„Es sind die Kapitalisten, die das alles vorantreiben“

Leipziger Arbeiter sprechen sich gegen den Aufstieg der extremen Rechten aus

In den vergangenen zwei Wochen haben Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in ganz Leipzig mit Arbeitern, Jugendlichen und Studenten über die heutige Veranstaltung Die Lehren der 1930er und der Kampf gegen die extreme Rechte diskutiert. Als Redner sind David North, Chefredakteur der World Socialist Web Site, und Christoph Vandreier, stellvertretender Vorsitzender der SGP und Autor des Buches „Warum sind sie wieder da?“, eingeladen. Gestern wurde das Buch, das jüngst im Mehring Verlag erschien, auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt.

Christopher Khamis, einer von elf SGP-Kandidaten für die Europa-Wahl und Sprecher der IYSSE Leipzig, sagte: „Wir haben rund 3.000 Plakate aufgehängt und 120.000 Flugblätter in der ganzen Stadt verteilt – auch auf der Leipziger Buchmesse, die in dieser Woche begann. Wir haben mit vielen Studierenden, Arbeitern und Akademikern an der Universität darüber diskutiert, wie die herrschende Klasse in Deutschland seit 2014 die Rückkehr des Militarismus vorantreibt und wie man den Aufstieg faschistischer Kräfte und die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen an deutschen Universitäten verstehen kann.“

„Die meisten reagieren zuerst schockiert und fragen uns, wie das möglich ist, vor allem in Deutschland“, so Khamis. „Es gibt eine große Opposition gegen diese Entwicklung und viele unterstützen den Kampf, den wir führen.“

„Es ist erschreckend, dass solche Dinge heute gesagt werden können, ohne dass die Öffentlichkeit und die etablierten Parteien aufstehen und dem widersprechen. Ich frage mich ernsthaft, warum das so ist“, sagte ein Student der HTWK-Hochschule im Süden Leipzigs gegenüber Khamis, nachdem er die Aussagen des Humboldt-Professors Jörg Baberowski gehört hatte, der die NS-Verbrechen relativiert.

Pascal

Im Leipziger Westen sprachen SGP-Mitglieder mit dem 30-jährigen Pascal, der acht Jahre lang als Altenpfleger gearbeitet hat. Er sei extrem besorgt über das Erstarken der extremen Rechten in Deutschland, erklärte Pascal.

„Ich habe viel über die Fragen in der Schule gelesen und sehe jetzt, dass es immer mehr so wie früher wird. Es gibt Parallelen zu den 1930ern und vielleicht besteht die Gefahr, dass wir sie nicht erkennen. Ich denke, dass es die Kapitalisten sind, die Leute da oben, die das alles vorantreiben. Sie wollen, dass wir uns gegenseitig bekämpfen. Die einfache Bevölkerung denkt oft, dass sie zu weit unten steht und keine Macht dagegen hat. Aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Wir sind die Mehrheit.“

Er erzählte, dass sich die Arbeitsbedingungen bei den Altenpflegern enorm verschlechtert haben. „Alle Mitarbeiter sind frustriert über den Druck“, so Pascal. „Wir verdienen zu wenig und arbeiten zu viel. Wir werden für 18 Tage ohne Pausen eingeteilt. Das ist furchtbar – für die Patienten genauso wie für die Mitarbeiter. Ich habe 1.500 bis 2.000 Euro im Monat verdient. Dann sind etwa 15 Euro die Stunde. Im Laufe der acht Jahre wurde es immer schlimmer. Als ich angefangen habe, hatten wir keine Zeitarbeiter. Jetzt ist das die Regel. Die Menschen, die wir pflegen, haben ihr Leben lang gearbeitet und sie sollten mit Respekt behandelt werden, aber das passiert nicht. Es macht mich traurig, wenn ich dorthin gehe.“

Christopher Khamis im Gespräch mit einem Amazon-Arbeiter

Gestern verteilten Khamis und weitere IYSSE-Mitglieder beim Amazon-Werk in Leipzig Flugblätter und sprachen mit den Arbeitern darüber, warum die Arbeiterklasse mit dem Kampf gegen Faschismus, Militarismus und Krieg konfrontiert ist. Sie betonten, dass es notwendig ist, der nationalistischen Hetze der herrschenden Klasse entgegenzutreten und die Kämpfe aller Arbeiter gegen die riesigen Weltkonzerne wie Amazon auf internationaler Ebene zu vereinen. Viele Amazon-Arbeiter sprachen sich gegen den wachsenden Nationalismus in Europa aus und begrüßten die Kampagne der SGP und IYSSE.

Vor der Leipziger Buchmesse sprach ein Kampagnenteam mit der 24-jährigen Krankenschwester Alina und ihrem Freund Tim, der aus Norddeutschland zur Buchmesse gekommen ist. „Ich bin sehr enttäuscht, dass das wieder hochkommt“, erklärte Alina. „Es leben immer noch Menschen, die den Faschismus erlebt haben. In der Schule wird uns beigebracht, was passiert ist. Das ist ein großes Thema in der Schule.“

Auf die Frage, was sie von den offiziellen Parteien hält, sagte Alina: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass es nicht wichtig ist, welche Partei du wählst. Sie sind alle gleich. Es geht nicht um rechts oder links, sondern nur darum, dass sie Geld bekommen.“ Sie fügte hinzu, dass die Politiker versuchen, die Arbeiterklasse abzulenken, indem sie Wut auf Immigranten schüren.

„Rassismus wird überall gefördert“, so Alina. „Schau nach Amerika. Die amerikanische Bevölkerung stammt nicht ursprünglich aus Amerika. Ich habe Bilder von amerikanischen Ureinwohnern gesehen, die eine Mauer für die Cowboys gebaut haben. Ich finde es so dumm, dass Trump behauptet, ‚wir sind es, die hier leben und hier geboren sind‘, womit er meint, dass alle anderen Eindringlinge sind.“

„Hier sagen sie den Leuten, dass die Menschen aus der Türkei oder Syrien unsere Jobs stehlen würden“, erklärte sie weiter. „Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube es nicht. In Europa –Spanien, Italien, Deutschland – stammen die Menschen auch nicht wirklich ursprünglich von hier, sondern kommen von überall her. Aber einige Leute glauben es vielleicht. Wenn sie Probleme haben, weil sie ihre Arbeit verlieren, glauben es wahrscheinlich einige.“

Christopher Khamis in Diskussion mit Studenten

Alina schilderte ausführlich, welche Bedingungen in dem Krankenhaus herrschen, indem sie arbeitet und das sich in einer ländlichen Region in Norddeutschland befindet. Der „Stress ist immens“, sagte sie. „Was uns noch zusammenhält, ist die Teamarbeit. Manchmal haben wir einen schlechten Tag, an dem zwei Krankenschwestern 40 Patienten betreuen müssen. In meiner Abteilung sind die Patienten hilflos. Du musst sie waschen und ihnen helfen, sich zu drehen, damit sie keine Wunden bekommen. Einige sind inkontinent. Mit zwei Krankenschwestern und 40 Patienten ist das nicht möglich. Die Leitung des Krankenhauses interessiert sich dafür nicht. Wir gehen wirklich unter in Arbeit.“

„Krankenpflege ist nicht mehr das, was sie mal war“, erklärt Alina. „Es geht nur noch ums Geld. Sie wollen so viele Operationen wie möglich machen und Leute so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus entlassen – das ist jetzt das Hauptziel, weil ihnen das mehr Geld einbringt. Ich bin extrem enttäuscht, weil es bei Medizin um den Menschen gehen sollte. Hier dringt der Kapitalismus überall vor.“

SGP-Mitglieder sprachen mit Alina und ihrem Freund darüber, dass die Arbeiterklasse eine sozialistische Perspektive braucht, um sich international zu vereinen und ihre gemeinsamen Klasseninteressen zu verteidigen. Nur so könnten Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Krieg bekämpft werden. Sie sagten, dass ein Kampf der Arbeiterklasse notwendig sei. Alina betonte, dass bei ihr nicht die Manager das Krankenhaus am Laufen halten, sondern das Personal. Aber sie können das trotz des Missmanagement der Leitung nur schaffen, weil sie als Team arbeiten. Alina und Tim fragten uns außerdem, ob der Sozialismus in der Praxis realisierbar sei, und waren interessiert, an der heutigen Veranstaltung des Mehring Verlag teilzunehmen.

Der 21-jährige Mark, der als Kellner arbeitet und mit vier Jahren aus Tschechien nach Leipzig kam, sagte gegenüber unseren Reportern, dass er wütend über den Aufstieg der AfD sei.

„Ich glaube, dass die Leute nur die AfD wählen, weil alle anderen Parteien lügen“, so Mark. „Sie wollen den anderen großen Parteien zeigen, dass sie nicht die einzigen sind und dass sie nicht einfach nur lügen können, um an der Macht zu bleiben. Das ist wie mit Trump in den USA. Was er angeboten hat, war zwar schlecht, aber eine Veränderung. Und zur Zeit verändert sich hier nichts. Es funktioniert nichts mehr. Wir protestieren und nichts passiert. Wir arbeiten soviel und verdienen immer weniger. Dann bieten sie dir vielleicht einen Euro mehr pro Stunde, aber es dauert so lange, bis du die Lohnerhöhung bekommst, dass es dann auch nichts mehr bringt.“

Mark beschrieb die Zustände, mit denen zahlreiche junge Arbeiter im Gastgewerbe konfrontiert sind. „Ich arbeite seit zwei Jahren als Kellner“, erklärt er. „Wir bekommen 13 Euro pro Stunde, andere nur 9 Euro. Ohne das Trinkgeld könnte man gar nicht leben. Die Hälfte von meinem Monatslohn zahle ich in die Rentenversicherung ein. Aber wenn ich dann in die Rente gehe, bekomme ich höchstens 300 Euro im Monat zurück. Wie soll ein Rentner oder eine Rentnerin davon leben? Früher musste man in Deutschland bis zum 65. Lebensjahr arbeiten, jetzt schon bis zum 68. Wer kann schon bis zu dem Alter als Kellner arbeiten?“

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