. Wir mussten das Land verlassen, wir hatten keine andere Wahl.“

Am Mittwoch einigten sich Frankreich, Deutschland, Spanien und Portugal darauf, je einen Teil der Flüchtlinge an Bord der Aquarius aufzunehmen. Sie betonten, die Aquarius dürfe nicht in ihren Ländern anlegen, sagten jedoch zu, dass jedes Land jeweils achtzehn, fünfzehn bzw. zehn Flüchtlinge aufnehmen werde.

Die maltesischen Behörden machten klar, dass sie das Schiff ebenfalls nicht anlegen lassen würden. Stattdessen werden die Flüchtlinge in internationalen Gewässern auf maltesische Schiffe umgeladen und von diesen an Land gebracht.

Die EU-Mächte versuchen mit brutalen Methoden, den Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika über das Mittelmeer nach Europa zu unterbinden und treten das Grundrecht auf Asyl dabei mit Füßen. Dieses Jahr haben bisher nur 38.140 Menschen versucht, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen (ein deutlicher Rückgang gegenüber 121.000 im letzten Jahr), doch von ihnen sind bereits 1.260 ums Leben gekommen. Gleichzeitig forciert die EU ihre Bestrebungen, alle Rettungsaktionen für Flüchtlinge im Mittelmeer zu unterbinden. Sie finanziert außerdem die libysche Küstenwache, damit diese die Bootsflüchtlinge zur Rückkehr nach Libyen zwingt, obwohl in dem Land Bürgerkrieg herrscht.

Es ist allgemein bekannt, dass die libysche Küstenwache Flüchtlinge regelmäßig in von der EU finanzierte Lager in Libyen bringt, wo sie eine schreckliche Behandlung erwartet. Laut Berichten von UN und Amnesty International werden die Häftlinge in diesen Lagern körperlich und sexuell misshandelt, als Sklaven verkauft und sogar ermordet.

Letzte Woche geriet die Aquarius, das letzte private Rettungsschiff im Mittelmeer, in einen erbitterten Konflikt mit Schiffen der libyschen Küstenwache. Die Crew der Aquarius sagte gegenüber Le Monde, der Kommandant eines libyschen Schiffes habe ihnen gedroht, sie alle zu verhaften. Er soll gesagt haben: „Kennen Sie Tripolis? Wollen Sie dort mal vorbeischauen? Sie halten sich nicht an unsere Anweisungen! Wir haben Ihnen gesagt, Sie sollen sich nicht einmischen und den Flüchtlingen nicht zu nahe kommen. Jetzt haben Sie große Probleme. Sie ermutigen Migranten, nach Europa zu kommen. Wir kommen jetzt und sagen Ihnen, was Sie tun sollen.“

Die Einschüchterungsversuche gegen die Aquarius sind das Ergebnis des neofaschistischen Kurses und der Verachtung gegenüber dem Asylrecht, die unter Europas bürgerlichen Politikern herrschen – unabhängig von ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit. Die imperialistischen Nato-Kriege in Libyen, Syrien, dem Irak und vielen weiteren Ländern seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 haben 60 Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen. Doch während es so viele Flüchtlinge gibt wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg, versuchen die EU-Mächte ihnen das Asylrecht zu verweigern.

Die EU baut mit Hochdruck nicht nur in Libyen, sondern auch in EU-Staaten wie Griechenland ein riesiges Netzwerk von Lagern auf. Bislang werden sie genutzt, um zehntausende Flüchtlinge unter schrecklichen Bedingungen festzuhalten. Auf Druck der rechtsextremen italienischen Regierung wird der Polizeiterrorapparat, der sich gegen Flüchtlinge wie auch gegen die arbeitende Bevölkerung insgesamt richtet, bald massiv ausgeweitet.

So werden Grundlagen für Polizeirazzien und ethnische Säuberungen in einem Ausmaß geschaffen, wie dies Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und der faschistischen Herrschaft nicht mehr erlebt hat. Am Montag beschloss der italienische Ministerrat das so genannte „Salvini-Dekret“ (benannt nach dem neofaschistischen italienischen Innenminister), das es den italienischen Behörden untersagt, Flüchtlingen aus humanitären Gründen Visa für Italien auszustellen.

Das Salvini-Dekret wird dazu führen, dass sich zahlreiche Migranten nicht registrieren lassen können und dann massenhaft abgeschoben werden. Die Zahl der Flüchtlinge, die jährlich aus Italien abgeschoben werden, könnte von 5.000 bis 7.000 auf bis zu 50.000 ansteigen. Gleichzeitig erklärt Salvini, er verhandele mit Kommunen in ganz Italien, um die Zerstörung von Roma-Lagern und die Massenausweisung von Roma vorzubereiten.

Christopher Hein, Professor für Recht und Einwanderungspolitik an der Luiss-Universität in Rom, erklärte gegenüber dem Guardian: „Das Endziel ist, dass es in Italien gar keine Flüchtlinge mehr gibt. Dazu werden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: die Seehäfen werden geschlossen, Rettungsorganisationen werden kriminalisiert, die Zusammenarbeit mit der Küstenwache wird ausgeweitet und mit diesem Dekret wird gegen diejenigen vorgegangen, die bereits da sind oder in Zukunft kommen könnten und keinen Schutz erhalten werden. Das sind Abschreckungsmaßnahmen.“

Gleichzeitig setzen die EU und ihre Verbündeten ihre Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Schiffe im Mittelmeer fort, obwohl diese sich lediglich an das Seerecht halten und versuchen, Flüchtlinge zu retten, die sie auf hoher See aufnehmen. Am Mittwoch feuerte ein marokkanisches Kriegsschiff nach sorgfältiger Koordination zwischen der EU und der marokkanischen Migrantenabwehr auf ein Flüchtlingsboot. Dabei wurden eine zweiundzwanzigjährige Frau getötet und drei weitere Flüchtlinge verwundet.

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