Perspektive

Die Wahl von Kamala Harris und die Erniedrigung der amerikanischen Politik

Mit der Wahl von Kamala Harris zur Vizepräsidentschaftskandidatin von Joe Biden wurde der Rahmen für die US-Wahlen in diesem Jahr abgesteckt. Wie zu erwarten war, haben die Demokraten Kandidaten ausgewählt, die so weit rechts wie möglich stehen, um einen möglichst rechten Wahlkampf zu führen.

Die Wahl von Harris war gewissermaßen unvermeidlich. Im Juli letzten Jahres hat die World Socialist Web Site, gestützt auf eine Analyse zu der Frage, wer sich als übelster, reaktionärster und somit passendster Kandidat für den zweiten Platz auf der Liste der Demokratischen Partei empfehlen würde, in ihrer englischsprachigen Ausgabe vorhergesagt, dass die Demokraten Harris – sollte sie nicht selbst die Nominierung gewinnen – höchstwahrscheinlich zur Vizepräsidentschaftskandidatin ernennen würden. In ihrer Person kommen all die Rücksichtslosigkeit, der Narzissmus und Karrierismus zusammen, die man für den Job braucht, außerdem der ethnische Hintergrund, der der Besessenheit der Demokraten mit Identitätspolitik auf der Grundlage von Hautfarbe und Geschlecht entspricht.

Kamala Harris ist eine unverbesserlich reaktionäre Politikerin.

Nach dem Polizeimord an George Floyd kam es in diesem Jahr zu Massendemonstrationen. Fast 170.000 Menschen sind bisher durch die Corona-Pandemie gestorben, wobei die tägliche Zahl der Todesopfer inzwischen bei über 1.000 liegt. Die Toten sind ein direktes Ergebnis der Politik der herrschenden Klasse. In den Betrieben wächst die Wut über die mörderische Back-to-Work-Kampagne und in den Schulen herrscht unter Lehrern breite Ablehnung gegen die Öffnungspolitik. Dutzende Millionen Menschen sind arbeitslos, sie sind von Arbeitslosenunterstützung aus Bundesmitteln abgeschnitten und müssen damit rechnen, aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben zu werden.

Inmitten dieser monumentalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise und vor dem Hintergrund von so viel Leid soll die amerikanische Bevölkerung vor die „Wahl“ zwischen Trump, dem faschistoiden Betrüger aus New York, und einem Aufgebot der Demokratischen Partei gestellt werden, das von einem Komplizen der Banken und Großunternehmen aus Delaware und einer Ex-Staatsanwältin aus Kalifornien angeführt wird. Das sagt alles über den verkommenen Zustand der amerikanischen Politik.

Nach der Ankündigung Bidens am Dienstag sprangen die Medien mit der widerlichen Verbreitung staatlicher Propaganda in Aktion. Die Wahl von Harris wurde allgemein als „historisch“, als Wendepunkt gefeiert.

Im Hinblick auf ihre Politik gibt es nichts an Harris, was man als „historisch“ bezeichnen könnte. Als Bezirksstaatsanwältin von San Francisco (2004-2011), Generalstaatsanwältin von Kalifornien (2011-2017) und schließlich als US-Senatorin (2017 bis heute) blickt Harris auf eine Erfolgsgeschichte zurück, die sich aus Unterstützung der Polizei, Einsperren von Arbeitern und Immigranten, Rückendeckung für die Banken und Unterstützung von Militarismus und Krieg zusammensetzt.

Die Wall Street ist ganz sicherlich erfreut, dass die Wahl auf sie fiel. „Eine Vize-Präsidentin, die vom Großkapital unterstützt werden kann“, titelte die New York Times auf den Innenseiten. Die Hauptsorge des Militärs besteht indessen darin, was passieren wird, wenn der alternde Biden keine volle Amtszeit mehr übersteht. Die Opposition der Demokratischen Partei gegen die Trump-Regierung konzentrierte sich von Anfang an auf Fragen der Außenpolitik. Harris, die keine anderen Ziele verfolgt als ihre eigene Selbstdarstellung, wird sich in den Händen des Militär- und Geheimdienstapparats wie Knetmasse verhalten.

Die Darstellung der Nominierung von Harris als „historisch“ beruht ausschließlich auf ihrer Hautfarbe und ihrem Geschlecht. Sie wäre, so ist zu lesen, die „erste afroamerikanische Vizepräsidentin“, die „erste asiatisch-amerikanische Vizepräsidentin“ und die „erste Frau im Amt des Vizepräsidenten“. Schon jetzt sei sie die „erste schwarze Frau im Wahlaufgebot sowohl der Demokraten als auch der Republikaner“. Alles dreht sich um die Symbolik, die mit der Wahl von Harris verbunden ist – kein Wort über das Programm, das mit einer Regierung unter der Demokratischen Partei verbunden wäre.

Als ob all das – Hautfarbe, Geschlecht oder ethnischer Hintergrund – für Arbeiter auch nur den kleinsten Unterschied bedeuten würde. Als ob die Welt nicht schon Obama als Beispiel gehabt hätte, ganz zu schweigen von Clarence Thomas, Condoleezza Rice, Susan Rice, Hillary Clinton und vielen anderen.

Die Wahl von Harris entlarvt den ungemein reaktionären Charakter einer Politik, die sich auf Hautfarbe, Geschlecht und andere Formen von Identität – alles außer Klasse – gründet. Bei ihrer Reaktion auf den Ausbruch von Protesten gegen Polizeigewalt taten die Demokraten, was sie konnten, um die Klassenfragen zu verschleiern, ethnische Spannungen zu schüren und die Lüge zu verbreiten, dass die Gewalt der Polizei Ausdruck der Unterdrückung des „schwarzen Amerika“ durch das „weiße Amerika“ sei. Das Resultat dieser rassistischen Kampagne ist die Wahl einer rechten Ex-Staatsanwältin zur Vizepräsidentschaftskandidatin, die im Verlauf ihrer Karriere u. a. Beweismittel unterschlug, um dafür zu sorgen, dass ein Unschuldiger in der Todeszelle verbleibt, und die sich dafür einsetzte, die Kinder von Einwanderern den Armen ihrer Eltern zu entreißen.

Diejenigen, die in die rassistische Kampagne investiert haben, sind auf den Zug aufgesprungen, um die Wahl von Harris als „historisch“ auszurufen. Einer von ihnen ist Ibram Kendi, Autor des Buchs How To Be An Antiracist, der zudem wesentlichen Einfluss auf das „1619 Project“ der New York Times ausübte, ein Projekt mit dem Ziel, die amerikanische Geschichte anhand der Kategorie Hautfarbe umzuschreiben und zu fälschen. Kendi schrieb auf Twitter, dass „die Demokraten jetzt Kandidaten haben, die die amerikanische Bevölkerung besser widerspiegeln als das Aufgebot der Republikaner und sämtliche anderen Kandidatenlisten in der Geschichte der USA.“

Kendi zufolge „spiegeln“ Politiker die amerikanische Bevölkerung nicht wegen der sozioökonomischen Kräfte wider, für die sie stehen, sondern allein aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres ethnischen Hintergrunds und ihres Geschlechts. Interessen richten sich nach der Hautfarbe. Das ist keine progressive, sondern rechte und rassistische Politik, die viel mit der faschistoiden Politik von Donald Trump gemeinsam hat.

Shaun King, ein Aktivist von Black Lives Matter, schrieb, er sei „unglaublich stolz darauf, eine brillante schwarze Frau und Absolventin der HBCU [historisch schwarze Colleges und Universitäten der USA] zu sehen, die als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten ausgewählt wurde“. Dies sei der Stoff, so fügte King hinzu, aus dem „Träume gemacht sind“.

Kommentatoren auf Twitter wiesen schnell auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen diesem Twitter-Statement und einem Post vom November 2018 hin. Damals hatte er geschrieben, dass er niemals Biden oder Harris unterstützen würde, weil „beide dabei geholfen haben, Massenverhaftung zu verstärken und voranzutreiben“.

Politische Prinzipien waren noch nie eine Stärke der Mitläufer der Demokraten. Sie freuen sich auf Posten innerhalb der Biden-Regierung und andere Möglichkeiten, die sich finanziell für sie auszahlen.

Dann ist da noch Bernie Sanders. Bei den Vorwahlen der Demokraten gewann Sanders breite Unterstützung für sein Anprangern der sozialen Ungleichheit und seine Forderungen nach einer „politischen Revolution“ gegen das Establishment. Auf dieser Grundlage trat er als wichtigster Herausforderer Bidens im Rennen um die Nominierung der Demokraten hervor. Am Ende ging der „Sanders-Flügel“ der Demokratischen Partei jedoch leer aus.

Das hat Sanders indessen nicht davon abgehalten, das Ergebnis zu feiern. Sanders twitterte, dass Harris „als unsere nächste Vizepräsidentin Geschichte schreiben wird“.

Nachdem er Mitte März seinen Wahlkampf aufgelöst hatte, übernahm Sanders zusammen mit Elizabeth Warren u. a. die ihnen zugewiesene Rolle als wichtigste Cheerleader der Wahlkampagne von Biden. Je mehr die soziale Wut wächst und je mehr die Demokraten bloßgestellt werden, desto entschlossener unterstützt Sanders die Partei.

Welch eine Bloßstellung für die Democratic Socialists of America (DSA), die Zeitschrift Jacobin und andere politische Agenten der Demokratischen Partei, die behaupteten, Sanders sei der Weg zur Transformation der amerikanischen Politik, sogar zur Verwirklichung des Sozialismus! Sie machen sich bei jeder einzelnen Wahl lächerlich. Sie werden sich der Demokratischen Partei in der einen oder anderen Form anschließen – zweifellos begleitet von Diskussionen darüber, wie sie innerhalb dieser Partei des amerikanischen Imperialismus eine „progressive Bewegung“ aufbauen können, und anderen Formen des politischen Betrugs. Alle vier Jahre dasselbe Schauspiel.

All diese Entwicklungen haben etwas unglaublich Erniedrigendes und Schändliches an sich, was ein Schlaglicht auf den intellektuellen und kulturellen Zusammenbruch der amerikanischen Politik wirft.

Aus dieser Erfahrung müssen bestimmte Schlussfolgerungen gezogen werden: nicht nur in Bezug auf Sanders, sondern im Hinblick auf eine ganze Kategorie der pragmatischen Politik, die auf einfache Antworten auf die Krise, mit der die Arbeiterklasse konfrontiert ist, hofft, ohne dabei den Kapitalismus und seinen Staatsapparat direkt herauszufordern.

Die Politik der Arbeiterklasse muss mit einem ernsthaften theoretischen Verständnis beginnen, das in einer marxistischen Klassenanalyse wurzelt. Die Demokratische Partei ist eine Partei der Wall Street und des Komplexes aus Militär und Geheimdiensten. Die Identitätspolitik auf der Grundlage von Hautfarbe und Geschlecht, die die Demokraten unermüdlich propagieren, bringt die Interessen von Vertretern der gehobenen Mittelschicht zum Ausdruck, die diese rechte Ideologie in ihrem Kampf um Machtpositionen und Privilegien in Staat, Wissenschaft und Unternehmensleitung einsetzen. Die Pseudolinken, einschließlich der Democratic Socialists of America und mit diesen verbundene Organisationen, repräsentieren diese soziale Schicht.

All das ist gegen die Arbeiterklasse und die Entwicklung einer echten Bewegung für den Sozialismus gerichtet. Der Streik von 46.000 GM-Autoarbeitern markiert eine bedeutende Verschärfung des Klassenkampfs in den Vereinigten Staaten und international. Wie die Socialist Equality Party, die amerikanische Sektion der Vierten Internationale, in ihrer jüngst verabschiedeten Parteitagsresolution schreibt, ist die Corona-Pandemie ein „auslösendes Ereignis“ der Weltgeschichte, das die bereits weit fortgeschrittene wirtschaftliche, soziale und politische Krise des kapitalistischen Systems beschleunigt.

Ohne das Eingreifen der Arbeiterklasse wird nichts Fortschrittliches entstehen. Die Socialist Equality Party (SEP) und unser Wahlkampf sind auf den Aufbau einer sozialistischen Führung in der Arbeiterklasse ausgerichtet. Unsere Kampagne ist die einzige Kampagne, die entscheidende Fragen der Perspektive aufwirft und die reaktionären Förderer ethnischer Konflikte und Cheerleader von Sanders‘ „politischer Revolution“ entlarvt.

In Opposition zu allen Fraktionen der herrschenden Klasse, steht die SEP an der Spitze des Kampfs, um die Arbeiter gegen die mörderische Politik der herrschenden Elite auf der Grundlage eines revolutionären Programms zusammenzuschließen und Ungleichheit, Krieg, Diktatur und dem kapitalistischen Systems ein Ende zu machen. Darin besteht der Weg nach vorn.

Um unseren Wahlkampf zu unterstützen und der deutschen Schwesterpartei der SEP, der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), beizutreten, klickt hier. Für weitere Informationen über unseren Wahlkampf in englischer Sprache besucht socialism2020.org

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