MAN streicht ein Viertel aller Arbeitsplätze

Wie andere Hersteller der Automobilindustrie nutzt auch die VW-Tochter MAN die Corona-Pandemie für eine drastische „Neuausrichtung des Unternehmens“. 9500 der weltweit 36.000 Arbeitsplätze sollen dabei gestrichen werden.

MAN-Sattelschlepper (Foto: O. Nordsieck / CC-BY-SA 3.0)

Die Werke in Steyr/Österreich (2200 Beschäftigte), Plauen (Bus-Modification Center mit etwa 150 Arbeitern) und Wittlich/Eifel (Modification Center mit etwa 100 Beschäftigten) sollen ganz geschlossen werden. Im Rahmen der Neuausrichtung will MAN laut Süddeutsche Zeitung auch einen „Teil der Arbeit in Länder verlagern, in denen die Lohnkosten niedriger sind als in Mitteleuropa“. In den kommenden drei Jahren sollen Kostensenkungen von insgesamt 1,8 Milliarden Euro erzielt werden.

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet die Nachricht als einen „historischen Einschnitt“, dessen dramatische Konsequenzen eine „ziemlich gute Verkaufe“ brauche. Sprich: Die IG Metall und ihre Betriebsräte müssen alles daransetzen, um diesen Stellenabbau ohne Aufstand der Arbeiter durchzusetzen. Weitere Einzelheiten der Einsparungen sollen laut Unternehmensleitung in „vertrauensvollen Gesprächen“ mit der Arbeitnehmerseite verhandelt werden.

Dass die IG Metall dazu bereit ist, hat sie bereits signalisiert, solange „betriebsbedingte Kündigungen“ ausgeschlossen werden – die Standardformel der Gewerkschaft für ihre Mitarbeit bei Stellenabbau und Betriebsschließungen.

In einer ersten Stellungnahme berief sich IG Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner auf eine „Standort- und Beschäftigungssicherung“, die bis Ende 2030 gelte. Diese Vereinbarung aus dem Jahr 2016 sollte die Sicherheit der Arbeitsplätze suggerieren, denn die Belegschaften der zahlreichen Standorte waren durch einschneidende Veränderungen der Besitzverhältnisse des Unternehmens verunsichert.

Seit der VW-Konzern 2011 die Mehrheit von MAN übernahm und 2014 die LKW-Tochter Scania vollständig schluckte, waren Kostensenkungen und „Synergieeffekte“ im Gespräch. Zusammen mit der brasilianischen VW-Tochter Volkswagen Caminhões e Ônibus wurden MAN und Scania zur VW-Nutzfahrzeugholding Traton SE vereinigt.

„Mit der Beschäftigungssicherung schaffen wir jetzt zuverlässige Rahmenbedingungen für unsere Mitarbeiter“, hatte Joachim Drees, der Vorstandsvorsitzende von MAN, damals versprochen. „Wir können voll Zuversicht in die Zukunft schauen“, unterstützte ihn der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Saki Stimoniaris.

Tatsächlich gilt die Vereinbarung nur bis 2025, die jährliche Verlängerung bis 2030 kann der Vorstand jederzeit kündigen. Der Ausschluss „betriebsbedingter Kündigungen“ verhindert zudem nicht den Abbau von Stellen. Die Instrumente, mit der ihn die IG Metall trotzdem durchsetzt, sind von unzähligen Betrieben bekannt: Altersteilzeit, keine Neubesetzungen freier Stellen, natürliche Fluktuation, Abfindungen, persönlicher Druck, „freiwillig“ zu gehen, und Transfergesellschaften.

Auch die Konsequenzen dieser Politik sind bekannt: Altersarmut, Abrutschen in Arbeitslosigkeit nach kurzer Übergangszeit, Lohneinbußen mit entsprechenden Konsequenzen für die Familienangehörigen. Leiharbeiter und befristet Beschäftigte verlieren als erste ihre Arbeitsstelle, ohne dass die Gewerkschaft einen Finger rührt.

Das Ausmaß dieser Entwicklung ist dramatisch, „Das große Erwachen wird wohl erst im nächsten Jahr kommen. Dann wird es eine brutale Auslese geben“, prophezeit der Experte für die Automobilindustrie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, Peter Fuß.

Dabei warnt er besonders vor einer Pleitewelle in der Zulieferindustrie, wo im Herbst mit Massenkündigungen gerechnet wird. Zulieferbetriebe haben insgesamt schon den Abbau von mehreren zehntausend Stellen angekündigt.

So gab der Zulieferer Scheffler vor wenigen Tagen den Nettoabbau von rund 4400 Stellen in Deutschland und Europa bis Ende 2022 bekannt. Zwölf deutsche Standorte und zwei in Europa sind betroffen. Schon seit dem Anlauf des „Effizienzprogramms RACE“ verkaufte Scheffler die drei Automotive-Standorte Hamm, Unna und Kaltennordheim. Der Stellenabbau zur „Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit“ wird alle deutschen und auch internationale Standorte treffen – unter anderem in Wuppertal, Luckenwalde, Eltmann und Clausthal-Zellerfeld sowie die Aftermarket-Betriebsstätten in Hamburg und Köln.

Der VW-Konzern hat im Juli dieses Jahres Traton-Chef Andreas Renschler und MAN-Chef Joachim Drees vorzeitig abgelöst. Anders als die Arbeiter fallen sie allerdings weich. So erhält Renschler eine üppige Abfindung von mindestens 10 Millionen Euro und ab Juli 1922 eine monatliche Rente von knapp 60.000 Euro.

Wenige Tage bevor der neue MAN-Chef Andreas Tostmann die Neustrukturierung des Unternehmens ankündigte, hatte die VW-Traton Holding ihr Übernahmeangebot für den amerikanischen Truckhersteller Navistar erhöht. Traton hält bereits etwa 17 Prozent der Aktien und will für insgesamt 3,6 Mrd. US Dollar die restlichen kaufen. Dadurch will VW seine Position im amerikanischen Markt gegenüber den bereits etablierten Konkurrenten Daimler und Volvo ausbauen.

Es fehlt also nicht an Kapital. Die Traton-Gruppe wies noch im Finanzjahr 2019 ein Ergebnis nach Steuern in Höhe von 1,561 Milliarden Euro aus. Der Stellenabbau und die Betriebsschließungen dienen ausschließlich der Steigerung der Profitmarge im internationalen Wettbewerb. Arbeitsplätze sind Kostenfaktoren, die diesem Ziel zum Opfer fallen.

Die IG Metall steht dabei auf der Seite der Konzerne. Sie war mit dabei, als sich deren Chefs am 8. September zum „Autogipfel“ im Kanzleramt trafen, um sich auszutauschen und ihre Strategie abzustimmen.

Neben Bundeskanzlerin Merkel, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Verkehrsminister Andreas Scheuer und dem Mobilitätsberater der Bundesregierung, Ex-SAP-Chef Henning Kagermann, nahmen Volkswagen-Chef Herbert Diess, Daimler-Chef Ola Källenius, BMW-Vorstandschef Harald Krüger und der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, an dem Gipfel teil. Die IG Metall war durch ihren Chef Jörg Hofmann vertreten.

Obwohl es kaum konkrete Beschlüsse gab, wurde klar: Regierung, Unternehmen und IG Metall verfolgen gemeinsam das gleiche Ziel: die deutsche Automobilindustrie auf Kosten der Belegschaften zu stärken.

Die IG Metall hat zu diesem Zweck gemeinsam mit der IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) eine „Best Owner Group“ (BOG) initiiert, die vom ehemaligen Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, geleitet wird. Er soll systemrelevante Zulieferer kaufen, die durch den Wechsel von Verbrennungsmotoren zu Elektroantrieben unter Druck geraten, ein „alternatives Finanzierungsmodell“ für sie entwickeln und „einen geregelten Downsizing-Prozess“ durchführen. Auch Qualifizierungsmaßnahmen „für Beschäftigungsalternativen“ sind vorgesehen.

Das Konzept erinnert an die zahlreichen „Transfergesellschaften“, die – oft unter Regie der Gewerkschaften – bei Betriebsschließungen den Stellenabbau organisiert haben, wobei die Beschäftigten mehrere Monate lang ein gekürztes Gehalt bezogen, bis sie in die Arbeitslosigkeit entlassen oder in geringer bezahlte Stellen verschoben wurden.

Das für die BOG benötigte Kapital von einer halben Milliarde Euro soll bei Stiftungen, Endherstellern, Unternehmerfamilien und Vermögensverwaltern und der Regierung eingeworben werden. Die IG Metall hat bereits „ein paar hunderttausend Euro“ (Tagesspiegel) Startkapital aus der Gewerkschaftskasse investiert, die IG BCE ebenfalls.

Loading