Daimler verkauft Smart-Fabrik in Hambach: 1600 Arbeitsplätze bedroht

Wie ein Blitz traf die Beschäftigten von Smartville die Mitteilung, dass die Smart-Produktion nach China verlagert wird. In der verarmten, grenznahen französischen Region Grand Est, wo der Ort Hambach gelegen ist, schlug die Nachricht ein wie eine Bombe. Die etwa 800 Arbeiter im Montagewerk Smartville und die in unmittelbarer Nachbarschaft beschäftigten weiteren 800 Arbeiter der Zulieferindustrie sind wieder mit der Vernichtung ihrer Existenzgrundlage konfrontiert.

Bereits im März vergangen Jahres hatte der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche die Gründung eines Joint Ventures mit dem chinesischen Partnerunternehmen Geely angekündigt, das die Produktion der Elektroversion des Stadtautos Smart in China ab 2022 produzieren soll. Damals wurde die Hambacher Belegschaft noch mit dem Versprechen vertröstet, dass die Produktion der Modelle mit Verbrennungsmotoren bis dahin in Smartville erhalten bleibe und nahezu 500 Millionen Euro investiert würden, um danach einen Kompaktwagen der Marke Mercedes, ein Electro-SUV, zu bauen.

„Es ist schade, dass es nach China geht“, kommentierte damals ein Wartungstechniker die Entscheidung gegenüber dem französischen Magazin Capital, „aber solange wir noch Arbeit haben, sind wir gelassen“. Dass der Standort erhalten bleibe, sei auch dem „Paket 2020“ zu verdanken. Die Arbeiter des Werks hatten einer Rückkehr zur 39-Stunden-Wochen zugestimmt, von denen nur 37 bezahlt wurden. Eine Rückkehr zur 35-Stunden-Woche war für das Jahr 2020 vorgesehen. „Wir versuchen es zu glauben“, lautete der Kommentar eines Kollegen.

Die Beschäftigten der benachbarten Zulieferindustrie, die völlig von Smartville abhängig sind, waren schon damals besorgter. Bei der geringen Fertigungstiefe des Modells, bei dem bis zu 90 Prozent der Produktionsschritte von Zulieferern erbracht werden, ist ihre Zukunft völlig abhängig von den Entscheidungen des Daimler-Konzerns.

smartville in Hambach 1998 (© Daimler AG)

Das Hambacher Werk für die Produktion des Smart-Zweisitzermodells war 1997 mit großem Pomp von Bundeskanzler Helmut Kohl und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac eingeweiht worden. Daimler profitierte dabei von Fördermitteln, die von der EU und der französischen Regierung für die strukturschwache Region gewährt wurden, die unter dem Rückgang der traditionell dort angesiedelten Schwerindustrie litt. Die damals hohe Arbeitslosigkeit sorgte für ein niedriges Lohnniveau.

Das Werk galt als eine der modernsten Automobilfabriken, in der Zulieferindustrie und Endmontage in einem Industriekomplex direkt miteinander verbunden sind. Die Herstellung erfolgt nach dem Prinzip „just in time“ – also ohne Lagerhaltung – und „just in sequence“. Dabei lassen die Zulieferer die Varianten der Komponenten in der Reihenfolge der Bestellungen in die Produktion einfließen.

Einen Monat nachdem BMW und der chinesische Hersteller Great Wall den ersten Spatenstich zum Bau eines Automobilwerkes in Zhangjiagang, in der nördlich von Shanghai gelegenen Provinz Jiangsu, zur Herstellung des elektrisch getriebenen Mini-Modells gefeiert hatten, verkündeten Daimler und Geely am 8. Januar dieses Jahres die formelle Gründung ihres Joint Ventures.

Daimler und Geely investieren jeweils 50 Prozent des Gesamtkapitals von etwa 700 Millionen Euro in das Joint Venture, dessen Hauptsitz in der Hangzhou-Bucht nördlich von Ningbo liegt, „wobei der Anteil von Mercedes-Benz im Wesentlichen aus der Einbringung der Marke Smart besteht“, heißt es in einer Mitteilung des Konzerns.

Die Zhejiang Geely Holding Group – zu der auch Volvo gehört – rangierte im letzten Jahr an fünfter Stelle der chinesischen Automobilproduzenten und ist seit Anfang 2018 mit einem Anteil von 9,7 Prozent bei Daimler eingestiegen. Ab 2022 soll die Produktion des Elektro-Smart in China anlaufen und die Produktion in Hambach eingestellt werden.

„Im Rahmen des Transformationsprozesses wollen wir die hohe Flexibilität unseres globalen Produktionsnetzwerks nutzen und unsere Kapazitäten an die zu erwartenden Marktentwicklungen anpassen“, heißt es in der Pressemitteilung von Daimler. „Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Wirtschaft führen auch zu neuen Marktbedingungen, weshalb wir unser globales Produktionsnetzwerk optimieren“, gab Ola Källenius, Vorsitzender der Konzernleitung, zu verstehen. Aus diesem Grund werde beabsichtigt, Gespräche über den Verkauf des Standortes Hambach zu führen.

Diese Vorgeschichte beweist, dass der Einbruch der Absatzzahlen im zweiten Quartal 2020 durch die Corona-Pandemie nur dazu dient, eine schon lange geplante Verlagerung der Produktion zum Niedriglohnland China durchzusetzen, das gleichzeitig der größte Absatzmarkt ist. Auch die neuen EQ-Modelle sollen in China produziert werden.

Die Zukunft der Produktion des Viersitzer-Smarts, Forfour, der zur Zeit noch im Revoz-Renault-Werk in Novo Mesto/Slowenien hergestellt wird, ist damit auch in Frage gestellt. Seit einigen Tagen wird die Nachricht verbreitet, der britische Konzern Ineos habe am Kauf des Hambacher Daimler-Standorts Interesse. Doch das ist reine Spekulation und wird die Lebensgrundlage der dort Beschäftigten nicht sichern.

Ineos-Eigentümer Jim Ratcliffe, ein bekennender Brexit-Propagandist, der Mitte 2018 von der britischen Queen die Ritterwürde erhielt, ist nicht dafür bekannt, seine Beschäftigten mit Samthandschuhen zu behandeln. Er lebt seit Erhalt der Ritterwürde im luxuriösen Ambiente Monacos.

Ratcliffe hat inzwischen den Bau zweier neuer Werke in Portugal und Bridgend/South Wales für die Produktion seines Land Rover Defender Modells gestoppt. „Jim Radcliffe propagierte den Brexit vehement und sagte, das Land werde außerhalb der EU gedeihen. Wie passt das Aus für die Bridgend-Investition in diese Erzählung?“, beschwerte sich ein Gewerkschaftssekretär von Unite Wales gegenüber dem Guardian.

Falls Ratcliffe tatsächlich den Kauf der Hambacher Smartville durchzieht, wird es nicht nur auf Kosten weiterer Senkung des Lohn- und Arbeitsniveaus der dortigen Arbeiter, sondern auch zu Lasten der Arbeiter in Portugal und Wales gehen, wo die Bevölkerung schon unter der Schließung eines Ford-Werkes Ende 2020 leidet.

Die brutale Durchsetzung der Konzernstrategien, getrieben vom internationalen Verdrängungskampf, macht den wahren Charakter der so genannten „Sozialpartnerschaft“ in einer „Sozialen Marktwirtschaft“ deutlich. Die transnationalen Konzerne operieren knallhart und kennen nur ein Ziel, die Steigerung der Profite der Kapitaleigner und Vorstände, wobei die Beschäftigen wie das Material als „Stückkosten“ in der Gewinn- und Verlustrechnung erscheinen und die Ausbeutung ständig gesteigert wird.

In dieser Offensive gegen die Arbeiter stützen sich die Konzerne auf die Gewerkschaften. Wie die IG Metall haben auch die Gewerkschaften in anderen Ländern lange daran gearbeitet, den Schleier der Legitimität der kapitalistischen Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Diese Organisationen sind seit den 1980er Jahren zu Personalmanagern der Unternehmen mutiert, die von Regierung und Unternehmen gesponsert werden.

Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre erpressen die Belegschaften, Sparpakete oder Sozialpläne zu akzeptieren, mit der Drohung, andernfalls entlassen zu werden. Arbeiter verschiedener Standorte in unterschiedlichen Ländern werden gegeneinander ausgespielt, wobei sich das Lohnniveau wie in einer Spirale immer nur in eine Richtung dreht: nach unten.

So beschwerte sich der CGT-Funktionär des Sozial- und Wirtschaftsausschusses der Region um Hambach, Jean-Luc Bielitz, im Gespräch mit der Zeitung Le Monde darüber, dass Daimler in Deutschland wegen der Vereinbarungen mit der IG Metall die Hände gebunden seien. „Es liegt also an uns“, klagte er, und schilderte dem Magazin Capital, dass die CGT bereit war, allen geforderten Zugeständnissen zuzustimmen.

Sein Gegenpart von der Gewerkschaft CFE-CGC, Mario Mutzette, blies gegenüber Capital ins gleiche Horn. Die Gewerkschaft habe immer wieder Opfer gebracht und Sozialabbau zugestimmt, um den Standort zu verteidigen.

Dieser nationalistischen Politik der Spaltung der Arbeiter nach Standorten und Nationen muss Einhalt geboten werden. Die Arbeitsplätze und Lebensbedingungen können nur international verteidigt werden, indem den Konzernen die Verfügung über die Betriebe genommen und die Produktion unter die Kontrolle der Beschäftigten gestellt wird.

Dazu müssen sich die Arbeiter von der Zwangsjacke der Gewerkschaften befreien und eigene Initiativen ergreifen, indem sie an den jeweiligen Standorten Verteidigungskomitees bilden. Hambacher Beschäftigte von Smartville müssen Kontakt zu den Arbeitern anderer Daimlerbetriebe aufnehmen und sich international mit Aktionskomitees an anderen Standorten zusammenschließen. Dabei wird sie die World Socialist Web Site mit ihrem sozialistischen Programm unterstützen.

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