Berlin: Schulöffnung riskiert Gesundheit und Leben von Lehrern, Schülern und ihren Angehörigen

Am Mittwoch beschlossen Bundes- und Landesregierungen die schrittweise „Lockerung“ der Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. „Wir müssen mit der Pandemie leben lernen.“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dazu gehöre auch die sukzessive Öffnung der Schulen, die ab 4. Mai den Betrieb nach und nach wieder aufnehmen sollen.

Kurz nach Merkels Pressekonferenz wurde bekannt, dass die schrittweise Öffnung der Schulen tatsächlich bereits am kommenden Montag, dem 20. April, beginnt. Bundesweit müssen die Abiturienten ab der nächsten Woche zu ihren Prüfungen antreten. Die Schüler der zehnten Klassen müssen ab dem 27. April in die Schulen. Ab dem 4. Mai müssen die Sechstklässler zurückkehren.

Gleichzeitig bleiben die Abstands- und Hygieneregeln sowie das allgemeine Kontaktverbot in Kraft. Die Jugendlichen, die also im privaten Raum maximal zu zweit oder nur im Rahmen ihrer Familie unterwegs sein dürfen, müssen in Schulen zurück, die schon vor der Corona-Krise wegen ihrer Baufälligkeit, der Verkeimung ihrer Sanitäranlagen und fehlenden Hygieneartikeln und Warmwasser in harsche Kritik geraten waren.

Während die Landesregierung Nordrhein-Westfalens mit ihrem Regierungschef Armin Laschet (CDU) und der Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) in den Social Media für ihre rücksichtslose Politik gegen die Schüler bereits massiv in die Kritik geraten sind, bildet sich auch in Berlin Widerstand gegen die Öffnungspolitik des Senats.

Februar 2019: Berliner Lehrer und Erzieher streiken gegen die katastrophalen Zustände an Schulen (Foto: WSWS)

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die ihre unsoziale Haltung gegen die arbeitende Bevölkerung und ihre Kinder schon mit dem viel zu späten Schließen von Schulen und Kitas unter Beweis gestellt hatte, hat bereits vor Tagen vorgeschlagen, die Schulen schnell wieder zu öffnen.

Dabei ist noch nicht einmal klar, ob Lehrkräfte und Schüler mit Schutzmasken ausgestattet sein werden. Wird eine Testpflicht eingeführt, um infizierte Schüler oder Lehrer zu identifizieren? Was passiert mit vorerkrankten Schülern und Jugendlichen aus Haushalten mit vorerkrankten Familienteilen, die zu den Risikogruppen gehören? Dürfen sie wirklich zu Hause bleiben, und was passiert mit ihren Abschlussnoten?

Was ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die die Schüler benutzen müssen? Bus und Bahn sind selbst Virenschleudern. Nicht zuletzt stellt sich den Jugendlichen die Frage, wie der seit Wochen enorme psychologische Druck, der auf ihnen lastet, bei der Beurteilung der Prüfungsleistungen berücksichtigt wird.

Das Niveau der Schutzstandards, die Scheeres vorschweben, ist an ihrer Zusicherung erkennbar, dass es – jetzt – überall Seife geben solle!

Ebenso wie die Linkspartei, die SPD und die Grünen in Bund und Ländern allen Rettungspaketen für die Finanzelite und Konzerne zustimmten, steuern sie nun rücksichtslos auf eine sukzessive Aufhebung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu.

Die Bevölkerung soll an den Gedanken gewöhnt werden, dass die Pandemie ein „Normalzustand“ und die Infizierung mit und das Sterben an Covid-19 „unvermeidbar“ seien. So erklärte die NRW-Schulministerin Gebauer zynisch: „Es wird … Schulgemeinschaften geben, die den Tod von Lehrkräften, Schulleitungen oder Familienangehörigen zu beklagen haben, die das schulische Leben und den schulischen Alltag mitunter nachhaltig beeinflussen können.“ Arbeiter und Jugendliche haben dies nach Meinung der Regierenden gefälligst hinzunehmen.

Wie die Sozialistische Gleichheitspartei in einer Erklärung vom 13. April schreibt, steht hinter diesen Bestrebungen eine „bösartige Klassenlogik“: „Die Arbeiter werden als eine Art Wegwerfprodukt behandelt. Ihr Tod gilt als normaler Begleitumstand der Erwirtschaftung von Profit. Wer dem Virus erliegt, kann ersetzt werden.“

Die Ignoranz und der Zynismus der politisch Verantwortlichen treffen in wachsendem Maße auf Widerstand in breiten Teilen der Bevölkerung.

So postet Kristine, eine Krankenschwester, auf Twitter wütend und fassungslos: „Also schicke ich meine drei Kinder zurück auf 3 verschiedene Schulen mit insgesamt tausenden anderen Schülern zusammen? Dann fahre ich ins Krankenhaus zur Arbeit und anschließend zu den insgesamt sieben älteren Menschen, die noch mitbetreut werden müssen. Genial.“

Viele erklären, wie Noel, nicht in die Schule gehen zu wollen, bis sich die Lage gebessert habe: „Ich will nicht Schuld sein, dass meine vorerkrankte Mutter bald in der Intensiv liegt.“

Sherly sagt: „Mein geliebter Vater arbeitet im Krankenhaus und beatmet, selbst als Risikopatient, täglich stundenlang Covid-19-Patienten unter strengen Vorsichtsmaßnahmen. Und ich soll es dann, wenn ich von der Schule komme, mit nach Hause schleppen? Nein danke.“

Eine andere Schülerin twittert: „Ich finde das alles so dumm. Wir sind wie Testobjekte. Klar, Bildung ist kostbar. Aber Menschenleben sind unbezahlbar.“

Ein Vater schreibt, er werde nicht seine Tochter in die Schule schicken, sondern wolle selbst am Montagfrüh in der Schule sein, um die Hygieneregeln zu überprüfen.

Stefan Hermanns konstatiert: „Wenn es von den hygienischen Zuständen abhängt, ob die Schulen wieder öffnen, wird es in den nächsten fünf Jahren in Berlin keinen Unterricht geben.“

Unter dem Hashtag #Klagegegenscheeres positioniert sich Sabine R. zur Hygiene in den Berliner Schulen: „Jetzt mal ehrlich, wer von einhaltbaren Hygienestandards an Schulen spricht, der hat lange keine normale Schule mehr von innen gesehen.“

Larissa Selda fragt empört: „Wozu bleibe ich zu Hause, wenn ich mich jetzt sowieso anstecken werde, weil ich raus muss?“ Sie fordert: „Ich will, dass die Gesundheit aller Bürger priorisiert wird und keine Prüfungen, wenn es eine Lösung gibt, die jegliche Neuinfektionen um Längen einschränken wird.“

Der Zusammenhang zwischen den Schulöffnungen und der Klassenfrage ist vielen offensichtlich.

Ein Chris twittert: „Wenn die Politiker ernsthaft die Schulen aufmachen & die Abiturprüfungen schreiben lassen, dann zeigt es einfach sooo krass, dass denen die Wirtschaft wichtiger ist als Menschenleben.“

Simone Buchholz postet: „Keiner weiß, wie die maroden Schulen das Hygienedings stemmen sollen, aber alle wissen, wer es ausbaden wird: Eltern/Mütter.“

Dennis kommentiert: „Vor 14 Tagen: ‚Wir sind nicht relevant & natürlich gehts uns auch um eure Gesundheit, wir machen zu & Kurzarbeit‘. Kaum Lockerungen, heute der Anruf: ‚Ab Montag knallen wir wieder voll zweischichtig los!‘. Ganz ehrlich, wir sind alle nur Marionetten!“

Auch Kurt Meier macht in seinem Tweet auf die Klassenfrage und die seit Jahrzehnten drastische Umverteilung von unten nach oben aufmerksam: „Wofür Schulen in Deutschland ja schon lange bekannt sind: kleine Klassen, gutes Betreuungsverhältnis, Sauberkeit und gute Hygiene, Kontaktlosigkeit, ... ach, das waren ja die Privatschulen, auf denen die Enkel der Leute des #Leopoldina sind.“

Rebel Heart schreibt: „Die Bildung und dass die Wirtschaft läuft ist leider unserer Politik viiiiiel wichtiger als die Gesundheit bzw. Menschenleben.“

Johann van de Bron aus Nordrhein-Westfalen schreibt „Wir haben ja in den letzten Tagen, von Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen, Eltern, Busfahrerinnen, Schülerinnen etc. gehört, dass man in den Schulen keine! Hygienemaßnahmen einhalten kann. Und das ist auch meine Einschätzung. Wenn Laschet eine #schulöffnung beschließt, dann bekommen wir eine unkontrollierte Ansteckung. NRW hat 2,5 Millionen Schülerinnen. Selbst wenn man nur 4-5 Jahrgänge wieder in die Schulen schickt, sind das sicher mehr als eine halbe Million Kinder und Jugendliche in Schulen, auf Schulwegen, auf Pausenhöfen …“

Um Gesundheit und Leben der Schüler und Lehrer zu schützen, muss die Arbeiterklasse den Kampf für ein sozialistisches Programm aufnehmen. Die herrschende Klasse und ihre Handlanger im politischen Establishment stellen die Profitinteressen rücksichtlos gegen die Interessen der Arbeiterklasse. Das hat die Pandemie gnadenlos aufgezeigt.

Loading