Trump in Tulsa: Faschistische Hetzreden und politisches Debakel

Am Samstagabend entwickelte sich Präsident Trumps Versuch, mit einer Massenveranstaltung in einer konservativen Stadt seinen stockenden Wahlkampf wieder in Gang zu bringen, zu einem politischen Fiasko. Trumps Wahlkampfteam behauptete, eine Million Menschen hätten sich registriert und mehr als 100.000 würden zu der Veranstaltung in Tulsa (Oklahoma) kommen. Deshalb müssten die Veranstaltungen in geschlossener Halle und im Freien miteinander kombiniert werden. Tatsächlich war die Beteiligung gering, und die Veranstaltung unter freiem Himmel wurde abgesagt.

Die Trump-Anhänger, die nach Tulsa gekommen waren, passten problemlos in die BOK-Arena. Bei Kameraschwenks des Fernsehens waren Tausende von leeren Sitzen zu sehen, darunter nahezu der gesamte Oberrang. Laut einer Schätzung des Brandschutzbeauftragten von Tulsa waren von den 19.200 Plätzen in der Arena nur 6.200 besetzt, obwohl sie laut einigen Presseberichten ungefähr halbvoll war.

Wahlkampfmanager Brad Parscale und andere hohe Funktionäre wurden offenbar von einer Anti-Trump-Kampagne getäuscht, an der sich Tausende von Jugendlichen beteiligten. Viele von ihnen reagierten auf ein Video, das letzte Woche durch die sozialen Netzwerke ging. Darin rief eine Großmutter aus Iowa die Zuschauer auf, sich aus Protest gegen die Trump-Regierung für die Veranstaltung in Tulsa zu registrieren und dann nicht hinzugehen.

Trump bei der Wahlveranstaltung im BOK Center in Tulsa (Oklahoma) am 20. Juni (AP Photo/Evan Vucci)

Trumps Wahlkampfteam gab zu, dass Hunderttausende von Anmeldungen für die Kundgebung von falschen Accounts kamen und dass sie letztlich das Publikum anhalten mussten, die Kundgebung als Zeichen der politischen Unterstützung per Livestream zu verfolgen.

Die Veranstaltung war die erste im Wahlkampf der Republikaner seit 110 Tagen, die von der Corona-Pandemie und den Massenprotesten gegen Polizeigewalt nach der Ermordung von George Floyd in Minneapolis geprägt waren. Beide Ereignisse haben Trumps politische Position dramatisch geschwächt. Er ist in den Umfragen landesweit und in wichtigen Bundesstaaten im mittleren Westen und Süden weit hinter seinen wahrscheinlichen Gegner, den Demokraten Joe Biden, zurückgefallen. Diese Staaten werden bei einem knappen Ergebnis der Präsidentschaftswahl vermutlich das Ergebnis im Wahlmännerkollegium bestimmen.

Trumps 107-minütige Rede in Tulsa war noch weitschweifender als sonst in seinen Reden üblich. Eindeutig beschäftigten ihn die drohende Wahlniederlage und sein eigenes politisches Überleben mehr als das Überleben von Hunderttausenden von Amerikanern, die von der schlimmsten Epidemie seit einem Jahrhundert bedroht werden. Er erwähnte nicht, wie viele Menschenleben die Pandemie gefordert hat; die lokalen Behörden hätten die Veranstaltung eigentlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit verbieten müssen. Stattdessen erzählte er, er habe seine Berater angewiesen, die Zahl der Coronavirus-Tests zu verringern. Vertreter des Weißen Hauses bezeichneten dies später als Witz.

Zu Beginn seiner Rede erklärte er in Anlehnung an Richard Nixon, die „schweigende Mehrheit ist stärker als je zuvor“. Dabei hatte er offenbar nicht vor Augen, dass Nixon schließlich als der einzige US-Präsident in die Geschichte einging, der zum Rücktritt gezwungen wurde. Weiter ging es mit dem üblichen Lob für die Bilanz der Wall Street („die stärksten 50 Tage in der Geschichte des Aktienmarktes“), die immer das Hauptaugenmerk des Weißen Hauses ist.

Trump brüllte, die Demokraten – die andere Hälfte des rechten Zweiparteiensystems, das von der US-Finanzaristokratie kontrolliert wird – befänden sich im Würgegriff von „Linksradikalen“. Er gab zwar zu, dass Biden kein Radikaler ist, allerdings mache sich sein Gegner zu einem „willigen trojanischen Pferd für Sozialisten“ und habe „vor dem linken Mob kapituliert“. Auch Liberale wie die Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez und Ilhan Omar bezog er in diese faschistische Hetzrede mit ein.

Am auffallendsten war wohl, dass Trump den Demonstranten nicht das geringste Angebot unterbreitete, die während des letzten Monats in Massen Polizeibrutalität und Rassismus angeprangert hatten. Er erwähnte weder George Floyd noch Breonna Taylor, Ahmaud Arbery oder Rayshard Brooks, die allesamt Opfer rassistischer Morde durch weiße Polizisten oder durch Bürgerwehrangehörige mit Beziehungen zur Polizei geworden waren.

Stattdessen erklärte er: „Als Präsident werde ich die unglaublichen Männer und Frauen der Strafverfolgung immer unterstützen.“ Er rühmte sich damit, in Washington D.C. die Nationalgarde gegen Demonstranten mobilisiert zu haben. Weiter bezeichnete er die Versuche, Statuen von Konföderierten-Generälen zu entfernen, als Versuch, „unsere Denkmäler, unsere wunderschönen Denkmäler zu schänden“ und als „grausame Zensurkampagne“.

Zuvor hatte Trump Demonstranten, die nach Oklahoma kommen wollten, gedroht: „Verstehen Sie bitte, dass Sie hier nicht so behandelt werden wie in New York, Seattle oder Minneapolis. Hier wird es ganz anders zugehen!“ Im Lauf der Rede schlug er vor, die Teilnehmer sollten auf die Hunderte von Demonstranten vor der BOK-Arena schießen: „Wenn man diese Spinner überall auf den Straßen sieht, ist es doch gut, Waffen zu tragen.“

Einige Trump-Anhänger waren mit Gewehren in Militärstil bewaffnet, aber es gab keine Zusammenstöße mit Gegendemonstranten. Die Polizei von Tulsa und Hunderte von teilweise bewaffneten Nationalgardisten schirmten sie vom Veranstaltungsort ab.

Eine Kunstlehrerin einer katholischen Schule, die eine Eintrittskarte für die Veranstaltung besaß, wurde auf Anweisung von Trumps Wahlkampfteam verhaftet, weil sie ein T-Shirt mit dem Aufdruck „I can't breathe“ trug. Dabei handelt es sich um die letzten Worte von George Floyd, dem ein Polizist in Minneapolis neun Minuten lang das Knie in den Nacken gedrückt hatte. Die Angst vor einem so harmlosen Gegner verdeutlicht nur, wie sehr sich Trumps Wahlkampfteam und die ganze Republikanische Partei mit dem Rücken an der Wand wähnen.

In letzter Zeit hat Trump vor Gericht eine Reihe von politischen Rückschlägen erlitten, die darauf hindeuten, dass sich wichtige Teile der herrschenden Elite sich deutlich gegen ihn wenden. Letzte Woche hat der Oberste Gerichtshof überraschend Urteile gefällt, die das Weiße Haus wegen ihres Inhalts und der Zusammensetzung der Richter schockierten.

Am 16. Juni entschied eine Mehrheit von sechs zu drei Richtern, dass Diskriminierung von Schwulen und Lesben am Arbeitsplatz nach dem Civil Rights Act von 1964 illegal ist. Richter Neil Gorsuch, der von Trump als erster für den Obersten Gerichtshof nominiert wurde, hatte dies in einem Urteil festgestellt, das sich direkt gegen Trumps christlich-fundamentalistische Unterstützer richtet, die homosexuellenfeindliche Bigotterie zu einem wichtigen politischen Thema gemacht haben. Auch der Vorsitzende des Obersten Gerichthofs, John Roberts, schloss sich der Mehrheit und Gorsuchs Meinung an.

Am 19. Juni entschied eine Mehrheit von fünf zu vier gegen Trumps Rücknahme des Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA). Dieses Dekret der Obama-Regierung von 2012 sah für mehr als eine Million Menschen, die als Kinder von nicht registrierten Eltern in die USA gebracht wurden, einen begrenzten Schutz gegen Abschiebung vor. Das Urteil wurde zwar eher aus verfahrensrechtlichen als aus substantiellen Gründen gefällt, und Trump kann die technischen Fehler korrigieren und den Angriff auf die DACA-Begünstigten erneuern. Dennoch verhindert es weitere Massenabschiebungen bis nach der Wahl im November.

Am 21. Juni lehnte ein Bundesrichter es ab, die Veröffentlichung des Insiderberichts von Trumps ehemaligem Nationalem Sicherheitsberater John Bolton über das Weiße Haus zu unterdrücken. Das Buch mit dem Titel The Room Where It Happened soll am Dienstag in die Buchläden kommen. Trump wird darin als ungebildeter, tyrannischer und völlig untauglicher „Oberbefehlshaber“ dargestellt, dem es nur um seine eigenen persönlichen und finanziellen Interessen geht.

Zuletzt hatte sich der Staatsanwalt des Südlichen Distrikts von New York, Geoffrey Berman, Trump 24 Stunden lang widersetzt. Am 20. Juni hatte Justizminister William Barr Bermans „Rücktritt“ bekanntgegeben, woraufhin Berman erklärte, er sei nicht zurückgetreten und werde sein Büro erst verlassen, wenn er direkt vom Präsidenten entlassen wird. Dies tat Trump schließlich am nächsten Tag. Berman geriet ins Fadenkreuz, weil er aggressiv gegen den Republikanischen Kongressabgeordneten und Trump-Anhänger Chris Collins wegen Wertpapierbetrugs ermittelt und ihn damit zum Rücktritt gezwungen hatte. Zudem hatte er wegen der Geschäfte von Trumps engem Berater, dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani, ermittelt.

Bermans Entlassung hat das Weiße Haus in eine politische Krise gestürzt. Der Vorsitzende des Justizausschusses des Senats, Lindsey Graham, erklärte, er werde sich an die traditionelle Regel des Senats halten, dass Bermans Nachfolger vor seiner Ernennung von beiden Senatoren des Bundesstaats akzeptiert werden muss. Dabei handelt es sich um die demokratischen Senatoren Charles Schumer, der auch Minderheitsführer ist, und Kirsten Gillibrand.

Siehe auch:
Trotz Corona-Anstieg forciert das Weiße Haus seine Back-to work-Politik
[15. Juni 2020]

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