Muse des Nachkriegsfrankreichs: Die Sängerin und Schauspielerin Juliette Gréco (1927–2020)

Die beachtliche Leistung der Sängerin und Schauspielerin Juliette Gréco ist eng mit den Anforderungen verbunden, die die Nachkriegszeit an französische Künstler und Intellektuelle stellte. Gréco erfüllte die anspruchsvolle Rolle einer „Muse des Existenzialismus“ mit großem Charme.

Sie wurde 1927 in Montpellier in Südfrankreich geboren. Nachdem ihr Vater, ein Polizist, die Familie verlassen hatte, wurden sie und ihre Schwester Charlotte weitgehend von den Großeltern, sowie von Klosterfrauen aufgezogen. Als sie sieben Jahre alt war, nahm ihre Mutter sie mit nach Paris. Sie lebten in Saint-Germain-des-Prés, der Gegend, von der sie später scherzte, sie habe sie „zu einer marktfähigen Ware" gemacht.

Juliette Gréco 1961 (Bildnachweis – National Archief, Spaarnestad)

Wie ihr Künstlerkollege Charles Aznavour wurde auch Gréco weitgehend von ihren Kriegserfahrungen geprägt. Als Frankreich 1940 an die Nazis fiel, schickte man die Schwestern aus Paris weg nach Bergerac, wo sie zur Schule gingen. Zwei Jahre später kehrten sie zurück zu ihrer Mutter, die inzwischen für die Résistance arbeitete.

1943 wurden alle drei verhaftet. Juliette erzählte einmal über den französischen Gestapo-Offizier, der sie sehr schlecht behandelte: „Ich habe mich so aufgeregt, dass ich ihm auf die Nase schlug – nun, das hat mich was gekostet!“

Später schrieb sie, dass sie dem Mann, der Charlotte und sie verhörte, niemals verzeihen werde: „Ich weiß, dass ich bis zu meinem letzten Tag für das Glück, gegen Terror, gegen intellektuellen Terrorismus und gegen Gleichgültigkeit kämpfen werde. Der einzige Schatz, den es um jeden Preis zu bewahren gilt, ist die Freiheit, so zu leben, wie wir wollen, zu denken, zu lachen, zu schenken, zu verändern und ohne Zwang zu lieben, wen oder was immer wir lieben wollen.“

Diesem Credo blieb sie treu. Später wurde sie zu einer lautstarken Gegnerin der Kriege in Algerien und Vietnam.

Nach der Verhaftung von 1943 wurden ihre Mutter und ihre Schwester in das KZ Ravensbrück verschleppt, wo 50.000 Frauen starben. Die 15-jährige Juliette wurde in das Frauengefängnis von Fresnes in der Nähe von Paris gebracht.

Gréco wurde in ihrem sommerlichen Baumwollkleid und in Sandalen in einen bitterkalten Herbst entlassen. Sie hatte kein Zuhause, wo sie hätte hingehen können. Sie lief die etwa 13 Kilometer zurück nach Saint-Germain-des-Prés und klopfte an die Tür ihrer ehemaligen Lehrerin Hélène Duc, die inzwischen eine Schauspielerin war. „Die nächsten zwei Jahre verbrachte ich im Bett.“

Duc beherbergte den mittellosen Teenager, förderte aber auch Grécos Theaterunterricht und ihre Suche nach einer Anstellung am Theater. Dank Duc konnte Gréco als Statistin an der Comédie-Française arbeiten.

Gréco hatte keine Ahnung, was aus ihrer Schwester und ihrer Mutter geworden war. Nach der Befreiung ging sie täglich ins Hôtel Lutétia, wo die Überlebenden des Lagers eintrafen. Monate nach Kriegsende fand sie die beiden endlich wieder.

Charlotte war so dünn, dass sie kaum laufen konnte. Juliette nahm sie mit nach Hause, wo sie sie mit Milch und winzigen Essensresten fütterte, „wie man ein Kätzchen aufpäppelt“.

Gréco wirkte glamourös, apart und kühl, und das sollte ihr ganzes Leben lang so bleiben. Sie wurde zu einem Symbol der Bohème vom linken Seineufer, doch sie mochte es nicht, bekannt zu sein, „ohne dass ich dafür wirklich etwas geleistet hätte“.

Verzweifelt arm – wie sie sagte, rauchte sie starken Tabak, um den Hunger zu vergessen – war sie anfangs vor allem als charmante Aushilfskellnerin im Jazzclub "Le Tabou" in Saint-Germain-des-Prés bekannt, der 1947 eröffnet wurde. Später sinnierte Gréco darüber, inwieweit die Vorliebe für Keller-Clubs eine Kombination aus Kriegserinnerungen an die Luftangriffe und dem Wunsch war, „dem Alltagstrott zu entfliehen“.

Juliette Gréco in Amsterdam, 1962

Politisch gab damals die stalinistische Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) den Ton an. Bei der ersten Parlamentswahl nach dem Krieg, 1946, gewann die KPF die meisten Stimmen (28,6 %). Sehr viele französische Arbeiter wünschten sich eine revolutionäre Veränderung und eine Abrechnung mit der verhassten französischen Bourgeoisie, aber dieses Bestreben sammelte sich hinter einer Partei, die entschlossen war, den Kapitalismus zu restaurieren, statt ihn abzuschaffen.

Gréco selbst war der Kommunistischen Jugendbewegung der KPF beigetreten und studierte die der Partei genehmen Dramatiker. Später trat sie oft auf den jährlichen KPF-Festivals auf, und noch im Jahr 2004 sollte sie als hochkarätige Unterstützerin der kränkelnden stalinistischen Partei finanziell unter die Arme greifen.

Der Stalinismus, der die Arbeiterklasse entmündigte und viele Künstler und Intellektuelle abstieß und zu Zynikern machte, trug viel dazu bei, den Grundstein für die nihilistische, irrationalistische Philosophie des Existentialismus zu legen.

Grécos Freundin, die Schriftstellerin Anne-Marie Cazalis, brachte ihren bohèmen Lebensstil direkt mit dem Existenzialismus in Verbindung. Ein Foto von Gréco und Roger Vadim verstärkte die Ikonographie. Gréco, die fast immer in Schwarz auftrat, hatte anfangs aus finanziellen Gründen gebrauchte Kleidung getragen. Später sagte sie: „Schwarz lässt Raum für Phantasie.“

Der Existenzialismus mit seiner Vorstellung von individueller Freiheit gefiel den Intellektuellen, die sich, zurück in Paris, dem verarmten Künstlermilieu anschlossen. Gréco, die im „Tabou“ auch an der Einlasskontrolle arbeitete, erzählte: „Es gab Nächte, in denen ich nur Philosophen einließ!“

Obwohl das „Tabou“ später zur internationalen Attraktion werden sollte, war der Jazzclub anfangs Treffpunkt einer eingeweihten sozialen Szene. Dort verkehrte auch der existenzialistische Philosoph Maurice Merleau-Ponty, ein früher Bewunderer Grécos. Zu den Besuchern zählten auch Marlon Brando, Orson Welles und Marlene Dietrich.

Die Hausband des „Tabou“ war die Jazz-Combo des Schriftstellers Boris Vian. Zu Gast waren oft amerikanische Musiker, darunter auch Miles Davis, mit dem Gréco eine leidenschaftliche Beziehung einging.

Cazalis, die Gréco zum Singen ermutigte, machte sie auch mit Schriftstellern bekannt, die für sie schrieben und sie förderten, wie Jean Cocteau, der sie 1950 in seinem Film Orphée besetzte.

Der entscheidende Schritt ging von Cazalis und dem Existentialisten Jean-Paul Sartre aus. Sartre gab Gréco eine Auswahl von Gedichten und den Text eines Liedes, das er im Theaterstück Huis Clos [Geschlossene Gesellschaft, 1944] nicht verwendet hatte. Für die Vertonung schickte er die Texte dem Komponisten Joseph Kosma.

Zusammen mit Sartres „Rue des Blancs-Manteaux“ wählte sie ein Gedicht von Raymond Queneau, „Si tu t'imagines“, ein Loblied auf die Vergänglichkeit der Jugend. Kosma schrieb die Musik und gab ihr ein Lied, „Je suis comme je suis“, das er und Jacques Prévert für Les Enfants du Paradis (Kinder des Olymp, von Marcel Carné, 1945) geschrieben hatten. Dies waren ihre ersten Schallplatten.

„Sie hat in ihrer Stimme Millionen Gedichte“, sagte Sartre über Gréco. Ihr sei es zu verdanken, dass er überhaupt Lieder geschrieben habe.

Im Lied widmete sie sich stets der modernen Poesie. Ihr Werk ist ein Kompendium der großen Poesie, von Paul Verlaine über Robert Desnos bis hin zu Jean-Claude Carrière. Sie suchte immer wieder nach interessanten neuen Schriftstellern und poetischen Stimmen. So fand sie spät noch den Rapper/Poeten Abd Al Malik oder Miossac, und sie war stolz darauf, dass sie immer noch so viel junges Publikum begeistern konnte.

Immer wieder nahm sie auch Lieder zeitgenössischer Chansonniers auf. Léo Ferrés „Jolie Môme“ (hübsches Gör) wurde zu einer prägenden Nummer, mit der Gréco als abgebrühtes Pariser Bohème-Mädchen auftrat. Ihre Aufnahme von Aznavours „Je hais les dimanches“ war dessen Durchbruch als Songwriter. Weitere wichtige Cover machte sie von Liedern von Guy Béart („Il n'y a plus d'après“), Georges Brassens („Chanson pour l'Auvergnat“), Serge Gainsbourg („La Javanaise“) und ihrem Freund Jacques Brel.

Auf dem Höhepunkt, zum Beispiel bei „Déshabillez-moi“, ist sie eine intelligente, witzige und sinnliche Erscheinung, unabhängig, charmant und sehr ansprechend.

Gréco war eine selbstbewusste Frau, die als glamouröse Erscheinung umworben wurde. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe hatte sie eine lange Beziehung mit dem Hollywood-Produzenten Darryl F. Zanuck. Die Verbindung fiel mit ihrer Hollywood-Karriere zusammen, überlebte sie aber nicht. Gréco passte einfach besser in eine Pariser Umgebung, wie in der Fernsehserie Belphégor (1965).

Der Schauspieler Michel Piccoli

Kurz darauf lernte sie den Schauspieler Michel Piccoli kennen, den sie 1966 heiratete. Piccoli, der am 12. Mai 2020 starb, war ein politisch engagierter großer Künstler. Auch er war KPF-Mitglied, und in den 1960er und 1970er Jahren arbeitete er mit vielen führenden französischen Filmschaffenden zusammen. Die beiden waren 11 Jahre lang verheiratet.

Ihre dritte und letzte Ehe war die mit dem Komponisten Gérard Jouannest (gestorben 2018), der intensiv mit Brel zusammengearbeitet hatte. Jouannest wurde ihr Begleiter am Klavier und musikalischer Leiter auf Tournee, bis ein Schlaganfall 2016 und der Tod ihrer Tochter aus erster Ehe (mit Philippe Lemaire) den Live-Auftritten ein Ende setzte.

Ihr ganzes Werk war von ihrem Willen geprägt, sich nicht einschüchtern zu lassen und die Ungerechtigkeiten des Lebens nicht zu akzeptieren. Diese Haltung ist bewundernswert, selbst dort, wo sie durch existenzialistischen Individualismus getrübt und eingeschränkt wird.

Diese Haltung führte sie zeitweise auf gefährliches Terrain. 1981 nahm sie eine Einladung an, im Santiago der Pinochet-Diktatur aufzutreten. Während hauptsächlich Offiziere ihre Vorstellung besuchten, betrachtete sie es als einen Akt des politischen Engagements, „die Worte zu singen, die die Menschen, nicht jedoch die Junta, hören wollten“. Um „die Menschen niemals aufzugeben“, sang sie dort mehrere Lieder, die Pinochet verboten hatte, und verließ die Bühne in eisigem Schweigen. Sie bezeichnete es als „den größten Triumph meiner Karriere“.

Miles Davis, um 1955 oder 1956 (Bildnachweis: Tom Palumbo)

Gréco war sehr egalitär eingestellt. Dies zeigte sich auch in ihrer Beziehung zu Miles Davis und der Art und Weise, wie sie darüber sprach. Als Sartre Davis einmal fragte, warum er sie nicht geheiratet habe, sagte dieser: „Weil ich sie zu sehr liebe, als dass ich sie unglücklich sehen wollte.“ Zu ihr sagte er: „Man würde dich in Amerika als Negerhure behandeln. Es würde deine Karriere zerstören.“

Jahre später lud Gréco Davis ein, mit ihr im noblen Waldorf-Astoria Hotel in Midtown Manhattan zu Abend zu essen. Der Maître d'Hotel blickte empört, das Essen kam erst Stunden später und es „wurde uns mehr oder weniger ins Gesicht geworfen“. Gréco ergriff die Hand des Kellners wie zu einer Kusshand und spuckte ihm in die Handfläche.

An diesem Abend rief Davis sie unter Tränen an und sagte: „Ich will dich nie wieder hier sehen, in einem Land, in dem diese Art von Beziehung unmöglich ist.“ Sie blieben sich bis zu seinem Tod nahe.

Wegen der Erfahrungen ihrer Familie mit den Nazis war sie zunächst zurückhaltend, was das Singen in Deutschland betraf. Nach ihrem ersten Auftritt im Jahr 1959 kehrte sie jedoch wiederholt dahin zurück und brachte ihr eigenes Repertoire und das ihrer Freundin Marlene Dietrich auf die Bühne. Schließlich nahm sie auch ein deutsches Album, Abendlied (2005), auf. Bis 2014 nahm sie weiterhin Aufnahmen und ein weiteres Album mit Brel-Liedern auf.

Diese Entschlossenheit zum Weitermachen, ihr Bekenntnis zum Leben und zur Musik ermöglichten es ihr, die Grenzen des politischen Umfelds, das sie geprägt hatte, bis zu einem gewissen Grad zu überwinden.

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