Griechische Polizei schießt mit scharfer Munition auf Flüchtlinge

Die Situation der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenzen hat sich in den letzten beiden Tagen weiter zugespitzt. Mehr als 10.000 Menschen sind im Grenzgebiet gefangen und können weder vor noch zurück. Griechische Grenzpolizisten und Soldaten setzen scharfe Munition ein, um Flüchtlinge an der Einreise zu hindern. Mindestens sechs Flüchtlinge sind dadurch schwer verletzt worden, ein Syrer wurde gar erschossen.

Der Einsatz scharfer Munition geschieht dabei mit ausdrücklicher Unterstützung der EU. Bei Treffen der EU-Innenminister am Mittwoch in Brüssel sowie der EU-Außenminister am Donnerstag wurde die menschenverachtende Haltung Europas gegenüber dem Elend der Flüchtlinge bekräftigt. In der Erklärung der EU-Innenminister heißt es: „Illegale Grenzübertritte werden nicht geduldet.“ Die EU-Mitgliedsstaaten würden zum „Schutz“ der Grenzen vor Flüchtlingen „alle notwendigen Maßnahmen im Einklang mit EU- und internationalem Recht“ treffen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson ergänzte: „Ich zähle darauf, dass die griechische Regierung dem folgt.“

Griechische Soldaten bedrohen Flüchtlinge in Kastanies nahe der griechisch-türkischen Grenze am 6. März. (AP-Foto/Giannis Papanikos)

Die EU fordert die griechische Regierung geradezu auf, die Flüchtlinge mit aller Gewalt zurückzudrängen. Und diese setzt diese Aufforderung in die Tat um, indem sie Grenzpolizisten und Grenzsoldaten gezielt auf Flüchtlinge schießen lässt.

Die Regierung in Athen weist zwar die Berichte über den Einsatz scharfer Munition an der Grenze als „Falschmeldungen“ zurück, doch die Videos, die im Internet kursieren, werden von Journalisten inzwischen als echt und authentisch eingestuft. Der Reporter Mark Stone vom britischen Sender Sky News bestätigte ein Video, das zeigt, wie in Decken gehüllte, verletzte Flüchtlinge von der Grenze weggetragen werden. Allein in diesem Fall sind sechs Flüchtlinge durch Schüsse in Brust, Kopf, Beine und Leistenbereich schwer verletzt worden.

Die international renommierte Rechercheagentur Forensic Architecture, die der Londoner Universität angegliedert ist und unter anderem auch den Brand am Londoner Grenfell Tower und die Ermordung von Halit Yozgat in Kassel durch den NSU untersucht hat, bestätigt zudem die Ermordung des Flüchtlings Muhammad Al-Arab. In einem Video ist zu sehen, wie der 22-Jährige aus dem syrischen Aleppo, der am Grenzfluss Evros von Grenzpolizisten mit Gummigeschossen tödlich getroffen wurde, stark am Kopf blutend weggetragen wird. Die griechische Regierung verweigert bislang jede Untersuchung dieser Vorfälle.

Hinzu kommt, dass die griechische Polizei zur Vertreibung der Flüchtlinge an den Grenzübergängen keine „normalen“ Tränengasgranaten benutzt, sondern auf Kartuschen zurückgreift, die mit einer Spitze versehen sind. Ein Foto der Investigativ-Website Bellingcat zeigt, wie ein griechischer Grenzpolizist eine solches Geschoss in sein Tränengasgewehr lädt.

Bellingcat erklärt dazu, dass „normale Tränengasgranaten nur eine begrenzte Reichweite haben“. Die Geschosse, die jedoch von der griechischen Polizei an der Grenze eingesetzt werden, haben „deutlich mehr Wucht“ und sind in Verbindung mit der scharfen Spitze „potentiell tödlich“. Nahezu baugleiche Tränengaskartuschen seien, so Bellingcat, auch bei den letzten Protesten und Unruhen im Irak gegen Demonstranten eingesetzt worden und hätten Dutzende verletzt oder gar getötet.

Doch nicht nur an der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei nimmt die Gewalt gegen Flüchtlinge drastisch zu, auch in der Ägäis werden Flüchtlinge brutal an der Anlandung an einer griechischen Insel gehindert.

Die Flüchtlingshilfe-Initiative Alarmphone, an die sich Flüchtlinge im Mittelmeer wenden können, die in Seenot geraten sind, berichtet von mehreren Fällen, die sich zwischen dem 1. und 3. März ereignet haben, in denen Flüchtlingsboote beschossen oder von Maskierten überfallen und ausgeraubt wurden. Dabei seien teils die Motoren gestohlen worden, wodurch die Flüchtlinge hilflos im Meer trieben. Einsatzkräfte der EU-Grenzschutzagentur Frontex und der griechischen Küstenwache hätten nicht eingegriffen, obwohl sie in unmittelbar Nähe kreuzten.

Die deutsche Flüchtlingshilfsorganisation Pro-Asyl, die zuletzt von Schüssen an der ungarischen Grenze berichtet hat, kritisierte den Einsatz von Gummigeschossen und scharfer Munition an der griechisch-türkischen Grenze in aller Schärfe. „Jetzt gibt’s etliche Berichte, dass auch an der griechischen Grenze auf Geflüchtete geschossen wird. Der Schießbefehl ist europäische Realität. Nur vier Jahre nach den AfD-Forderungen.“ Pro-Asyl nimmt hier Bezug auf Äußerungen der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry, die 2016 erklärt hatte, bei illegalen Grenzübertritten müsse die Bundespolizei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“.

Im Unterschied zu 2016 ist der Schießbefehl an den europäischen Grenzen aber mittlerweile offizielle deutsche Regierungspolitik. Außenminister Heiko Maas unterstützt vorbehaltlos das brutale Vorgehen der griechischen Polizei gegenüber Flüchtlingen. Gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte er: „Wir gehen davon aus, dass das alles verhältnismäßig und auch sehr angemessen geschieht, und wir sind auch bereit, den Griechen in dieser schwierigen Situation zu helfen, auch mit Mitteln, die wir zur Verfügung stellen.“

Die Unterstützung besteht in einer Finanzhilfe der EU in Höhe von 700 Millionen Euro, um die Grenzsicherung gegen Flüchtlinge weiter auszubauen. Ferner werden der griechischen Regierung sieben Schiffe, Flugzeuge, Hubschrauber und Fahrzeuge mit Wärmebildkameras zur Verfügung gestellt. Die Eingreiftruppe der Grenzschutzagentur Frontex wird an die Grenze verlegt.

Heiko Maas, der immer dann die Einhaltung internationalen Rechts einfordert, wenn es deutschen Interessen dient, billigt mit seiner Unterstützung der Maßnahmen der griechischen Regierung zudem auch die völkerrechtswidrige Aussetzung des Asylrechts sowie die von den griechischen Behörden durchgeführten illegalen Abschiebungen von Flüchtlingen.

Die EU-Außenminister erhöhten auf ihrem Treffen am Donnerstagabend im kroatischen Zagreb auf Drängen des deutschen Außenministers den Druck auf die türkische Regierung, das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen einzuhalten. Die EU erwarte, dass sich die Türkei im Gegenzug für finanzielle Unterstützung an diese Erklärung halte und die Unterbringung der Flüchtlinge in der Türkei gewährleiste, sagte Maas.

Diese Haltung ist zynisch und verlogen. Die Türkei hat insgesamt 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und damit mehr als doppelt so viele wie alle Mitgliedsstaaten der EU zusammen. Der schmutzige Deal, den Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühjahr 2016 mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdogan aushandelte, hat zudem keinerlei rechtliche Verbindlichkeit, da es sich nicht um ein anerkanntes Abkommen handelt, sondern nur um eine Absichtserklärung. Die Europäische Union hat die türkische Regierung damit als Handlanger eingespannt, um den weiteren Zuzug von Flüchtlingen in die EU gewaltsam zu unterbinden.

Das Pochen auf die Einhaltung dieses schändlichen Deals beschwört nun eine humanitäre Katastrophe an der türkisch-griechischen und an der syrisch-türkischen Grenze in der Region Idlib herauf, wo Hunderttausende Flüchtlinge festsitzen und in notdürftigen Zelten lagern.

Durch die kompromisslose und gewaltsame Verteidigung der „Festung Europa“ geraten die Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze regelrecht zwischen Hammer und Amboss. Denn während auf der einen Seite die griechische Grenzpolizei die Flüchtlinge als „illegale Einwanderer“ jagt und mit scharfer Munition auf sie schießt, werden sie auf der anderen Seite von Spezialeinheiten der türkischen Polizei daran gehindert, in die Türkei zurückzukehren. Mehr als 10.000 Menschen sind so im Niemandsland gefangen.

Die deutsche Regierung, die die EU-Migrationspolitik maßgeblich bestimmt, hat mit ihrer Weigerung, auch nur ein unbegleitetes Kind aus den katastrophal überfüllten Internierungslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln oder aus dem griechisch-türkischen Grenzgebiet aufzunehmen, zudem klargemacht, dass sie keinen Deut von ihrer harten Haltung abweichen wird. Ein Antrag der Fraktion der Grünen im Bundestag, der die Aufnahme von gerade einmal 5000 unbegleiteten Kindern aus den griechischen Lagern vorsah, wurde von der Großen Koalition zusammen mit den Stimmen der AfD rigoros abgelehnt.

Während die brutale Offensive gegen Flüchtlinge und jeden, der mit Flüchtlingen sympathisiert, von den Regierungen in Berlin und Paris sowie von der EU in Brüssel unterstützt wird, wenden sich immer breitere Teile der Bevölkerung gegen diese menschenverachtende Politik auf dem Rücken schutzloser, hilfesuchender Menschen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap ergab, dass aller Flüchtlingshetze und Propaganda gegen Asylsuchende zum Trotz immer noch die Hälfte der Befragten die bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland und der Türkei befürwortet.

In Athen und Thessaloniki protestierten Tausende gegen die brutalen Angriffe auf Flüchtlinge an der griechischen Grenze und auf den Inseln Lesbos und Chios, wo ein faschistischer Mob unbehelligt von der Polizei Flüchtlinge gejagt und zurück ins Meer gestoßen hat. Die Protestierenden skandierten immer wieder: „Gemeinsam können wir gegen Ausbeutung, Krieg, Nationalismus und Rassismus kämpfen.“

Der Krieg gegen Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen ist die Kehrseite des wachsenden rechtsextremen Terrors gegen Menschen mit Migrations- oder jüdischem Hintergrund, wie zuletzt in Hanau und Halle. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Die herrschende Klasse treibt ihre Politik des Militarismus und Sozialabbaus voran, um ihre Interessen und ihren Reichtum zu verteidigen. Um jede Opposition dagegen zu unterdrücken, setzt sie offen auf Nationalismus und spaltet die Arbeiterklasse nach ethnischer Herkunft. Sie bereitet damit der faschistischen Gewalt und Diktatur nicht nur den Boden, sondern setzt sie bereits in die Tat um.

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