Großeinsatz der Polizei im Ankerzentrum Bamberg

In der Nacht zum 11. Dezember führte die Polizei in Bayern erneut einen Großeinsatz gegen Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft durch. Im Verlauf der Polizeiaktion im „Ankerzentrum Oberfranken“ in Bamberg wurden laut Polizeiangaben elf Menschen verletzt, zehn Eritreer und ein Polizist. Mehrere Bewohner wurden festgenommen. Eine Wohnung brannte komplett aus. Vorangegangen war offenbar eine Auseinandersetzung der Bewohner mit dem Sicherheitsdienst.

Was in der Nacht zum Dienstag in Bamberg wirklich geschah, bleibt völlig unklar, denn vor Ort haben bisher keinerlei unabhängige Journalisten recherchiert und mit den betroffenen Lagerbewohnern gesprochen. Die einzige Quelle, auf die sich sämtliche Berichte der deutschen Mainstreammedien beziehen, ist die gemeinsame Presseerklärung des Polizeipräsidiums Oberfranken und der Staatsanwaltschaft Bamberg.

Dem gewundenen Polizeideutsch dieser Presseerklärung ist zu entnehmen, dass es eine „Ruhestörung“ gegeben habe, worauf Sicherheitsdienst und Polizeikräfte aufgetreten seien. Worin die „Ruhestörung“ bestand, wer die Security alarmierte und warum von Anfang auch Polizei zur Stelle war – das alles bleibt völlig im Dunkeln.

Um 0:45 Uhr hätten „mehrere Bewohner“ das Sicherheitspersonal und die Polizeibeamten „angegriffen und sich in dem Gebäude verbarrikadiert“, heißt es in der Presseerklärung. „Außerdem kam es zu einem Brand in einer Wohnung der Einrichtung, bei dem ein Sachschaden von geschätzten 100.000 Euro entstand.“

Die Eritreer, die vor dem Feuer aus dem Gebäude flüchteten, hätten sich verletzt, weil sie „überwiegend Rauchgase eingeatmet hatten“. Überwiegend? Welche Verletzungen gab es sonst?

Weiter heißt es, ein Polizeibeamter „erlitt während des Übergriffs mit einer Metallstange durch einen Tatverdächtigen Verletzungen und musste ebenfalls ärztlich behandelt werden. Im Rahmen der ersten Ermittlungen (…) erhärtete sich der Tatverdacht nun gegen vier Hauptverdächtige unter anderem wegen besonders schwerer Brandstiftung sowie wegen versuchter Tötungsdelikte zum Nachteil von Polizeibeamten.“

Seither hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen vier Bewohner der Unterkunft erhoben, die sie der schweren Brandstiftung und versuchten Tötung von Polizisten beschuldigt.

Die Polizeiberichte und die Anklagen gegen die vier Eritreer werfen eine Reihe schwerwiegender Fragen auf. So war in einem ersten, mündlichen Bericht eines Polizeisprechers vor Ort von „Steinen“ die Rede, mit denen die Bewohner die Polizei beworfen hätten. Diese Version taucht jedoch im Pressebericht nicht mehr auf und war offenbar erfunden. Dennoch wurde sie von einigen Medien bereitwillig übernommen. Bild titelte: „Flüchtlinge bewerfen Polizisten mit Pflastersteinen.“

Auch scheint der „Tötungsdelikt zum Nachteil von Polizeibeamten“ (Pressebericht) maßlos aufgebauscht. Noch in der Nacht des Geschehens hatte Polizei-Pressesprecher Alexander Czech ins Mikrophon gesprochen: „Ein Polizist wurde leicht verletzt.“

Auf weitere Auffälligkeiten weist der bayrische Flüchtlingsrat hin. Auch er hat offenbar keine näheren Kenntnisse und stützt sich auf Berichte ihm bekannter Lagerbewohner. In einer kurzen Stellungnahme schreibt der Flüchtlingsrat: „Augenzeugenberichten zur Folge waren mindestens 200 Polizist*innen im Einsatz. Auch von Polizeihubschraubern wurde berichtet.“ Außer den neun von der Polizei erwähnten Festnahmen seien weit mehr Menschen festgenommen worden.

Der Flüchtlingsrat schreibt, dass weitere Haussuchungen in den umliegenden Wohnblöcken stattgefunden hätten, und fährt fort: „Hierbei wurde sich gewaltsam Zugang zu den Wohnungen verschafft, obwohl die Türen nicht abgeschlossen werden können. Mindestens 8 weitere Bewohner*innen des Lagers wurden bei diesem Einsatz verhaftet, ohne dass diese an der Auseinandersetzung beteiligt waren.“

Hier sind Polizisten offenbar erneut unverhältnismäßig vorgegangen. Sie haben Türen aufgetreten, die gar nicht verschlossen waren, und unbeteiligte Bewohner eingeschüchtert und zum Teil abgeführt.

Solange es keine objektiv überprüfbaren, stichhaltigen Beweise gibt, können die Anschuldigungen der Staatsorgane gegen die Eritreer nicht für bare Münze genommen werden.

Hinzu kommt, dass die Verhältnisse in den Massenlagern schlicht menschenunwürdig sind. Ihre Bewohner sind elementarer demokratischer Rechte beraubt. Sie dürfen keiner geregelten Arbeit nachgehen, kein eigenes Geld verdienen, viele sind monate- und jahrelang von ihren Familien getrennt, ihre Kinder dürfen keine normale Schule besuchen. Die Menschen in den Lagern sind von einem normalen Leben völlig abgeschnitten.

Auch sind in den Lagern viele Menschen Willkür und Misshandlungen des Sicherheitspersonals ausgesetzt. Dies hat erst vor kurzem ein Prozess in Siegen gegen 54 Wachleute bestätigt. Ihnen wurde ein sadistischer Umgang mit den Menschen in einem Flüchtlingsheim im nordrhein-westfälischen Burbach vorgeworfen. Immer neue Enthüllungen weisen auf ähnliche Zustände auch in den bayrischen Lagern hin. Anfang November veröffentlichte die WSWS ein Video aus dem bayrischen Manching, das eine brutale Gewaltszene dokumentiert.

Hinzu kommt die drangvolle Enge – in Bamberg leben zurzeit 1250 Menschen, in einem Raum schlafen sechs bis acht Personen – sowie die Angst vor der bevorstehenden Abschiebung. Immer wieder dringen nachts oder in der Morgenfrühe Polizeitrupps ein, um abgelehnte Flüchtlinge zur Deportation abzuholen. Gerade wird eine neue Regelung eingeführt, der zufolge die abgelehnten Flüchtlinge den Gemeinschaftsunterkünften künftig nachts nur noch ausnahmsweise und mit offizieller Genehmigung fernbleiben dürfen.

Es ist kein Wunder, wenn Lagerbewohner unter diesen Umständen die Nerven verlieren. Der Flüchtlingsrat schreibt: „Massenunterkünfte, das Zusammenleben auf engstem Raum und fehlende Beschäftigung, wie sie durch die Einrichtung der Ankerzentren geschaffen werden, fördern das Konfliktpotential. Sie schaffen Probleme, die in kleineren Unterkünften nicht vorkommen.“

Das sind menschenunwürdige Zustände, und sie sind so gewollt. Die Lebensbedingungen in den Lagern werden bewusst unerträglich gestaltet. Dahinter steht die Entscheidung der Regierenden, die Zahl der Abschiebungen drastisch zu erhöhen. Dies hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der frühere bayrische Ministerpräsident, mit Zustimmung der Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD erst vor kurzem beschlossen.

Im Jahr 2017 wurden rund 24.000 und im ersten Halbjahr 2018 über 12.000 Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben. Fast 48.000 sind zudem im selben Zeitraum „freiwillig“ zurückgekehrt, nachdem die Behörden ihnen das Leben in Deutschland so schwer gemacht haben, dass ihnen die Rückkehr in Krieg und Elend verlockender erschien.

Die Großrazzia der Polizei in Bamberg muss einmal mehr als Warnung verstanden werden. Die Migranten und geflüchteten Menschen, die der Staat bisher einsperrt, malträtiert, demokratischer Rechte beraubt und deportiert, sind nur der schwächste Teil der Arbeiterklasse. Die herrschende Klasse und ihr Staat bereiten sich darauf vor, dieselben Methoden gegen jede Art von Widerstand einzusetzen, der sich gegen ihre Klassenherrschaft erhebt.

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