Ein Jahr nach dem Streik in Arizona: Lehrerstreiks und Proteste breiten sich in den USA aus

Am Mittwoch, den 1. Mai, werden vermutlich Tausende von Lehrern und ihre Unterstützer an Protestveranstaltungen in den Hauptstädten der Bundestaaten North Carolina, in Raleigh, und South Carolina, in Columbia, teilnehmen. Sie fordern höhere Gehälter und mehr Geld für die Schulen, mehr Personal und andere Verbesserungen für ihre Schüler.

Die Proteste in den beiden Carolinas finden ein Jahr nach dem Streik von fast 60.000 Lehrern in Arizona statt und sind Teil der Welle von Streiks und Demonstrationen von Lehrkräften in den USA und weltweit, die im Jahr 2018 begann und bis heute andauert.

Diese Woche kehrten mehr als 300.000 polnische Lehrer nach einem 17-tägigen landesweiten Streik für eine 30-prozentige Gehaltserhöhung an die Arbeit zurück. Es war der erste landesweite Streik seit Jahrzehnten und erhielt enorme Unterstützung aus der Bevölkerung. Etwa 40.000 Sozialarbeiter wollten sich an dem Ausstand beteiligen, bevor die wichtigste Lehrergewerkschaft ZNP vor der ultrarechten Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit kapitulierte und den Streik abbrach, ohne dass die Forderungen der Lehrer erfüllt wurden.

Im nordafrikanischen Marokko demonstrierten in der Nacht vom 24. auf den 25. April Tausende von schlecht bezahlten Lehrern vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Rabat, bevor sie von den Sicherheitskräften mit Wasserwerfern und Knüppeln auseinandergetrieben wurden. Dabei wurden 70 von ihnen verletzt. Die größtenteils jungen Lehrer protestieren bereits seit Monaten mit Streiks und Demonstrationen für die Umwandlung ihrer befristeten Arbeitsverträge in dauerhafte Stellen mit Renten und Zusatzleistungen, die denen der anderen öffentlich Beschäftigten entsprechen.

Lehrerdemonstration in North Carolina im letzten Mai

Berichten zufolge wird wegen der Lehrerproteste in North Carolina für die Hälfte der 1,53 Millionen Schüler an öffentlichen Schulen kein Unterricht stattfinden. Letzten Mai versammelten sich 20.000 Lehrer zu einer Kundgebung in der Hauptstadt. Doch auch mit der geringen Gehaltserhöhung, die der demokratische Gouverneur und die republikanisch dominierte Legislative genehmigt haben, liegt ihr Gehalt weit unter dem landesweiten Durchschnitt. North Carolina liegt landesweit auf Platz 39 bei den Ausgaben pro Schüler.

Die Lehrer in South Carolina fordern eine zehnprozentige Gehaltserhöhung, kleinere Klassen und Planungszeiten ohne Unterbrechung. Sie haben die „unerträglichen und erdrückenden Arbeitsbedingungen“ der Lehrer kritisiert. Ihr Grundgehalt liegt bei 32.000 Dollar pro Jahr, d.h. nur knapp über der staatlichen Armutsgrenze von 25.750 Dollar für eine vierköpfige Familie.

Abgesehen von diesen Protesten bereiten Tausende von Lehrern Streiks und Demonstrationen in mehreren amerikanischen Städten vor.

• In Chicago wollen die Angestellten und das technische Personal des City College am 1. Mai streiken, falls kein Tarifabkommen für die Beschäftigten zustande kommt, die seit drei Jahren ohne Tarifvertrag arbeiten. Weitere 130 Lehrer an fünf Charter Schools treten möglicherweise am Mittwoch nach Unterrichtsende in den Streik, und die Lehrer von weiteren fünf Charter Schools erwägen eine Beteiligung am Streik. Das Tarifabkommen für die mehr als 20.000 Lehrer an den öffentlichen Schulen in Chicago läuft am 31. Juni aus.

• In New York City planen Tausende von Vorschullehrern ab Donnerstag, den 2. Mai, einen Streik für höhere Gehälter. Sie führen einen Kampf gegen den demokratischen Bürgermeister Bill de Blasio, der die frühkindlichen Förderprogramme an privat betriebene „gemeindebasierte Organisationen“ ausgelagert hat. Diese bezahlen die Lehrer deutlich schlechter als ihre Kollegen an öffentlichen Schulen.

• In Detroit planen die Lehrer anlässlich der Sitzung der Schulbehörde am 14. Mai Demonstrationen, um gegen die geplante Einführung von fünf unbezahlten Arbeitstagen im Schuljahr 2019–2020 und die Pläne des Schulbezirks zu protestieren, ein leistungsbasiertes Bezahlungssystem einzuführen. Im Jahr 2016 begannen Hunderte von Detroiter Lehrern gegen den Willen der Detroit Federation of Teachers mit einer Reihe von wilden „Krankheitsstreiks“, mit denen sie landesweit auf die schrecklichen Bedingungen an den Schulen aufmerksam machten (u.a. schwarzer Schimmel, Ratten und marode Infrastruktur).

• In Mississippi erklärten 66 Prozent der Lehrer gegenüber der Mississippi Association of Educators, sie würden an einem eintägigen bundesstaatsweiten Krankheitsstreik teilnehmen. Fast 40 Prozent erklärten, sie würden sich an einem unbefristeten Streik für bessere Löhne und Bedingungen in den Klassen beteiligen. Ein Lehrer erklärte auf die Drohung, Streikverbotsgesetze anzuwenden: „Was ist schlimmer? Ein tyrannisches Gesetz zu brechen, um hoffentlich unsere Lage zu verbessern, oder sich zurückzulehnen und nichts zu tun, während die Politiker unsere Arbeit zunehmend unmöglich machen?“

• In Arizona erwägen Lehrer ein Jahr nach der Rebellion von Zehntausenden Lehrkräften im gesamten Bundesstaat erneut Aktionen. Das Tarifabkommen, das die Arizona Education Association und der republikanische Gouverneur Doug Ducey ausgehandelt haben, hat ihre Probleme nicht gelöst.

• Auch im Bundesstaat Washington wächst die Wut. Im September 2018 hatten die Lehrer dort eine Reihe von Streiks organisiert, die von den Gewerkschaften isoliert und niedergeschlagen wurden. Während die Schulbezirke Massenentlassungen und Kürzungen vorbereiten, hat die demokratisch kontrollierte Staatsregierung am Sonntag einen Haushalt verabschiedet, der eine einmalige Finanzspritze vorsieht und die Deckelung der lokalen Grundsteuern abschafft. Während die Arbeiterklasse und die Mittelschicht zusätzliche Steuerlasten tragen müssen, hat der demokratische Gouverneur Jay Inslee dem Flugzeugkonzern Boeing die mit 8,7 Milliarden Dollar größte Steuersenkung der Geschichte zukommen lassen. Der Washingtoner Amazon-Konzern, der dem reichsten Mann der Welt gehört, hat im letzten Jahr keinen einzigen Cent Steuern gezahlt, obwohl er elf Milliarden Dollar Profit gemacht hat.

In allen Ländern kämpfen die Lehrer gegen die Folgen der extremen Zunahme von sozialer Ungleichheit nach dem globalen Finanzcrash von 2008 und der darauf folgenden Rettung der Banken und Aktienmärkte. In den USA gaben im Jahr 2016, als Präsident Obama sein Amt niederlegte, 24 Bundesstaaten weniger für K-12-Schulfinanzierung aus als vor dem Crash. Zwischen 2008 und 2015 ging auch die staatliche Finanzierung für höhere Bildung in 41 Bundesstaaten zurück.

Laut dem Center of Budget and Policy Priorities haben die meisten Bundesstaaten ihre Etats in den letzten drei Jahren geringfügig erhöht, doch 12 Bundesstaaten haben sie letztes Jahr sogar um mindestens sieben Prozent gekürzt. In vier dieser Staaten (West Virginia, Arizona, Oklahoma und North Carolina) konnten Lehrer durch Streiks eine geringe Erhöhung der Schulfinanzierung durchsetzen. Allerdings wurden diese durch vorübergehende Korrekturen finanziert, u.a. durch regressive Steuern oder Kürzungen bei anderen wichtigen Sozialprogrammen, die den Reichtum der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzaristokratie nicht beeinträchtigten.

Das größte Hindernis für die Vereinigung der Lehrkräfte im ganzen Land waren die Gewerkschaften National Education Association (NEA), American Federation of Teachers (AFT) und ihre Niederlassungen in den Bundesstaaten und Kommunen. Gewerkschaftsvertreter verbreiten die Lüge, die Demokraten würden auf die Forderungen der Lehrer eingehen. In Wirklichkeit sind sie genauso große Feinde der Lehrer und des öffentlichen Bildungswesens wie Trump, Betsy DeVos und die Republikaner.

Mit Hinweis auf die Bestrebungen, mehr Demokraten in das Parlament von North Carolina zu wählen, erklärte der Präsident der North Carolina Association of Educators, Mark Jewell, der demokratische Gouverneur Roy Cooper könne „die Gesetze zum Schaden des öffentlichen Bildungswesens außer Kraft setzen, die noch kommen könnten“. Demokraten und Republikaner „müssten sich zusammensetzen und verhandeln“.

Streikende Lehrer in Arizona im Jahr 2018

Die Gewerkschaften sind mit den Demokraten verbündet und von Präsidenten geführt, die mit ihren sechsstelligen Gehältern zu den oberen fünf Prozent der Einkommensbezieher gehören. Sie lehnen den Aufbau einer Bewegung der Arbeiterklasse ab, da dieser die gefestigte Macht der Superreichen gefährden und sich zum Kampf für eine umfassende Umverteilung des Reichtums entwickeln könnte.

Die Lehrer müssen die Lehren aus dem Kampf des letzten Jahres ziehen, der größtenteils von den gewerkschaftlich organisierten und nicht organisierten Lehrern gegen den Widerstand der NEA und der AFT begonnen wurde. Es müssen neue Kampforganisationen aufgebaut werden, die von den Beschäftigten selbst demokratisch kontrolliert werden, darunter Arbeitsplatz- und Nachbarschaftskomitees. Sie müssen dafür kämpfen, was Lehrer, Hilfskräfte und ihre Kinder brauchen, nicht dafür, was laut den Politikern des Großkapitals bezahlbar ist.

Der Kampf für die breitestmögliche Mobilisierung der Arbeiterklasse, wozu auch Massendemonstrationen und ein Generalstreik zur Verteidigung des sozialen Rechts auf ein qualitativ hochwertiges öffentliches Bildungswesen gehören, muss mit einem politischen Kampf für eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen System verbunden werden.

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