Höchstzahl seit Pandemiebeginn: Über 7000 Neuinfektionen in 24 Stunden

Die zweite Corona-Welle ist da. Daran lassen die aktuellen Zahlen der täglichen Neuinfektionen nicht den geringsten Zweifel. Am Freitagmorgen meldete das RKI mit 7334 Neuinfektionen einen weiteren Rekordwert. Bereits am Donnerstag war die Zahl auf 6638 Neuinfektionen in 24 Stunden nach oben geschnellt - die bis dato höchste Zahl, die es seit Beginn der Sars-CoV-2-Pandemie bisher in Deutschland gegeben hat. Die Zahl der Covid-19-Todesfälle stieg auf insgesamt 9739.

In ganz Europa melden viele Länder Rekordzahlen an täglichen Neuinfektionen. In Russland kletterte die Zahl auf 13.000, in Frankreich auf 27.000 und in Großbritannien beträgt sie schon seit mehreren Tagen über 17.000. Nach dem neuen Lockdown in Israel gibt es wieder Teil-Lockdowns in Tschechien und den Niederlanden. In Belgien, wo die Infektionen ebenfalls rapide steigen, liegt die Inzidenz seit zwei Wochen bei 880 registrierten Fällen pro 100.000 Einwohner.

Trotz alledem halten die Regierenden an ihrer Durchseuchungsstrategie fest. Das gilt besonders auch für Deutschland: Hier haben nach einem langen Treffen am Mittwochabend Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs deutlich gemacht, dass sie nichts unternehmen werden, um die arbeitende Bevölkerung wirkungsvoll vor der Pandemie zu schützen.

Merkel selbst, die gemeinsam mit den Ministerpräsidenten Michael Müller (SPD, Berlin) und Markus Söder (CSU, Bayern) vor die Presse trat, ließ erkennen, wie bewusst die Politiker sich über den Ernst der Lage sind. „Wir sind bereits in der exponentiellen Phase“, sagte die Kanzlerin. „Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden.“

Dennoch empfahl sie zusammen mit den Länderchefs nur etwas schärfere Sperrstunden und Ausschankverbote. Die Maskenpflicht soll ab einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen als verbindlich gelten. Das Beherbergungsverbot in mehreren Bundesländern, auf das sich die Länder aber nicht einigen konnten, wurde in Baden-Württemberg wenige Stunden später vom Verwaltungsgerichtshof wieder gekippt.

Im Gegensatz zum März, als die Zahlen erstmals hoch gingen und Schulen und Kitas geschlossen wurden, sind die Politiker heute entschlossen, Arbeiter und Pflegekräfte, Bus- und Bahnfahrer, Lehrer und Schüler weiter der Ansteckungsgefahr auszusetzen. Um einen neuen Lockdown um jeden Preis zu verhindern, nehmen die Herrschenden massenhafte neue Todesfälle in Kauf.

Corona-Hinweisschild an einer Schule (Foto: Triplec85 / CC-BY-SA 4.0)

Das haben führende Politiker zu Anfang der Woche in allen Varianten wiederholt. Hier einige Beispiele:

„Es ist jetzt wichtig, das öffentliche Leben offen zu halten, Schulen und Kitas offen zu halten, die Wirtschaft offen zu halten.“ – Armin Laschet, CDU, Ministerpräsident von NRW am 12. Oktober.

„Wir müssen die Kernbereiche des gesellschaftlichen Lebens vor einem erneuten Lockdown bewahren. In Schulen, Kindergärten, Universitäten und in der Wirtschaft darf es diese drastischen Maßnahmen nicht mehr geben.“ – Winfried Kretschmann, Grüne, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, in Bild.

„Unser Ziel muss sein, einen zweiten Lockdown bundesweit zu verhindern, denn das würden wir wirtschaftlich nicht überleben.“ – Manuela Schwesig, SPD, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, am 12. Oktober im ARD-Mittagsmagazin.

Ganz drastisch formulierte es der Politikwissenschaftler und ehemalige SPD-Kulturstaatssekretär Julian Nidda-Rümelin am Montag in den Tagesthemen: „Alle sind sich darin einig: Ein zweiter Lockdown wäre eine Katastrophe.“ Ihm zufolge sei auch der Rückgang der Zahlen nach der ersten Welle keineswegs dem Lockdown zu verdanken, sondern er sei „schon vor dem Lockdown gekommen, das ist erwiesen“, so Nida-Rümelin.

Zur Untermauerung der abenteuerlichen Behauptungen zaubern Politik und Medien immer neue Pseudogutachten und Aussagen von wirtschaftsnahen (besser: gekauften) „Experten“ aus dem Hut.

Vor „falschem Alarmismus“ warnte zum Beispiel Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in der Osnabrücker Zeitung. Man solle doch aufhören, auf die Zahl der Neuinfektionen zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Stattdessen sei ein Blick auf die Intensivbetten angezeigt. Demzufolge sei auch im Herbst und Winter keine Überlastung des Gesundheitssystems zu befürchten.

Auch der Virologe Hendrik Streeck, der bereits als Ideologe der Herdenimmunität bekannt ist, fordert immer wieder, die Gesellschaft müsse mit dem „Überdramatisieren“ aufhören und zur Normalität zurückkehren, denn: „Zu viel Angst schadet nur.“ Im Gegensatz zum Frühjahr verliefen heute die meisten Corona-Erkrankungen harmlos, behauptete Streeck.

Dabei ist diese gefährliche, irreführende Propaganda längst durch seriöse Studien und Wissenschaftler widerlegt. So betonte die Virologin Melanie Brinkmann im Stern: „Dieses ganze Gedankengebäude, man könne ja mehr Infektionen zulassen, solange weniger schwere Verläufe zu verzeichnen sind, ist aus meiner Sicht Unsinn.“

Die schweren Verläufe werden folgen, sagte sie voraus, es sei höchste Zeit, „schnell und effektiv gegen[zu]steuern“. Sie rechne „mit 10.000 Neuinfizierten in Kürze“, so Brinkmann. Man dürfe „nicht erst handeln, wenn die Zahl der belegten Intensivbetten steigt“.

Dies bestätigte der Charité-Virologe Christian Drosten im NDR-Blog vom 13. Oktober. In mehreren anderen europäischen Ländern seien die Intensivstationen bereits wieder komplett voll, sagte er. „Wir hinken einfach zwei bis drei Wochen hinterher... Es gibt keinen Grund, warum es bei uns anders laufen sollte.“ Das Virus habe sich in Deutschland schon großflächig verteilt. Das zeigten immer neue Ausbrüche auch in abgelegenen Regionen und auf dem platten Land eindeutig.

Drosten identifizierte die gefährlichen Ausbruchsherde als „köchelnde Quellcluster“, die das Infektionsgeschehen maßgeblich anheizten. Dies habe eine groß angelegte Studie aus Indien im Fachmagazin Science nachgewiesen. Diese Studie aus den indischen Bundesstaaten Andhra Pradesh und Tamil Nadu habe nachgewiesen, wie sehr „diese Erkrankung sich in Clustern, in Superspreading-Events, verbreitet“. Solche Cluster schilderte er als Situationen, bei denen sich „zu viele Leute längere Zeit im geschlossenen Raum aufhalten, von denen zu viele keine Maske tragen“.

Aber genau diese Situationen gibt es tausendfach immer wieder in den Schulen, in vielen Produktionsstätten und Verteilzentren und in überfüllten Bussen und Bahnen. Das wird von den Politikern und Medien systematisch und gezielt ausgeblendet.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ist die einzige Partei und die WSWS die einzige tägliche Publikation, die den Fokus systematisch darauf richten. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) und seine Sektionen auf der ganzen Welt rufen alle Arbeiter in Produktions- und anderen Bereichen, Busfahrer, Pflegekräfte, Pädagogen, Schüler und andere Betroffene dazu auf, unabhängige Aktionskomitees zu gründen und einen Generalstreik vorzubereiten, um die zweite Corona-Welle zu stoppen.

Gerade häufen sich wieder neue Meldungen über Sars-CoV-2-Ausbrüche an den Schulen und Kitas und in Flüchtlings- und Senioreneinrichtungen im ganzen Land. Hier nur einige wenige von tausenden Fällen:

Anfang dieser Woche meldete die Stadt Freiburg im Breisgau neue Corona-Fälle an vierzehn Schulen und acht Kindergärten. Dort sind von 66 staatlichen Schulen elf betroffen. Weitere Ausbrüche gibt es an mindestens fünf verschiedenen Gymnasien im Landkreis Fürstenfeldbruck, an einem Gymnasium in Bayreuth und einem weiteren in Schweinfurt. Im Kreis Lippe (NRW) haben sich in einer Bibelschule evangelikaler Christen in Lemgo mehr als die Hälfte aller Internatsschüler infiziert: 60 von 117 Schülern wurden Corona-positiv getestet.

In einem Schreiben, mit dem 20 Elternverbände die Merkel-Regierung auffordern, den Unterricht ohne vernünftigen Corona-Schutz endlich zu stoppen, heißt es: „Viele tausend Lernende haben sich mit SARs-CoV-2 infiziert – ebenso eine größere Anzahl an Lehrenden und andere pädagogische Fachkräfte und weiteres Schulpersonal. Aktuell gehen wir von mindestens 50.000 Lernenden und einer zusätzlichen großen Anzahl von Lehrenden aus, die in Quarantäne sind.“

Weiter gibt es zahlreiche Ausbrüche in Flüchtlingsunterkünften. In der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) in Kassel-Niederzwehren wurden 111 Menschen positiv auf Corona getestet; das ist mehr als jede dritte geflüchtete Person in dieser Einrichtung. Auch in Bergedorf bei Hamburg gibt es sieben positive Fälle in einer Flüchtlingsunterkunft.

Was die Produktionsbetriebe betrifft, so ist nach dem Ausbruch bei Tönnies in Sögel jetzt ein Putenschlachthof in Mühldorf am Inn betroffen; dort wurden bis Mittwoch 39 Beschäftigte Covid-19-positiv getestet. Infiziert sind auch drei Schlachtereiarbeiter der Münchner Schlachtbetriebe, die sich freiwillig hatten testen lassen.

Mittlerweile ist auch die Situation auf den Intensivstationen alles andere als beruhigend. Wie Krankenhausärzte betonen, fehlt es an geschultem Personal. Doch auch die Betten sind nicht unbegrenzt vorhanden. Wie das DIVI-Intensivregister am Donnerstag, 15. Oktober meldet, sind 655 Intensivbetten belegt, das sind doppelt so viel wie vor zwei Wochen. Die Hälfte davon, 329 Betten, sind mit Patienten belegt, die beatmet werden müssen. Bisher hat sich gezeigt, dass jede vierte Covid-19-Intensivbehandlung mit dem Tod endet.

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