Vertreter von CDU, FDP und SPD stimmen für faschistische NPD

Die Wahl des stellvertretenden hessischen NPD-Landesvorsitzenden, Stefan Jagsch, zum Ortsvorsteher in der Wetterau-Gemeinde Altenstadt, wirft ein Schlaglicht auf die scharfe Rechtswende der herrschenden Klasse in Deutschland. Am Wochenende wurde bekannt, dass am Donnerstagabend alle sieben anwesenden Mitglieder des Ortsbeirats Altenstadt-Waldsiedlung – darunter Vertreter von CDU, FDP und SPD – für den rechtsextremen Politiker gestimmt hatten.

Nach seiner Wahl jubelte Jagsch auf Facebook: „Soeben wurde ich einstimmig von den Vertretern des Ortsbeirates Altenstadt-Waldsiedlung zum Ortsvorsteher gewählt. Selbstverständlich werde ich mich für die Interessen unseres Ortsteils einsetzen und weiterhin konstruktiv und parteiübergreifend mit allen zusammenarbeiten. Aus dem Volk – für das Volk!“

Jagsch ist ein bekennender Nationalsozialist. Am 17. August, dem Todestag von Rudolf Hess, gedachte er dem früheren Hitler-Stellvertreter. Auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte Jagsch ein Bild des mittlerweile abgerissenen Kriegsverbrechergefängnisses Spandau, in dem Hess nach seiner Verurteilung in den Nürnberger Prozessen von 1946 bis zu seinem Selbstmord 1987 einsaß. Der Post war mit den Worten versehen: „Tatort Spandau: Wir vergessen nicht!“ Und: „Ewig lebt der Toten Tatenruhm!“

Jagschs Hetztiraden stehen wie die Programmatik seiner Partei in der Tradition der NSDAP. Auf Facebook fordert er unter anderem „Artenschutz auch für Deutsche“ und erklärt, dass „Migration tötet“. Noch im Vorfeld der Bundestagswahlen 2013 schloss Jagsch eine Koalition mit den etablierten Parteien aus, „da sie mit ihrem Verhalten den Volkstod fördern und teilweise auch noch öffentlich propagieren“ würden.

Heute hat Jagsch unter den etablierten Parteien starke Fürsprecher. Unisono rechtfertigten die lokalen Parteivertreter ihr Vorgehen.

In der Hessenschau erklärt der CDU-Mann Norbert Szilasko: „Wir sind völlig unabhängig im Ortsbeirat. Wir sind da für die Bürger dieses Ortsteils… Wir sind ein gutes Team. Wir sind für die Bürger da und sonst für niemanden.“ Da es „keinen anderen“ gebe, „vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computer auskennt, der Mails verschicken kann“, habe man sich für Jagsch entschieden. Was er in „der Partei“ mache „oder privat“, sei allein sein Ding. Im Ortsbeirat verhalte er sich „absolut kollegial und ruhig“.

Auch die örtliche SPD rechtfertigte die Wahl des Rechtsextremisten. Es habe sich kein anderer Kandidat gefunden. „In dieses Vakuum stieß der NPD-Funktionär. In Ermangelung einer Alternative, wie mir Sitzungsteilnehmer berichteten, wählten alle anderen Vertreter der anderen Parteien ihn zum Vorsteher“, erklärte der Vorsitzende der Altenstädter SPD, Markus Brando.

Die Parteiführungen auf Landes- und Bundesebene reagierten auf die Wahl des hochrangigen NPD-Funktionärs und das Verhalten ihrer Ortsgruppen mit geheucheltem Entsetzen und forderten eine „Korrektur“.

So mahnte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer im ARD-Sommerinterview: „Ziel ist es, so schnell wie möglich eine Abwahl des jetzt Gewählten zu beantragen und durchzuführen.“ CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak verlangte in der Bild-Zeitung ebenfalls, dass die Entscheidung „korrigiert wird“. Der Vorgang in der Wetterau sei eine „Schande“, und der zuständige Kreisverband werde sich über „weitere notwendige Maßnahmen“ gegen die an der Abstimmung beteiligten CDU-Politiker beraten.

Ähnlich äußerte sich die SPD-Führung. Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte auf Twitter: „Die Entscheidung in Altenstadt ist unfassbar und mit nichts zu rechtfertigen. Sie muss sofort rückgängig gemacht werden.“ Die SPD habe „eine ganz klare Haltung: Wir kooperieren nicht mit Nazis! Niemals!“ Das gelte „im Bund, im Land, in den Kommunen“. Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Kandidat für den SPD-Parteivorsitz, Ralf Stegner, mahnte: „Das beschädigt das Ansehen der Sozialdemokratie!“ Die Wahl des NPD-Politikers sei „unerträglich und komplett inakzeptabel“.

Tatsächlich ist die „Kooperation“ mit Jagsch kein Ausrutscher. Die Führungsspitzen von CDU und SPD sind vor allem deshalb alarmiert, weil die Wahl des NPD-Politikers sichtbar gemacht hat, wie weit rechts die herrschende Klasse 80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder steht. Während Faschismus und Militarismus in der Bevölkerung zutiefst verhasst sind, haben Vertreter von Regierungs- und Oppositionsparteien kein Problem damit, für einen Nazipolitiker zu stimmen und eng mit ihm zusammenzuarbeiten.

Die Ereignisse von Altenstadt enthüllen dabei, was unter der Oberfläche auch auf Bundesebene an der Tagesordnung ist. Die Große Koalition aus CDU und SPD hat die rechtsextreme AfD, die über enge Verbindungen zur NPD verfügt, nach den Bundestagswahlen 2017 nicht nur zur offiziellen Oppositionsführerin im Bundestag gemacht, sondern systematisch in die parlamentarische Arbeit eingebunden. Seitdem hofieren die etablierten Parteien immer offener die extreme Rechte, um ihre Politik des Militarismus, der Staatsaufrüstung und des Sozialabbaus durchzusetzen.

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in seiner Rede zum 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs in Warschau am 1. September die Vernichtung der Juden mit keinem Wort erwähnte, kommentierten wir:

„Vor allem […] ist Steinmeiers Schweigen über den Holocaust ein Zugeständnis an die rechtsextreme Alternative für Deutschland. Diese wird von der herrschenden Klasse im Rahmen ihrer Rückkehr zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik systematisch aufgebaut und gefördert. Am selben Tag, an dem Steinmeier seine Rede in Warschau hielt, wurde die AfD in zwei deutschen Bundesländern – in Sachsen und in Brandenburg – mit jeweils rund einem Viertel der Wählerstimmen zur zweitstärksten Partei gewählt.“

Seitdem überschlagen sich führende Politiker regelrecht mit Avancen an die AfD und verlangen, deren rechtsradikale und rassistische Positionen nicht länger „auszugrenzen“ und zu „denunzieren“.

Vergangene Woche mahnte etwa der FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse „offener mit Wählern der AfD um[zu]gehen“. Man müsse „mehr argumentieren, statt zu denunzieren und eine konstruktive Auseinandersetzung führen“. Die „Politik der radikalen Abgrenzung“ habe „nicht geholfen – im Gegenteil. Sie hat eher geschadet“. Es werde „nicht ausreichen, die AfD nur auszugrenzen und zu denunzieren“ und alles immer automatisch nur als rechtsradikal zu brandmarken, „was einem nicht gefällt“.

Ähnlich äußerten sich Vertreter der anderen Parteien, bis hin zur Linken.

Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland beklagte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht den Umgang ihrer Partei „mit AfD-Wählern, die gern pauschal als Rassisten beschimpft werden“. Wenn man „wieder mehr Zuspruch“ haben möchte, müsse man sich „ändern“.

Damit meint sie das Bekenntnis zu einem offen rechten Programm. Es gehe „nicht nur um unsere Haltung zur Migration“. Auch „Heimat“ und „Familie“ seien „für die meisten Menschen … etwas sehr Wichtiges“. Und beim „Thema Sicherheit“ gehe es „um soziale Sicherheit, aber auch um den Schutz vor Kriminalität“.

Besonders deutlich zeigt sich der scharfe Rechtsruck der gesamten herrschenden Klasse, die in der Wahl von Jagsch ihren Ausdruck fand, auch im Fall des rechtsextremen Humboldt-Professors Jörg Baberowski. Obwohl dieser für seine Verharmlosung des Nationalsozialismus („Hitler war nicht grausam“) und seine Flüchtlingshetze schon lange von der NPD gefeiert wird, hat sich jüngst auch die Bundesregierung in einem offiziellen Statement hinter den Professor gestellt, das jede Kritik an seinen Positionen zum Angriff auf die „Freiheit der Wissenschaft“ erklärt. Mit dem gleichen absurden Argument wird Baberowski von den Rechtsradikalen verteidigt.

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