Automobilzulieferer Continental verdoppelt Stellenabbau

Die Autoindustrie steht vor einem beispiellosen Arbeitsplatzmassaker. Die Arbeiter der Zulieferindustrie sind die ersten Opfer. Continental hat die Streichung von 30.000 der insgesamt 232.000 weltweiten Arbeitsplätze angekündigt. Die Corona-Pandemie wird jetzt zum Anlass genommen, um die Kosten der Krise auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen und die Kosteneinsparungen, die schon wegen der Umstellung der Antriebstechnik auf Elektromotoren geplant waren, voranzutreiben.

Die Krise der Autoindustrie sei größer und schärfer als alle Krisen der vergangenen 70 Jahre, erklärte Conti-Chef Elmar Degenhart der Nachrichtenagentur Reuters. Das im Herbst letzten Jahres verabschiedete Sparprogramm „Transformation 2019-2029“ hatte ursprünglich Kostensenkungen von 500 Millionen Euro und den Abbau von 15.000 Jobs vorgesehen. Jetzt sollen bis 2023 eine Milliarde Euro eingespart werden. Auch der Arbeitsplatzabbau soll doppelt so hoch ausfallen, wie im letzten Jahr geplant.

Continental-Stammwerk in Hannover

Das Unternehmen, das in den letzten zehn Jahren immer Gewinne erzielte und in den letzten 13 Jahren zusätzlich 72 Millionen Euro an Fördergeldern von der Bundesregierung erhalten hat, streicht jetzt allein in Deutschland 13.000 Stellen. Das ist fast jeder vierte Arbeitsplatz, doppelt so viele, wie im letzten Jahr vorgesehen. Die Stellenkürzungen betreffen alle Standorte. Unrentable Geschäftsteile sollen verkauft werden.

Das Werk in Karben/Hessen, wo 1100 Beschäftigte – davon etwa 200 Leiharbeiter – Komponenten für Klimaanlagen, Tachos und Fahrerassistenzsysteme herstellen, soll bis 2024 vollständig geschlossen werden. In Nürnberg soll der Automotiv-Standort, in Mühlhausen der Vitesco-Standort schon bis Ende 2022 geschlossen werden.

Im Werk Frankfurt Rödelheim sollen 500 Arbeitsplätze entfallen, weitere in Babenhausen, Schwalbach, Oppenweiler, Nürnberg, Mühlhausen und Roding. Dabei sind schon seit Verkündung des Sparprogramms im Herbst letzten Jahres 2000 Stellen verschwunden.

Ein Unternehmenssprecher betonte gegenüber der Presse, dass die Gespräche noch liefen und „Vertraulichkeit vereinbart“ sei. Konzernvorstand und Gewerkschaft erarbeiten also gerade gemeinsam, wie der geplante Abbau durchzusetzen ist.

Christiane Benner, die Zweite Vorsitzende der IG Metall und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Continental AG, hat „eine auf die Zukunft gerichtete Geschäftsstrategie“ gefordert und die Zustimmung der IG Metall zu Strukturveränderungen schon grundsätzlich angekündigt. Diese hänge von deren „konkreter Ausgestaltung“ ab.

Seit vielen Jahren hat die Gewerkschaft die Conti-Belegschaft systematisch zu immer weitergehenden Zugeständnissen mit sogenannten „Ergänzungstarifverträgen“ gedrängt. Die Arbeiter verzichteten darin unter anderem auf die Angleichung ihrer Entgelte an das Niveau des Flächentarifs. Die IG Metall behauptete, dadurch würden die Standorte gesichert.

Lohnverzicht hat noch nie einen Arbeitsplatz gesichert, dafür aber die Gewinne der Aktionäre und Konzerneigner. In Wirklichkeit haben die ständigen Kürzungen die endgültige Schließung mehrerer Standorte und den jetzigen Arbeitsplatzabbau erst vorbereitet.

Seit 2006 sei durch Lohn- und Gehaltsverzicht an den deutschen Standorten viel Geld eingespart worden, sagte der Karbener Betriebsratsvorsitzende Frank Grommeck der Wetterauer Zeitung, als Hunderte Beschäftigte am Mittwoch in Karben gegen die dortige Werksschließung protestierten. Mit dem gesparten Geld seien in Litauen und Tschechien neue Werke aufgebaut worden, wo das Lohnniveau erheblich niedriger sei. Nach der Werksschließung sollen die restlichen Teile dorthin verlagert werden.

Auch im Conti-Werk Babenhausen hatten Betriebsrat und IG Metall vor Jahren schon einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit zugestimmt – unentgeltlich für den Konzern –, um das „Werk zu stützen“.

Die jetzt bei den Zulieferkonzernen und -firmen sowie den Herstellern angekündigten Jobverluste sind nur der Anfang. Die Unternehmensberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) geht davon aus, dass die gesamte Automobil-Zulieferindustrie mit etwa 187.000 Beschäftigten in Deutschland im Herbst vor einer Welle von Insolvenzen steht. Kleinere Unternehmen würden aufgekauft oder verschwänden ganz vom Markt.

Der Branchenverband VDA schätzt den Anteil der Unternehmen, die derzeit über einen Personalabbau verhandeln, auf 60 Prozent; bei 93 Prozent laufe Kurzarbeit. Wegen der derzeitig ausgesetzten Insolvenzantragspflicht werde die erwartete Insolvenzwelle erst in einigen Monaten einsetzen. Der Verband schätzt, dass einige Firmen bis zu 40 Prozent der Arbeitsplätze kürzen wollen. Das Handelsblatt vermutet, dass es nach der Krise in Deutschland „rund 100 Zulieferer weniger geben“ werde.

Schon jetzt lassen die bereits angekündigten Abbaupläne die Entwicklung vorahnen:

  • Der Vorstand der ZF Friedrichshafen AG, einem der fünf größten Zulieferer, verkündete im Juli dieses Jahres, man habe sich mit dem Gesamtbetriebsrat und den Gewerkschaften auf eine Vereinbarung zur „strukturellen Neuausrichtung“ des Unternehmens geeinigt. Weltweit sollen in den kommenden Jahren 15.000 Stellen abgebaut werden, die Hälfte davon in Deutschland. Seit Mitte 2019 hat das Unternehmen bereits weltweit 5300 Stellen gestrichen, davon 3800 in diesem Jahr.
  • Bosch hat schon im vergangenen Jahr den Abbau von 1600 Stellen angekündigt.
  • Mahle hat bereits 400 Stellen in Stuttgart und 770 in Luxemburg gestrichen. Die italienischen Standorte La Loggia und Saluzzo mit 450 Arbeitern werden geschlossen. Die Produktion im französischen Rouffach mit 240 Beschäftigten soll auslaufen.
  • Die Deutz AG hat ebenfalls ein Effizienzprogramm mit der IG Metall ausgehandelt, das sich „Transform for Growth“ nennt. Die Kölner Mitgliederberaterin der IG Metall, Sabine Beutert, gab bekannt, Deutz werde als erstes „Leiharbeitnehmer abbestellen“. Das Unternehmen will jährlich 100 Millionen einsparen, insgesamt sollen in den Betrieben in Köln-Porz, Ulm und Herschbach 1000 Stellen abgebaut werden. Von den insgesamt etwa 4700 Beschäftigten sind bereits die Verträge von 380 Leiharbeitern im ersten Halbjahr ausgelaufen. 350 Beschäftigte sollen im Rahmen eines „Freiwilligenprogramms“ aus ihren Jobs gedrängt werden.
  • Eisenmann, der Hersteller von Lackieranlagen für die Automobilindustrie mit Sitz in Böblingen, wird zerschlagen. Die Belegschaft von 650 Arbeitern wird sich nach drei Monaten in einer mit der IGM ausgehandelten „Qualifizierungsgesellschaft“ ab 8. Dezember arbeitslos melden müssen.
  • Der Kabelhersteller Leoni in Nürnberg, mit insgesamt 95.000 Beschäftigten weltweit, davon 4.700 in Deutschland, bekam eine Staatsbürgschaft über 330 Millionen Euro. Werke in den USA, Nordafrika und Europa wurden bereits geschlossen. Bereits Ende 2019 wurden 2000 Arbeiter entlassen.

Die Konzerne arbeiten den Stellenabbau mit der IG Metall oder auch der IG Bergbau, Chemie, Energie aus. „Da läuft schon viel im Hintergrund. Gespräche werden längst geführt“, berichtet Norbert Heinz, der mit seiner Consulting-Gesellschaft mittelständische Zuliefer-Unternehmen berät.

Die Gewerkschaften beweisen tagtäglich, dass sie auf der Seite der Unternehmen stehen, gegen die Belegschaften. Wut und Tränen waren die Reaktion vieler Conti-Arbeiter auf der Kundgebung am Mittwoch in Karben. Jetzt müssen die Lehren gezogen werden.

Den Gewerkschaftsfunktionären muss das Vertrauen entzogen werden. Die Initiative muss von unabhängigen Betriebskomitees übernommen werden, die sich überregional und international mit ihren Kollegen zusammenschließen, um in der gesamten Industrie für die prinzipielle Verteidigung jedes Arbeitsplatzes zu kämpfen. Das geht nur mit einem sozialistischen Programm, das von der Priorität der Interessen der Arbeiter ausgeht, die Betriebe vergesellschaftet und den Profitinteressen der Kapitalisten entreißt.

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