Deutschland und EU weiten Militäreinsatz in Ost- und Westafrika aus

Die Corona-Pandemie wirkt im Wettlauf der Großmächte um die Neuaufteilung Afrikas wie ein Katalysator. Der deutsche Imperialismus betrachtet die Krise als Chance, seine weltweiten geopolitischen Interessen mit Waffengewalt durchzusetzen. In den letzten Tagen beschloss der Bundestag die Ausweitung, bzw. Verlängerung zweier Militäreinsätze. Betroffen sind neben Libyen, Mali und Somalia künftig auch Mauretanien, Burkina Faso, der Tschad und Niger.

Sahel-Region

Am Freitag gab der Bundestag mit großer Mehrheit den Startschuss für eine massive Eskalation des deutschen Militäreinsatzes in der westafrikanischen Sahel-Region. Die Stationierung von 1100 Bundeswehrsoldaten in Mali unter dem Dach der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen (UN) wurde verlängert. Gleichzeitig wird die Ausbildung afrikanischer Stellvertretertruppen ausgeweitet.

Malische Soldaten in Bamako

Der Bundestagsbeschluss sieht vor, das seit sieben Jahren andauernde EU-Programm EUTM bis Mai 2024 zu verlängern und auf die gesamte Sahel-Region auszuweiten. Damit werden europäische Soldaten künftig auch die Streitkräfte der pro-westlichen Regimes in Burkina Faso, Mauretanien, Niger und dem Tschad ausbilden. Der Europäische Rat hatte bereits vor einer Woche ein entsprechendes Mandat geschaffen.

In Mali hat die bewaffnete „Ausbildungsmission“ EUTM bislang ein Heer von 20.000 Regierungstruppen aufgestellt. Lorenz Hemicker – seines Zeichens politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – hält die bisherigen Ergebnisse in einem aktuellen Leitartikel jedoch für ungenügend. Die malischen Streitkräfte seien noch nicht zu einer „eigenständigen Aufstandsbekämpfung“ imstande, klagt er, obwohl die Bundeswehr die Regierungstruppen „über die besten Taktiken im Orts- und Häuserkampf“ unterrichte.

Aus diesem Grund sieht das neue Mandat vor, die Mission von deutscher Seite mit 100 weiteren Soldaten zu verstärken. Die Truppen des in der Bevölkerung verhassten Bamako-Regimes werden damit künftig in Begleitung von bis zu 450 deutschen „Ausbildern“ in den Einsatz gehen können. Auf diese Weise provoziert die Bundeswehr gewaltsame Zusammenstöße deutscher Soldaten mit lokalen oppositionellen Milizen, was wiederum den Vorwand für den Einsatz bewaffneter Kampfdrohnen in der Region liefern könnte. Eine derzeit noch unbewaffnete Heron-Kampfdrohne ist seit 2016 für die Bundeswehr in Mali im Einsatz.

Außerdem wird die EUTM-Mission von Koulikoro in Südmali direkt ins Kriegsgebiet im Landesinneren verlegt. Der neue Stützpunkt soll in Sévaré bei Mopti liegen, wo die schwersten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Milizen toben. Nur wenige Kilometer entfernt hatten Unbekannte im März letzten Jahres die Bewohner des Dorfes Ogossagou ermordet, darunter viele Frauen und Kinder.

Wie Augenzeugen damals gegenüber dem Deutschlandfunk berichteten, waren unter den Mördern auch schwer bewaffnete Männer in Uniformen der malischen Armee. Sie waren ausgestattet „mit kugelsicheren Westen und modernen Waffen, wie sie auch die malische Armee hat“, berichtete ein Zeuge. Die malischen Regierungstruppen hatten sich nach eigenen Angaben wenige Stunden zuvor aus dem Dorf „zurückgezogen“ und trafen erst Stunden später wieder am Schauplatz des Massakers ein – obwohl die Dorfbewohner verzweifelte Notrufe an die Behörden abgesendet hatten.

Seit Jahren verübt das malische Regime nachweislich Gräuel an der Zivilbevölkerung. Ein Bericht an den UN-Sicherheitsrat sprach im Jahr 2018 von mindestens drei „Angriffen auf Zivilisten“, darunter eine „mutmaßliche Massenhinrichtung mit 44 Toten“ und eine Attacke auf einen Viehmarkt, bei dem „zwölf Zivilisten getötet“ wurden. UN-Ermittler entdeckten zudem mehrere Massengräber. Im Jahr 2019 schrieb die Süddeutsche Zeitung, die den Militäreinsatz ebenfalls befürwortet, dass das Regime „Milizen“ unterstütze, die „die Bevölkerung terrorisieren, um seinen Einfluss in umkämpften Regionen durchzusetzen“.

Diese Politik wird nun im Interesse des deutschen und europäischen Imperialismus auf Niger, Burkina Faso, Mauretanien und den Tschad ausgeweitet. In einem Strategiepapier der Stiftung Wissenschaft und Politik heißt es, „die regionalen Sicherheitskräfte“ seien zwar ein „Teil des Problems“ – doch „ohne sie geht es nicht“.

Da „die Bewältigung der Corona-Krise (…) vorübergehend alles andere in den Hintergrund drängen“ werde, solle die Bundesregierung darauf hinwirken, „Länder wie Burkina Faso und Niger ein[zu]beziehen und alle Missionen [im Sahel] besser [zu] verknüpfen. Das Hauptaugenmerk sollte vorerst auf zivilen und medizinischen Projekten liegen, weniger auf militärischen Fähigkeiten.“ (Hervorhebung hinzugefügt.)

Mit anderen Worten: Unter dem Vorwand des Kampfs gegen Covid-19 sollen die Truppen der Bundeswehr und die von Europa ausgebildeten mörderischen „regionalen Sicherheitskräfte“ ihre Kampfkraft mit der UN-Mission MINUSMA und dem französischen Kriegseinsatz Barkhane „verknüpfen“.

MINUSMA umfasst bis zu 15.200 ausländische Soldaten und Polizisten, die laut Wikipedia „im Anschluss an Opération Serval“ in Mali stationiert sind, um die Verhältnisse zu „stabilisieren“. Barkhane, die Nachfolgemission von Serval, umfasst wiederum offiziell 3000 französische Soldaten zur „Aufstandsbekämpfung“ und der Tötung von „Islamisten“, sowie Spezialkräfte und Söldner der Fremdenlegion.

Neben dem Zugriff auf Gold, Uran und Arbeitskräfte geht es aus deutscher Sicht in der Region insbesondere darum, die sogenannte „illegale Migration“ zu bekämpfen – also mit Waffengewalt gegen verzweifelte Flüchtlinge vorzugehen.

Menschen, die vor ethnischer Gewalt und kolonialer Unterdrückung fliehen und einen Weg durch die Sahara suchen, treffen auf Wasserstellen, die vom nigrischen Militär blockiert werden. Das Ergebnis ist ein gigantischer Todesstreifen mitten durch den afrikanischen Kontinent: Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass die Zahl derer, die in der nigrischen Wüste ums Leben kommen, mindestens doppelt so hoch ist wie die Zahl der toten Migranten im Mittelmeer. Über 30.000 Menschen sind nach Schätzungen der Organisation zwischen 2014 und 2018 in der Sahara „verschwunden“.

Im Niger, der insbesondere von Deutschland hochgerüstet wurde, unterhält die Bundeswehr außerdem einen Militärstützpunkt, der laut Medienberichten als „Drehscheibe“ für alle deutschen Militäroperationen in der Sahel-Region fungiert. Bundeskanzlerin Merkel hatte dem nigrischen Präsidenten Issoufou Mahamadou im Jahr 2018 für die „sehr erfolgreiche Zusammenarbeit“ im „Kampf gegen illegale Migration“ gedankt.

An diesem blutigen „Kampf“ ist Deutschland unmittelbar beteiligt. Seit mindestens einem halben Jahr befinden sich Bundeswehr-Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte der Marine (KSM) in dem Land im Kampfeinsatz und bilden Sondereinheiten des nigrischen Militärs aus. Die geheime Mission hatte bisher ohne Bundestagsmandat stattgefunden, doch mit der Verlängerung von EUTM wurde nun auch für die sogenannte „Operation Gazelle“ ein Mandat geschaffen.

Wer nicht in der nigrischen Sahara verdurstet, dem droht die Versklavung. In Mauretanien, dessen Truppen künftig ebenfalls von europäischen Soldaten ausgebildet werden, war die Sklaverei noch bis ins Jahr 2007 legal – die wirtschaftlichen Strukturen bestehen nach wie vor. Nach Schätzungen der lokalen Anti-Sklaverei-Organisation SOS Esclaves gab es noch im Jahr 2010 in Mauretanien 600.000 Sklaven.

Horn von Afrika

Am Mittwoch verlängerte der Deutsche Bundestag mit einer überwältigenden Mehrheit von 536 Abgeordneten die europäische „Atalanta“-Mission vor der Küste Somalias erneut um ein Jahr. Damit werden weiterhin bis zu 400 Bundeswehrsoldaten am sogenannten „Anti-Piraterie-Einsatz“ der Europäischen Union teilnehmen, der seit 2008 andauert. Die deutschen und europäischen Marinetruppen verteidigen imperialistische Interessen in einer Region, die durch westliche Überfischung, einseitige Handelsabkommen und jahrzehntelange Bürgerkriege eine beispiellose soziale Verwüstung erlitten hat.

„Durch ihre Präsenz im Seegebiet vor dem Horn von Afrika wahrt die EU (…) europäische Interessen und trägt zur Stabilisierung der Region bei“, heißt es in der Einsatzbegründung der Bundesregierung. Die Mission sieht unter anderem vor, UN-Lebensmittelvorräte mit Waffengewalt vor unbefugtem Zugriff abzuschirmen und lokale „Piraten“ mit Streitkräften der Marine zu bekämpfen.

Der Militäreinsatz hat in den vergangenen zwölf Jahren seine Wirkung nicht verfehlt: Laut einem Bericht der Zeit, die den Einsatz begrüßt, ist die Zahl der Übergriffe auf transnationale Trawler in den vergangenen Jahren „enorm zurückgegangen“. Der illegale Fischfang ausländischer Flotten habe im Windschatten der europäischen Kriegsschiffe hingegen weiter zugenommen, berichten UN-nahe Quellen.

Gegenwärtig werden Somalia und andere Länder Ostafrikas von den schlimmsten Überschwemmungen seit 40 Jahren heimgesucht. Die massiven Regenfälle haben Dammbrüche ausgelöst, die wiederum Infrastruktur und Häuser in Trümmer legten, sodass die Menschen gezwungen sind, in selbstgemachten Hütten auszuharren. Nahezu eine Million Menschen sind betroffen, 400.000 verloren ihr Obdach.

Die Flutkatastrophe behindert außerdem die humanitäre Arbeit der Vereinten Nationen – darunter den Kampf gegen Covid-19 – und hat die Bedingungen für die zweite Heuschreckenplage seit Beginn dieses Jahres geschaffen. Zwanzig Millionen Somalier sind von Hunger gefährdet, knapp drei Millionen sind Flüchtlinge. Die Infrastruktur des Landes ist nach drei Jahrzehnten bewaffneter Auseinandersetzungen weitgehend zerstört.

Was Covid-19 angeht, so droht dem Land eine Epidemie. Die US-amerikanische Johns-Hopkins-Universität listet das Land in ihrem Global Health Security Index (GHS-Index), der den Vorbereitungsstand zum Umgang mit Epidemien in 195 Ländern darstellt, an zweitletzter Stelle und bemisst die bestätigten Covid-19-Fälle derzeit auf 1731. Die Fallzahlen steigen seit Anfang April rapide an und die Dunkelziffer dürfte hoch sein – zu den 67 offiziell registrierten Todesopfern zählt auch der Justizminister des Bundesstaates Hirshabelle.

Obwohl die imperialistischen Länder in den letzten Jahrzehnten die Bedingungen für diesen Mahlstrom aus Vertreibung, Naturkatastrophen und Pandemie geschaffen haben, nutzen sie die verheerende Lage nun als Vorwand, um mit militärischer Gewalt eine geopolitische Neuaufteilung der Region vorzubereiten. Die Atalanta-Mission erfülle in dieser Hinsicht auch eine „Abschreckungsfunktion“, stellt der Zeit-Bericht fest.

„Für Deutschland und Europa stellen sich im Umgang mit Covid-19 am Horn von Afrika mehrere Herausforderungen, doch bieten sich auch Gelegenheiten“, bemerkt ein aktuelles Strategiepapier der außenpolitischen Stiftung Wissenschaft und Politik. Deutschland habe sich als „verlässlicher Partner“ der ostafrikanischen Regimes erwiesen und solle nun „vorangehen“, um innerhalb der EU die Rolle des „Koordinators“ einzunehmen.

Das Papier schlägt in diesem Zusammenhang die „Ausrichtung einer Sudan-Konferenz“ vor, da das Land am Roten Meer „eine enorme strategische Bedeutung“ für die gesamte Region habe. Nach Libyen, wo eine derartige Konferenz im Januar unter deutschem Vorsitz stattfand, entsandte der Bundestag Anfang Mai nahezu 300 Bundeswehr-Soldaten.

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