Frankreich: Die Lügen der Macron-Regierung im Interesse der Rückkehr zur Arbeit

Die französische Regierung des Präsidenten Emmanuel Macron setzt sich aggressiv für die Rückkehr an die Arbeit ein. Schon am 11. Mai soll die Wirtschaftstätigkeit vollständig wieder aufgenommen werden. Diese Maßnahme wird unmittelbar zu Tausenden zusätzlichen Toten durch das Coronavirus führen.

Die Regierung verlässt sich dabei auf die Gewerkschaften. Sie erwartet, dass diese den weit verbreiteten Widerstand der Arbeiterklasse gegen das Ende der Ausgangsbeschränkungen unterdrücken und die Arbeiter wieder in die Betriebe zurückzwingen werden.

Die Regierung hat mitgeteilt, dass sie Anfang der Woche, vermutlich am Dienstag, weitere Details zur geplanten Abschaffung der Ausgangsbeschränkungen bekanntgeben wird. Am 23.April erklärte Macron in einem Gespräch mit Kommunalpolitikern aus dem ganzen Land, die Wiedereröffnung der Schulen am 11. Mai werde nicht für alle verbindlich, sondern „freiwillig“ sein, d.h. die Eltern könnten ihre Kinder auf Wunsch auch weiterhin zu Hause behalten.

Dies wird jedoch dafür sorgen, dass vor allem Kinder aus der Arbeiterklasse und den ärmsten Teilen der Bevölkerung wieder in die Schule geschickt werden. Diese Schichten haben auch ab dem 11. Mai keine Chance auf Home-Office, noch darauf, ihre Kinder selbst zu unterrichten oder anderweitig beaufsichtigen zu lassen.

Die Regierung macht es sich zynisch zunutze, dass Tausende von Familien bei der Ernährung ihrer Kinder auf die subventionierte Schulspeisung angewiesen sind. Die Familien haben kaum eine andere Wahl, als die Kinder in die Schule zu schicken, wo sie für einen Euro täglich ein Mittagessen erhalten.

Seit einer Woche verstärkt die Regierung ihre Propagandakampagne für eine Wiedereröffnung der Schulen. Macrons Gesundheitsminister, Olivier Véran, gab am Freitag im Morgenprogramm von France Inter ein Interview, an dem das einzig Bemerkenswerte die Anzahl der Lügen war, die er innerhalb von zehn Minuten auftischte.

Obwohl die Wissenschaft bisher die Rolle von Kindern als asymptomatische Überträger des Virus nicht geklärt hat, spielte Véran die potenzielle Auswirkung der Rückkehr zur Schule herunter: „Die Frage besteht, ob Kinder die Krankheit übertragen können oder nicht. Diese Frage wurde seit vielen Wochen häufig gestellt. Es gibt sowohl Argumente dafür wie auch dagegen [Hervorhebung hinzugefügt]. Laut den jüngsten wissenschaftlichen Argumenten, die ich gehört habe, übertragen Kinder unter zehn Jahren das Virus weniger stark als Erwachsene … Deshalb arbeiten wir mit sehr probaten Maßnahmen, die uns einen sicheren Unterricht für die Schüler ermöglichen.“

Als die Journalisten Véran baten, die erwähnten Maßnahmen genauer zu schildern, weigerte er sich und erklärte stattdessen: „Die Kinder müssen wieder in die Schulen … An einem bestimmten Punkt werden sie schrittweise wieder in den Schulalltag zurückkehren müssen.“ Weiter argumentierte er, kleine Kinder seien sehr gut darin, Maßnahmen zur sozialen Distanzierung zu lernen. Er fügte hinzu, die Wiedereröffnung der Schulen sei ohnehin notwendig, um „Ungleichheit zu bekämpfen“. Deshalb sei es die erste Priorität, diejenigen Kinder wieder in die Schule zu bringen, „die in schwierigen Verhältnissen leben oder Probleme zu Hause haben. Wir müssen die Mittel liefern und … die Bedingungen schaffen, unter denen Kinder wieder in die Schule gehen können.“

Véran erklärte, es werde noch viele Monate dauern, bevor ein Impfstoff entwickelt sei und in Massenproduktion gehen könne. „Solange werden wir mit dem Virus leben müssen.“

Mit anderen Worten, das Virus und seine tödlichen Folgen müssen als Teil des Alltagslebens betrachtet werden. Weiter erklärte er, die Aufrechterhaltung der Einschränkungen sei eine „komplizierte Frage. Wir können nicht die Hälfte der Weltbevölkerung für sechs Monate oder ein Jahr einsperren, bis es einen Impfstoff gibt. Und da wir nicht sicher sind, dass die Einschränkungen die Ausbreitung des Virus tatsächlich aufhalten … sind wir verpflichtet, bei jedem Schritt einzuschätzen, was wir tun, um deutlich positive Auswirkungen auf die Gesundheit in Frankreich zu bekommen, ohne zu große Auswirkungen auf der anderen Seite zu haben.“

Zu Beginn des Interviews erklärte Véran noch, er akzeptiere das neue Modell eines Mathematiker-Teams, das letzte Woche veröffentlicht wurde. Laut diesem wurden durch die Ausgangsbeschränkungen mindestens 60.000 Menschenleben gerettet. Später widersprach er dem direkt, indem er erklärte, längere Ausgangsbeschränkungen würden die Ausbreitung des Virus möglicherweise keineswegs aufhalten oder einschränken.

Doch seine Äußerung, der Lockdown habe „zu große Auswirkungen auf die andere Seite“, bedeuten im Klartext, sie würden zwar zehntausende Menschenleben retten, doch dies müsse gegen die potenziellen Schäden für die Profite der französischen Konzerne infolge der Stilllegung der Wirtschaft abgewogen werden.

Vérans Behauptung, die nicht-systemrelevante Produktion könne nicht einfach eingestellt werden, bis ein Impfstoff gefunden sei, basiert ganz einfach auf der Prämisse, dass das kapitalistische Eigentum und die Monopolisierung der gesellschaftlichen Ressourcen durch die Finanzelite nicht angetastet werden dürfen. Die 40 reichsten Personen in Frankreich auf der Forbes-Liste von 2019 besaßen ein Gesamtvermögen von über 288 Milliarden Euro. Das ist zehnmal so viel, wie die Macron-Regierung in den letzten drei Monaten für die Arbeitslosenunterstützung ausgegeben hat.

Véran gab zu, dass die Regierung nicht genau weiß, wie viele Fälle es in Frankreich gibt. Das bedeutet, sie weiß auch nicht, wie schnell sich das Virus ohne die Ausgangsbeschränkungen ausbreiten wird. Er erklärte: „Ich weiß nicht genau, wie viele französische Staatsbürger infiziert sind. Wir haben Modelle und Studien, aber ich habe gelernt, dass man bei diesem Virus äußerst vorsichtig mit Daten umgehen muss, die nicht in Stein gemeißelt sind.“

In der Arbeiterklasse wächst die Wut über die kriminelle Politik der Macron-Regierung. Am Freitag zitierte die Wochenzeitung Le Canard Enchaî aus einem Brief, den Georges-François Leclerc, der Polizeipräfekt von Seine-Saint-Denis im Norden von Paris, am 18. April geschrieben hatte. Darin erklärte er, 15.000 bis 20.000 Arbeiter könnten sich nicht ausreichend mit Nahrung versorgen, weil die Regierung für die Zeit der Ausgangsbeschränkungen keine ausreichende Unterstützung organisiert hat. Am meisten gefährdet seien Kinder und Schüler, die auf Schulprogramme angewiesen sind. Leclerc warnte offen vor Massenunruhen und einer sozialen Explosion: „Was für einen Monat Ausgangsbeschränkungen möglich war, lässt sich nicht für zwei Monate durchhalten.“

Vergangene Woche kam es schon zu Protesten und Unruhen in den verarmten Vororten von Paris und anderen Großstädten gegen Polizeigewalt und soziale Ungleichheit.

Die Macron-Regierung ist auf ihre enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften angewiesen, um den Widerstand in der Arbeiterklasse zu unterdrücken und die Arbeiter wieder in die Betriebe zurückzuzwingen.

Die CGT äußerte zwar hohle Kritik an der Rückkehr zur Arbeit, unterstützt sie jedoch in der Praxis und arbeitet eng mit Macron zusammen. Der Präsident der CGT, Philippe Martinez, erklärte am Freitag in einem Interview mit Sud Radio, seiner Meinung nach sollten die Schulen erst im September geöffnet werden, weil es für Lehrer angesichts der möglichen Verbreitung des Virus nicht sicher sei.

Auf die Frage des Radiomoderators Patrick Roger, ob er die Lehrer zum Widerstand gegen eine Schulöffnung aufrufen werde, antwortete Martinez zynisch: „Nein, nein, ich glaube, ich habe es bereits deutlich erklärt: Wir rufen die Leute auf, zu arbeiten, sofern die Bedingungen sicher sind.“ Die CGT sorgt bereits für die Rückkehr von Autoarbeitern in die Betriebe. Toyota hat am Donnerstag sein Montagewerk in Onnaing wiedereröffnet.

Martinez rief zur weiteren Zusammenarbeit mit Macron auf und erklärte: „Obwohl wir in dieser Zeit etwas mehr Kontakt mit der Regierung hatten, hoffe ich auf jeden Fall, dass die Regierung und der Präsident der Republik nach dieser Krise die Gewerkschaften als nützlich betrachten werden.“

Der Kampf gegen eine Rückkehr an die Arbeit kann nicht mit den Gewerkschaften geführt werden, da sie die Verbündeten der Regierung und der Arbeitgeber gegen die Arbeiterklasse sind. Die Arbeiter brauchen ihre eigenen Organisationen: unabhängige Aktionskomitees, um eine industrielle und politische Offensive gegen jede Rückkehr zur Arbeit in Branchen zu führen, die beim Kampf gegen das Virus nicht lebensnotwendig sind.

Dies muss mit einem sozialistischen Programm verbunden werden. Der Kampf gegen die Pandemie ist auch ein Kampf für eine Arbeiterregierung, für die Enteignung der Kapitalistenklasse und den Einsatz aller Ressourcen der Gesellschaft. Alle Arbeiter müssen angemessene Lebensbedingungen erhalten, und Arbeiter in systemrelevanten Branchen müssen sich auf einen vollständigen Schutz verlassen können.

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