Kriegsforschung am Karlsruher Institut für Technologie

Mit der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Großmachtpolitik sollen die Universitäten wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wieder in den Dienst von Krieg und Diktatur gestellt werden. Während an der Berliner Humboldt-Universität die Geschichte umgeschrieben wird, um die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus reinzuwaschen und neue vorzubereiten, werden auch die technischen Universitäten wieder in Waffenschmieden des deutschen Imperialismus verwandelt.

Ein Zentrum der deutschen Kriegswaffenforschung ist das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dort sollen führende Professoren künftig die Entwicklung des geplanten Luftkampfsystems der Europäischen Union (Future Combat Air System – FCAS) und des neuen deutsch-französischen Kampfpanzers (Main Ground Combat System – MGCS) vorantreiben. Das KIT ist mit einem Jahresetat von 881 Millionen Euro und über 9000 Mitarbeitern die größte Forschungseinrichtung in Deutschland.

Waffensysteme für den dritten Weltkrieg

Dutzende Professoren des KIT sind in die Institute des Fraunhofer-Verbundes Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (VVS) eingebunden, der laut eigenen Angaben „dem Bundesministerium der Verteidigung verpflichtet“ ist und sich „inzwischen als treibende Kraft im ganzen Verteidigungs- und Sicherheitsbereich durchgesetzt“ hat. „Auf europäischer Ebene“, heißt es auf der Homepage des VVS weiter, „verkörpert der Verbund einen der Hauptakteure“. Die Institute des VVS verfügen gemeinsam über einen Jahreshaushalt von rund 415 Millionen Euro und 3600 Mitarbeiter.

Vorsitzender dieser bundesweiten Militärforschungsgesellschaft ist Professor Jürgen Beyerer, Inhaber des Lehrstuhls für Interaktive Echtzeitsysteme an der KIT-Fakultät für Informatik. Beyerer leitet mit dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) zugleich das größte Mitgliedsinstitut des VVS. Es entstand im Jahr 2010 auf Initiative des Verteidigungsministeriums aus der Zusammenlegung mehrerer militärischer Forschungseinrichtungen und verfügt über Standorte in Ettlingen, Karlsruhe, Lemgo und Ilmenau, sowie Außenstellen in Görlitz und Peking.

Anlässlich des zehnten Jahrestags der Institutsgründung erklärte Professor Beyerer gegenüber der Presse: „Wenn ich nach vorn schaue, gibt es im Verteidigungsministerium die großen und langfristigen Projekte Future Combat Air System, FCAS, und Main Ground Combat System, MGCS, bei denen ich unsere große Bandbreite als Institut für extrem nutzbringend halte.“

Ein Modell des FCAS-Kampfjets NGF auf der Pariser Luft- und Raumfahrtmesse 2019 in Le Bourget (JohnNewton8 / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Bei MGCS und FCAS handelt es sich um vernetzte und teilautonome Waffensystemverbünde, in deren Zentrum Panzerfahrzeuge und Kampfjets der sechsten Generation stehen. Vorgesehen ist ein integriertes System, das Drohnen, Kampfflugzeuge, Satelliten sowie Kommando- und Kontrollflugzeuge verbindet, gegebenenfalls mit Energiewaffen ausgestattet sein wird und über eine eigene nukleare Komponente verfügt.

Die Gesamtkosten für die Projekte sind gigantisch und werden auf 100 Milliarden Euro für das MGCS und auf bis zu 500 (!) Milliarden für das FCAS geschätzt. Am KIT soll nun deren zügige Umsetzung vorangetrieben werden. „Bei den beiden genannten Verteidigungs-Großprojekten erwarte ich, dass wir sichtbare und substanzielle Beiträge leisten“, erklärte Beyerer.

Das von Beyerer geleitete IOSB befasst sich mit dem gesamten Spektrum optischer Kriegstechnik und bezeichnet „die rasche Umsetzung aktueller Forschungsergebnisse für die Befähigung der Streitkräfte“ als „unser erstes Anliegen“. Dies umfasst Zielerfassungssysteme, Warnsensoren, Nachtsichtgeräte und Tarntechnologien ebenso wie Projekte zur lasergestützten Drohnenbekämpfung, intelligenter Videoüberwachung und satellitenbasierter Raketenfrühwarnung. Hinzu kommen Informationssysteme für die strategische und taktische Einsatzführung und fortgeschrittene militärische Trainingssimulationen.

Insgesamt bilden vier Hochschulprofessoren das Direktorium des IOSB. Vier weitere sind Mitglieder des Kuratoriums der Einrichtung – jeweils zwei von ihnen leiten Lehrstühle am KIT. Der aktuelle Zweijahresbericht des IOSB führt außerdem 22 Professoren als „wissenschaftliche Berater“ des Instituts auf, darunter zwölf vom KIT. Für den Zeitraum von 2018–2019 listet das IOSB insgesamt 54 Lehrtätigkeiten seiner Mitarbeiter an deutschen Hochschulen.

Ihre zivilen Lehrstühle missbrauchen die Professoren unterdessen für Forschung an waffenfähigen Technologien und die Rekrutierung neuer Kriegsforscher. So heißt es auf den KIT-Webseiten von Beyerer und Professor Marc Eichhorn (Optronik) jeweils: „Lehrstuhl und Fraunhofer IOSB arbeiten inhaltlich eng zusammen.“ Auf diese Weise ließen sich „Synergieeffekte“ zwischen der „grundlagenorientierten Herangehensweise am Lehrstuhl“ und der „anwendungsorientierten Ausrichtung des IOSB“ „optimal erschließen“ und „erstklassige Nachwuchswissenschaftler für das Fraunhofer IOSB“ gewinnen.

Neben dem IOSB ist auch die zweitgrößte VVS-Einrichtung aufs Engste mit dem KIT verbunden. Das Fraunhofer Institut für Chemische Technologie (ICT) verfügt über einen Jahreshaushalt von 43 Millionen Euro und entstand vor über 60 Jahren aus einem Institut der Universität Karlsruhe. Bereits bei seiner Gründung waren „die Forschungsarbeiten des Fraunhofer ICT im Wesentlichen von der Wehrtechnik geprägt“, heißt es auf dessen Webseite.

Heute erforscht und entwickelt die Einrichtung vorwiegend Raketentreibstoffe, Rohrwaffentreibmittel, Sprengstoffe und andere „militärische Wirksysteme“, die anschließend am institutseigenen Raketenprüfstand, im Sprengbunker oder im Schießkanal erprobt werden. Laut offizieller Homepage zählen zu den wichtigsten Anwendungen aktueller Forschungsergebnisse „Treibsätze zur Reichweitensteigerung [von] Rohrwaffenmunition“, sowie Unterwassersprengstoffe und „hochleistungsfähige geräuscharme Komposittreibstoffe für Unterwasserantriebe“ – die Rede ist offenbar von Torpedos.

Hinzu kommen Treibstoffe „zur Erhöhung der Auftreffenergie und des Penetrationsvermögens von Raketen- und Rohrwaffenprojektilen“ und „pyrotechnische Täuschkörper“, die in der Lage sind, „einer Differenzierung durch spektral auflösende Suchköpfe zu entgehen“.

Die „Vorteile und Anwendungen“ der am ICT entwickelten dosierbaren Geltreibstoffe sieht das Institut in „Flugkörpern, die erst in einer langsam fliegenden Suchphase über dem Gefechtsfeld das Ziel identifizieren, ansteuern und es dann mit einer Starkschubphase im Zielanflug vernichten“.

Nicht zuletzt umfasst das „Leistungsangebot“ auch „nicht-letale Wirkmittel – basierend auf kinetischer, akustischer, chemischer oder mechanischer Wirkung“ und die „Suche nach REACh-konformen Ersatzstoffen“.

Das Institut ist sogar daran beteiligt, Materialien herzustellen, die für Terroranschläge unter falscher Flagge genutzt werden könnten. Unter der Überschrift „Kernkompetenz Explosivstofftechnik“ heißt es: „Am Fraunhofer ICT werden sogenannte Terroristensprengstoffe hergestellt, bezüglich ihrer Handhabbarkeit und Detektierbarkeit bewertet und für Tests den Sicherheitsbehörden bereitgestellt.“

Explizit wird erklärt, das Institut verfüge über eine „wissenschaftliche Anbindung […] an viele Universitäten und Hochschulen, insbesondere aber an das Karlsruher Institut für Technologie KIT“. Geleitet wird das ICT von den KIT-Professoren Peter Elsner, Inhaber des Lehrstuhls für Polymertechnologie, und Frank Henning, Leiter des Lehrstuhls für Leichtbautechnologie. Zwei weitere Professoren sind Kuratoriumsmitglieder. Für den Zeitraum 2018/2019 listet das Institut in seinem Jahresbericht 44 Lehrtätigkeitsverhältnisse an Hochschulen in Deutschland, Tschechien und Kanada.

Professor Elsner hatte im Januar 2019 den „gestiegene[n] Verteidigungshaushalt in Deutschland“ öffentlich als „stabile[s] Umfeld“ für sein Institut bezeichnet und sich mit „über 500 bilateralen Forschungs- und Entwicklungsprojekten […] für unsere Industriekunden“ gebrüstet. In der Tat setzen sich die Kuratorien der Fraunhofer-Institute – einmal abgesehen von den Professoren – vor allem aus Waffenfabrikanten und Vertretern der deutschen Streitkräfte zusammen.

Im Falle des IOSB sind dies unter anderem Vertreter von Diehl BGT Defence (Munition und Sprengköpfe), Hensoldt Sensors (militärische Sensoren), MBDA (Lenkraketen und Marschflugkörper), Rheinmetall Electronics (Feuerleitsysteme), Airbus Defence & Space, sowie Vertreter von ABB, Siemens, Daimler und dem Raumfahrtunternehmen OHB. Vonseiten des Verteidigungsministeriums sind Ministerialrat Norbert Weber und Bundeswehr-Oberst Peter Webert vertreten.

Im Kuratorium des ICT finden sich Vertreter von Premium Aerotech (militärische Flugzeugstrukturen), Daimler, BASF, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt – ferner Ministerialrat Weber nebst weiteren Repräsentanten der Landes- und Bundesregierung und der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm. Seit Jahren prominent am ICT vertreten ist die Dynamit Nobel Defence GmbH – ein Konzern, der wie wenige andere mit den Verbrechen des deutschen Imperialismus assoziiert ist. Ihr Vorläufer, die Dynamit Nobel AG, gehörte zu den größten Munitions- und Sprengstoffproduzenten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Das heutige Unternehmen hat sich auf die Herstellung rückstoßfreier Schulterwaffen spezialisiert, darunter diverse Granatwaffen und Panzerfäuste.

Künstliche Intelligenz“ für Krieg und Polizeistaat

Gegenwärtig errichten ICT und IOSB gemeinsam mit dem KIT für 15 Millionen Euro auf dem Universitätscampus eine „Forschungsfabrik“, die unter Rückgriff auf Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) „unreife Produktionsprozesse in neuer Geschwindigkeit serienreif machen“ soll. In der Pressemitteilung zur Grundsteinlegung am 20. Dezember 2018 heißt es, das Projekt werde „kleinen und mittleren Unternehmen“ künftig „ermöglichen, mit neuen Produkten sehr viel früher als bisher auf den Zielmärkten präsent zu sein“. Gemeint sind offenbar unter anderem die militärischen Partnerunternehmen der beteiligten Institute.

Die „Forschungsfabrik Karlsruhe“ ist das erste Referenzprojekt der KI-Strategie der Bundesregierung. Das Strategiepapier, das im November 2018 veröffentlicht wurde, lässt keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung beabsichtigt, Technologien der Künstlichen Intelligenz vorrangig für moderne Kriegsführung nach außen und Polizeistaatsaufrüstung im Innern zu entwickeln.

So heißt es etwa im Abschnitt „KI zur Gefahrenabwehr und für die innere und äußere Sicherheit nutzen“: „Der künftige Einsatz von KI-basierten Technologien und Systemen wird Auswirkungen auf Streitkräfte haben und ist damit ein wichtiges Thema für die Zukunftsentwicklung der Bundeswehr.“

Auch „im Sicherheitsbereich“ sei „die Nutzung KI-basierender Systeme ein wichtiger Baustein für die digitale Souveränität Deutschlands“ und „ein Beitrag zum Erhalt der Sicherheit […] des Wirtschaftsstandortes Deutschland“. Der Einsatz von KI könne „eine deutliche Effizienzsteigerung gegenüber herkömmlichen Auswertungsmethoden darstellen“ und diene „als Instrument, um Informationen zur Entscheidungsfindung beizusteuern, die ohne KI nicht in einem adäquaten Zeitrahmen gewonnen werden können“.

Zu den Anwendungsgebieten von KI, so das Papier, gehöre „die Wiedererkennung von Personen im Kontext großer Datenmengen“, die „Steuerung des Einsatzes von Polizeikräften“, sowie der Einsatz von „Social Media Forensics“ und „Predictive Policing (präventive Gefahrenabwehr)“ im Rahmen der „Strafverfolgung/Gefahrenabwehr“.

Wie die World Socialist Web Site berichtete, wurde im Jahr 2018 in Mannheim ein „europaweit einzigartiges“ Pilotsystem zur „intelligenten Videoüberwachung“ in Betrieb genommen, das diesen Zwecken dient. Es wurde vom IOSB entwickelt und soll auf der Grundlage der neuen Polizeigesetze künftig standardmäßig in deutschen Städten zum Einsatz kommen.

Die „Karlsruher Forschungsfabrik“, die Ende 2020 ihre Arbeit aufnehmen soll, ist Bestandteil eines ganzen Netzwerks von neuen Zentren und Instituten, die letztlich der modernen Kriegsführung und Polizeistaatsaufrüstung dienen.

Bereits im Juni 2019 hatten Beyerer und Hanselka gemeinsam mit Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) feierlich ein „Kompetenzzentrum“ für „Robotersysteme in menschenfeindlichen Umgebungen“ eingeweiht. Gleichberechtigte Partner des Zentrums sind KIT und IOSB. Was zunächst als Beitrag für den sicheren Rückbau von Atomkraftwerken und automatisierten Betrieb „chemisch kontaminierter“ Mülldeponien beworben wurde, entpuppte sich mit Professor Beyerers aktuellem Jahresbericht des IOSB als Bestandteil der Entwicklung künftiger Waffen- und Kriegssysteme.

Dort heißt es unter der Überschrift „Schlüsselfähigkeiten für die Schlachtfelder von morgen – Erforschung von zukünftigen Kampfpanzersystemen und digitalisierten Militäreinsätzen“:

Das Schlachtfeld verändert sich. In einer Zeit, in der Waffensysteme durch Digitalisierung und Automatisierung verändert werden, liegt der Schwerpunkt zunehmend auf der hochvernetzten Zusammenarbeit von bemannten und unbemannten Einheiten. Diese Überlegungen spielen beispielsweise in den Diskussionen über die Entwicklung eines neuen europäischen Kampfpanzersystems eine Schlüsselrolle.

Seit vielen Jahren entwickele man „nun schon Systeme, die die Auswertung von Sensordaten unterstützen oder vollständig automatisieren können“. Dies werde „für die künftigen Waffensystem-Verbünde aus bemannten und unbemannten Einheiten […] von entscheidender Bedeutung sein“. „Was den Bau dieser unbemannten Einheiten angeht“, so verfüge man „über umfangreiche Erfahrungen mit autonomen Systemen in menschenfeindlichen Umgebungen“.

Atomforschung, Kriegspolitik und die NS-Wurzeln des KIT

In welcher Tradition die Kriegsforschung in Karlsruhe steht, zeigt ein Blick in die Geschichte. Das KIT entstand 2009 aus der Vereinigung der Universität Karlsruhe mit dem Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK), einem Knotenpunkt des deutschen Atomprogramms, das 1955 durch den damaligen Atomminister Franz Josef Strauß (CSU) begründet wurde und offiziell bis 1976 lief. Die vier Mitinitiatoren und langjährigen Geschäftsführer des KfK waren allesamt Figuren, die bereits im Dritten Reich und der Kriegs- und Vernichtungspolitik der Nazis eine wichtige Rolle spielten.

Gerhard Ritter während der Expo 67 in Montreal (Quelle: Wikimedia Commons)

Gerhard Ritter, ein Vater des Nervengases Sarin, war führender Giftgas-Chemiker des IG-Farben-Konglomerats und wichtigster Mitarbeiter des Konzernchefs und Kriegsverbrechers Carl Krauch. Als Leiter der „Vermittlungsstelle W“ war Ritter ab 1935 dafür verantwortlich, sämtliche kriegswichtigen Entwicklungen der IG Farben der Wehrmacht zur Verfügung zu stellen. Der Historiker Bernd-A. Rusinek von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bezeichnet Ritter als „obersten Giftgas-Manager im ‚Dritten Reich‘“. Ritter verließ 1959 das KfK und übernahm die Leitung des EURATOM-Forschungszentrums im italienischen Ispra, das heute Bestandteil des Joint Research Centres (JRC) der Europäischen Kommission ist.

Der Jurist Rudolf Greifeld – seit 1933 bekennender Nationalsozialist und glühender Antisemit – war zwischen 1940 und 1941 Kriegsverwaltungsrat der Wehrmacht in Paris und zuständig für den Kontakt zur Stadtverwaltung der französischen Kollaborationsregierung. In dieser Funktion beaufsichtigte er militärische Requirierungen, lancierte antisemitische Maßnahmen gegen die Bevölkerung und trieb die judenfeindliche Besatzungspolitik der Nazis aktiv voran. Greifeld wird auf den offiziellen Webseiten des KIT nach wie vor als Ehrensenator der Universität geführt – ebenso wie der Zyklon-B-Fabrikant Carl Wurster.

Josef Brandl, ebenfalls Jurist, hatte während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen eine ähnliche Stellung inne. So leitete er zwischen 1939 und 1945 nacheinander die Wirtschaftsabteilungen der Distrikte Krakau und Galizien, wo er laut Wikipedia „an der Nahtstelle von Vernichtungs- und Ausbeutungspolitik agierte“ und „eine zentrale Figur für die Ausplünderung von Juden und Polen“ war. Brandl war umfassend über den Holocaust informiert und verhandelte mit der SS regelmäßig über den Einsatz jüdischer Arbeitskräfte.

Zu den unmittelbaren Profiteuren dieser Besatzungspolitik zählte Walter Schnurr, ein Chemiefabrikant des deutschen Sprengstoffkartells Dynamit AG. Von 1942 bis 1944 leitete er in „Christianstadt“ (heute Krzystkowice, Polen) das größte Sprengstoff- und Munitionswerk des NS-Regimes. Tausende Zwangsarbeiter – darunter jüdische Frauen des Konzentrationslagers Groß-Rosen – produzierten unter Schnurrs persönlicher Aufsicht bis zu 1600 Tonnen Hexogen- und Nigu-Sprengstoff pro Monat. Außerdem verarbeitete das Werk TNT und stellte Treibstoff-Komponenten für Hitlers „Vergeltungswaffen“-Raketen V1 und V2 her.

Nach dem Krieg setzte sich Schnurr wie viele andere Nazis nach Argentinien ab, wo er eine maßgebliche Rolle dabei spielte, das Atomprogramm der Perón-Regierung zu initiieren. 1955 wurde Schnurr schließlich von Strauß nach Deutschland zurückgeholt, um als Ministerialdirigent die Zuständigkeit für das deutsche Atomprogramm zu übernehmen. Vor dem Hintergrund der westdeutschen Wiederbewaffnung gründeten Ritter, Greifeld, Brandl und Schnurr im darauffolgenden Jahr auf Initiative von Strauß das spätere KfK.

Die Gründung des KfK stand in engem Zusammenhang mit den Plänen der Bundesregierung, die kurz zuvor gebildeten westdeutschen Streitkräfte mit Atomwaffen auszustatten. Wie Dokumente des Bundesarchivs belegen, hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer bereits im Oktober 1956 intern verkündet, er wolle „über EURATOM auf schnellstem Wege die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen“. Auf einer Kabinettssitzung vom 19. Dezember desselben Jahres fügte er hinzu, dies solle „in der Bundesrepublik“ geschehen.

Adenauers Entscheidung, den ersten deutschen Kernreaktor in Karlsruhe errichten zu lassen, bedeutete eine schroffe Abkehr von früheren Überlegungen, die deutsche Atomforschung in München unter der Leitung von Werner Heisenberg zu bündeln. Der Kernphysiker und Nobelpreisträger sollte im Jahr 1957 als Unterzeichner der Erklärung der sogenannten „Göttinger Achtzehn“ öffentlich sein Unbehagen mit den deutschen Atomwaffenplänen bekunden.

Anlass der Erklärung war eine Pressekonferenz im April 1957, in deren Verlauf Adenauer taktische Atomwaffen als bloße „Weiterentwicklung der Artillerie“ bezeichnete und erklärte, auf diese Bomben könne Deutschland „natürlich [...] nicht verzichten“.

Heisenberg schrieb später, besorgt gewesen zu sein, „ob das in Karlsruhe neu zu errichtende Zentrum […] sich auf die Dauer dem Zugriff derer würde entziehen können, die so große Mittel lieber für [militärische] Zwecke verwenden wollten“. Für die Führungskräfte des KfK seien „die Grenzen zwischen friedlicher Atomtechnik und atomarer Waffentechnik ebenso fließend […] wie die zwischen Atomtechnik und atomarer Grundlagenforschung“.

Mit der Zusammenführung von KfK und Universität Karlsruhe, die über keine Zivilklausel verfügt, im Jahr 2009 wurde die Militär- und Kriegsforschung intensiviert.

Heute beherbergt das KIT auf seinem Campus mit dem Joint Research Center Karlsruhe (JRC) das bedeutendste Atomforschungszentrum der Europäischen Union. Dessen „Mission“ ist es laut offizieller Webseite, „das JRC Euratom Forschungs- und Trainingsprogramm zu implementieren und nukleare Kompetenzen in Europa zu verbreiten, um sowohl ‚nuklearen‘ als auch ‚nicht-nuklearen‘ Mitgliedsstaaten zu dienen“.

In den streng bewachten Forschungsanlagen nördlich der Universitätssäle lagern offiziell hunderte Kilogramm an hochradioaktiven Stoffen wie Plutonium, Uran oder Thorium. Berichten zufolge fallen jährlich etwa 150 Kilogramm spaltbares Material an. Dies würde ausreichen, um sieben nukleare Sprengköpfe des Gun-Typs (Hiroshimabombe) herzustellen – vor dem Hintergrund der aggressiven Medienkampagne für deutsche Atomwaffen in den letzten Jahren ein beängstigendes Szenario.

Wissenschaft statt Kriegspropaganda

Wie die Verwandlung der Humboldt-Universität in ein Zentrum für rechtsextreme Ideologie (Prof. Jörg Baberowski: „Hitler war nicht grausam“) ist auch die zunehmende Militarisierung des KIT und anderer technischer Universitäten Bestandteil der Rückkehr des deutschen Militarismus. Bezeichnenderweise wurde die Rolle der Universitäten als Zentren für Militarismus und angewandte Kriegsforschung bereits im Herbst 2013 in dem SWP-Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ beschrieben, das die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Weltmachtpolitik ankündigte.

In dem Dokument, an dessen Ausarbeitung neben einflussreichen Journalisten, Militärs, Wirtschaftsfunktionären und Vertretern aller Bundestagsparteien auch zahlreiche Akademiker beteiligt waren, heißt es unter anderem:

In einem komplexeren Umfeld mit stark verkürzten Reaktionszeiten werden auch bessere kognitive Fähigkeiten verlangt. Wissen, Wahrnehmung, Verständnis, Urteilsvermögen und strategische Vorausschau: Das alles kann gelehrt und trainiert werden. Aber es erfordert Investitionen – auf der Seite des Staates, aber auch bei den Universitäten, Forschungseinrichtungen, Stiftungen und außenpolitischen Institutionen. Ziel muss eine „Denklandschaft“ sein, die nicht nur politische Kreativität ermöglicht und pflegt, sondern auch imstande ist, politische Optionen schnell und in operationalisierbarer Form zu entwickeln.

Die Kriegsforschung am KIT und die dort angesiedelten Forschungszentren verdeutlichen, was damit gemeint ist. Hinter den Formulierungen des SWP-Papiers verbirgt sich der Anspruch der herrschenden Klasse, eine „Denk“- und Forschungslandschaft an den Universitäten aufzubauen, die – in enger Zusammenarbeit mit Politik, Militär und Rüstungsindustrie – die modernsten Kriegs- und Vernichtungswaffen „schnell“ entwickeln und produzieren kann, um die Interessen des deutschen Imperialismus weltweit durchzusetzen.

Die IYSSE kämpfen als Jugend- und Studierendenorganisation der Sozialistischen Gleichheitspartei und der Vierten Internationale in Deutschland und international dafür, dass die Universitäten Orte der Wissenschaft bleiben und nicht wie vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg in staatlich gelenkte Kaderschmieden für rechte und militaristische Ideologien verwandelt werden. Wir treten dafür ein, die enorme Opposition unter Studierenden gegen Militarismus und Krieg mit den wachsenden Kämpfen der internationalen Arbeiterklasse zu verbinden. Auch an den Universitäten kann nur eine sozialistische Bewegung gegen den Kapitalismus den Aufstieg extrem rechter und militaristischer Kräfte und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs stoppen.

Loading