Erneut Sammelabschiebung von 26 Afghanen nach Kabul

In der Nacht zum Mittwoch sind erneut 26 Afghanen im Charterflug zwangsweise nach Kabul abgeschoben worden. Mit dieser 24. Sammelabschiebung sind seit Dezember 2016 im Ganzen schon 591 Personen in das kriegsgebeutelte Afghanistan zurückgeschickt worden.

Die Sammelabschiebung vier Tage vor der Europawahl zerreißt den Nebel der Wahlkampfpropaganda und legt die Sicht auf die wahren Verhältnisse frei. Dieselben Politiker, die landab-landauf ein „menschliches“ und „soziales“ Europa versprechen, organisieren in der Praxis die Inhaftierung und Zwangsverschleppung von Menschen, die Schutz vor Verfolgung, Krieg und Not gesucht haben, und schieben sie ohne mit der Wimper zu zucken in Kriegs- und Krisengebiete zurück.

Der Bayerische Flüchtlingsrat hat neue Fälle aufgedeckt, die das brutale Vorgehen der Behörden dokumentieren.

Darunter befindet sich eine Familie aus Nürnberg – Ehefrau, Tochter und Zwillingssöhne – die in den Iran abgeschoben wurden, während der Familienvater wegen fehlender Dokumente hier bleiben musste. Seine Kinder gingen bis dahin zur Schule und standen kurz vor dem Abitur, bzw. dem Mittelschulabschluss. Immer wieder kommt es vor, dass ganze Familien „bei Nacht und Nebel“, d.h. unvorbereitet, in den frühesten Morgenstunden aus ihren Betten geholt und abgeschoben werden.

Erst wenige Tage vor der jüngsten Sammelabschiebung hatte das Anti-Folter-Komitee des Europarats kritisiert, dass bei einem Abschiebeflug direkt unter den Augen der Beobachter Männer misshandelt worden waren. Einem Mann wurden die Genitalien gequetscht, um ihn fügsam zu machen, und er wurde mit einem atembehindernden Griff festgehalten.

Ein anderer Mann, der kurz zuvor aus Angst vor der Abschiebung aus dem Fenster gesprungen war und sich einen Lendenwirbel gebrochen hatte, wurde dennoch abgeschoben. Er hielt den Flug nur im Liegen und unter großen Schmerzen durch. Das Anti-Folter-Komitee hatte auch die Zustände in der bayerischen Justizvollzugsanstalt Eichstätt kritisiert, die erst vor kurzem in einen so genannten „Ausreisegewahrsam“ verwandelt worden war.

Als Reaktion auf diese Kritik hat die Regierung die beanstandeten Praktiken beschleunigt und verschärft.

Das zeigte sich schon letzte Woche, als der Bundestag über Seehofers „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ debattierte. Das Gesetz, das besser „Hau-ab-“ oder „Ausländer-raus-Gesetz“ heißen sollte, erleichtert und beschleuniget die Abschiebungen. Es behandelt Asylbewerber de facto wie Kriminelle und sieht vor, „ausreisepflichtige Flüchtlinge“ in regulären Gefängnissen unterzubringen.

Dieselben Parteien, die behaupten, gegen den Vormarsch der extremen Rechten in Europa zu kämpfen, setzen in der Praxis die Politik der AfD um. Dies gilt nicht nur für CDU/CSU, sondern in besonderem Maße für die SPD. In der Bundestagsdebatte räumte der SPD-Sprecher Helge Lind offen ein, er sehe zu Seehofers Gesetz „keine Alternative“. Die Justizministerin Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, hatte dem Gesetz schon vor einem Monat im Kabinett zugestimmt. Soviel zu ihren Behauptungen im Wahlkampf, die SPD trete „für ein soziales Europa ein“ und sei die Partei, die „schon seit ihrer Gründung gegen rechts kämpft“.

Barley sitzt in einer Regierung, die allein im letzten Jahr fast 24.000 und im ersten Quartal dieses Jahres schon mehr als 5600 Personen aus Deutschland hat abschieben lassen. Dabei wird der größte Teil der betroffenen Menschen eher unbemerkt und einzeln abgeschoben: in den Kosovo oder in andere ex-jugoslawische Länder, in die Türkei, den Nahen Osten, nach Irak, Iran, Georgien, Eritrea, Somalia, Sudan oder Nigeria, oder auch in andere Staaten der EU, in denen sie zuerst registriert worden waren.

Mit dem flüchtlingsfeindlichen Kurs der Großen Koalition stimmen auch die Parteien überein, deren Vertreter das Gesetz in der Bundestagsdebatte kritisierten, nämlich die Grünen und Die Linke. In den Ländern, wo sie gemeinsam mit SPD und CDU regieren oder selbst den Ministerpräsidenten stellen (die Grünen in Baden-Württemberg, Die Linke in Thüringen), schieben sie genauso brutal ab wie alle andern Parteien.

Seit fast einem Jahr ist die flüchtlings- und ausländerfeindliche Politik einzelner EU-Staaten zur offiziellen Leitschnur der EU geworden. Mit ihren Beschlüssen vom 30. Juni 2018 hat die EU die Rettung Geflüchteter vor dem Ertrinkungstod faktisch eingestellt, und seither verhindert sie ausdrücklich auch die private Seenotrettung – mit katastrophalen Folgen.

Keine zwei Wochen ist es her, dass etwa 65 Menschen vor der Küste Tunesiens ertranken, als ihr Boot in den hohen Wellen kenterte. Nur 16 überlebten und wurden von Fischern aus dem Wasser gerettet. Es war die seit Monaten schlimmste Havarie auf dieser gefährlichen Fluchtpassage.

Das Mittelmeer wird immer stärker zum Massengrab. Mit der Bootshavarie vom 10. Mai vor Tunesien stieg die Zahl der in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunkenen Menschen auf über 500. Seit Anfang 2014 sind es nach Angaben der IOM bereits 18.426 Todesfälle allein in der mediterranen Region, was bedeutet, dass dort pro Tag mehr als neun Personen ertrinken.

Wie der Flüchtlingsrat der UN beobachtet hat, ist die Gefahr, auf der Passage Libyen-Italien umzukommen, in letzter Zeit noch einmal erheblich angestiegen. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sei proportional auf drei Personen, die Europa erreichten, eine vierte ertrunken, erklärte der UNHCR-Sondergesandte für das Mittelmeer, Vincent Cochetel. „Wenn wir jetzt nicht handeln“, fügte er hinzu, „dann müssen wir uns in den kommenden Wochen und Monaten fast sicher auf weitere tragische Fälle einstellen.“

Doch die EU rührt keinen Finger, um aus Libyen geflüchteten Menschen beizustehen. Nur noch private NGOs kümmern sich um die Seenotrettung. Und diese Freiwilligen- und Spenden-basierten Organisationen sind mit beinahe unüberwindlichen juristischen Hürden und Schikanen konfrontiert.

So musste die „Sea-Watch 3“, die 65 geflüchtete Menschen aus einem Schlauchboot gerettet hatte, vier Tage lang auf hoher See ausharren, ehe sie am 19. Mai die letzten 47 Schiffbrüchigen auf Lampedusa an Land lassen konnte. (18 kranke und dehydrierte Migranten, darunter mehrere Kinder, waren zuvor evakuiert worden.) Obwohl die Organisation kein Gesetz gebrochen hatte, ist ihr Schiff jetzt von der italienischen Justiz beschlagnahmt worden.

Seebrücke-Transparent: „Diese EU tötet“

Die EU verfolgt eine Flüchtlingspolitik nach dem Motto: „Lasst sie alle ertrinken“. Wie es auf dem Transparent einer Seebrücke-Gruppe bei den Demonstrationen gegen Nationalismus am vergangenen Sonntag hieß: „Diese EU tötet“.

Im Jahr 1940 schrieb die Vierte Internationale in ihrem Manifest zum Zweiten Weltkrieg einen Satz, der auch auf die heutige Situation wieder passt: „Inmitten der ungeheuren Landflächen und den Wundern der Technik, die dem Menschen Himmel und Erde erschließen, hat es die Bourgeoisie fertiggebracht, unseren Planeten in ein widerwärtiges Gefängnis zu verwandeln.“

Aber was ist die Antwort? Was die Bourgeoisie angeht, ist die Antwort klar: Sie setzt ihre Aufrüstung nach außen und innen mit einem Staatsapparat durch, der sich in wachsendem Maß auf die schlimmste nationalistische Reaktion, in Deutschland auf die AfD und andere Faschisten, stützt.

Die Arbeiterklasse muss darauf ihre eigene Antwort geben. Wie die Sozialistische Gleichheitspartei erklärt, muss sie sich weltweit zusammenschließen und den Kampf für ein sozialistisches Programm aufnehmen. In Europa muss sie gegen die bankrotte EU und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa kämpfen.

Nur so ist es möglich, zu erreichen, dass sich die Bundeswehr und alle europäischen Truppen aus dem Nahen Osten und aus Afrika zurückziehen, dass jeder Mensch das Recht bekommt, im Land seiner Wahl zu leben und zu arbeiten, und dass die Milliarden Euros, die heute für den Aufbau einer EU-Armee und von Frontex verschleudert werden, den tatsächlichen sozialen und kulturellen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung zugutekommen.

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