Perspektive

When They See Us: Der Fall der „Central Park Five” auf Netflix

Rückblick auf ein spektakuläres New Yorker Verbrechen im #MeToo-Zeitalter

Es ist mehr als Wut .... Es ist Hass, und ich will, dass die Gesellschaft sie hasst.“ Ganzseitige Anzeige von Donald Trump in der New York Times und anderen Zeitungen am 1. Mai 1989.

Ein Rudel Teenager wütet durch den Central Park ... vergewaltigt eine unschuldige junge Frau ... Die New Yorker reagieren mit einmütigem Zorn: Die Schuldigen der Gräueltat verdienen eine schnelle, harte Strafe“ – New York Times, „The Jogger and the Wolf Pack“, 26. April 1989.

Die Leute schreien nur, du weißt schon: ‚Vergewaltiger!‘ ‚Du Tier!‘ ‚Du verdienst es nicht, am Leben zu sein‘ .... Es fühlte sich an, als würde uns die ganze Welt hassen.‘-Antron McCray, einer der Central Park Five.

When They See Us, die Netflix-Miniserie von Ava Duvernay über den Mordversuch an einer Joggerin im Central Park 1989, hat eine öffentliche Abrechnung mit dem Polizeikomplott ausgelöst, das damals fünf afroamerikanische Teenager unschuldig hinter Gitter brachte.

Die Serie zeichnet in allen grausamen Einzelheiten nach, wie Polizisten, Ermittler und Staatsanwälte die Jugendlichen eingeschüchtert und misshandelt haben, bis sie ein Verbrechen gestanden, das sie nicht begangen hatten, und wie eine Hexenjagd reaktionärer Medien die Jury manipulierte, um ein klares Fehlurteil herbeizuführen.

Das Verbrechen bot dem politischen Establishment in den USA einen Anlass zu Law-and-Order-Hysterie und unverhohlenem Rassismus. In einer Kolumne der Washington Post mit dem Titel „The Barbarians Are Winning“ schrieb der faschistische Ideologe Pat Buchanan von den Republikanern: „Wie geht ein zivilisiertes, selbstbewusstes Volk mit Feinden um, die ihre Frauen vergewaltigen? Armeen stellen sie an eine Wand und erschießen sie, oder wir hängen sie.“

Buchanan knüpfte provokant an die lange Tradition der Lynchmob-„Justiz“ in Amerika an: Wenn „der Anführer dieses Wolfsrudels bis zum 1. Juni vor Gericht gestellt, verurteilt und gehängt würde und die 13- und 14-Jährigen ausgezogen, ausgepeitscht und ins Gefängnis gesteckt würden, könnte der Park für Frauen bald wieder sicher sein“.

Donald Trump, damals New Yorker Immobilienmogul, schaltete ganzseitige Anzeigen in vier lokalen Zeitungen, darunter die New York Times, mit der Schlagzeile: „ZURÜCK ZUR TODESSTRAFE! BRINGT UNSERE POLIZEI ZURÜCK!“ Trump giftete: „Ich wünsche mir Hass gegen diese Straßenräuber und Mörder. Sie sollten gezwungen werden zu leiden, und wenn sie töten, sollten sie für ihre Verbrechen hingerichtet werden ... BÜRGERLICHE FREIHEITEN ENDEN DORT, WO DER ANGRIFF AUF UNSERE SICHERHEIT BEGINNT!“

Die Serie When They See Us löste einen Aufschrei der Öffentlichkeit aus. Linda Fairstein, die leitende Staatsanwältin in diesem Fall, sah sich gezwungen, aus dem Kuratorium der Elitehochschule Vassar College zurückzutreten. Fairstein wurde von ihrem langjährigen Verleger fallen gelassen, nachdem eine Petition gegen sie über 100.000 Unterschriften erhalten hatte und der Hashtag #CancelLindaFairstein in den sozialen Medien Fahrt aufnahm.

Sarah Burns macht in der New York Times unmittelbar Trump für das Fehlurteil der Justiz verantwortlich. „Mr. Trump schuldet vielen Leuten überfällige Entschuldigungen. An der Spitze dieser wachsenden Liste stehen Antron McCray, Korey Wise, Yusef Salaam, Raymond Santana und Kevin Richardson.“

Eine genaue, objektive Untersuchung des Falles zeigt jedoch, dass nicht nur Trump und Fairstein die Schuld tragen. Die etablierten Medien ergingen sich fast ausnahmslos in einer Orgie der Selbstjustiz, wie es sie seit den Zeiten der Rassentrennung nicht mehr gegeben hatte.

Die Washington Post, deren aktuelles Motto „Demokratie stirbt in der Dunkelheit“ lautet, empfahl ihren Lesern in einem ganzseitigen Leitartikel: „Richten Sie Ihre Wut auf ein Ziel: Fordern Sie die Todesstrafe“. „Wenn die New Yorker in der Lage sein wollen, ihre Stadt den Mördern und Schlägern zu entreißen, müssen sie die Fähigkeit des Justizsystems wiederherstellen, potenzielle Straftäter abzuschrecken“, erklärte die Zeitung.

Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die verhafteten Heranwachsenden, die von der Polizei zu Geständnissen gezwungen wurden, schrieb die Post: „Den Schlägern, die eine 28-jährige Joggerin vergewaltigten und auf sie einstachen und einprügelten, kam nicht in den Sinn, dass sie in einer ihrem sadistischen Verbrechen angemessenen Weise bestraft“ – d.h. gefoltert und womöglich hingerichtet werden könnten.

In einem üblen Leitartikel unter dem Titel „The Jogger and the Wolf Pack“ schloss sich die New York Times am 26. April 1989 dem Lynchmob an:

„Die Meldungen lösen Entsetzen und Empörung aus: Ein Rudel von Teenagern wütet durch den Central Park, schikaniert und überfällt mehrere Menschen, misshandelt und vergewaltigt schließlich eine unschuldige junge Frau, die auf einem einsamen Pfad gejoggt war, und ließ sie im Schlamm des Aprils zum Sterben zurück. Die New Yorker reagieren mit einhelligem Zorn: Die Schuldigen der Gräueltaten verdienen eine schnelle, harte Strafe.“

Die Redaktion lässt sich dann über die möglichen Ursachen des Angriffs aus und sinniert, ob „Drogen“, „Habgier“ oder der mutmaßliche Hass der afroamerikanischen Jugendlichen auf Weiße der Auslöser ihrer Straftat war. In Wirklichkeit hatten diese das Verbrechen, für das sie vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, nicht begangen und konnten es nicht begangen haben.

Abschließend tönt der Leitartikel: „Sind Teenager heute aufgrund der allgegenwärtigen Gewalt im Fernsehen und Kino gewaltbereiter als in der Vergangenheit? Wird selbst in stabilen Familien versäumt, Werte des Mitgefühls zu vermitteln? Oder könnte dies nur ein extremer, isolierter Fall von ansteckender jugendlicher Barbarei sein?“

In dieser Moralpredigt mit ihrem rassistischen Subtext ging die entscheidende Frage völlig unter: Haben die angeblichen Täter das Verbrechen, das ihnen vorgeworfen wurde, tatsächlich begangen?

Bereits im April 1989, eine Woche nach dem Vorfall, hatte die Zeitung von Arthur Ochs Sulzberger (Senior) bereits entschieden, dass die Jugendlichen schuldig seien, und warf sich in die Rolle des Richters und der Jury gleichermaßen.

Und damit kommen wir zum Jahr 2019. Es ist 20 Monate her, seit die Times, die mittlerweile von Arthur Ochs Sulzberger (Junior) (Herausgeber) und seinem Sohn A. G. Sulzberger (Verleger) geführt wird, mit einer Reihe von schlüpfrigen Anschuldigungen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein, einen Amerikaner mit jüdischem Hintergrund, zur Entstehung der #MeToo-Bewegung beigetragen hat.

Diese sexuelle Hexenjagd hat die Existenz vieler Menschen beschädigt oder zerstört, darunter Louis C.K. (ungarisch-jüdischer und mexikanischer Abstammung) und Kevin Spacey (bisexuell). Der jüdisch-amerikanische Komiker Woody Allen kam als Paria auf die schwarze Liste. Keiner dieser Beschuldigten wurde eines Verbrechens überführt.

Im Rahmen ihrer #MeToo-Kampagne haben die Times und die Post auf die persönliche Zerstörung des polnischen Filmemachers Roman Polanski, ebenfalls Jude und Holocaust-Überlebender, gedrängt und den afroamerikanischen „King of Pop“ Michael Jackson fast zehn Jahre nach seinem Tod verleumdet.

Ebenso wie im Fall der Central Park Five setzt die Times einfach voraus, dass sich die Betroffenen tatsächlich der „Vergewaltigung“, der „sexuellen Gewalt“, des „sexuellen Fehlverhaltens“ oder einfach nur der „Anmache“ (!) schuldig gemacht haben. Mit frommer Miene verlangt sie ihre Bestrafung, zumindest durch die Zerstörung ihrer Karriere. Entsprechend schrieb die Filmkritikerin Manohla Dargis von der Times über den begabten und beliebten Louis C.K.: „Er tut mir nicht leid und es ist mir auch um das mögliche Ende seiner Karriere nicht schade. Er ist reich und kann sich in einem behaglichen Loch verkriechen.“

Die Times, die Post und andere Medien haben Informationen beschafft, von denen sie hofften, dass sie die Bevölkerung unwiderruflich gegen diese Personen aufbringen und sie aus dem öffentlichen Leben vertreiben würden. Erneut verzichteten sie auf die Frage, die sie schon 1989 nicht stellten: Sind diese Männer eines Verbrechens schuldig?

„#MeToo hat geleistet, wozu das Gesetz nicht in der Lage war“, freute sich Catharine A. MacKinnon in der Times. Mit anderen Worten, die Kampagne wegen sexuellen Fehlverhaltens hat es ermöglicht, dass eine summarische „Gerechtigkeit“ geübt wird, ohne dass Einzelpersonen überführt werden oder auch nur vor einem Gericht erscheinen. Dies unterscheidet sich im Grunde nicht von Buchanans Forderung, dass die Central Park Five „an die Wand gestellt“ werden sollten.

Die Times und die Post gönnen sich den Luxus, ihre eigenen Rollen bei der Verurteilung der Central Park Five schamlos zu übergehen oder ihre eigenen Aussagen selektiv und kommentarlos zu zitieren. Wenn die Redakteure zu einer Antwort gezwungen wären, würden sie vermutlich argumentieren, dass es eine andere Zeit war, dass die Fakten unklar waren und dass ihre gnadenlosen Äußerungen vergangene, mittlerweile längst überwundene Vorurteile widerspiegelten.

Das Bulletin, der Vorläufer der World Socialist Web Site, war sich jedoch 1989 darüber im Klaren, was die blutrünstigen Law-and-Order-Positionen bedeuteten. Die Zeitung der sozialistischen Weltbewegung in den USA verurteilte die Times für ihre „bösartige arbeiterfeindliche Sensationsgier im Zusammenhang mit der jüngsten Vergewaltigung im Central Park“ und erklärte, die Kampagne ziele darauf ab, „Unterstützung für den Aufbau der repressiven Kräfte des kapitalistischen Staates zu mobilisieren, die gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden sollen“.

Abschließend möchten wir bekräftigen, was wir 1989 sagten, was wir bei der Gründung von #MeToo 2017 gesagt haben und was wir bis heute sagen: Die Unschuldsvermutung dient den Schwachen gegen die Starken, der Minderheit gegen die Mehrheit, den Außenseitern gegen das Establishment und den Arbeitern gegen die kapitalistische Regierung. Alle, die eine Stärkung der „Formationen bewaffneter Menschen“ namens Staat fordern, haben nichts gemeinsam mit dem Kampf für soziale Gleichheit, sozialen Fortschritt oder die Verteidigung demokratischer Rechte.

Zu tun, „wozu das Gesetz nicht in der Lage ist“, nennt man Lynchjustiz. Vor kleinbürgerlichen Hexenjägern und Ordnungshysterikern, die etwas anderes behaupten, müssen sich Arbeiter in Acht nehmen!

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