Der Fall Amberg wird gezielt aufgebauscht

„Die Neonazis genießen die Unterstützung von breiten Teilen des Staatsapparats und werden gezielt aufgebaut und ermutigt“, heißt es im Vorwort zum Buch „Warum sind sie wieder da?“ von Christoph Vandreier, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialistischen Gleichheitspartei. Wer das bezweifelt, sollte sich die Reaktionen auf den angeblichen „Gewaltexzess“ von Asylbewerbern in Amberg anschauen.

In der ostbayrischen Stadt sollen vier alkoholisierte Teenager im Alter zwischen 17 und 19 Jahren am Samstagabend vor Silvester Passanten angegriffen und geschlagen haben. Dabei sollen zwölf Personen leicht verletzt und einer von ihnen, ein 17-Jähriger, wegen einer Kopfverletzung kurzzeitig im Krankenhaus behandelt worden sein.

Prügelnde alkoholisierte Jugendliche, die auch Unbeteiligte angreifen, sind in Deutschland keine Seltenheit und in der Regel selbst der Lokalpresse keine Notiz wert. „Die Reaktion ist völlig überdimensioniert“, musste der Amberger Oberbürgermeister Michael Cerny, ein CSU-Mann, gegenüber Spiegel Oline zugeben. Da es sich in diesem Fall um Asylbewerber handelte, wurde er von den nationalen Medien maßlos aufgebauscht.

Obwohl die näheren Umstände in keiner Weise geklärt sind, melden sich reihenweise Regierungspolitiker aus Bayern und Berlin und überbieten sich mit Vorschlägen für ein noch schärferes Ausländergesetz. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) persönlich verlangte: „Wenn Asylbewerber Gewaltdelikte begehen, müssen sie unser Land verlassen! Wenn die vorhandenen Gesetze dafür nicht ausreichen, müssen sie geändert werden.“

Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) forderte eine noch drastischere Isolation abgelehnter Asylbewerber, die nicht sofort abgeschoben werden könnten, und brachte die „Residenzpflicht, Meldepflichten und elektronische Fußfesseln“ ins Spiel.

Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) musste zwar einräumen, dass in keinem der Amberger Fälle die Abschiebung rechtlich möglich sei, versicherte jedoch: „Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um das zu ändern.“

CSU-Generalsekretär Markus Blume erklärte: „Wer das Gastrecht mit Füßen tritt, hat dieses verwirkt“ – eine Formulierung, die fast wortgleich von der Linken-Fraktionsführerin Sahra Wagenknecht geprägt wurde.

Auch der unvermeidliche Polizeiideologe Rainer Wendt meldete sich zu Wort und beschuldigte die inhaftierten Jugendlichen (die er nicht kennt und noch nie getroffen hat), sie hegten „eine tiefe Verachtung für unseren Staat und für die Menschen, die bei uns leben“.

Wie zu erwarten war, hat diese Hetzkampagne Neonazis auf den Plan gerufen. Die rechtsextreme NPD propagierte den Einsatz einer „Bürgerwehr“ in Amberg und veröffentlichte auch gleich entsprechende Bilder auf Facebook. Darauf sind ihre eigenen Anhänger in Signalwesten mit der Aufschrift „Wir schaffen Schutzzonen“ zu sehen, wie sie durch die Straßen der Stadt patrouillieren.

Bisher ist kaum etwas darüber bekannt, was sich an dem besagten Abend in Amberg tatsächlich abspielte. Praktisch sämtliche Meldungen stammen aus ein und derselben Quelle, dem Pressebericht des bayrischen Polizeipräsidiums. Dieser äußerst vage Bericht stützt sich im Wesentlichen auf die Aussage eines „Zugfahrtgastes“ am Bahnhof Amberg, der die Polizei rief, weil ihn „ein Täter“ geschlagen habe.

Weiter heißt es in dem Bericht: „Am Einsatzort zeigte sich, dass es im und vor dem Bahnhof zu Attacken auf Passanten gekommen war.“ Um 21:00 Uhr habe die Polizei dann „vier tatverdächtige junge Männer“ festgenommen. Und weiter: „Im Verlauf der umfangreichen Sachbearbeitung ergab es sich, dass entgegen der ersten Veröffentlichung, drei weitere Personen Verletzungen geltend machten.“

Der Bericht ist voller schwammiger Sätze, die mit „Es zeigte sich“ und „Es ergab sich“ beginnen. Auf verwirrende Weise ist zuerst nur von einem „Täter“ die Rede, später von „vier tatverdächtigen jungen Männern“, bei denen es sich um alkoholisierte „afghanische, syrische und iranische Staatsangehörige“ handle. In späteren Publikationen ist nur noch von „Personen aus Afghanistan und dem Iran“ die Rede.

Die Online-Ausgabe des Focus hat nach eigenen Angaben den „Zugfahrtgast“ ausfindig gemacht, der die Polizei alarmiert hatte. Sie stellt ihn als „Marco Steck, Landschaftsgartenbauer und gelegentlicher Sicherheitsmann“ vor. Focus beschreibt den 26-Jährigen als „breitbeinig und stämmig wie ein Ringer (…) Wer Marco Steck am Bahnsteig in Amberg stehen sieht, kann sich kaum vorstellen, dass sich jemand mit ihm anlegen wollte.“

Auch kommen seine Kumpels zu Wort, obwohl keiner von ihnen selbst Zeuge der Vorfälle war. Ein „Soldat“ namens „Marcel“ saß demnach „gleich um die Ecke in einer Kneipe“ und bedauert, nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen zu sein.

Die Frage drängt sich auf: Sind das alle Zeugen der Anklage? Soldaten, die selbst nicht dabei waren, und ein junger Mann, der sich als Security anheuern lässt? Ist es denkbar, dass die randalierenden Jugendlichen nicht nur betrunken waren, sondern auch provoziert wurden? Angesichts erschreckender Berichte über rechtsextreme Netzwerke unter Berufssoldaten und Polizisten ist das nicht weit hergeholt.

Um eine sensationelle „Gewaltorgie“ (wie die Welt, focus, Merkur und andere jetzt schreiben) handelte es sich jedenfalls nicht. In demselben Regierungsbezirk kam es über die Silvestertage zu mehreren hundert Polizeieinsätzen. In einem Fall hatte ein „37-jähriger deutscher Staatsangehöriger“ zwei Bulgarinnen lebensgefährlich mit dem Messer verletzt. Gar nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte es sich auch bei diesem Täter um einen Asylbewerber gehandelt.

Kurz nach der Prügelei in Amberg lenkte ein 50-jähriger Mann in Bottrop und Essen seinen Mercedes gezielt in Menschengruppen. Wie er der Polizei bei seiner Festnahme sagte, habe er „Ausländer töten“ wollen. Acht Menschen, darunter ein vierjähriger Junge und ein zehnjähriges Mädchen, wurden verletzt, eine Frau lebensgefährlich.

Obwohl es sich hier nicht um eine Prügelei, sondern um einen Mordversuch handelt, werden die beiden Ereignisse seither in einem Atemzug genannt. Innenminister Seehofer sagte der Bild-Zeitung, es gehöre für ihn „zur politischen Glaubwürdigkeit, beide Fälle mit Entschiedenheit und Härte zu verfolgen“. Von einem „Gewaltexzess“ sprach er in Bezug auf Bottrop und Essen allerdings nicht.

Wie schon die Kölner Silvesternacht vor drei Jahren, die ebenfalls maßlos aufgebauscht wurde, dient die Kampagne über Amberg dazu, die extreme Rechte zu stärken und einen Polizeistaat aufzubauen, der sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern gegen die gesamte arbeitende Bevölkerung richtet.

Die soziale Spaltung der Gesellschaft wird immer tiefer und die herrschende Klasse bereitet sich auf neue Kriege vor. Schon die Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung sieht die Aufstockung des Verteidigungshaushalts auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor, also auf weit über 70 Milliarden Euro. Den wachsenden Widerstand gegen soziale Ungleichheit und Militarismus kann die herrschende Klasse nur gewaltsam unterdrücken. Das ist der Grund, weshalb sie die extreme Rechte stärkt und den Staat aufrüstet.

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