Lufthansa erwägt, etwa 30 Prozent der derzeitigen Belegschaft abzubauen. Das sind rund 40.000 Arbeitsplätze, fast doppelt so viel wie Ende Juni angekündigt. Damals war von 22.000 Stellen die Rede gewesen. Außerdem steht der Verkauf von Unternehmensteilen bevor, darunter die Cateringfirma LSG-Sky Chefs und Lufthansa Technik.
Laut einem Bericht des Manager-Magazins hat eine Klausurtagung des Lufthansa-Vorstands, die im Feriendomizil von Konzernchef Carsten Spohr in Olbia auf Sardinien stattfand, ein solches Szenario durchgespielt.
Spohr selbst verkündete am Dienstag während einer internen Online-Fragestunde den Abbau von 28.000 Arbeitsplätzen. Obwohl der Konzern neun Milliarden Euro Staatshilfe erhalten hat, reiche die bisher geplante Kürzung der Konzern-Flotte um 100 Flugzeuge und ihre entsprechende Besatzung nicht aus. Eine Entscheidung soll in der kommenden Woche nach einem Treffen mit dem Aufsichtsrat fallen. Dort sitzen die Kapitaleigner zusammen mit Funktionären der Gewerkschaften.
Die Gewerkschaften haben während der vergangenen Monate eng mit dem Vorstand zusammengearbeitet. Sie haben sich mit Sparvorschlägen gegenseitig überboten und massiven Lohnsenkungen, Stellenabbau, Altersteilzeitverträgen und weiteren Einbußen zugestimmt. Sie taten dies mit dem Versprechen, durch solche Zugeständnisse würden die Arbeitsplätze gesichert. Das entpuppt sich nun als Lüge. Die Zugeständnisse der Gewerkschaften haben Spohr ermutigt, die Daumenschrauben weiter anzuziehen.
Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals, Ufo, hatte sich schon im Juni mit dem Lufthansa-Vorstand darüber beraten, wie ein „Überhang von 26.000 Arbeitsplätzen“ abgebaut werden könne. Im Deutschlandfunk hatte UFO-Chef Daniel Flohr damals erklärt, eine Stellenstreichung in dieser Größenordnung sei nicht überraschend, sie stütze sich auf nachvollziehbare Berechnungen, mit dieser Größe könne man arbeiten. „Auf dem Silbertablett“ habe man der Lufthansa Einsparungsvorschläge unterbreitet und als Gegenleistung die „Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen“ erhalten.
Ufo hatte Lohnzugeständnisse in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro akzeptiert und dafür angeblich die Zusicherung eines vierjährigen Kündigungsschutzes erhalten. Jetzt wird bereits über nötige „Nachverhandlungen“ gesprochen, und ein Nachrichtendienst der Branche, aero.de, meldet, dass der Vertrag bei schlechter Geschäftsentwicklung einseitig kündbar sei.
Inzwischen beschwert sich Ufo-Geschäftsführer Nicoley Baublies darüber, dass seit Vertragsschluss keine Gespräche mehr zu den Einzelheiten der Übergangsregelungen und Abfindungen stattgefunden hätten, weil der Arbeitgeber „abgetaucht“ sei. Bei den LH-Töchtern Germanwings und SunExpress Deutschland stünden jetzt 1500 Flugbegleiter vor der Entlassung.
Die Gewerkschaft Verdi, die etwa 35.000 Bodenbeschäftigte vertritt, hatte Einsparungen in Höhe von 600 Millionen Euro angeboten. Zu wenig, urteilte Lufthansa und brach die Gespräche mit der Begründung ab, der Betrag entspräche nur etwa 8 Prozent der Personalkosten, während 20 Prozent notwendig seien.
Nach dem Abbruch der Verhandlungen kündigte Lufthansa 80 Vereinbarungen zur Altersteilzeit an den Standorten Düsseldorf, Berlin, Bremen, Hamburg, Hannover, Köln, Nürnberg und Stuttgart. Mira Neumaier, die für Verdi die Verhandlungen führt, bezeichnete die Kündigungen als „moralisch unterirdisch“.
Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit bot sogar eine Gehaltskürzung von 45 Prozent an, die sich bei etwa 5000 Piloten auf Einsparungen in Höhe von 350 Millionen summiert.
Die Zugeständnisse der Gewerkschaften haben die Lufthansa zu immer weiteren Angriffen auf die Arbeitsbedingungen des Flugpersonals ermuntert. Am 9. September startete das Unternehmen eine interne Ausschreibung für 300 neue Arbeitsstellen bei dem „Ocean-Projekt“, für das Lufthansa vor kurzem das Air Operator Certificate (AOC) beantragt hat. Ocean soll sich in Konkurrenz zu den etablierten Ferienfliegern Condor und Tui auf Ferienflüge konzentrieren, deren Passagierzahlen in der Corona-Pandemie schneller zunehmen als die von Geschäftsflügen.
Im Frühjahr 2021 soll Ocean mit den ersten Flügen von München und Frankfurt aus starten. In Anlehnung an die zum Lufthansakonzern gehörende Swiss-Tochter Edelweiss werden die Beschäftigten weit unter dem Niveau des Lufthansa-Tarifs bezahlt. Außerdem sollen die Arbeitsverträge befristet werden.
Bis diese neuen Crews eingestellt sind, sollen die Flüge vom Personal der Tochtergesellschaften SunExpress und Cityline durchgeführt werden. Anschließend können diese „sich dann auf ihre eigenen Strecken zu deutlich verschlechterten Bedingungen neu bewerben und dürfen auch nur auf einen befristeten Arbeitsplatz hoffen. Über ein solches Vorgehen kann man nur den Kopf schütteln“, so ein Kommentar von Markus Wahl, dem Präsidenten der Vereinigung Cockpit (VC).
Während die Gewerkschaften beim Arbeitsplatz- und Lohnabbau eng mit dem Vorstand zusammenarbeiten und die Belegschaften in befristet und unbefristet Beschäftigte, normal und niedrig bezahlte sowie Ältere und Junge spalten, wächst die Wut und Kampfbereitschaft unter dem Flugpersonal. Viele Beschäftigte suchen in den sozialen Medien, wo sich eine Diskussion entwickelt, nach Perspektiven.
Die Beschäftigten der Luftfahrtindustrie müssen mit den bankrotten Gewerkschaften brechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die sich international vernetzen und den Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Löhnen organisieren. Die Krise der Luftfahrtindustrie lässt sich auf kapitalistischer Grundlage nicht lösen. Sie erfordert eine sozialistische Perspektive. Die Konzerne müssen enteignet und in demokratisch kontrollierte, öffentliche Institutionen überführt werden, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht dem Profit dienen.