Hessen: Verdi bricht Busfahrerstreik ergebnislos ab

„Entweder – oder! Wir haben den Streik begonnen – jetzt bricht ihn Verdi einfach ab“, so und ähnlich äußern sich zurzeit viele streikende Busfahrer in Hessen. Auf die Nachricht, dass der Streik ergebnislos zu Ende sei, reagieren sie mit Wut und Enttäuschung.

Mit 99,5 Prozent hatten die Verdi-Mitglieder bei den privaten Busbetrieben für einen unbefristeten Erzwingungsstreik gestimmt. Seit dem 19. November läuft der Streik in ganz Hessen, um für 4400 private Busfahrer bessere Löhne und Bedingungen durchzusetzen.

Doch jetzt hat die Dienstleistungsgewerkschaft bekanntgegeben, dass sie sich mit dem Landesverband Hessischer Omnibusbetreiber (LHO) auf eine Schlichtungsverhandlung geeinigt habe, die ab Montag, 2. Dezember, beginnen soll. Den Streik, der seit dem 19. November läuft, will sie am Sonntag ohne jedes Ergebnis abbrechen.

„Uns hat niemand gefragt“, sagen Busfahrer der DB Regio Bus im Frankfurter Westen der World Socialist Web Site (wsws). „Wir haben offenbar nichts dazu zu sagen.“ Einer wirft ein: „Das ist reine Verar[…], Verdi steckt mit den Busunternehmern unter einer Decke.“ Nichts sei erreicht: Die Busfahrer zählen auf: „Wir haben weiter unbezahlte Pausenzeiten, kein Urlaubsgeld, keine Altersabsicherung. Von einem Jobticket ist für uns, die wir die Busse selber fahren, nicht einmal die Rede. Unsere Bedingungen ähneln der modernen Sklaverei!“

Systematisch ist in den letzten zwanzig Jahren der öffentliche Nahverkehr heruntergewirtschaftet worden. In Frankfurt zum Beispiel wurden die Busse komplett privatisiert. Das hat dazu geführt, dass auch Busfahrer, die im Öffentlichen Personennahverkehr fahren, mit ihrer Bezahlung weit unter dem Tarif für kommunale Nahverkehrsbetriebe (TV-N) liegen.

Die Schlichtung kennen sie vom letzten Streik. Vor gut drei Jahren, im Februar 2017, hat Verdi-Sekretär Jochen Koppel in einer ähnlichen Schlichtung den heutigen Löhnen von 13,50 Euro zugestimmt. Nicht nur der Gewerkschaftssekretär ist derselbe, auch der Schlichter ist derselbe, der auch heute wieder bestellt wurde: Volker Sparmann, langjähriger Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds GmbH (RMV) und heute „Mobilitätsbeauftragter“ der Landesregierung. Er ist ein enger Mitarbeiter des Grünen Verkehrsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten, Tarek Al-Wazir.

Damals, im Februar 2017, vertrat Sparmann die Interessen des Verkehrsministers und der Busunternehmer, also die Unternehmerseite. Heute ist er der einzige, auch von Verdi berufene Schlichter. Verdi nimmt sich nicht einmal mehr die Mühe, die Form zu wahren und eine eigene Person zu berufen, um offiziell die Seite der Busfahrer zu vertreten.

Schon damals warnte die World Socialist Web Site, für die Busfahrer sei das Hauptproblem „die Gewerkschaft Verdi und die Parteien, mit denen sie eng verbunden ist – die SPD, die Linke und die Grünen. Die Verwandlung des öffentlichen Diensts in einen Niedriglohnsektor wäre ohne ihre tatkräftige Unterstützung nicht möglich gewesen. Und jetzt sehen sie ihre Aufgabe darin, jeden Widerstand dagegen aufzufangen, zu isolieren und abzuwürgen … Der Streik ist zur Niederlage verurteilt, wenn er unter der Kontrolle von Verdi bleibt.“

Die Kollegen am Streikposten zeigen sich die Einsatzpläne für die nächste Woche, die gerade angekommen sind: Mehrere von ihnen sind vier Tage hintereinander für Schichten eingeteilt, die von frühmorgens 6 Uhr bis um 17 oder 18 Uhr dauern. „Bei der Bezahlung werden uns die so genannten Pausenzeiten abgezogen, das ist ein Witz“, erklärt ein Fahrer. „Bezahlt bekommen wir dafür gerade mal neun Stunden.“

Dabei ist der Busfahrerberuf extrem belastend und verantwortungsvoll. Die Fahrer berichten von einem schweren Unfall, der sich vor einer Woche vor dem Wiesbadener Hauptbahnhof ereignet hat. Dort wird ein Teil der kommunalen Busbetriebe offenbar nicht bestreikt. Bisher gibt es keine offizielle Erklärung, warum ein Gelenkbus dort außer Kontrolle geriet. Der Bus raste quer über zwei Fahrbahnen und donnerte mit großer Wucht in die Haltestelle gegenüber. Ein Mann wurde getötet und 23 verletzt.

„Wir wissen nicht, was genau passiert ist“, so die Busfahrer. „Offenbar wird vieles unterm Deckel gehalten. Aber der Fahrer war schon 65 Jahre alt und stand kurz vor der Rente. Der große Personalmangel ist ja bekannt: Wir können uns kaum je wirklich ausruhen. Oft werden nicht einmal die vorgeschriebenen elf Stunden Pausenzeit zwischen zwei Schichten eingehalten.“

Immer wieder hört man von den Busfahrern: „Wir können von unserem Gehalt nicht leben, schon gar nicht in einer Stadt wie Frankfurt am Main.“ Das sagen auch Kollegen am Depot von In-der-City-Bus GmbH (ICB), die der Frankfurter Holding gehört. Sie haben große Opfer für den Arbeitskampf gebracht.

Als Streikgeld erhalten Verdi-Mitglieder pro Tag den doppelten Monatsbeitrag, das sind zwischen 40 und 50 Euro, je nachdem, wie hoch ihre Löhne und Gewerkschaftsbeiträge sind. Nicht-Gewerkschaftsmitglieder erhalten offenbar gar nichts. Alle sagen, dass sie für den Streik hohe finanzielle Verluste einstecken müssen.

Dennoch sind die Busfahrer bereit, mit dem Streik für eine wirkliche Änderung zu kämpfen. Und ihr Arbeitskampf genießt große Unterstützung in der arbeitenden Bevölkerung. Das versucht Verdi nun herunterzuspielen. Vor der ICB argumentierte ein Streikführer von Verdi, es sei ja erwiesen, dass man nur zwei Wochen lang Unterstützung in der Bevölkerung habe. Danach nehme die gute Resonanz rapide ab.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Letzte Woche hatten sich in Darmstadt die Straßenbahnfahrer einen Tag lang dem Streik angeschlossen und die eigene Kampfbereitschaft demonstriert. Tatsächlich brodelt es im ganzen öffentlichen Dienst, und auch Müllmänner, Eisenbahner, Krankenschwestern, Altenpfleger, Flughafenbeschäftigte etc. sind streikbereit.

Als dies in der Diskussion zur Sprache kam, räumte der Streikführer, selbst ein Busfahrer, schnell ein, dass Verdi tatsächlich keinen Finger gerührt habe, um den Kampf auszuweiten und breitere Bevölkerungsschichten einzubeziehen. „Sie haben diesmal nicht einmal Flugblätter gedruckt, um unsern Standpunkt bekannt zu machen.“

Noch sind die Depots der Busbetriebe lahmgelegt. Doch schon am Montag schickt Verdi die Streikenden wieder an die Arbeit zurück, ohne dass bisher das Geringste erreicht wurde. Kein Wunder, dass mehrere Kollegen jetzt sagen, sie seien drauf und dran, aus der Gewerkschaft auszutreten und ihre Mitgliedsausweise zu zerreißen.

Aber was ist die Perspektive?

Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei schlagen vor, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, um den Streik aus der Hand der Gewerkschaften zu nehmen und Deutschland- und Europa-weit auf alle Kollegen auszudehnen. Dieser Kampf braucht eine sozialistische Perspektive.

Um dies auch unter Frankfurter und hessischen Busfahrern bekannt zu machen, hat eine Gruppe von Busfahrern der Berliner Verkehrs-Gesellschaft (BVG) einen Solidaritätsbrief geschrieben. Darin erklären sie: „Wir Busfahrer aus Berlin unterstützen Euren Streik und erklären hiermit unsere Solidarität mit Euch. Auch wir hier in Berlin sind mit extremer Arbeitshetze und miserablen Löhnen konfrontiert, die uns von der BVG-Spitze, den Vertretern des Landes Berlin und dem Kommunalen Arbeitgeberverband in Abstimmung mit den Verdi-Vertretern diktiert wurden.“

Dann stellen sie fest: „Verdi ist nicht unser Interessenvertreter, sondern ein Parasit, der von unseren Sorgen und Nöten lebt… Verdi behauptet im Chor mit der Arbeitgeberseite, dass nicht genug Geld zur Verfügung stünde, um den Verkehrsmitarbeitern einen anständigen Lohn und einen erschwinglichen Verkehr für die Allgemeinheit zu gewährleisten… Und jetzt – würgt Verdi den Streik ab!“

Sie fordern die hessischen Busfahrer auf: „Nehmt Verdi den Streik aus der Hand! Gründet gewerkschaftsunabhängige Aktionskomitees und wendet euch an die Hunderttausenden Kollegen und Arbeiter in der Bevölkerung! Nehmt Kontakt zu uns und der World Socialist Web Site (wsws) auf, die Euch als einzige politisch unterstützt.“

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