Streikende aus Mexiko marschieren an die US-Grenze und appellieren an amerikanische Arbeiter

Der Streik von 70.000 Arbeitern der „Maquiladora“-Fabriken im mexikanischen Matamoros dauert nun schon zwei Wochen und spitzt sich weiterhin jeden Tag zu. Am Montag zeigten die Arbeiter mit dem Protest „Un Dia sin Obreros“ (Ein Tag ohne Arbeiter), dass das gesellschaftliche Vermögen nicht von den Gewerkschaften oder den Unternehmern geschaffen wird, sondern von der Arbeiterklasse.

In den sozialen Medien kursieren Bilder von leeren Fabriken und Gewerkschaftsbürokraten, die verzweifelt versuchen, die Produktion am Laufen zu halten, nachdem die Arbeiter massenhaft die Arbeit niedergelegt haben. Aufgrund des Streiks wurde bisher in mehr als 50 Fabriken die Produktion eingestellt, wodurch die Konzerne in nur einer Woche etwa 100 Millionen Dollar verloren haben.

Inhalt des Posts: „Während #UnDiaSinObreros stehen die Produktionsanlagen still. So können alle sehen, wer die wichtigste Rolle in der Gesellschaft als Erschaffer des Vermögens spielt und wer in der Lage ist, unsere Situation durch Zusammenschluss zu ändern.“

Nachdem die Arbeiter der Elektro- und Autozulieferbetriebe die Arbeit niedergelegt hatten, veranstalteten sie eine Massendemonstration in der 500.000-Einwohner-Stadt und skandierten: „Wir werden diesen Kampf um jeden Preis gewinnen“, „Vereinigte Arbeiter werden nie besiegt werden“ und „Leere Werke, ein Tag ohne Arbeiter!“

Genau wie jede andere bedeutende Massenbewegung ist auch der Streik in Matamoros gekennzeichnet vom Streben nach sozialer Gleichheit. Die Forderungen der Arbeiter in Matamoros – 20-prozentige Lohnerhöhung, Einmalzahlung von 1.500 Euro, kürzere Wochenarbeitszeit und niedrigere Gewerkschaftsbeiträge – sind Klassenfragen. Sie verbinden alle Arbeiter, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Herkunft.

Im Verlauf ihres Kampfs versuchen die Arbeiter instinktiv über die irrationalen Grenzen der Nationalstaaten hinweg Verbindungen aufzubauen. Die Kundgebung sollte ursprünglich auf dem zentralen Platz der Stadt stattfinden, das wurde aber im Verlauf der Demonstration geändert. Die Arbeiter beschlossen stattdessen, zum Grenzübergang zwischen Matamoros (Mexiko) und Brownsville (Texas) zu ziehen, um an die amerikanischen Arbeiter als ihre Klassenverbündeten zu appellieren. Während sie zur Grenze zogen, riefen viele Demonstranten ihren amerikanischen Kollegen die Parole „Gringos, wacht auf!“ zu, damit diese sich ihrem Kampf anschließen.

Der Maquiladora-Arbeiter Oscar aus Matamoros sagte der WSWS, die Arbeiter hätten sich zum Marsch an die Grenze entschieden, „um gehört zu werden, weil sich die Regierung in Matamoros nicht für uns interessiert. Auf der Brücke hatten wir Brownsville (Texas) im Blick. Ich hoffe, so können sie uns auch sehen.“

Arbeiter ziehen zur amerikanisch-mexikanischen Grenze.

Ein ehemaliger kanadischer GM-Autoarbeiter sagte gegenüber dem Autoworker Newsletter der WSWS: „Ich danke meinen Brüdern und Schwestern in Mexiko, dass sie sich für alle nordamerikanischen Arbeiter einsetzen. Die Einigkeit zwischen den Arbeitern ist von entscheidender Bedeutung im Kampf für gerechte Löhne und sicherere Arbeitsplätze, die ständig verbessert werden müssen. Wir können uns nur wehren, wenn wir uns nicht mehr gegeneinander aufhetzen lassen und zusammen gegen die korrupten Gewerkschaften und Konzerne aufstehen, die nur von uns nehmen.“

Die Ereignisse in Matamoros sind die progressive Antwort auf den Nationalismus und den migrantenfeindlichen Chauvinismus von Donald Trump und den amerikanischen wie kanadischen Gewerkschaften. Durch den Bau von Mauern und Zäunen haben die herrschenden Eliten überall auf der Welt die Arbeiter künstlich gespalten, obwohl sie in unterschiedlichen Abschnitten des Produktionsprozesses von den gleichen Konzernen ausgebeutet werden.

Schild mit der Aufschrift: „Der heutige Tag geht in die Geschichte der Arbeiterbewegung ein, erhebt euch alle.“

In einer global integrierten Wirtschaft haben Arbeiter die Macht, die Versorgungskette zu unterbrechen und ganze Industriezweige lahmzulegen. Die WSWS hat Berichte erhalten, laut denen in Teilen der nordamerikanischen Autoindustrie die Arbeit ins Stocken geraten ist, weil die in Matamoros produzierten Fahrzeugteile knapp werden. Gleichzeitig kämpfen 15.000 General-Motors-Arbeiter in den USA und Kanada gegen die geplanten Werksschließungen, gegen Lohnsenkungen und andere Zugeständnisse, durch die noch mehr Profite in die Taschen der Reichen umgeleitet werden sollen.

Aufgrund der Logik des Streiks in Matamoros werden die Arbeiter noch offener gegen das ganze politische und wirtschaftliche System kämpfen müssen. Die Gewerkschaften und der Staatsapparat arbeiten bewusst daran, die unabhängige Initiative der Arbeiter zu schwächen, damit ihr Kampf abgewürgt und verraten werden kann.

Am Montag sprach der Bürgermeister von Matamoros, Mario López von der Bewegung für die Nationale Erneuerung (Morena), erstmals seit Beginn des Streiks vor Demonstranten auf dem zentralen Platz. Er verteidigte uneingeschränkt das „Recht“ der Konzerne, massive Profite aus den Arbeitern herauszuquetschen und weigerte sich, den Streik zu unterstützen. Er erklärte: „Ich möchte Ihnen sagen, dass sich seit Beginn dieses Streiks niemand mehr Sorgen um die Stabilität in der Arbeitswelt gemacht hat als ich. Matamoros braucht Ruhe und Frieden. Ich habe die Verantwortung dafür, Matamoros zu regieren. Ich habe Leute nach Mexiko-Stadt geschickt, auch die Unternehmerklasse macht sich Sorgen ... Ich werde hier nicht intervenieren, weil das ein Kampf zwischen den Arbeitern und den Konzernen ist.“

Bei einer Pressekonferenz nach der Kundgebung erklärte er auf die Frage eines Reporters, ob er die Forderungen der Arbeiter für gerecht hält: „Wir müssen die Balance finden. Die Sache ist so: Wenn wir uns nicht einigen, könnten die Unternehmen weggehen, das ist früher schon passiert. Ich appelliere an sie, nicht zu gehen. Ein Unternehmen kann sagen: ,Das kann ich ihnen nicht geben‘.“

Mario López und der mexikanische Präsident Andŕes Manuel López Obrador (AMLO)

Als wütende Arbeiter auf dem Platz daraufhin riefen „Wir wollen Gerechtigkeit“ und „Sie unterstützen uns nicht!“, übernahm Javier Zuniga Garcia, ein angeblich „radikalerer“ Führer der Bergarbeitergewerkschaft von Tamaulipas, das Mikrofon und sprang dem Bürgermeister bei: „Wir tun das, um zu verhindern, dass hier in Matamoros ein soziales Problem entsteht. Wir sollten unserem Bürgermeister vertrauen und es ihm anrechnen, dass er hier ist. Wir wollen unseren Institutionen weiterhin vertrauen. Wenn [die Gewerkschaftsführer] Villafuerte oder Mendoza kommen, werden sie die gleichen Rechte haben wie der Bürgermeister.“

Die Arbeiter müssen die Lügen der Politiker, Gewerkschaften und Konzerne zurückweisen, es sei „kein Geld da“, um ihnen Lohnerhöhungen zu zahlen oder Einmalzahlungen zu leisten. Die Maquiladora-Industrie ist für zwei Drittel der mexikanischen Exporte verantwortlich und erwirtschaftet Profite in Milliardenhöhe, indem sie mehr als eine Million Menschen zur Arbeit unter Sweatshop-Bedingungen zwingt. Die Drohungen mit Werksschließungen sind Versuche, die Arbeiter in Matamoros einzuschüchtern und ein Exempel an ihnen zu statuieren, damit sich der Streik nicht weiter ausbreitet. Alleine das Geld, das die Unternehmen durch den Streik verloren haben, wäre ausreichend, um die von den Arbeitern geforderten Zahlungen mehrfach zu tätigen.

In der internationalen Presse erscheint bislang kein einziger Artikel über den Streik in Matamoros, obwohl er der größte in Nordamerika seit zwei Jahrzehnten ist. Der Grund dafür ist die Angst der herrschenden Elite, dass andere Arbeiter dem Beispiel von Matamoros folgen, gegen ihre Gewerkschaften rebellieren und die Unterstützung der Arbeiter im Rest der Welt suchen. Die Nachrichtensperre der Medien muss von den Arbeitern selbst überwunden werden, indem sie unter Einsatz der sozialen Netzwerke auf ihre Klassenbrüder und -schwestern auf der ganzen Welt zugehen. Diese beobachten die Entwicklung ihres Kampfes mit großem Interesse und Begeisterung.

Appelle an den mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO), das vom Bürgermeister vorgeschlagene staatliche Schlichtungsverfahren oder eine „Reform“ der Gewerkschaften, wie es die Arbeitsrechtsanwältin Susana Prieto Terrazas vorschlägt, würden

„Un Dia Sin Obreros“-Protestveranstaltung auf dem zentralen Platz der Stadt

Die Arbeiter müssen verstehen, dass sie gegen das ganze kapitalistische System kämpfen und dass alle Politiker und Gewerkschaften – vom Bürgermeister bis zum Präsident und zu den Gerichten – das „Recht“ der Konzerne verteidigen, die Arbeiterklasse auszubeuten.

Die Arbeiterklasse braucht ihre eigenen Kampforganisationen, die in der Lage sind, die soziale Stärke der internationalen Arbeiterklasse einzusetzen. Arbeiter müssen dem Vorbild einiger Fabriken in Matamoros folgen, Basisdelegierte wählen und ein neues demokratisches stadtweites Streikkomitee aufbauen, das den Protest lenkt und die Gewerkschaften daran hindert, den Kampf mit leeren Versprechen abzuwürgen.

Wir rufen alle Arbeiter dazu auf, sich über die E-Mailadresse autoworkers@wsws.org oder unserer Facebook-Seite mit uns in Verbindung zu setzen, um diese entscheidenden Schritte zu ergreifen.

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