Brief einer Krippenerzieherin:

„Fakt ist: Wir können uns nicht schützen“

Alexandra Paul (43), Krippenerzieherin in Niedersachsen, unterstützt den Aufruf der WSWS zum Generalstreik. „Dringend erforderlich“ hält sie es, „dass die ErzieherInnen auf die Straße gehen“. Ihr Brief lässt die große Gefahr erkennen, die mit den Schul- und Kitaöffnungen unter Corona-Bedingungen verbunden ist. „Fakt ist: Wir können uns nicht schützen“, schreibt Alexandra; da könne sie „Wetten darauf abschließen, bei der wievielten Infektion es mich schwer erwischt“. Dennoch setzen alle Regierungen von Bund und Ländern, egal welcher Parteien, das pädagogische Personal diesem immensen Risiko aus.

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Hallo :)

Ich bin tatsächlich nicht in einer besonderen Funktion, sondern "nur" Erzieherin in einer Krippe. Ich glaube, allen ErzieherInnen ist es klar, dass es kein Null-Risiko gibt und das fordern wir auch gar nicht. Wir sind jedes Jahr so vielen Infektionen ausgesetzt (Noro-Virus, Magen-Darm, Bindehautentzündung, diversen Erkältungswellen etc.) und das nehmen wir auch in Kauf. Aber bei Covid sieht die Lage ja nun mal eindeutig anders aus.

Schlimm finde ich, dass die Kultusministerien und alle anderen Verantwortlichen so tun, als gäbe es uns gar nicht, und uns komplett ignorieren. Wenn überhaupt mal über Kitas gesprochen wird, dann über die Kinder und die Eltern, nicht aber über uns. Fakt ist, wir können uns nicht schützen. Wir sind darauf angewiesen, den Eltern zu vertrauen, dass sie sich entsprechend verhalten.

In der Kita mag es noch einigermaßen möglich sein, vielleicht sogar den ganzen Tag Maske zu tragen und etwas Abstand zu halten. Aber mit 25 Kindern in einem Raum? Utopisch. Auch Kita-Kinder brauchen Nähe. Bei uns in der Krippe ist die Nähe für die Kinder existentiell. Die Kleinen sind zwischen 11 Monaten und 3 Jahren alt. Ständig sind sie nah an uns, patschen uns ihre Spuckehändchen ins Gesicht oder niesen uns voller Inbrunst an. Ob nun direkt ins Gesicht oder bei den Mahlzeiten quasi direkt auf den Teller. Ganz abgesehen von sämtlichem Spielzeug, welches natürlich alles in den Mund genommen wird.

Wer glaubt, man könne das verhindern, oder man könne das Spielzeug täglich reinigen und desinfizieren ... den kann ich nur auslachen. Tja, und dann lautet das Hygienekonzept: Händewaschen und Türklinken mehrmals täglich desinfizieren?! Hm. Die Eltern müssen Maske tragen, wenn sie die Kinder bringen und auch wir sind angehalten, im Kontakt zu Eltern Maske zu tragen. Tja, aber dann kommt das Tschüss sagen – und da lupft Mama dann mal eben die Maske nach unten, um dem Kind einen Kuss zu geben. Wer will ihnen das verdenken? Oder sogar unterbinden? Unmöglich.

Aber das ist eben genau der Moment, wo alles Maske-tragen schon hinfällig ist, denn direkt danach geht das Kind zu mir auf den Arm und kuschelt sich an. Ich habe vor 8 Wochen (!) Gefährdungsmeldung beim Arbeitgeber abgegeben und habe Arbeitskleidung beantragt – Antwort auf Arbeitskleidung steht immer noch aus ... Antwort bezüglich Gefährdungsmeldung ist, dass die Vorgaben des Landes erfüllt werden ... Tja. Dann steht man halt da.

Fatal ist, dass Kindern mit Symptomen so häufig der Test verweigert wird. Es ist so schon unmöglich, uns zu schützen, da nimmt man noch in Kauf, dass infizierte Kinder nun immer mehr ohne Test in die Kita zurückkehren. Es wäre dringend erforderlich, dass die ErzieherInnen auf die Straße gehen. (…)

Ich finde gut, dass das Kita-Register (1) eingerichtet wurde – hätte viel eher passieren müssen – und habe meine Leitung gebeten, sich dort zu registrieren, was sie auch umgehend gemacht hat. Das ist einer der ganz wenigen Wege, auf denen wir die Möglichkeit haben, auf uns aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass wir da sind. Meine Kita-Leitung ist tatsächlich toll und kämpft für uns mit allen Mitteln. Allerdings hatte sie vorher noch gar nichts von dem Kita-Register gehört. Schade, dass das nicht vom Träger kam. Aber nun ja. Und ja, ob alle Leitungen dort wirklich Tatsachen berichten werden ... Hmmm. Ich bin sehr gespannt, welche Ergebnisse tatsächlich genutzt werden – und WIE sie genutzt werden. Es bleibt wohl spannend.

So oder so, ich denke, die einzige Möglichkeit besteht darin, die Gruppengröße zu minimieren, also so klein wie möglich zu halten und konstant eine Durchmischung zu vermeiden. Selbst "wenn" die Kinder selbst nicht schwer erkranken (?), können sie uns und andere ja durchaus infizieren – und wenn dann noch das Thema der Immunität hinzukommt, welche ja nun auch nicht sicher ist – dann kann ich Wetten darauf abschließen, bei der wievielten Infektion es mich schwer erwischt?! Das kann ja nicht sein.

Während der Kita-Notbetreuung hat sich gezeigt, dass vor allem die Kinder von den Kleingruppen bis maximal 10 Kindern profitiert haben, weil da wirklich mal Zeit war, einzelne Kinder zu sehen, zu fordern und zu fördern. Jetzt wird die Qualität der Kita jedenfalls wieder deutlich gemindert, da noch mehr Personalmangel als vorher. Der "Bildungsauftrag" verschwindet zurück in der Versenkung und Kitas entwickeln sich wieder zurück in Aufbewahrungsstätten. Sehr, sehr schade!

Das geht echt furchtbar an die Substanz. Wenn das so weitergeht, bin ich wegen Burnout raus, bevor ich mich mit Corona infiziert habe. Beides scheint nur noch eine Frage von Wochen zu sein ...

Liebe Grüße, Alexandra

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1) Anmerkung der Redaktion zum „Kita-Register“: Es wurde von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am 10. August in Auftrag gegeben. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) und das Robert-Koch-Institut (RKI) sollen in diesem Register Daten aus den Einrichtungen sammeln und auswerten, „um die Rolle von Kitas bei der Verbreitung des Coronavirus zu erforschen“. Tatsächlich ist der Wirbel um dieses Register Teil der Regierungspropaganda, welche die gefährliche Politik der Öffnung aller Einrichtungen um jeden Preis begleitet. „Wir müssen alles tun, um einen zweiten Lockdown zu verhindern“, erklärte Giffey bei der Vorstellung des Kita-Registers am 10. August.

In dem Register werden wöchentlich Informationen aus Kitas, Krippen und Kindertagespflegestellen über das Funktionieren der Einrichtungen unter den Bedingungen des wieder aufgenommenen Regelbetriebs registriert. Die Teilnahme ist freiwillig. Das Register ist Bestandteil des Langzeit-Forschungsprojekts "Corona-KiTa", das seit Mai 2020 beim RKI besteht. Allerdings fanden an das RKI übermittelte Informationen über mit Corona infizierte Beschäftigte in die Monatsberichte der Corona-KiTa-Studie (Mai, Juni, Juli) bisher keinen Eingang.

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Siehe auch:

Kinderwohl unter Corona – Instrumentalisierung statt Hilfe und Schutz
[13. März 2020]

Erzieher widerspricht Propaganda von der „sicheren“ Kita
[29. Mai 2020]

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