Perspektive

Nicht alle Menschen sind gleich

Der Angriff der amerikanischen Oligarchie auf die US-Staatsbürgerschaft

Die Drohung der Trump-Regierung, das Geburtsortsprinzip abzuschaffen, markiert einen erneuten Höhepunkt der Angriffe auf demokratische Rechte. Der 14. Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert allen Menschen, die in den Vereinigten Staaten geboren wurden, das Recht auf die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Mit ihrem jetzigen Vorstoß weist die amerikanische Oligarchie das demokratische Grundprinzip zurück, auf dem die Republik einst gegründet wurde und das in der Unabhängigkeitserklärung verankert ist: „Alle Menschen sind gleich geschaffen.“ Wenn der amerikanische Präsident eigenmächtig den 14. Zusatzartikel streichen kann, was soll ihn daran hindern, die gesamte Bill of Rights abzuschaffen, die so grundlegende Prinzipien wie die Meinungsfreiheit, den Schutz vor willkürlicher Durchsuchung und Beschlagnahmung und das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren garantiert?

Der Vorschlag von Trump, den er nur wenige Tage vor den Kongresswahlen machte, ist eine Provokation der Regierung und ihrer faschistischen Clique. Ihr Ziel ist es, Fremdenhass zu schüren und eine Basis für eine rechtsradikale Bewegung aufzubauen, die sie brauchen, um Trumps konzernfreundliche, militaristische und einwandererfeindliche Agenda umzusetzen.

Die Aufhebung des Geburtsrechts auf Staatsbürgerschaft hätte verheerende Folgen für die Immigranten und die gesamte Arbeiterklasse. Jedes Jahr werden in den Vereinigten Staaten etwa 300.000 Kinder von Einwanderern ohne US-Papiere geboren – sie wären unmittelbar von Verhaftung und Abschiebung bedroht.

Die Verfassungsänderung würde eine neue Unterschicht von Einwandererfamilien hervorbringen, die Angst haben, ihre Kinder in Krankenhäusern zur Welt zu bringen, sie zur Schule zu schicken oder mit ihnen zum Arzt zu gehen. Millionen von Kindern würden staatenlos werden, also überhaupt keine Staatsbürgerschaft besitzen. Slums und umzäunte Ghettos und Lebensbedingungen wie in der Dritten Welt und Apartheid-Regimes würden zum Alltag gehören.

Berichten zufolge würde die rückwirkende Aufhebung des Geburtsortsprinzips über zehn Millionen Menschen der unmittelbaren Gefahr der Abschiebung aussetzen. Die Regierung würde auf die Zunahme undokumentierter Einwohner reagieren, indem sie immer mehr dahingeht, vom Kriegsrecht Gebrauch zu machen. Sie würde weitere Gefangenenlager bauen und noch mehr ICE-Agenten und Soldaten, nicht nur an der Grenze, sondern auch in großen Ballungszentren stationieren.

Wie der American Immigration Council erklärte, würde Trumps Dekret „alle Amerikaner vor das Problem stellen, dass sie nicht mehr auf eine Geburtsurkunde als Nachweis der Staatsbürgerschaft verweisen können. Wenn der Geburtsort die Staatsbürgerschaft nicht mehr garantiert, dann wären alle Amerikaner – nicht nur diejenigen, deren Eltern keine Papiere hatten – gezwungen, der Regierung die Nationalität ihrer Eltern zu beweisen, um als US-Bürger anerkannt zu werden“.

Am härtesten wären Arbeiter und sozial benachteiligte Schichten betroffen, weil sie oft nur mit Mühe ihre Familiengeschichte nachverfolgen können. Sie würden somit zu den Ersten gehören, denen das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, das Wahlrecht und der Zugang zu Sozialleistungen verweigert werden.

Trumps Vorstoß zeigt, wie weit in der herrschenden Klasse jegliche Basis für demokratische Prinzipien erodiert ist. In den knapp zwanzig Jahren seit der gestohlenen Präsidentschaftswahl von 2000 und dem Beginn des „Kriegs gegen den Terror“ haben beide Parteien – Republikaner wie Demokraten – die Bill of Rights mit Füßen getreten, Länder unter falschen Vorwänden bombardiert, Tausende Menschen mit Drohnen getötet sowie Folter, Massenüberwachung und Massendeportationen durchgeführt.

Die Demokratische Partei und die ihr nahestehenden Medien haben Trumps jüngsten Angriff entweder unterstützt oder bewusst heruntergespielt.

Der demokratische Senator Joe Donnelly aus Indiana erklärte gestern, dass er die Aufhebung des Geburtsortsprinzips unterstütze. Auch die demokratische Senatorin Claire McCaskill aus Missouri sagte gegenüber CNN: „Ich unterstütze den Präsidenten voll und ganz in dem, was er tun muss, um die Grenzen zu sichern.“

Wie NBC berichtete, vermied es Bernie Sanders am Dienstag bei einer Rede auf einer Wahlkampfkundgebung für einen Kandidaten der Demokraten in Maryland, auf Trumps Angriff einzugehen.

Am Tag zuvor hatte Sanders die Gefahr des Rechtsextremismus verharmlost, indem er alle verurteilte, die einen Zusammenhang zwischen Trumps faschistischer Rhetorik und der Erschießung von elf Juden in einer Synagoge in Pittsburgh sehen. „Ich werde nicht hier sitzen und dem Präsidenten die Schuld für die Schießerei geben“, sagte Sanders.

Von den 28 Leitartikeln und Kolumnen, die gestern in den Online-Ausgaben der New York Times und der Washington Post erschienen sind, haben nur drei Trumps Frontalangriff auf das Geburtsortsprinzip thematisiert.

In einem Kommentar für die Post versuchten George Conway und Neil Katyal ihren Lesern weiszumachen, dass Trumps Vorstoß „zweifellos“ von den Gerichten gestoppt werde. Die Post-Kolumnistin Megan McArdle verteidigte Trump sogar und erklärte, es sei „unerhörte Idiotie“ zu behaupten, dass das Vorgehen der Regierung gegen Einwanderer etwas mit Faschismus oder Diktatur zu tun habe. „Es ist Unsinn, so zu argumentieren, und die Linken sollten mal damit aufhören“, so McArdle.

Die Reaktion der Demokratischen Partei und der mit ihr verbündeten Medien zeigt, dass diese Fraktion der Finanzaristokratie genauso demokratiefeindlich ist wie Trump und die Republikaner, auch wenn sie unterschiedliche Prioritäten setzen.

Während die Republikaner und Trump versuchen, unter rückständigen Teilen der Bevölkerung eine Pogromstimmung gegen Immigranten zu schüren, sehen die Demokraten ihr Hauptziel darin, mit den Geheimdiensten, dem Militär und den großen Technologiekonzernen zusammenzuarbeiten, um das Internet zu zensieren und politische Meinungen, die in den Augen der Unternehmen und der CIA als „nicht autoritativ“ gelten, zu unterdrücken.

Man braucht nur „fremde Einmischung“ und „Russland“ durch Trumps Bezeichnungen der Einwanderer als „Invasoren“ und „bad hombres“ zu ersetzen und schon wird die hysterische rechte Demagogie von Demokraten und Republikanern ununterscheidbar. In beiden Fällen werden die krassesten Angriffe auf demokratische Rechte immer und immer wieder mit einer angeblichen Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ gerechtfertigt.

Das Geburtsrecht auf Staatsbürgerschaft ist im 14. Zusatzartikel der US-Verfassung verankert, der 1866 vom Kongress verabschiedet und vor gut 150 Jahren, am 28. Juli 1868, von drei Viertel der Bundesstaaten ratifiziert wurde.

Der Zusatzartikel beginnt mit den Worten: „Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und ihrer Gesetzeshoheit unterstehen, sind Bürger der Vereinigten Staaten und des Einzelstaates, in dem sie ihren Wohnsitz haben.“ Weiter heißt es, „kein Staat darf irgend jemandem ohne ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz Leben, Freiheit oder Eigentum nehmen“.

Trump verteidigte seinen Vorschlag gestern auf Twitter: „Dieser Fall wird vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten entschieden.“

Der „Fall“ des Geburtsortsprinzips wurde bereits entschieden – in einem Bürgerkrieg, der über 600.000 Menschen das Leben kostete. Wie Präsident Abraham Lincoln in seiner Rede von 1863 in Gettysburg erklärte, war der Krieg, der von 1861 bis 1865 dauerte, „eine Probe“ dafür, ob die „neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind [...], ob diese oder jede andere so gezeugte und solchen Grundsätzen geweihte Nation dauerhaft Bestand haben kann“.

Der 14. Verfassungszusatz ist als einer der drei „Bürgerkriegsartikel“ bekannt. Zusammen mit dem 13. Zusatzartikel, der die Sklaverei verbot, und dem 15. Zusatzartikel, der erwachsenen Männern das Wahlrecht garantierte, verankerten diese „Bürgerkriegsartikel“ in der Verfassung, was die republikanische Armee im Gefecht erreicht hatte.

Das Geburtsortsprinzip des 14. Zusatzartikels war eine Absage an die alte Konzeption, dass Rechte und Staatsbürgerschaft an Blut, Rasse oder Adelstitel geknüpft sind. Es hob die berüchtigte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1857 im Fall Dred Scott versus Sandford auf, die besagte, dass Afroamerikaner keine Bürger seien und keine Grundrechte hätten.

Die Angriffe der Regierung richten sich gegen die gesamte amerikanische und internationale Arbeiterklasse. Was die Bourgeoisie in ihrer revolutionären Ära einst als Prinzipien hochhielt, verabscheut sie heute. Denn unter Bedingungen der zunehmenden sozialen Ungleichheit, einer wachsenden Streikbewegung und der breiten Abkehr vom politischen Establishment sieht sie die einstigen Grundsätze nicht mehr mit ihrem Streben nach Profit und globaler Vorherrschaft vereinbar.

In den Augen der herrschenden Elite sind das Recht auf Meinungsfreiheit und das Recht der Einwanderer, die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte in den USA zu erlangen, sowie all die anderen demokratischen Rechte eine Gefahr, weil sie es der internationalen Arbeiterklasse erleichtern, sich zu bilden und zu vereinen, um so die Grundlage für eine sozialistische Revolution zu schaffen – was die Bourgeoisie am meisten fürchtet.

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