Debatte der Vizepräsidenten: Harris weigert sich gegen Trumps Putschpläne aufzutreten

Bei der TV-Debatte der Kandidaten für das Amt des US-Vizepräsidenten, bei der am Mittwochabend die demokratische Senatorin Kamala Harris und der amtierende Vizepräsident Mike Pence zusammentrafen, ging es im Grunde um nur eine einzige Frage. Diese stellte Susan Page von USA Today, die die Debatte moderierte, ganz am Ende.

Sie fragte Harris nach dem Wahlergebnis: „Präsident Trump hat sich mehrfach geweigert, eine friedliche Machtübergabe nach der Wahl zu garantieren. Sollte ihre Partei gewinnen und Präsident Trump sich weigern, einen friedlichen Machtwechsel zu akzeptieren, welche Schritte würden Sie und Vizepräsident Biden dann unternehmen? Was würde dann als nächstes passieren? Sie haben zwei Minuten.“

Die Senatorin aus Kalifornien und Vize-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, reagiert auf den amtierenden Vizepräsident Mike Pence während der TV-Debatte der Vizepräsidenten am Mittwochabend, 7. Oktober 2020. (AP Photo/Julio Cortez)

Das ist die Frage aller Fragen. Sie bezieht sich in der Tat auf den einzigen Sachverhalt, der bei dieser Wahl noch offen bleibt. Die Abstimmung hat bereits begonnen, am 3. November – in nur 25 Tagen – soll der Prozess abgeschlossen sein. Trump hat wiederholt damit gedroht, die Wahlergebnisse zu ignorieren. Seine Drohungen wurden umso schärfer, je weiter er in den Meinungsumfragen zurückfiel.

Die Moderatorin fragte Harris – und damit die ganze Demokratische Partei –, was sie und Biden zu tun bereit sind, falls Präsident Trump die Verfassung missachten und versuchen würde, nach einer Wahlniederlage im Amt zu bleiben und sich damit praktisch gegen den Willen der amerikanischen Bevölkerung zum Diktator zu machen.

Harris‘ Antwort: Die Demokraten werden nichts tun. Sie werden nichts unternehmen, um die Verfassung oder die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung zu verteidigen.

Als Moderatorin Page zunächst erklärte, dass sich ihre letzte Frage auf die Wahl selbst beziehen werde, versuchte Harris, Zeit zu schinden. Sie bestand darauf, dass sie für ihre Antwort zusätzlich Zeit bekomme, um ihre Opposition gegen Polizeigewalt zu bekunden – und das, obwohl sie in ihrer Zeit als kalifornische Generalstaatsanwältin eine aggressive Law-and-Order-Kampagne verfolgte.

Als sie schließlich gezwungen war, die Frage zur Wahl zu beantworten, begann sie damit, die „Koalition“ zu beschreiben, die sich hinter der Wahlkampagne der Demokraten aufgereiht hat. Sie nannte jene große Zahl an Republikanern die das Kandidatenduo Biden/Harris unterstützen, darunter „sieben Mitglieder des Kabinetts von Präsident George W. Bush“ und „über 500 Generäle“, so Harris.

Dann appellierte sie: „Hier ist, was ich allen sagen möchte: Geht wählen. Bitte geht wählen.“

Doch angesichts der von Trump öffentlich angekündigten Pläne, das Ergebnis der Wahl – wahrscheinlich eine schwere Wahlniederlage für ihn – nicht zu respektieren, ist die eigentliche Frage, was unternommen wird, um das Abstimmungsergebnis durchzusetzen. Dazu schwieg Harris.

Sie fuhr fort: „Wir werden nicht zulassen, dass irgendjemand unsere Demokratie untergräbt – was Donald Trump getan hat, was er auch letzte Woche bei der TV-Debatte getan hat, als er erneut vor 70 Millionen Menschen einen offenen Versuch unternahm, die Abstimmung zu unterdrücken“. Daraufhin schloss sie in beinahe klagendem Ton mit „Bitte geht wählen“.

Sie hätte es nicht deutlicher machen können. Auf die Frage, was die Demokraten tun würden, wenn Trump sich weigert, das Ergebnis der Wahl zu akzeptieren, erklärte Harris, dass Biden von Republikanern und Generälen unterstützt wird. Die Entscheidung, ob Trump oder Biden ins Weiße Haus einziehen, obliegt also nicht der amerikanischen Bevölkerung, sondern rechten Politikern und dem Militär.

Was hätte eine wirklich demokratische Antwort auf diese Frage ausgesehen? Sie ist nicht schwer zu formulieren. Harris hätte lediglich die Bedeutung der Frage erklären müssen, die Page gestellt hat: „Sie fragen also, was wir tun werden, wenn Trump einen Aufstand anzettelt und die Verfassung der Vereinigten Staaten missachtet? In der amerikanischen Geschichte ist das bisher nur einmal passiert, nämlich 1860, als elf Südstaaten sich weigerten, die Wahl Abraham Lincolns anzuerkennen. Unsere Antwort wird die Antwort Lincolns sein: Wir werden die Verfassung ohne Wenn und Aber verteidigen. Wir werden nicht mit ihm verhandeln und wir werden alle notwendigen Mittel einsetzen, um einen Aufstand zu unterdrücken, der darauf abzielt, sich über die Stimme der Bevölkerung hinwegzusetzen.“

Harris hat dies nicht gesagt, weil die Demokratische Partei nicht in der Lage ist, einen solchen Standpunkt einzunehmen. Die Demokratie und die Verfassung wird sie nicht gegen Trump verteidigen, weil sie eine Partei der Wall Street, des Militärs und der Geheimdienste ist. Ihre größte Angst ist nicht die Trump-Diktatur, sondern dass eine unkontrollierbare politische Krise in den USA eine soziale Explosion auslösen und den Weg für revolutionäre Kämpfe der Arbeiterklasse, die das kapitalistische System bedrohen würden, bereiten könnte.

Der Rahmen, innerhalb dessen sich Harris‘ Antwort bewegen konnte, wurde bereits vom ehemaligen Vizepräsidenten Biden in seiner Rede in Gettysburg (Pennsylvania) vom Dienstag festgelegt. Am Ort des blutigsten Sieges der Union im Bürgerkrieg hätte Biden Trump und seine faschistischen Mitverschwörer warnen können, dass die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung mit Blut bezahlt wurden und nicht leichtfertig preisgegeben werden. Er hat nichts dergleichen getan.

Stattdessen formulierte er auf diesem Schlachtfeld des Bürgerkriegs einen Appell. Biden forderte, „den Geist der Überparteilichkeit in diesem Land, den Geist einer möglichen Zusammenarbeit mit einander, wieder zu beleben.“

In Anlehnung an die Worte Lincolns aus dessen berühmter Rede in Gettysburg (Gettysburg Address) erklärte Biden: „Es kann nicht sein, dass wir im Hier und Jetzt des Jahres 2020 erlauben, dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das das Volk von der Erde verschwindet.“ Doch für die Demokraten ist dies kein Ruf zu den Waffen, sondern ein Klagelied der Verzweiflung.

Vor nur drei Monaten erklärte Biden, es sei seine „größte Angst“, dass Trump das Wahlergebnis nicht akzeptieren werde. Jetzt, wo Trump einer „friedlichen Machtübertragung“ wiederholt eine Absage erteilt hat, wird Bidens Angst allmählich zu einem Winseln.

Bei der Wahl im Jahr 2000 kapitulierten die Demokraten vor einem rechten Putsch, der sich vom Obersten Gerichtshof den Deckmantel der „Legalität“ umhängen ließ. Im Jahr 2020 bereiten sie sich darauf vor, genau das gleiche, nur in ungleich größerem Maßstab, zu tun. Die Demokraten verkünden, dass sie den von Trump angedrohten Putsch nicht bekämpfen werden – eine Botschaft, die Trump laut und deutlich wahrnimmt.

Der Rest der Debatte zwischen den Vizepräsidentschaftskandidaten hatte wenig politische Bedeutung. Die beiden Kandidaten logen ohne Ende, stritten sich über Nebensächlichkeiten und inszenierten sich als Freunde einfacher Menschen, obwohl sie für rivalisierende Fraktionen der gleichen Millionärs- und Milliardärsklasse sprachen.

Harris erklärte korrekterweise, dass Trump versagt habe, die amerikanische Bevölkerung vor den Gefahren der Corona-Pandemie zu warnen, als er im Januar darüber informiert wurde. Doch nun im Oktober werden auch die Demokraten die Bevölkerung nicht vor der Gefahr eines Putschs durch den Präsidenten warnen, obwohl sie sich dieser Gefahr gegenwärtig vollkommen bewusst sind. Sie werden auch keine Maßnahmen ergreifen, um dies zu verhindern.

Die Verteidigung demokratischer Rechte kann nicht durch die Demokratische Partei oder irgendeiner anderen Institution der kapitalistischen herrschenden Klasse gelingen. Notwendig ist dafür eine Bewegung von unten, aus der Arbeiterklasse, die sich auf ein sozialistisches und revolutionäres Programm stützt.

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