Rechter Terror in Erfurt

In der Nacht zum 1. August wurden in Erfurt drei Männer aus Guinea von rechten Neonazis brutal überfallen und krankenhausreif geprügelt. Einer von ihnen, ein 21-jähriger Jugendlicher, erlitt so schwere Kopfverletzungen, dass sein Zustand noch Tage später als „kritisch“ eingeschätzt wurde; er befindet sich immer noch im Krankenhaus.

Es ging schon gegen Morgen, als die drei zufällig an einem Neonazi-Treffpunkt vorbeikamen. Sie wussten nicht, dass der Kampfsportclub „Neue Stärke Erfurt e.V.“, ein früheres Einkaufszentrum im Süden der Stadt, seit fünf Jahren von Faschisten der Nazipartei „Der III. Weg“ als Vereinslokal genutzt wird. Dort standen in dieser Nacht zum Samstag mehrere Männer herum. Ohne jeden Grund griffen sie die drei Passanten an und prügelten und traten aufs Brutalste auf sie ein.

Demonstration der neonazistischen Partei „Der III Weg“ in Fürth, 28.8.2015 (Foto: Wikipedia)

Die Polizei nahm zwölf von ihnen fest, doch nach wenigen Stunden waren die Gewalttäter, alles stadt- und polizeibekannte Neonazis, alle wieder frei. Wie Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen, der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Thüringen, erklärte, werde zwar wegen „schwerer Körperverletzung und Landfriedensbruch“ gegen sie ermittelt. Weil jedoch „weder Verdunkelungs- noch Fluchtgefahr“ bestehe, liege „kein Haftgrund“ vor.

Um den genauen Tathergang zu klären, würden noch Zeugen gesucht. Die verletzten Opfer, deren Tod die Nazischläger billigend in Kauf genommen hatten, kommen als Zeugen offenbar nicht in Frage.

Der Überfall ist nur die Spitze eines Eisbergs. Rechte Schlägerbanden können in Erfurt unter den Augen der Staatsgewalt völlig frei und ungeniert agieren. So geschehen nur wenige Tage zuvor, am 18. Juli, als vermummte Rechtsradikale eine Gruppe feiernder junger Menschen direkt vor der Staatskanzlei überfielen, wo die Überwachungskameras Tag und Nacht alles aufzeichnen. Mindestens fünf der etwa zwölf Überfallenen, darunter auch junge Frauen, blieben teils schwer verletzt liegen. Wie schon im Fall der zusammengeschlagenen Guineer, zog das Thüringer LKA auch hier die Ermittlungen rasch an sich – und ließ sie offenbar im Sande verlaufen.

Dagegen protestierten am letzten Samstag etwa 400 Teilnehmer einer Erfurter Demonstration, die sich gegen Rassismus, rechte Gewalt und ihre Vertuschung durch den Staat richtete. Eine Sprecherin der Opferberatung Thüringen Ezra, Christin Fiedler, hat den Überfall vor der Staatskanzlei so geschildert:

„Das war keine ‚Massenschlägerei’ oder ‚Auseinandersetzung’, sondern ein gezielter, koordinierter und heimtückischer Angriff auf friedlich feiernde Menschen durch vermutlich kampfsporterfahrene, rechte Gewalttäter. Die Täter waren teilweise vermummt und wussten genau, was sie taten. Sie gingen hemmungslos und mit enormer Brutalität vor und nahmen tödliche Verletzungen wissentlich in Kauf, indem sie beispielsweise weiter auf Personen eintraten, die bewusstlos am Boden lagen.“ Dass der Angriff auf einem öffentlichen, videoüberwachten Platz direkt vor dem Gebäude der Thüringer Landesregierung stattfand, zeigt für Fiedler, „wie sicher sich die Täter fühlten, die noch nicht einmal aufhörten, als die Polizei längst vor Ort war.“

Die faschistischen Übergriffe von Erfurt sind Teil einer Welle von rechtsextremen und antisemitischen Gewalttaten. Diese haben in Deutschland in letzter Zeit stark zugenommen. Dies musste sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer einräumen, als er im Mai bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik von einer „langen Blutspur“ sprach, die von den Taten des NSU über die Anschläge von München, Halle und Hanau bis zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke führt. Seehofer erklärte: „Die größte Bedrohung in unserem Land geht von rechts aus.“

Dabei können die Neonazis und Antisemiten keineswegs auf eine Massenbewegung in der Bevölkerung, wie in den 1930er Jahren, zählen. Die große Mehrheit hasst und verachtet den Rechtsextremismus und bringt dies immer wieder – zum Teil in Massendemonstrationen – zum Ausdruck. Die Faschisten fühlen sich nur deshalb so stark, weil sie den „Staat im Staat“ – die dunklen Kanäle und Neonazi-Netzwerke in Polizei, Bundeswehr und Geheimdienst – an ihrer Seite wissen. Deshalb befinden sich auch die stadtbekannten, gewaltbereiten Neonazis in Erfurt wieder auf freiem Fuß, obwohl sie gerade drei Guineer halbtot geprügelt haben.

Die Entscheidung ist eine derart offene Unterstützung der Rechten, dass sich Georg Maier (SPD), der Innenminister von Thüringen, zu einer öffentlichen Kritik bemüßigt fühlte. „Die Nazi-Schläger von Erfurt laufen alle wieder frei rum“, twitterte Maier. „Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, die Justiz zu kritisieren Aber für die Opfer und die Menschen am Herrenberg ist das eine Katastrophe.“ (Herrenberg ist die Plattensiedlung, wo der Überfall stattfand.)

Maier versucht damit – ähnlich wie Seehofer – vor allem die eigenen Spuren zu verwischen. Während sich der Bundesinnenminister u.a. mit den rechtsradikalen Protesten in Chemnitz im September 2018 solidarisiert hat, ist Maier Teil einer Landesregierung in Thüringen, die zwar von einem Ministerpräsidenten der Linken, Bodo Ramelow, geleitet wird, aber in ihrem politischen Kurs die AfD hofiert und eine Zusammenarbeit mit ihr anstrebt. Dies zeigte sich beispielhaft nur wenige Stunden nach Ramelows Wiederwahl im Frühjahr.

Am 6. März verhalf Bodo Ramelow der AfD mit seiner ausschlaggebenden Stimme zum Amt eines Vizepräsidenten des thüringischen Landtags. Anschließend erklärte Ramelow auf Twitter ausdrücklich, er habe sich „sehr grundsätzlich entschieden, auch mit meiner Stimme den Weg frei zu machen für die parlamentarische Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss“.

Die Linke, die viele Wähler nur deshalb gewählt hatten, weil sie ein Zeichen gegen rechts setzen wollten, hat damit sehr bewusst der Partei die „parlamentarische Teilhabe“ gesichert, die Hitler verharmlost, Rassismus schürt und besonders in Thüringen offene Neonazis in ihren Reihen führt. Es ist genau diese Politik der Linken und der SPD, die die rechtsextremen Schlägerbanden stärkt und ermutigt. Der SPD-Innenminister ist nur deshalb beunruhigt, weil die Auswirkungen der rechten Politik der Ramelow-Regierung deutlich sichtbar wird. In der Sache unternimmt er nichts, obwohl die Staatsanwaltschaft weisungsgebundenen ist.

Das Gebäude in Erfurt-Süd, in dem die Guineer überfallen wurden, dürfen explizit nationalsozialistische Parteien wie „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ bereits seit fünf Jahren als Vereinslokal nutzen. Völlig unbehelligt von den Behörden organisieren sie dort Rechtsrock-Konzerte, Kampfsporttraining und Parteiversammlungen. Der NPD-Abgeordnete Enrico Biczysko sitzt als rechtes Aushängeschild im Erfurter Stadtrat, und offensichtlich haben die Neonazis Freunde und Förderer in Justiz und Polizei.

Bezeichnend für diesen rechten Sumpf ist schon die Rhetorik in der ersten polizeilichen Pressemitteilung nach dem Überfall. Darin heißt es in völlig verharmlosendem Beamtendeutsch: „Am 01.08.2020 kam es gegen 03:05 Uhr zu einer verbalen Streitigkeit zwischen einer 3-köpfigen Gruppe ausländischer Mitbürger und etwa 10 Deutschen, welche in einer körperlichen Auseinandersetzung gipfelte. Im Zuge dieser Auseinandersetzung verletzten sich zwei Personen mit Migrationshintergrund zum Teil schwer.“ Der Zynismus dieser Polizeinachricht ist kaum zu überbieten. Durch ihre Anwesenheit in Deutschland haben sich die Guineer in Gefahr gebracht und damit letztendlich selbst verletzt.

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