Trump bringt Verschiebung der Präsidentschaftswahl ins Spiel

Am Donnerstagmorgen sinnierte Trump in den Sozialen Medien darüber, die kommende Wahl im November zu verschieben. Auf Twitter erklärte er, dass die Entscheidung mehrerer Bundestaaten, die Möglichkeit der Briefwahl aufgrund der Corona-Pandemie auszuweiten, zur „UNGENAUESTEN & BETRÜGERISCHSTEN Wahl der Geschichte“ führen wird. Er schlug deshalb vor: „Wahl verschieben, bis die Leute ordentlich, sicher und gefahrlos wählen können???“

Nur wenige Stunden nach seinem Tweet wiesen sogar republikanische Verbündete wie der Fraktionsführer der Republikaner im Senat Mitch McConnell (Kentucky) sowie Marco Rubio (Florida) und Lindsey Graham (South Carolina) Trumps Vorschlag umgehend zurück.

Laut einem Bundesgesetz, das im Jahr 1845 vom Kongress verabschiedet wurde, muss die Wahl am Dienstag nach dem ersten Montag im November stattfinden.

Präsident Trump während einer Pressekonferenz im Weißen Haus am 30. Juli (AP Photo/Evan Vucci)

Am Donnerstagnachmittag bekräftigte Trump seine Aussage und twitterte: „Muss die Wahlergebnisse am Wahlabend haben, nicht erst Tage, Monate oder sogar Jahre später!“

Trump hat bereits mehrfach gedroht, eine Wahlniederlage nicht hinzunehmen und mehr als zwei Amtszeiten im Amt bleiben zu wollen. Allerdings stößt sein Wahlkampf zusehends auf Ablehnung und seine Umfragewerte sinken stetig. Diese Woche überstieg die Zahl der Todesopfer der Corona-Pandemie die Marke von 150.000. Kalifornien, Florida und mehrere kleinere Bundesstaaten vermeldeten den bisher höchsten Anstieg an Todesopfern pro Tag. Während Dutzende Millionen Arbeitsplätze vernichtet wurden, hat der Kongress den Bundeszuschuss zum Arbeitslosengeld in Höhe von 600 Dollar pro Woche auslaufen lassen. Drei Monate vor dem Wahltag liegen Trumps Werte in einigen landesweiten Umfragen bei unter 40 Prozent.

Die Zeit vor der Wahl am 3. November und die elf Wochen zwischen der Wahl und der Amtseinführung des neuen Präsidenten am 20. Januar könnten von beispiellosen politischen Krisen geprägt sein. Das Militär rechnet mit Massendemonstrationen und hat Schulungsmaterial herausgegeben, in denen Demonstranten und Journalisten als „Gegner“ bezeichnet werden. Diese Dokumente, die laut Anweisung von allen Angehörigen der Streitkräfte gelesen werden müssen, lassen erkennen, dass sich das Militär auf weitere Einsätze zur gewaltsamen Unterdrückung von politischem Widerstand vorbereitet.

Am Mittwoch schickte das Justizministerium Dutzende Bundesbeamte nach Milwaukee (Wisconsin), Detroit (Michigan) und Cleveland (Ohio). Zuvor haben in Portland (Oregon) paramilitärische Einheiten die Kontrolle über die Innenstadt übernommen, Demonstranten ohne hinreichenden Verdacht verhaftet und in Fahrzeugen ohne Kennzeichen zu Verhören an geheime Orte gebracht.

Am Donnerstag drohte Trump bei einer Pressekonferenz mit der Entsendung der Nationalgarde nach Portland, falls die Gouverneurin von der Demokratischen Partei es nicht schaffe, gegen die – in Trumps Worten – „terroristischen Aktivitäten“ vorzugehen.

Die Entsendung von Bundespolizisten nach Milwaukee, Detroit und Cleveland ist von großer Bedeutung, weil die geringe Wahlbeteiligung von verarmten Afroamerikanern in Wisconsin und Michigan einer der Hauptgründe für Trumps extrem knappen Sieg in beiden Staaten war. In Ohio deuten die Umfragen dieses Jahr auf einen sehr knappen Ausgang hin.

Dass in Wisconsin und Michigan die Parlamente von den Republikanern kontrolliert werden, die Gouverneure aber Demokraten sind, verstärkt die drohende Unsicherheit weiter. Es könnte zur Folge haben, dass die Bestätigung der Wahlergebnisse in den Bundesstaaten durch lange Gerichtsprozesse und Hinhaltetaktiken der Parteien verzögert wird. Auch in Pennsylvania und North Carolina, zwei „Swing States“ mit 20 bzw. 15 Stimmen im Wahlmännerkollegium, werden die Exekutive und die Legislative nicht einheitlich von einer Partei kontrolliert.

Es gibt inzwischen immer mehr Details über Versuche parteiübergreifender Gruppen ehemaliger Militärs, Geheimdienstler, gewählter Amtsinhaber und Medienpersönlichkeiten mögliche Ergebnisse einer umstrittenen Wahl „durchzuspielen“.

Die Leiterin des Planspiels „Transition Integrity Project“, Rosa Brooks, erklärte, drei von vier der durchgespielten Szenarios für die Wahl hätten zu einer beispiellosen Verfassungskrise geführt, die das Land an den Rand eines Bürgerkriegs bringt. In diesen Szenarien behaupten sowohl Biden als auch Trump am 20. Januar um 12 Uhr – der Zeitpunkt, an dem die scheidende Regierung laut dem 12. Zusatzartikel zur Verfassung der neuen Regierung die Macht übergeben muss – der rechtmäßige Präsident zu sein.

Die Washington Post veröffentlichte am 28. Juli einen Artikel mit dem Titel: „Trumps Vorschlag wirft unvorstellbare Frage auf: Könnte der Präsident bei einer umstrittenen Wahl den Einsatz des Militärs fordern?“

Im Artikel wird die Frage noch präzisiert: „Wie würden die Streitkräfte reagieren, wenn ihr Einsatz bei einer umstrittenen Wahl gefordert werden würde?“ In mehreren Staaten wird damit gerechnet, dass Wahlergebnisse juristisch angefochten werden. Der Artikel verweist auf die Möglichkeit, dass der Kongress aufgrund ausstehender Gerichtsverfahren am 20. Januar vielleicht keinen Wahlsieger feststellen kann.

Die Post schreibt weiter: „Wichtig ist, dass das Militär bei einem umstrittenen Wahlergebnis, wenn am 20. Januar also kein Präsident feststeht, implizit eine Entscheidung darüber treffen muss, wer sein Oberbefehlshaber ist. Laut dem Presidential Succession Act von 1947 wäre Trump nur bis 12 Uhr mittags des 20. Januar Präsident, falls ihn der Kongress nicht als Sieger bestätigt. In diesem Fall würde seine Autorität als Oberbefehlshaber des Militärs auf den Sprecher des Repräsentantenhauses übergehen, der als Interimspräsident eintritt.“

In einem der Szenarien könnte „das Weiße Haus das Militär dazu aufrufen, den Präsidenten zu schützen oder, was wahrscheinlicher ist, aus Gründen der ,Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung‘ auf potenzielle Proteste zu reagieren. Der Präsident würde dann möglicherweise frühere Drohungen wahrmachen, Soldaten in amerikanische Städte zu schicken oder den Befehl über die Nationalgardisten zu übernehmen, für die Bundesstaaten weisungsbefugt sind.“

Angesichts widersprüchlicher Befehle könnten Offiziere, die Anweisungen des falschen Oberbefehlshabers befolgen, verhaftet und angeklagt werden, weil sie „Meutereien oder Aufwiegelung nicht unterbinden“. Wie die Post hinzufügt, würde ihnen dafür die Todesstrafe drohen.

Nicht nur Trump könnte sich an das Militär wenden, um zu intervenieren oder das Ergebnis der Wahl mit Gewalt zu bestimmen. Anfang des Jahres hatte der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, gewarnt, falls Trump nach einer Niederlage das Weiße Haus nicht verlasse, würde ihn das Militär „schnellstmöglich aus dem Weißen Haus eskortieren“.

Risa Brooks, Juraprofessorin an der Marquette-Universität, die ebenfalls an dem Planspiel teilnahm, erklärte gegenüber der Post: „Es sieht in vieler Hinsicht so aus, als müsse das Militär in irgendeiner Weise über seine Rolle in der Innenpolitik nachdenken, was eher ungewöhnlich ist.“

Die Unsicherheit wird zusätzlich vergrößert, da die Verfassung die Einsetzung des neugewählten Kongresses am bereits am 3. Januar vorsieht, also mehr als zwei Wochen vor der Amtseinführung des Präsidenten. Den meisten Umfragen zufolge verteidigen die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus, dessen Sprecherin Nancy Pelosi (Demokraten) im Ernstfall die amtierende Präsidentin wäre.

Falls die Wahl jedoch verschoben wird oder aufgrund juristischer Anfechtungen so viele Sitze im Kongress freibleiben, dass ein von den Demokraten kontrolliertes Repräsentantenhaus am 20. Januar keinen Sprecher wählen kann, würde der Vorsitzende des Senats als Interimspräsident eingesetzt. Der derzeitige Inhaber dieses Postens ist der Republikaner Chuck Grassley. Allerdings ist unklar, welche Partei bei der Wahl die Mehrheit im Senat erringen wird. Wenn die Wahl mit einem Patt endet, gibt es in der Verfassung keine Regeln, wer Interims-Präsident (und damit amtierender Präsident) wird. In diesem Fall gäbe es keinen gewählten Vizepräsidenten, der den Vorsitz über einen Senat mit Stimmengleichheit innehat.

Falls die Wahl vertagt wird, würden nur 65 Senatoren im Senat verbleiben (diejenigen, die sie sich dieses Jahr nicht zur Wahl stellen müssen). Die Mehrheit dieser verbliebenen Senatoren wären Demokraten. Möglicherweise könnten die Republikaner Washington verlassen, damit die Demokraten keine beschlussfähige Mehrheit bilden können. Zudem könnten die Gouverneure der Bundesstaaten beschließen, die freien 35 Sitze zu besetzen. Da die Republikaner die meisten Gouverneursposten innehaben, könnten sie sich auf diese Weise die Position eines vorläufigen Präsidenten des Sentas – und damit des amtierenden Präsidenten – aneignen.

Da alle Ergebnisse juristisch angefochten werden können, kann es dazu kommen, dass am 20. Januar niemand weiß, wer Präsident ist.

Unter den Bedingungen einer derart enormen politischen Krise appellieren beide Parteien an das Militär, als Schiedsrichter der Staatsmacht zu agieren. Die Insider aus dem Lager der Bourgeoisie, die an dem Planspiel teilnahmen, sind sich der Möglichkeit bewusst, dass unterschiedliche Kommandanten den Befehlen unterschiedlicher Oberbefehlshaber gehorchen werden. Es ist denkbar, dass verschiedene Verbände gegeneinander antreten, vor allem in der Hauptstadt, wo die Kontrolle am wichtigsten ist und der Präsident die Nationalgarde befehligt.

In diesem Kontext erhält eine Kolumne des ehemaligen Senators Gary Hart (Demokraten), die am 23. Juli in der New York Times erschien und schnell in Vergessenheit geriet, große Bedeutung. Darin erklärte Hart, er und der ehemalige Senator Walter Mondale (Demoraten) hätten „vor kurzem von mindestens einhundert Dokumenten erfahren, die dem Präsidenten im Fall eines nationalen Notstands außerordentliche und nahezu diktatorische Vollmachten verleihen, ohne dass eine Kontrolle durch den Kongress oder die Judikative besteht“.

Hart schrieb: „Unserer Einschätzung nach umfassen [diese Vollmachten] womöglich die Aussetzung des Habeas Corpus, Überwachung, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen ohne richterlichen Haftbefehl sowie Kollektiv- oder Massenverhaftungen”

Wenn die Arbeiterklasse nicht dagegen einschreitet, wird die herrschende Klasse weiter nach rechts rücken, sich auf das Militär stützen und die Errichtung einer Militärdiktatur riskieren. In diesem Punkt sind sich alle rivalisierenden Lager einig. Im Wettbewerb zwischen Biden und Trump gibt es keine progressive Fraktion.

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