30 Jahre deutsche Einheit: Berlin erhöht Militärausgaben und setzt auf Nationalismus und Krieg

In seiner Festrede zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit versuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das wiedervereinigte Deutschland als Garant einer „internationalen Friedensordnung“ darzustellen.

Im Gegensatz zum deutschen Kaiserreich, dass sich „auf preußische Dominanz, auf Militarismus und Nationalismus“ gestützt habe, die direkt in die „Katastrophe des Ersten Weltkrieges“ führten, lebe man heute in einem „wiedervereinten, freiheitlichen, demokratischen Land in der Mitte Europas“, sagte Steinmeier am 3. Oktober in Potsdam.

30 Jahre nach der Wiedervereinigung auf kapitalistischer Grundlage ist diese Propaganda mehr als verlogen. Angesichts der tiefsten wirtschaftlichen und sozialen Krise seit den 1930er Jahren, eskalierender internationaler Konflikte und heftiger Spannungen zwischen den Großmächten zeigt die herrschende Klasse in Deutschland wieder ihr wahres Gesicht. Sie setzt offen auf „Militarismus und Nationalismus“, baut mit der AfD eine faschistische Partei auf und kehrt systematisch zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik zurück.

Bezeichnend dafür war die Haushaltsdebatte, die in den Tagen vor Steinmeiers Rede im Bundestag stattfand. In ihrer Rede zum neuen Wehretat verkündete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) eine massive Rüstungsoffensive.

„Die großen Beschaffungsvorhaben, allen voran europäische Kooperationsvorhaben, werden nur umsetzbar sein, wenn dafür in Zukunft zusätzliches Geld bereitgestellt wird“, erklärte sie. Das gelte „für den Eurofighter wie für das deutsch-französische FCAS-Projekt und den Hubschrauber NH90. Wenn deutsche und europäische Unternehmen die Liquidität erhalten sollen, die sie brauchen, dann müssen dafür neue Zusagen gemacht werden.“ Dies sei „ein Anliegen der gesamten Bundesregierung“.

Die von der Großen Koalition auf den Weg gebrachten Projekte und ihre Kosten sind gigantisch. Beim FCAS (Future Combat Air System) handelt es sich um ein europäisches Luftkampfsystem, das ein Mehrzweckkampfflugzeug der sechsten Generation mit Drohnen, Satelliten sowie Kommando- und Kontrollflugzeugen kombiniert – und gegebenenfalls über eine eigene nukleare Komponente verfügt. Allein für die Entwicklung werden bis zu acht Milliarden Euro veranschlagt. Insgesamt werden sich die Kosten auf mindestens 100 Milliarden Euro belaufen. Das Handelsblatt berichtete im vergangenen Jahr, das System könnte „bis Mitte des Jahrhunderts“ sogar „bis zu 500 Milliarden Euro“ verschlingen.

Andere Vorhaben wie die Beschaffung von Kampfdrohnen sollen ganz unmittelbar umgesetzt werden. Im Jahr 2021 komme es „darauf an, unsere Soldatinnen und Soldaten mit Material auszustatten“, erklärte Kramp-Karrenbauer. Die im Februar gestartete „Initiative Einsatzbereitschaft“ zeitige zwar „erste Fortschritte“ – u.a. seien die „Flugstunden für den Eurofighter und andere Luftfahrzeuge der Luftwaffe erhöht worden“ und „über 1200 moderne Lkws in der Truppe angekommen“ – aber all das reiche „noch nicht aus“. Es müsse Weiteres dazukommen. Dazu gehöre „als ein zentrales Vorhaben auch die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr“.

Heron-Drohne der Bundeswehr (Foto: Bundeswehr)

Die Verteidigungsministerin machte keinen Hehl daraus, dass sich Deutschland mit den tödlichsten Waffen ausstattet, um weltweit Kriege für seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen zu führen – zunehmend auch gegen seine Verbündeten. „Wenn unser Geschäftsmodell global ist, dann muss auch unsere Sicherheitspolitik global sein,“ sagte sie. „Ich muss deshalb noch einmal deutlich sagen: Wir Deutsche werden als Sicherheitsgarant dafür mehr tun müssen – nicht für Trump, nicht für irgendwen, sondern für unsere eigene Sicherheit.“

Als deutsche Einfluss- und Interessengebiete identifizierte Kramp-Karrenbauer neben der „Nachbarschaft der EU, im Halbkreis vom Nordosten bis zum Südwesten“ – also dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika –, auch das rohstoff- und bevölkerungsreiche Asien. „Die neuen Leitlinien der Bundesregierung zum Indopazifik definieren Deutschlands Rolle in dieser entscheidenden Weltregion, in der ein großer Teil unseres Wohlstandes erwirtschaftet wird“, so die Verteidigungsministerin.

Die Bundesregierung werde deshalb „ihr sicherheitspolitisches Engagement im Indopazifik ausweiten“, was „die Teilnahme an Übungen in der Region“ und „verschiedene Formen maritimer Präsenz umfassen“ könne. Offensichtlich gibt es dafür bereits konkrete Pläne. Falls „Covid es erlaubt“, werde man „nächstes Jahr mit der Bundeswehr auch in diesem Raum präsent sein“.

Die größenwahnsinnigen Pläne und die aggressive Rhetorik der herrschenden Klasse erinnern an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. Rüdiger Lucassen, der Sprecher der AfD und frühere Bundeswehrsoldat und Referent im Verteidigungsministerium, schärfte den Parlamentariern ein: „Ein Staat hält keine Streitkräfte vor, um irgendwo einen Brunnen zu bohren oder eine Oma über die Straße zu führen. Streitkräfte müssen in der Lage und willens sein, tödliche militärische Gewalt anzuwenden.“ Dazu brauche „die Bundeswehr Korpsgeist, Stolz und ein einzigartiges Berufsethos“.

Martin Hohmann, der 2004 wegen einer als antisemitisch kritisierten Rede aus der CDU ausgeschlossen worden war und heute als AfD-Stellvertreter im Verteidigungsausschuss sitzt, mahnte die Große Koalition, die in der neuen Konzeption der Bundeswehr festgeschriebenen Aufrüstungs- und Kriegspläne schneller umzusetzen. „Frau Ministerin, stellen Sie diese Kampfkraft endlich her! Handeln Sie!“, rief er Kramp-Karrenbauer zu. „Was wir neben der Trendwende Material besonders brauchen, ist die Trendwende Wehrwillen, Wehrwillen in Gesellschaft und Politik.“

Hohmanns Rede unterstrich, wie weit die offizielle Politik auch international wieder faschistische Züge annimmt. Provokativ zitierte er den designierten US-Botschafter Douglas Macgregor, der jüngst erklärt habe, Deutschland gebe „Millionen für unerwünschte muslimische Invasoren“ aus, anstatt in seine Streitkräfte zu investieren.

Niemand im Bundestag trat der faschistischen und militaristischen Hetze entgegen. Im Gegenteil: auch die Redner der nominell linken Oppositionsparteien stellten klar, dass sie mit dem Kurs der Großen Koalition grundsätzlich übereinstimmen. Während für Gesundheit, Bildung, höhere Löhne und sichere Arbeitsbedingungen in Zeiten von Corona angeblich kein Geld da ist, schließen bei der Aufrüstung alle Bundestagsparteien die Reihen. Sie sind alle bereit, die militärische Aufrüstung mit derselben Rücksichtslosigkeit gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen, wie die unsichere Rückkehr an die Arbeitsplätze und Schulen.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Tobias Lindner, bezeichnete die Rüstungsprojekte der Großen Koalition als „gut“ und kritisierte lediglich deren unsichere Finanzierung. So finde sich im aktuellen Haushaltsplan „vor allem in dem Bereich Beschaffung … ein Sammelsurium von Wunschprojekten, für die Mittel fiktiv eingestellt, aber gesperrt sind“. Das sei „unverantwortlich gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten“.

Auch die Linkspartei, die schon vor 30 Jahren eine Schlüsselrolle bei der Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse in Ostdeutschland gespielt hatte, steht heute mit beiden Beinen im Lager des deutschen Imperialismus.

Ihr Sprecher Michael Leutert erklärte gleich zu Beginn seiner Rede, dass er „mit zwei positiven Dingen beginnen“ wolle. Zum einen habe er „interessiert gelesen, dass die Unterstützung für in Not geratene Ex-Soldaten der NVA [der früheren Armee der DDR] in der Bundeswehr angehoben wird“. Und „das Zweite: die Mittel für den Militärischen Abschirmdienst werden angehoben“. Dann signalisierte auch er die Unterstützung seiner Partei für die Aufrüstung der Bundeswehr. „Ich glaube, die Landesverteidigung ist hier Konsens im Raum; das steht nicht infrage.“

Offiziell soll der Militärhaushalt für das nächste Jahre um weitere 1,16 Milliarden auf dann 46,8 Milliarden steigen. Tatsächlich liegt er bereits weitaus höher. Schon im Konjunkturpaket, das die Große Koalition Anfang Mai verabschiedet hat, sind zusätzliche zehn Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr vorgesehen. In Punkt 10 des Programms heißt es, dass insbesondere „Sicherheitsprojekte sowie neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil, die noch in den Jahren 2020 und 2021 beginnen können, sofort umgesetzt werden. (Projektvolumen: 10 Mrd. Euro).“

Wie die astronomischen Summen, die im Rahmen der sogenannten Corona-Rettungspakete der Finanzoligarchie ausgehändigt wurden, sollen auch die Milliarden für die Bundeswehr aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden. In seiner Rede zum Haushalt, der im Dezember vom Bundestag verabschiedet werden soll, betonte der amtierende Finanzminister und designierte Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, dass die berüchtigte Schuldenbremse bald wieder greifen werde. Man werde es schaffen, „die Schuldenquote in den nächsten Jahren wieder abzusenken“ und „einen Pfad erreichen, auf dem wir die Ausnahmeregel ... nicht mehr in Anspruch nehmen müssen.“

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