„Wir sind bereit, so lange zu streiken, wie nötig“

Tarifkampf bei GM, Ford und Chrysler: Arbeiter sind streikbereit

Zurzeit stimmen die Autoarbeiter in den USA über Streik ab. In drei Wochen laufen am 14. September die vierjährigen Tarifverträge für 155.000 Arbeiter von General Motors, Ford und Fiat Chrysler aus.

Am Donnerstag, 22. August, fanden Abstimmungen bei Fiat Chrysler in dem Sterling Heights Montagewerk im Vorort von Detroit und im Jeep Montagewerk in Belvidere (Illinois) statt. Nächste Woche geht es dann in andern Werken weiter, und für den 29. August werden die Ergebnisse erwartet.

Arbeiter von Fiat Chrysler vor Schichtbeginn, LKW-Werk Warren, südlich von Detroit

Am Donnerstagnachmittag sprachen Fiat-Chrysler-Arbeiter mit Reportern des Autoworker Newsletters, der von der World Socialist Web Site herausgegeben wird. Sie erklärten, was für sie im neuen Tarifvertrag wichtig sei, und viele nannten als erstes die Abschaffung des verhassten zweistufigen Lohnsystems. Dieses speist neu eingestellte Vollzeitbeschäftigte mit der Hälfte des Gehalts der so genannten legacy workers (Altbeschäftigten) ab, d.h. derjenigen, die vor 2007 eingestellt worden waren. Die Arbeiter der zweiten Stufe müssen acht Jahre schuften, um die höchste Lohnstufe zu erreichen, und jahrelang warten, bevor sie eine medizinische Grundversorgung wie Zahnbehandlung oder Brille erhalten.

„Wir müssen das zweistufige Lohnsystem loswerden“, war eine gängige Antwort. Andere sagten: „Wir brauchen mehr Geld.“ Sie wiesen die Behauptungen der Autofirmen zurück, dass sie sich keine Lohnerhöhungen leisten könnten, obwohl sie Rekordgewinne erzielen und ihren Vorständen Millionen zahlen. „Wir müssen alles wieder zurückbekommen, was uns genommen wurde, und noch einiges dazu“, sagte eine Arbeiterin, als sie in die Fabrik ging.

Was die Arbeiter im Werk vom Tarifvertrag erwarten

Viele Arbeiter sagten, sie seien bereit zu streiken, wenn die Autofirmen versuchten, ihnen höhere Gesundheitskosten aufzuzwingen, oder wenn die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) ihnen eine teure Police unterjubeln wolle. Die UAW ist bereits im Besitz der Rentnerkrankenkasse, und sie will auch die Krankenkasse für die Arbeiter übernehmen. Dieser Deal, der einer Verschwörung der Autofirmen mit der Gewerkschaft gleichkommt, war vor vier Jahren ein wesentlicher Grund dafür, dass bei Chrysler zwei Drittel der Arbeiter den Tarifvertrag 2015 ablehnten.

„Wir sind bereit, so lange zu streiken, wie nötig“, sagte eine Arbeiterin, die seit acht Jahren bei Fiat Chrysler im LKW-Werk Warren, nördlich von Detroit, beschäftigt ist. „Ich musste wieder zur Arbeit kommen, weil mein Mann schrecklich viel bezahlen muss, weil der Selbstbehalt seiner Krankenkasse so hoch ist. Er ist ein pensionierter Chrysler-Arbeiter, aber meine Versicherung ist besser als seine.“

Fiat-Chrysler-Arbeiter, LKW-Fabrik Warren

Mehrere Arbeiter im LKW-Werk Warren mit über 20 Jahren Betriebszugehörigkeit sagten, ihrer Meinung nach müssten mehrere tausend Leiharbeiter, die von dem Unternehmen seit dem letzten Tarifvertrag 2015 eingestellt worden sind, die gleichen Sozialleistungen bekommen wie die Vollzeitbeschäftigten, einschließlich Gewinnbeteiligung, Krankenversicherung und Arbeitsplatzgarantie. Ihre Jobs müssten in Vollzeitstellen umgewandelt werden.

Die Empörung über die UAW ist weit verbreitet, und niemand vertraut darauf, dass sie die Autoarbeiter vertreten würde. Eine beträchtliche Anzahl der Gewerkschaftsfunktionäre, die der UAW-Verhandlungskommission angehörten, welche den Ausverkauf von 2015 „ausgehandelt“ hatten, ist seither verurteilt worden oder war in Bestechungsskandale in Höhe von mehreren Millionen Dollar verwickelt. Das trifft auch auf vier Führer der UAW-Tarifkommission bei Fiat-Chrysler zu. Wie man heute weiß, wurde UAW-Vizepräsident Norwood Jewell bestochen, um den unternehmerfreundlichen Abschluss durchzudrücken.

Die Anklagen haben sich nun auf die UAW-Tarifkommission bei General Motors ausgeweitet. Das betrifft auch Michael Grimes, von dem die Bundesanwaltschaft behauptet, dass er fast zwei Millionen Dollar an Schmiergeldern von einem Verkaufsautomatenbetreiber erhalten habe, der Aufträge für die Personalräume bekommen habe. Gegen die UAW-Vizepräsidentin Cindy Estrada, die die Verhandlungen bei GM im Jahr 2015 leitete und heute die Verhandlungen bei Fiat-Chrysler leitet, wird gegenwärtig ermittelt.

Der Korruptionsskandal, der die UAW erfasst hat, entspringt der gesamten wirtschaftsfreundlichen und nationalistischen Grundhaltung der UAW. Seit Jahrzehnten versucht sie, den Arbeitern im Namen der Verteidigung von „amerikanischen Arbeitsplätzen“ Zugeständnisse abzupressen.

Am 21. August schrieb das Branchenblatt Wards Auto, das offenbar befürchtet, dass die UAW einer künftigen Arbeiterrebellion nicht mehr Herr werden könnte: „Der Skandal übt erheblichen Druck auf die UAW-Führung aus und untergräbt sowohl ihre Autorität als auch ihre Glaubwürdigkeit in einem kritischen Moment, in dem sie entscheiden muss, welche Vertragsbedingungen sie akzeptieren und dann an eine skeptische Mitgliedschaft verkaufen soll.“

Der WSWS Autoworker Newsletter fordert die Autoarbeiter auf, mit der UAW-Tarifkommission zu brechen und einen eigenen Verhandlungsausschuss zu wählen, der sich aus vertrauenswürdigen Arbeitern aus allen Werken zusammensetzt. Um geheime Absprachen hinter verschlossenen Türen zu vermeiden, müssen alle Verhandlungen live übertragen werden.

Der Bruch mit der UAW muss Teil eines Kampfs sein, ein Netz von Komitees aufzubauen, die in jeder Fabrik aktiv sind. Sie müssen die Arbeiter im ganzen Land für ihre unabhängigen Forderungen mobilisieren und die Solidarität ihrer Kollegen auf der ganzen Welt gewinnen.

Die Arbeiter sollten Meetings vor Ort und online organisieren, um ihre Forderungen zu formulieren. Die Forderungen sollten davon ausgehen, was die Arbeiter und ihre Familien wirklich brauchen, nicht davon, was die Unternehmen und die UAW für bezahlbar halten. Sie sollten Folgendes beinhalten:

  • Ein Ende aller Werksschließungen und Entlassungen, Wiedereröffnung des Werks in Lordstown (Ohio) und anderer geschlossener Werke, und Wiedereinstellung aller entlassenen und sanktionierten Arbeiter.
  • Abschaffung des Zweistufen-Lohnsystems; alle Arbeiter müssen sofort auf das Spitzenlohnniveau kommen.
  • Alle Leiharbeiter und Teilzeitkräfte werden zu Vollzeitkräften befördert, ohne Verlust der bisherigen Errungenschaften.
  • Eine 40-prozentige Lohnerhöhung und die Wiederherstellung des Inflationsausgleichs! Wiederherstellung der Überstundenzuschläge nach acht Stunden und am Wochenende! Erhöhung der Betriebsrente und der Leistungen der Rentnerkrankenkasse.

- Abschaffung der korporatistischen Gremien der Unternehmer mit den Gewerkschaften! Für eine echte betriebliche Demokratie und für Arbeiterkontrolle über Produktion, Bandgeschwindigkeit und Arbeitssicherheit.

Die Autoarbeiter müssen verhindern, dass die UAW die Verträge über die Frist vom 14. September hinaus verzögert oder einen pseudo „Hollywood-Streik“ ausruft, der die Unternehmen so gut wie gar nicht stört und den Weg für einen weiteren Ausverkauf ebnen wird.

Stattdessen müssen die Arbeiter den Grundsatz „Kein Vertrag, keine Arbeit“ einhalten und einen US-weiten Streik von GM-, Ford- und FCA-Arbeitern vorbereiten, um die gesamte Automobil- und Teileindustrie stillzulegen. Dieser Streik sollte auch auf die gewerkschaftsfreien neuen Werke in den südlichen US-Bundesstaaten ausgedehnt werden und die Arbeiter in Mexiko, Kanada und auf der ganzen Welt für grenzüberschreitende Aktionen gewinnen.

Ein Arbeiter der LKW-Fabrik Warren sagte sarkastisch über die UAW: „Aber natürlich hatte die Korruption keinerlei Auswirkungen auf den Vertrag! Die UAW hat uns doch jahrelang verarscht. Der ganze Haufen der Verhandlungsdelegation sollte zum Teufel gejagt werden. Ich stimme dir zu, dass wir Arbeiter unseren eigenen Verhandlungsausschuss bilden sollten.“

„Wir sollten dafür sorgen, dass Arbeiter die Verhandlungen überwachen“, sagte ein anderer Arbeiter. „Mit der UAW haben wir nichts zu sagen – zu gar nichts. Jedes Mal, wenn wir etwas in Frage stellen, was das Unternehmen tut, sagt die Gewerkschaft: ‚Du hast dafür gestimmt.‘ Aber das Kleingedruckte in den Verträgen, die sie unterschreiben, das kriegen wir nie zu sehen.“

Ein anderer sagte: „Sicherheit ist das wichtigste Thema. Hier kommt es zu Verletzungen und übermäßigen Arbeitszeiten. Es ist laut und die Luft ist schlecht. Die Kontrollbehörden zwingen das Unternehmen nicht, die Sicherheitsstandards einzuhalten, und die Gewerkschaft ändert immer wieder den Vertrag, damit der Vorstand mit allem durchkommt. Anstatt uns zu beschützen, ist der UAW auf der Seite des Konzerns.“

Karen, eine erfahrene Arbeiterin in Sterling Heights, sagte: „Die UAW hält alles streng geheim. Sie sagen uns nichts.“ Sie stimmte zu, den UAW-Verhandlungsausschuss durch einen Arbeiterausschuss zu ersetzen. „Das muss von uns, den Arbeitern, kommen. Die UAW kämpfen nicht für uns, sie arbeiten für das Unternehmen. Die Arbeiter reden aber, und wir wissen, was hier wirklich vor sich geht.“

Ein anderer Arbeiter sagte: „Gewerkschaftsfunktionäre, denen zu Ohren kommt, dass Bundesbehörden gegen sie ermitteln, sind plötzlich weg vom Fenster. Sie ziehen sich zurück und kassieren eine hohe Rente. Warum sollen wir das bezahlen? Das ist meine Forderung: Keine Rente für die Leute, die uns bestohlen haben.“

Im vergangenen Monat warnte das Wall Street Journal, dass die „große unbekannte Karte“ dieser Gesprächsrunde die Tatsache sei, dass fast 42% der gewerkschaftlich organisierten Belegschaft der drei großen Autokonzerne im Raum Detroit noch nie eine Arbeitsniederlegung im US-Autosektor miterlebt hätten. „Die Verhandlungsführer der Konzerne befürchten, dass diese Arbeitergruppe eine größere Herausforderung in Bezug auf die Vorhersehbarkeit darstellen wird, da sie noch kaum je in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu kämpfen hatte.“

In der Zeit von 2007 bis 2015 hat die UAW mit ihren Absprachen dafür gesorgt, dass die Gesamtarbeitskosten bei Fiat-Chrysler von 76 Dollar auf 47 Dollar pro Stunde, bei GM von 73 Dollar auf 55 Dollar und bei Ford von 70 Dollar auf 57 Dollar abgesenkt wurden. Neueingestellte Arbeiter, Leiharbeiter und Zeitarbeiter, von denen einige nur 13 Dollar die Stunde verdienen, produzieren im Montagewerk Jefferson in Detroit alle 47 Sekunden einen Jeep Cherokee oder 10.000 Dollar pro Minute. Gleichzeitig stagnieren die Löhne der sogenannten Legacy-Arbeiter, die über 30 Dollar pro Stunde verdienen, während die Werksleitung sich mit Unterstützung der UAW bemüht, sie loszuwerden und durch Niedriglohn-Arbeiter zu ersetzen.

„Wir wollen ein Ende der Lohnunterschiede und gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, sagte ein Arbeiter der LKW-Fabrik Warren. „In den letzten 16 Jahren haben wir mit allen vier Verträgen nur Verluste gehabt. Jetzt will die GM-Führung Chrysler folgen und mehr Zeitarbeiter und Leiharbeiter einstellen. Diese jungen Arbeiter bauen hochtechnische Fahrzeuge, aber selbst können sie sich nicht einmal einen Gebrauchtwagen leisten. Sie zahlen Gewerkschaftsbeiträge, aber die UAW tut nichts, um sie zu verteidigen. Es ist eine Bezahlung ohne Gegenleistung.“

Dan, ein Arbeiter von Sterling Heights, der bald in Rente geht, sagte: „In den letzten 25 Jahren habe ich für Streik gestimmt – jedes Mal und gegen jeden Vertrag. Die Dinge sind nur immer schlimmer und schlimmer geworden, und da sollen wir noch glauben, dass die Gewerkschaft für uns arbeitet? Nein, sie kämpfen nicht für uns. Sie bitten uns Jahr für Jahr, zu geben und zu geben, und alles, was sie tun, ist nehmen und nehmen.“

Dan erklärte, dass zu seinen wichtigsten Forderungen die Abschaffung des Klassensystems gehöre, auch wenn er selbst sich auf der höchsten Stufe befindet: „Ich mache mir vor allem Sorgen um die neuen, jüngeren Arbeiter. Ein Job hier bedeutete früher eine angemessene Bezahlung, genug um zu leben. Jetzt kommt man kaum noch zurecht. Das abgestufte System spaltet die Arbeiter, schlicht und einfach. Ich hoffe, die jüngeren Arbeiter wehren sich. Ich würde sie unterstützen.“

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