Waffenruhe im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien gescheitert

Am Samstagmittag scheiterte der Versuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin, im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien, der seit zwei Wochen wütet, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Nur fünf Minuten nach Inkrafttreten des Abkommens, das aserbaidschanische und armenische Diplomaten in Moskau ausgehandelt hatten, flammten die Kämpfe zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken wieder auf. Die Angriffe auf zivile Ziele auf beiden Seiten und das Blutvergießen an der Front sowie in der umstrittenen Region Bergkarabach nehmen weiter zu.

Der Kreml hatte Delegationen des aserbaidschanischen und armenischen Außenministeriums am 9. Oktober nach Moskau eingeladen und erklärt: „Der Präsident Russlands ruft dazu auf, die Kämpfe in Bergkarabach aus humanitären Gründen einzustellen, um Leichen und Gefangene auszutauschen.“ Auch der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich aggressiv hinter Armenien gestellt hatte, forderte einen Waffenstillstand.

Aserbaidschanische Soldaten feuern mit einem Granatwerfer an der Kontaktlinie der selbst ernannten Republik Bergkarabach. (Filmmaterial vom 27. September, Aserbaidschanisches Verteidigungsministerium via AP).

Durch ihre Teilnahme an den Verhandlungen nahmen armenische Regierungsvertreter ihre zuvor erklärte Haltung zurück, sie würden nur an Verhandlungen teilnehmen, wenn schon ein Waffenstillstand vereinbart sei. Doch kurz vor Verhandlungsbeginn in Moskau erklärten Vertreter Aserbaidschans und dessen wichtigstem regionalem Unterstützer, der Türkei, sie würden keine Kompromisse akzeptieren.

Ibrahim Kalin, der Sprecher des türkischen Präsidenten, erklärte unverblümt, die Verhandlungen in Moskau seien zum Scheitern bestimmt: „Wenn man nur einen Waffenstillstand will und auch nur darauf hinarbeitet, dann wird sich nur der ungefähre Zustand der letzten 30 Jahre fortsetzen.“ Er wiederholte die Position der türkischen Regierung, die Besetzung von Bergkarabach durch Armenien sei illegal, und fügte hinzu: „Wenn das Abkommen keinen detaillierten Plan zur Beendigung der Besetzung beinhaltet, wird es fast mit Sicherheit scheitern.“

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew erklärte laut Reuters in einer Fernsehansprache, er werde keine Zugeständnisse an Armenien machen: „Der Einsatz von Gewalt durch Aserbaidschan hat die Tatsachen vor Ort geändert ... [und] bewiesen, dass es eine militärische Lösung für die Auseinandersetzung gibt.“ Er fügte hinzu, diese Verhandlungen seien Armeniens „letzte Chance“, den Konflikt friedlich zu lösen.

Alijew sagte auch, aserbaidschanische Truppen hätten die Gemeinden Hadrut, Tschayli, Juchari Guslak, Gorasilli, Gischlag, Garajalli, Afandilar, Suleymanli und Sur in Karabach eingenommen, und sprach von einem „historischen Sieg“. Er erklärte, auch die von Armenien kontrollierte Provinz Füzuli in Aserbaidschan sei bis auf eine kleine Fluchtroute eingekesselt, durch die die Armenier die Provinz verließen.

Kurzzeitig war eine Waffenruhe ab Samstagmittag angekündigt worden, doch kurz danach flammten die Kämpfe auf beiden Seiten wieder auf. Armenische Regierungsvertreter warfen den aserbaidschanischen Truppen vor, sie hätten um 12:05 Uhr einen Angriff begonnen. Aserbaidschanische Regierungsvertreter wiederum warfen Armenien Angriffe auf zivile Ziele vor. Am Sonntag verschärften sich die Kämpfe. Laut AFP wurde die aserbaidschanische Stadt Barda und die von Armenien kontrollierte Stadt Stepanakert in Bergkarabach mit Artillerie beschossen. Daneben wurden in Ganja, der zweitgrößten Stadt Aserbaidschans, neun Menschen durch eine armenische Rakete getötet und weitere 34 verwundet.

Am Montag warfen sich armenische und aserbaidschanische Streitkräfte gegenseitig vor, gegen den Waffenstillstand verstoßen zu haben, während sie behaupteten, sie selbst hätten sich daran gehalten. Aserbaidschanischen Streitkräften wurden Artillerieangriffe auf die Konfliktzone und „groß angelegte Kampfhandlungen“ nahe Hadrut vorgeworfen, und den armenischen Streitkräften Beschuss der Frontgebiete von Aserbaidschan.

Moskau und Teheran forderten Aserbaidschan und Armenien auf, sich an den Waffenstillstand zu halten, jedoch ohne Erfolg. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Saeed Khatibzadeh, erklärte: „Der Iran ruft beide Parteien zu mehr Selbstkontrolle auf, verurteilt die Raketenangriffe auf wichtige Infrastruktur und Wohngebiete und die Tötung von Zivilisten.“ Khatibzadeh erklärte, der Iran könne Verhandlungen über eine „dauerhafte und nachhaltige friedliche Lösung“ organisieren.

Der russische Außenminister Sergei Lawrow erklärte: „Wir erwarten, dass sich beide Parteien strikt an die getroffenen Entscheidungen halten werden.“ Weiter äußerte er die Hoffnung, die „durchwachte Nacht“, in der der Waffenstillstand ausgehandelt wurde, sei „nicht umsonst gewesen“.

Allerdings haben scheinbar sowohl Aserbaidschan als auch Armenien die Waffenruhe ignoriert und wollen weiterhin einen Konflikt eskalieren, der unlösbar mit den katastrophalen Folgen der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 zusammenhängt.

1921, in den frühen Jahren von Sowjetrussland, war Bergkarabach eine mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region umgeben von aserbaidschanischen Gebieten. Es besaß Autonomiestatus innerhalb von Aserbaidschan. Im Vorfeld der Auflösung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus kam es jedoch zur Zunahme von ethnischem Nationalismus und Separatismus in der Sowjetbürokratie und damit zu bewaffneten Konflikten. Aserbaidschanische und armenische Streitkräfte kämpften um Bergkarabach, das seine Unabhängigkeit erklärte. Die Folge war ein Krieg von 1988 bis 1994, in dem 30.000 Menschen getötet und mehr als eine Million vertrieben wurden.

Dass der Konflikt in den letzten drei Jahrzehnten trotz aller Versuche, eine dauerhafte Lösung auszuhandeln, mehrfach wieder aufgeflammt ist, verdeutlicht den reaktionären und untragbaren Charakter des Nationalstaatensystems. Ethnisch-turkstämmige aserbaidschanische Streitkräfte haben versucht, Karabach zurückzuerobern, das seit 1994 von armenischen Streitkräften kontrolliert wird. Dieser Konflikt wird jetzt durch sämtliche ethnische und militärische Spannungen verschärft, die die imperialistischen Kriege der USA in den drei Jahrzehnten seit der Auflösung der Sowjetunion in der Region ausgelöst haben.

Der Kaukasus ist aufgrund seiner Lage – zwischen dem Kaspischen Meer, Zentralasien und China im Osten, dem Iran und der Türkei im Süden, dem Schwarzen Meer und Europa im Westen und Russland im Norden – der Brennpunkt scharfer geostrategischer Spannungen. Diese verdeutlichen die sehr reale Gefahr, dass sich multiple Kriege und Konflikte in der Region zu einem globalen Krieg zwischen den Großmächten entwickeln können.

Einer der wichtigsten Konflikte ist der US-Kriegskurs gegen China, während Peking sein globales Infrastrukturprojekt „Belt and Road“ entwickelt. Der Analyst Daniel Shapiro schrieb am 1. Oktober in einem Artikel für die Universität Harvard mit dem Titel „USA sollten die zunehmenden chinesischen Investitionen im Südkaukasus im Auge behalten“, Chinas Präsenz in der Region könne „die US-Energiesicherheit und andere wichtige Interessen beeinträchtigen“. Er fügte hinzu, die Region sei für chinesische Firmen ein „exzellenter logistischer Knotenpunkt für die Ausbreitung in die Märkte im Kaukasus, der EU und Zentralasien“.

Shapiro warf China vor, seine Aktivitäten in der Region würden „mehrere wichtige Interessen der USA bedrohen“, darunter den Erhalt „eines Kräftegleichgewichts in Europa und Asien durch der Fortsetzung der Führungsrolle der USA“ und die Sicherung der „Stabilität wichtiger globaler Systeme“ wie die Öl- und Finanzmärkte.

Vertreter der US-Regierung haben sich nicht ausführlich über den derzeitigen Krieg in Karabach geäußert, da das politische System in den USA angesichts von Präsident Trumps Drohung, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl im nächsten Monat nicht zu akzeptieren, im Chaos versinkt. Allerdings haben die USA Aserbaidschan umfangreiche Militärhilfe in Höhe von 100 Millionen Dollar zukommen lassen, von denen das Land im großen Stil Waffen von Israel und der Türkei gekauft hat und so laut einigen Analysen zumindest teilweise das militärische Gleichgewicht mit Armenien gestört hat. Armenien wiederum verlässt sich auf die Unterstützung Russlands und Frankreichs.

Berichte, laut denen islamistische „Rebellenmilizen“ aus Syrien und türkische Sicherheitsfirmen Kämpfer nach Aserbaidschan an die Grenze zu Russland und dem Iran schicken, verschärfen diese Spannungen noch weiter. Teheran und Moskau, die das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in dem zehn Jahre andauernden Nato-Krieg unterstützt haben, fürchten, diese Kämpfer könnten türkisch-nationalistische oder islamistische Forderungen in den mehrheitlich von Aserbaidschanern bewohnten Regionen des Iran oder in muslimischen Regionen im russischen Nordkaukasus verbreiten.

Die Unterstützung des französischen Imperialismus für Armenien ist Teil seines umfassenderen Konflikts mit der türkischen Regierung. Diese hat im libyschen Bürgerkrieg, der durch den Nato-Krieg von 2011 ausgelöst wurde, Milizen unterstützt, die gegen Frankreichs Stellvertreter kämpfen. In den letzten Jahren eskalierte dies zu einem Konflikt nicht nur um die Ölvorkommen in Libyen, sondern auch um Vorkommen im Mittelmeer, wo die Türkei, Griechenland und Zypern um Gebietsansprüche konkurrieren. In diesem Konflikt hat Frankreich Griechenland aggressiv unterstützt, und Letzteres hat vor kurzem für Milliarden Euro französische Kampfflugzeuge und Kriegsausrüstung zur Vorbereitung eines Kriegs gegen die Türkei gekauft.

Dieser Konflikt flammte am Montag erneut auf, als die Türkei die Entsendung des Ölbohrschiffs Oruç Reis ankündigte, das in von Griechenland beanspruchten Gewässern nach Öl suchen soll. Das griechische Außenministerium, dessen Schiffe im Sommer mehrfach kurz vor einem Angriff auf türkische Schiffe standen, bezeichnete dies als „neue ernste Eskalation“.

Die ganze Region ist ein Pulverfass. Mehrere Konflikte könnten sich zu einem allgemeinen Flächenbrand entwickeln. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die Vereinigung der Arbeiterklasse über nationale Grenzen in einer internationalen Antikriegsbewegung gegen Kapitalismus und Imperialismus eine dringende Notwendigkeit ist.

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