Prozess gegen Assange: WikiLeaks hat Drohnenmorde und Folter enthüllt, sagt Anwalt von Guantanamo Bay-Häftlingen

Am Dienstag war der zweite Tag des wiederaufgenommenen Auslieferungsverfahrens der USA gegen Julian Assange. Im Gericht wurde vorgetragen, wie die Enthüllungen von WikiLeaks dazu beigetragen haben, weltweit Opfer von Folter und geheimen Überstellungen zu befreien, „Todeslisten“ aufzudecken und die Beendigung eines Drohnenmordprogramms zu unterstützen, das von der Obama-Regierung eingeleitet wurde.

Der amerikanische Bürgerrechtsanwalt Clive Stafford Smith, Mitbegründer der Londoner Wohltätigkeitsorganisation Reprieve, erklärte vor Gericht, er sei als Anwalt Dutzender Häftlinge in Guantanamo Bay auf Kuba mit den Enthüllungen von WikiLeaks vertraut gemacht worden.

Die geheimen diplomatischen Telegramme, die WikiLeaks enthüllt hat, enthielten Beweise für ein Drohnenmordprogramm der USA in Pakistan. Daraufhin entschied das Oberste Gericht Pakistans, dieses Programm sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Kronanwalt Mark Summers fragte im Namen der Verteidigung: „Wäre dieses Verfahren ohne die Beweise möglich gewesen, die WikiLeaks enthüllt hat?“

„Einige dieser Enthüllungen wären nur sehr, sehr schwer zu finden gewesen“, antwortete Smith. „Vor allem die Stellungnahmen des damaligen Premierministers [Yousaf Raza] Gillani. Sie waren sehr wichtig für die Aufdeckung der leider sehr heuchlerischen Haltung dieser Regierung.“

Die von WikiLeaks veröffentlichten Telegramme haben enthüllt, dass Gillani privat das US-Drohnenmordprogramm unterstützt und der US-Botschafterin Anne Patterson erklärt hatte: „Es ist mir egal, ob sie es tun, solange sie die richtigen Leute treffen. Wir protestieren in der Nationalversammlung und ignorieren es dann.“

Wie Smith bestätigte, hat WikiLeaks auch die Versuche der USA aufgedeckt, Ermittlungen über Überstellungen und Folter zu verhindern.

Smith sprach über ein US-Mordprogramm in Syrien, dessen Todesliste ebenfalls von WikiLeaks veröffentlicht wurde. Unter den 669 Namen befanden sich u. a. der amerikanische Journalist Bilal Abdul Kareem und Ahmad Zaidan von Al Jazeera.

Smith erklärte, die Liste zeige eine „imperiale Einstellung zu Ermordungen“.

Die Waffen, mit denen die Zielpersonen der USA ermordet wurden, „waren nach Pornostars benannt und verwiesen eindeutig auf Verbündete der USA, die als Großbritannien oder Australien erkennbar waren“.

Smith erklärte, wie WikiLeaks-Dokumente dabei geholfen haben, angebliche „feindliche Kämpfer“ zu befreien, die rechtswidrig in Guantanamo Bay festgehalten wurden, weil sie durch Folter erpresste Geständnisse gemacht hatten. Er erklärte: „Trotz allem, was wir über Mittelamerika in den 1970ern wissen, hätte ich niemals geglaubt, dass meine Regierung solche Dinge tun würde. Wir sprechen hier von Verbrechen wie Folter, Entführung, Überstellung, Inhaftierung ohne Prozess und Mord.“

Kronanwalt Summers fragte Smith: „Reden wir hier über Dinge wie verschärfte Verhöre... und Geheimgefängnisse?“

Smith antwortete: „Ich habe im Rahmen eines Projekts die Methoden, die meine Regierung gegen meine Klienten anwendet, mit denen der spanischen Inquisition verglichen. Das beste Beispiel dafür ist der Strappado, bei dem man an den Handgelenken aufgehängt wird, sodass langsam die Schultern ausgerenkt werden. Soweit ich weiß, hat Donald Rumsfeld das als ,keine große Sache‘ bezeichnet.“

Auch im Fall Chekkouri wurden Publikationen von WikiLeaks benutzt, die die Beteiligung der britischen Regierung an der geheimen Überstellung und Folterung von Binyam Mohamed enthüllt haben. Ihm wurde von Verhörspezialisten eine Rasierklinge an die Genitalien gehalten, danach wurde er in ein Geheimgefängnis in Kabul gebracht und dort erneut gefoltert.

Kronanwalt James Lewis, der die US-Behörden repräsentiert, erklärte im Kreuzverhör als Reaktion auf Smiths Behauptung, die Veröffentlichungen von WikiLeaks seien im öffentlichen Interesse gewesen: „Sie müssten sich bewusst sein, dass nach dem Official Secrets Act von 1989 in Großbritannien Veröffentlichungen im öffentlichen Interesse nicht als Verteidigungsgrund anerkannt werden.“

Lewis machte dann den Zweck der Nachfolgeklage deutlich, die das US-Justizministerium in letzter Minute eingebracht hatte. Sie bildete die Grundlage für Assanges erneute Inhaftierung am Montag.

In einem absurden Moment erklärte Lewis Smith: „Würde es Sie überraschen, wenn Sie erfahren würden, dass es wegen der Veröffentlichung der Telegramme, die sie anfangs in Ihrer Erklärung erwähnt haben, keine Anklage gegen Assange oder irgendjemand anderen gibt?“

Lewis behauptete: „Ihm wird nur vorgeworfen, die Namen von Leuten öffentlich gemacht und damit ihr Leben gefährdet zu haben.“

Darauf folgte eine kafkaeske Diskussion, in der Lewis leugnete, dass es irgendeinen Zusammenhang zwischen den WikiLeaks-Enthüllungen über Folter, Überstellungen und Drohnenmorde und der Anklage der USA gegen Assange gibt. An diesem Punkt mischte sich Assange ein. Laut Anwesenden soll er gesagt haben: „Das ist Unsinn.“ Baraitser drohte ihm daraufhin sofort, jede weitere Störung werde zu Assanges Ausschluss aus seiner eigenen Verhandlung führen.

Nach einer kurzen Unterbrechung wärmte Lewis die schäbigen Lügen der US-Geheimdienste und ihrer medialen Sprachrohre auf, Assange habe die massenhafte Veröffentlichung unredigierter Dokumente bevollmächtigt.

Lewis behauptete unter Berufung auf das verleumderische Buch WikiLeaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy des Guardian-Autoren David Leigh (mitverfasst von Luke Harding), WikiLeaks habe vorsätzlich das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht. Tatsächlich haben die Guardian-Journalisten ein Passwort veröffentlicht, das zur Veröffentlichung von unredigierten Namen führte, nachdem Assange Tausende von vertraulichen Dokumenten redigiert hatte.

Mark Summers wies Lewis’ Behauptung zurück, Assange werde ausschließlich wegen der angeblichen Bekanntgabe von Namen angeklagt. Er zitierte aus Punkt 1 der derzeitigen Anklage wegen „Verschwörung zur Veröffentlichung von Informationen aus dem Bereich der nationalen Verteidigung“, darunter „Bewertungsberichte über Inhaftierte in Guantanamo Bay, Telegramme des US-Außenministeriums und Einsatzregeln für den Irak“ und Verschwörung mit dem Ziel, „bewusst Dokumente aus dem Bereich der nationalen Verteidigung zu verbreiten“.

Summers erklärte gegenüber Smith: „Es wurde angedeutet, dass es in der Anklage nur um die Telegramme mit lesbaren Namen ging. Ist das auch Ihre Auffassung?“ Smith antwortete darauf: „Nein, das ist es nicht.“

Die US-Staatsanwälte versuchen, das zentrale Element ihrer seit zehn Jahren andauernden Verfolgung von Assange zu leugnen. Die USA sind sich bewusst, dass WikiLeaks aufgrund der mutigen Enthüllung von Kriegsverbrechen massiven Rückhalt in der Bevölkerung genießt, während sich ihr Verfahren gegen Assange als juristische Farce herausstellt. Deshalb versuchen sie, die Grundlage für ihren Auslieferungsantrag zu ändern. Die neue Anklage ist darauf ausgelegt, eins der zentralen Argumente der Verteidigung zu entkräften: dass die Anklagepunkte „politisch“ sind und deshalb keine Auslieferung möglich ist.

Am Nachmittag setzte Professor Mark Feldstein seine Zeugenaussage als Sachverständiger fort, die am Montag wegen technischer Probleme unterbrochen wurde. Feldstein, Professor für Rundfunkjournalismus an der Universität von Maryland mit 20 Jahren Erfahrung als investigativer Journalist, bezeichnete Assanges Verfolgung als politisch motiviert und Teil von Präsident Donald Trumps „Kampagne gegen die Presse“.

Kronanwalt Fitzgerald, der die Verteidigung repräsentiert, wies in seiner Zusammenfassung von Feldsteins Argumenten auf den beispiellosen und weitreichenden Charakter der Anklage hin (in Feldsteins Worten, „sie widerspiegelt, was Journalisten eigentlich tun“) und auf Trumps bekannte Feindseligkeit gegenüber der Presse. Fitzgerald erklärte, die Obama-Regierung habe keine derartige Anklage gegen Assange erhoben.

Als Antwort auf den letzten Punkt erklärte die Anklage, eine Grand Jury gegen Assange sei bereits von Obama ins Leben gerufen wurden, und es gebe keine Hinweise darauf, dass deren Verfahren eingestellt wurde. Feldstein stimmte zu, dass „die Obama-Regierung sehr darauf bedacht war, Klage gegen Assange zu erheben und sehr aggressiv zu ermitteln“. Das alles spricht dafür, dass Assange aus politischen Gründen ausgeliefert werden soll – was die ganze herrschende Klasse Amerikas befürwortet. Der derzeitige Präsidentschaftskandidat der Demokraten Joe Biden hat den WikiLeaks-Herausgeber und Journalisten einen „Hightech-Terroristen“ genannt.

Während eines Kreuzverhörs argumentierten die Staatsanwälte auch, es gebe das sogenannte „New York Times-Problem“ nicht – laut dem man auch die Times anklagen müsse, wenn man Assange anklagt, da sie kurzzeitig mit WikiLeaks zusammengearbeitet und vertrauliche Dokumente veröffentlicht hat. Als Grund gaben sie an, die Times habe nicht konspirativ mit Chelsea Manning zusammengearbeitet, um sich Zugang zu vertraulichen Dokumenten zu verschaffen, sondern sie nur „passiv erhalten“.

Darauf entgegnete Summers, die angebliche „Verschwörung“ habe daraus bestanden, Assanges Quelle, Manning, zu helfen, ihre Identität zu schützen und sie zu ermutigen, Informationen weiterzugeben. Feldstein erklärte, dies sei die „moralische Verpflichtung“ eines Journalisten und „etwas, was alle Journalisten tun“. Es stimmt jedoch, dass die New York Times als zuverlässiges Sprachrohr des Staates – ebenso wie der Guardian – niemals Gefahr laufen würde, von der US-Regierung wegen prinzipientreuen investigativen Journalismus kriminalisiert zu werden.

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