Gletscherschmelze – es drohen katastrophale Folgen für die Menschheit

Die globale Erderwärmung hat inzwischen dazu geführt, dass Gletscher weltweit kontinuierlich an Masse verlieren. Das gleichzeitige Tauen der Permafrostböden gilt als möglicher Kipppunkt im globalen Klimasystem – als Überschreiten einer Schwelle, die die Erderwärmung trotz aller Gegenmaßnahmen unumkehrbar machen könnte.

Die Polarstern im arktischen Eis (Foto: Christian R. Rohleder / bordmeldungen.de)

Am vergangenen Montag lief das Forscherschiff „Polarstern“ nach einer einjährigen Expedition im Bremerhaven ein. Die „Polarstern“ war am 20. September 2019 vom norwegischen Tromsø aus zu der nach eigenen Angaben bislang größten Arktis-Expedition aller Zeiten aufgebrochen. Unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) waren Hunderte Wissenschaftler von 80 Instituten aus 20 Ländern in wechselnden Crews an Bord.

Fast zehn Monate war das Schiff im Nordpolarmeer unterwegs, angedockt an eine Eisscholle. So konnten die Wissenschaftler den gesamten Eiszyklus vom Gefrieren bis zum Schmelzen messen und dokumentieren. Die Mission verschlang mehr als 140 Millionen Euro und hatte die Aufgabe, ein ganzes Jahr lang die Welt rund um Eis und Wasser praktisch lückenlos zu vermessen. Etwa 200 Parameter wurden erfasst, von den Temperaturen und Strömungen tief im Wasser und in bis zu 35 Kilometer Höhe bis zu den Mikroorganismen am und im Eis.

Die Auswertung der gesammelten Daten wird allerdings noch Jahre dauern, wahrscheinlich werden sie noch in Jahrzehnten genutzt. Aber manches ist heute schon offensichtlich – marodes, brüchiges, aufgeschmolzenes Eis fanden die Forscher im Sommer bis direkt zum Nordpol. Sie stießen immer wieder auf Schmelzwassertümpel und offenes Wasser.

„Das war früher ein Gebiet alten Eises“, sagt Polarstern-Kapitän Thomas Wunderlich. Nun konnte die Polarstern jedoch praktisch ungehindert in wenigen Tagen zum Nordpol vorstoßen. Seit den Achtzigerjahren ist die mittlere sommerliche Eisfläche in der Arktis um rund die Hälfte zurückgegangen, und das verbleibende Eis ist dünn und taut. Die „Mosaic“-Expedition hat eine Welt dokumentiert, die untergeht.

Die Beringstraße war in diesem Jahr fast eisfrei, was eine Aufnahme des europäischen Erdbeobachtungssatelliten „Sentinel 1“ vom 7. März zeigt. Normalerweise ist sie im Frühjahr mit Eis bedeckt. Laut der Europäischen Weltraumorganisation Esa ist derzeit im Beringmeer so wenig Eis wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850. Solche Zustände wird es in Zukunft immer häufiger geben, wie auf der Uno-Umweltkonferenz mitgeteilt wurde. Bis 2050 soll es einen Temperaturanstieg von mindestens 3 Grad Celsius geben, bis 2080 sogar bis 9 Grad Celsius.

Der Weltklimarat (IPCC) rechnet derzeit damit, dass der Meeresspiegel bis 2100 im schlimmsten Fall um bis zu einem Meter ansteigen könnte – wenn es nicht gelingt, den globalen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) rechnen ebenfalls damit, dass der Meeresspiegel bei unvermindertem Treibhausgasausstoß die Ein-Meter-Marke bis zum Jahr 2100 überschreiten könnte. Bis 2300 beträgt der Anstieg sogar fünf Meter.

Wird die Erderwärmung gemäß den Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens auf 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt, gäbe es bis 2100 einen Anstieg von etwa einem halben Meter. Solche weitreichenden Vorhersagen sind generell sehr schwierig zu treffen, wegen zahlreicher vorhandener Studien und Intransparenz. Es wird aber zunehmend klarer, wie Meeresströmungen, Eismassen und Wasserkreisläufe auf den globalen Temperaturanstieg reagieren.

Besonders verheerend zeigt sich die Gletscherschmelze auf Grönland. Denn inzwischen ist sie dort unumkehrbar, auch wenn die Erwärmung sofort stoppen würde, berichten Forscher um Michalea King von der Ohio State University. Es geht nämlich mehr Gletschereis verloren, als vom Innenland durch Niederschlag nachkommt, was einen dauerhaften Rückgang der Eismenge zur Folge hat. Bis 2000 befanden sich der Schnee vom Innenland und das Eis noch in Balance, danach kippte das System. Ab diesem Zeitpunkt verloren die Gletscher 500 Milliarden Tonnen Eis im Jahr, 50 Milliarden Tonnen mehr als zuvor.

Im Juli 2020 war die Eisfläche so gering ausgeprägt, wie in keinem Juli seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979. Das Eis vom grönländischen Festland trägt zum globalen Meeresspiegelanstieg bei und könnte auch zum Problem für andere Regionen der Erde werden. Im vergangenen Jahr stieg der Meeresspiegel in nur zwei Monaten um 2,2 Millimeter.

Global trat die Schmelze lange vor allem im Süden und in tieferen Lagen auf. Das änderte sich spätestens im Sommer 2012. Angelika Humbert, Professorin für Glaziologie aus Bremen, erklärt: „Es war ein extremes Schmelzjahr in Grönland, man konnte mit Satelliten messen, dass es auf der gesamten Fläche des Eisschilds, also bis in große Höhen, Schmelzen an der Oberfläche gab.“

Ende August dieses Jahres veröffentlichte Ingo Sasgen vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut Auswertungen des Satelliten Grace-Fo. Diese belegen, dass 2019 mehr Eismasse verloren ging als je zuvor, seit Messungen vorgenommen werden. Sasgen sagte: „Wir konnten zeigen, dass die Top-5-Verlustjahre in den vergangenen zehn Jahren zu verzeichnen sind.“

Das Schmelzwasser aus Grönland lässt nicht nur den Meeresspiegel ansteigen, es könnte auch den Nordatlantikstrom, den Golfstrom, stören. Es hätte somit direkte Auswirkungen für Europa, vom Wetter bis zu den Fischbeständen. Auch für die umgebende Arktis – die für die Erderhitzung wohl empfindlichste Region – hätte es Folgen, sollte sich über der gigantischen Insel eine neue, typische Sommerwetterlage etablieren.

Die Temperaturen dort sind schon jetzt mehr als doppelt so stark angestiegen wie im globalen Durchschnitt. Wenn alles Eis in Grönland abschmölze, läge der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt 7 Meter höher. Der Schmelzprozess würde tausend Jahre oder länger dauern.

2019 warnte der Weltklimarat: „Die nonlineare Reaktion der Eisschmelze auf Veränderungen der Ozeantemperaturen bedeutet, dass auch ein kleiner Anstieg das Potenzial für eine rapide Schmelze haben und große Teile eines Eisschildes oder Eisschelfs destabilisieren kann.“

Diese gravierende Naturveränderung zöge extreme und weitreichende Effekte nach sich. Durch die Eisschmelze wird zwar neues Land offengelegt, aber weltweit werden weit größere Landflächen und unzählige Inseln überspült und verschwinden. Die von den Gletschern frei gelegten Böden wären zudem für lange Zeit nicht nutzbar. Durch den Landverlust würden Menschenmassen zur Flucht gezwungen, die die derzeitige Flüchtlingskrise weit in den Schatten stellen.

Außerdem wird die Druckentlastung durch fehlende Gletscher eine Hebung der Landmasse hervorrufen. Eine daraus resultierende Landschaft ist beispielsweise die Schärenlandschaft in Schweden, deren Inseln sich aus dem Wasser gehoben haben. Auf Grönland wird eine solche Hebung in ganz anderen Dimensionen stattfinden.

Auch in den Alpen ist eine dramatische Gletscherschmelze zu verzeichnen. Die vergangenen Hitzejahrzehnte und warmen Winter haben die Schneesaison in den Mittel- und Hochgebirgen extrem verkürzt. Die Gletscher der Alpen haben allein von 2010 bis 2014 etwa ein Sechstel (17 Prozent) ihres Eisvolumens – mehr als 22 Kubikkilometer – verloren.

Besonders betroffen sind die Schweizer Alpen, wie ein Forscherteam der Universität Erlangen-Nürnberg erklärte. Christian Sommer vom Institut für Geografie sagt, dass die Schmelze Auswirkungen über den Alpenraum hinaus hat, weil sie Einfluss auf den Wasserhaushalt einiger großer europäischer Flusssysteme mit Ursprung in den Alpen hat.

Schweizer Forscher haben prognostiziert, dass die Alpen bis Ende des Jahrhunderts komplett eisfrei sein könnten. 2050 könnte die Hälfte der Gletscher in den Alpen geschmolzen sein – und zwar unabhängig davon, ob es noch gelingt, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren oder nicht. Die Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten sei schon nicht mehr aufzuhalten, weil die Gletscherschmelze nur sehr langsam auf Klimaveränderungen reagiere, heißt es.

Vor dem Hintergrund dieser alarmierenden Prognosen müssten sofort umfassende Maßnahmen ergriffen, vorhandene Konzepte umgesetzt und alles darangelegt werden, dem Prozess entgegenzuwirken und Schutzvorkehrungen zu treffen. Doch nichts dergleichen wird ernsthaft getan, eher das Gegenteil ist der Fall.

Eine Oxfam-Studie vom 21. September zeigt, dass das reichste Prozent der Menschheit mehr als doppelt so viel CO2 in die Atmosphäre ausstößt wie die ärmere Hälfte zusammen. Der Bericht konzentriert sich auf die Jahre 1990 bis 2015. Die reichsten zehn Prozent (630 Millionen) waren in dieser Zeit für über die Hälfte (52 Prozent) des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das reichste Prozent (63 Millionen) allein verbrauchte 15 Prozent, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur für sieben Prozent verantwortlich war.

Eine Lösung der Umweltprobleme ist im Rahmen des Kapitalismus nicht möglich. Appelle an nationale Regierungen (wie durch Fridays for Future) oder Geldspenden einiger Reichen hie und da werden die Klimaerwärmung und katastrophale Ausbeutung und Zerstörung der Natur nicht aufhalten. Erforderlich ist eine Umstrukturierung der globalen Wirtschaft – die Neuorganisation der weltweiten Infrastruktur für Energieerzeugung und Transport sowie die Entwicklung neuer Technologien zur sofortigen Eindämmung der Kohlenstoffemissionen.

Die Grundlage der Energieproduktion muss von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Das erfordert wiederum eine internationale Anstrengung und massive finanzielle Investitionen in die Infrastruktur, die Entwicklung bestehender Technologien und die Erforschung neuer Ideen, statt Billionen für Krieg und die Selbstbereicherung der Milliardäre zu verschwenden.

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