Fiat-Chrysler-Werk Indiana (USA):

Trotz positivem Corona-Befund läuft Betrieb weiter

Das Fiat-Chrysler-Management bestätigte am Donnerstagmorgen, dass ein Mitarbeiter des Kokomo-Getriebewerks im amerikanischen Indiana positiv auf Coronavirus getestet worden war. Obwohl unklar ist, wie viele Kollegen mit dem infizierten Arbeiter in Kontakt gekommen waren, wird die Arbeit in dem Werk mit 4.000 Beschäftigten fortgesetzt.

Einer Pressemitteilung vom Donnerstagmorgen zufolge, befindet sich der Arbeiter mittlerweile in Isolation und wird medizinisch behandelt. „In Übereinstimmung mit den Richtlinien und den firmeneigenen Protokollen“, schrieb die Sprecherin von Fiat Chrysler (FCA), Jodi Tinson, „hat das Unternehmen seine Mitarbeiter und weitere Personen, mit denen er möglicherweise in direkten Kontakt gekommen war, in Quarantäne versetzt.“ Sie fügte hinzu, FCA habe „seinen Arbeitsbereich gründlich gereinigt und desinfiziert und zusätzliche Sanitärmaßnahmen in der gesamten Einrichtung vorgenommen. Die Pausenzeiten wurden neu terminiert, um Gedränge zu vermeiden und eine soziale Distanzierung zu erreichen.“

Die Fiat-Chrysler-Beschäftigten weisen diese Antwort der Unternehmensleitung zurück. „Vor zwei Wochen, als der Arbeiter ansteckend war und das Virus sich ausbreitete, hätten sie das ganze Gelände desinfizieren müssen. Jetzt wird das Aufräumen niemandem mehr helfen“, sagte ein Arbeiter des Kokomo-Werks der World Socialist Web Site. „Sie haben uns nicht informiert, und ich glaube, sie wussten das schon vor Tagen. Für sie war es Business as usual.“

Ein anderer Kokomo-Beschäftigter sagte: „Alles, was sie uns sagen, ist, dass wir die Hände waschen und vorsichtig sein sollen. Sie wollen das Werk nicht stilllegen. Ringsum wird alles geschlossen: das Basketball-Stadion und die Baseball-Austragungen. Aber uns lassen sie weitermalochen. Das ist kriminell. Das Virus ist überall in der Fabrik und breitet sich weiter aus. Da sind 4.000 Menschen, die es hinaus in die Restaurants, Tankstellen und überall hin tragen. Das breitet sich weitherum aus.“

Schichtwechsel am Kokomo-Getriebewerk von FCA, Indiana 2018

Es ist der erste gemeldete Fall, bei dem die Pandemie die Automobilindustrie in den USA erreicht. Fiat Chrysler ließ am Mittwoch vier Werke in Italien vorübergehend schließen, lange nachdem das tödliche Virus schon das ganze Land erfasst und mehr als tausend Menschen getötet hatte. Das medizinische System des Landes ist komplett überlastet, und das ganze Land ist stillgelegt. Erst jetzt hat FCA dort die Produktion vorübergehend stillgelegt – nicht ohne den Investoren schnell zuzusichern, dass die Werke nach zwei oder drei Tagen wieder geöffnet würden und es keine Auswirkungen auf die Gesamtproduktionsraten geben werde.

Fiat Chrysler ist entschlossen, das Werk in Kokomo am Laufen zu halten. In dem großen Werk werden Getriebe für alle Fahrzeuge des Unternehmens hergestellt, einschließlich des hochprofitablen Pickup Ram 1500 und der SUV-Modelle Jeep Grand Cherokee. Eine Schließung hier würde die nordamerikanische Produktion schnell zum Erliegen bringen. FCA beschäftigt in der Gegend von Kokomo 8.000 Arbeiter in vier Werken: Kokomo Getriebe, Kokomo Komponenten, Tipton Getriebe und Indiana Getriebe. Zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung der Stadt sind davon abhängig.

Der Gouverneur von Indiana, Eric Holcomb, kündigte ein landesweites Verbot aller „nicht wesentlichen“ Versammlungen mit mehr als 250 Personen an – eine Anordnung, die allerdings nicht für die Produktion gilt. Ein ähnliches Verbot wurde gestern in Ohio verhängt, nachdem die Regierung des Bundesstaates bekanntgab, dass wahrscheinlich bereits über 100.000 Einwohner des Bundesstaates infiziert seien. Aber die Autofabriken im gesamten Bundesstaat Buckeye, einschließlich des riesigen Toledo Jeep-Werkes, das fast 7.000 Menschen beschäftigt, arbeiten weiterhin mit normaler Kapazität.

Dies bedroht das Leben Tausender Autoarbeiter. „Wir haben die Bestätigung, dass gestern Abend mindestens vier Arbeiter im Werk Tipton mit einem möglichen Coronavirus das Werk verlassen mussten“, sagte ein Arbeiter des FCA-Werks Tipton Transmission, rund 25 Kilometer von Kokomo entfernt, der WSWS. „Unsere Werkskrankenschwester weigert sich, hinter ihren Glastüren hervorzukommen und Arbeiter nach Hause oder in die Notaufnahme zu schicken. Es wird hier nichts getan, um zu verhindern, dass weitere Leute sich anstecken. Daran kann man sehen, was die Gewerkschaft und dieses Unternehmen wirklich von den Beschäftigten halten: Sie scheren sich einen Dreck um uns und unsere Familien.“

Nach Angaben der Gewerkschaft United Auto Workers war der infizierte Arbeiter von Kokomo ein Angestellter und UAW-Mitglied. In einer Erklärung am Donnerstag machte die UAW-Vizepräsidentin Cindy Estrada deutlich, dass die Gewerkschaft weder die Schließung des Werks noch andere ernsthafte Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten fordern werde.

„Wir arbeiten mit FCA an diesem ersten registrierten Fall in einer ihrer Einrichtungen zusammen und bestimmen die Vorkehrungen und Maßnahmen, die zum Schutz unserer UAW- Mitglieder bei FCA und für alle Personen in allen unseren Einrichtungen erforderlich sind.“ Sie fügte hinzu: „Zur Erinnerung: Um unseren Teil bei dieser Pandemie zu leisten, ermutigen wir alle UAW-Mitglieder und andere, sich häufig die Hände zu waschen, häufig Handdesinfektionsmittel zu verwenden, nicht ins Gesicht zu fassen und wenn möglich den Kontakt mit anderen Personen im Umkreis von 2 bis 3 Metern zu vermeiden. Jeder, der Symptome wie hohes Fieber oder trockenen Husten hat oder sonst krank ist, sollte Vorsicht walten lassen und zu Hause bleiben.“

Auf solche Kommentare der UAW reagieren Arbeiter mit Verachtung. „Man kann die Arbeiter am Fließband nicht trennen“ sagte einer. „Die Weltgesundheitsorganisation gibt sechs Fuß [knapp zwei Meter] jedenfalls als Minimum an. Aber die Arbeiterinnen und Arbeiter teilen sich die Cafeterias, Toiletten, Labors, Büros und Ein- und Ausgänge.“

Und weiter: „Bei den vielen Arbeitern und Meistern, die mit anderen in Kontakt kommen, während sie am Platz arbeiten oder im ganzen Werk unterwegs sind, ist es unmöglich, die Menschen zu trennen. Bei der Montage gibt es rotierende Arbeitsplätze von viermal vier Metern, wo die Arbeiter Hand in Hand arbeiten. Meister und Vorarbeiter teilen sich kleine, enge Büros, in denen die Schreibtische dicht an dicht stehen.“

Am selben Donnerstagabend gab der Präsident von UAW International, Rory Gamble, eine weitere Erklärung ab, in der er Estradas Erklärung in leicht abgewandelter Form wiederholte. Er sprach über „aktive Kontrolle und Reaktion auf die Fragen im Zusammenhang mit der Verbreitung von Covid-19“. Seine Hauptsorge galt jedoch nicht den einfachen Arbeitern, sondern den Gewerkschaftsfunktionären.

„Als besondere Vorsichtsmaßnahme“, so Gamble, „haben wir einige Funktionäre, die in Kokomo waren, gebeten, von zu Hause aus zu arbeiten und unter Quarantäne zu bleiben. Keiner unserer Mitarbeiter des Solidaritätshauses war direkt exponiert, aber einige waren möglicherweise in Kontakt mit Kollegen. Keiner unserer Mitarbeiter des Solidaritätshauses weist Symptome auf, die mit dem Coronavirus in Verbindung stehen.“ [Das „Solidaritätshaus“ ist die örtliche Gewerkschaftszentrale.] Er konnte seine Verachtung für die einfachen Arbeiter nicht verhehlen, als er schloss: „Zweifellos werden mehr Mitglieder und Kollegen davon betroffen sein“, und vor der „Verbreitung von Gerüchten“ warnte, einen Terminus, der sich darauf bezog, dass Arbeiter miteinander sprechen und gemeinsam Maßnahmen zum Schutz ihres Lebens ergreifen.

Aber genau das müssen die Arbeiter jetzt tun. Im Gegensatz zur UAW, die von den Bundesrichtern als ein von der FCA kontrolliertes Unternehmen bezeichnet wurde, weil sie Bestechungsgelder angenommen hat, müssen Arbeiterinnen und Arbeiter Aktionskomitees gründen und die sofortige Schließung aller Arbeitsplätze mit vollem Lohnausgleich für die verlorene Zeit fordern. Gleichzeitig müssen die Beschäftigten fordern, dass die fortschrittlichste medizinische Versorgung für alle, unabhängig von Einkommen oder Versicherungsschutz, zur Verfügung gestellt wird, und dass alle Zuzahlungen, Prämien und sonstigen Kosten gestrichen werden.

Nicht medizinischen Experten haben entschieden, die Fabriken offen zu halten, sondern das haben die Konzernmanager mit dem alleinige Ziel getan, die Aktionärsprofite zu steigern, unabhängig davon, wie viele Autoarbeiter sterben werden.

In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, was ein anderer Automanager einst sagte. Im Jahr 2005 sagte Steve Miller (Ford, Chrysler und Delphi): „In früheren Zeiten, als man bis zum Alter von 65 Jahren für ein- und denselben Arbeitgeber arbeitete und dann, im Alter von 70 Jahren, verstarb, und als die Gesundheitsfürsorge noch einfach und kostengünstig war, damals machte der Sozialvertrag über die Leistungsprogramme [betriebliche Renten und Krankenkassen] vielleicht noch einen gewissen wirtschaftlichen Sinn.“ Die Menschen „leben heutzutage einfach länger“, klagte er, und „die medizinische Wissenschaft erweitert rasch die Möglichkeiten, riesige Geldsummen auszugeben, um die Leute jahrzehntelang am Leben zu erhalten. Das ist natürlich eine gute Sache. Aber die Frage lautet: Können wir uns das leisten?“

Zweifellos betrachten die Vorstandsetagen den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie als eine Chance, um eine große Zahl von „Altarbeitern“ zu entlassen, deren Renten und Krankenleistungen sie als inakzeptable Verminderung ihrer Gewinne betrachten. Dies gilt auch für die UAW. Sie kontrolliert einen mehrere Milliarden Dollar schweren Trust für die Gesundheitsversorgung der Rentner. Je schneller Autoarbeiter sterben, desto mehr bleibt für die korrupten UAW-Funktionäre übrig.

„Für sie steht das Produkt vor Gesundheit und Sicherheit“, sagte ein junger Arbeiter im FCA-Montagewerk Sterling Heights bei Detroit der WSWS. „Als wären wir Bürger zweiter Klasse. Die UAW informiert uns zu wenig, und sie nutzt unsere Unwissenheit aus.“

Ein älterer Kokomo-Mitarbeiter wies auf die allgemeineren Probleme hin und sagte: „Es spricht Bände darüber, wie fragil und schlecht vorbereitet das System ist, jede natürliche oder unnatürliche Katastrophe zu bekämpfen. Kurz gesagt, unsere Regierungschefs fördern und profitieren von einem kapitalistischen System, das für die Massen katastrophal ist.“

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