Lehrer, Schüler und Eltern wehren sich gegen Schulbetrieb unter Pandemie-Bedingungen

Gestern gab das Robert-Koch-Institut 12.097 neue Coronavirus-Infektionen bekannt. Montags sind die offiziellen Fallzahlen in der Regel niedriger, da an Wochenenden weniger getestet wird und nicht alle Gesundheitsämter Daten übermitteln. Laut den Statistiken der Johns-Hopkins-University, die von denen des RKI abweichen, lag die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Deutschland in den vergangenen fünf Tagen dreimal deutlich über 19.000. Am Mittwoch waren es sogar 23.553 Neuinfektionen. In Österreich, wo sich seit Tagen täglich zwischen 4000 und 5000 Menschen infizieren, meldeten die Spitäler gestern 78 Prozent mehr Intensivpatienten innerhalb einer Woche.

Ende September besetzten Schüler in Griechenland im Kampf gegen den unsicheren Präsenzunterricht über 700 Schulen und forderten sichere Bildung für alle. Wenige Tage später brachen ähnliche landesweite Proteste in Polen aus, nachdem zwei Lehrer und ein Schüler an Covid-19 verstorben waren. Seit gestern streiken und demonstrieren Schüler in Frankreich gegen die unsichere Rückkehr an die Schulen nach dem Ende der Herbstferien. 

Unter Bedingungen der explodierenden Neuinfektionen, die ein Ergebnis der bewussten Durchseuchungspolitik der Bundesregierung sind, entwickelt sich auch in Deutschland unter Schülern, Eltern und Lehrern eine starke Opposition gegen die Öffnung der Schulen. Nachdem sich bereits im August ein Schülerkomitee in Dortmund gegründet hatte, rufen nun auch Schüler in Karlsruhe und anderen Städten dazu auf, Aktionskomitees zu gründen und Schulschließungen zu organisieren. Die Kampagne der Sozialistischen Gleichheitspartei und der IYSSE, ein Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung aufzubauen und einen europaweiten Schulstreik gegen die Duchseuchungspolitik vorzubereiten, stößt auch unter Lehrern und Eltern auf wachende Unterstützung.

Am Siedepunkt ist die Stimmung derzeit in Bayern, wo die Landesregierung am Mittwoch zu einem „Schulgipfel“ mit Schüler-, Eltern- und Lehrervertretern zusammenkommen wird. Wie auch in anderen Bundesländern, so werden in kaum einem bayrischen Landkreis auch nur die Klassen geteilt, obwohl die meisten Regionen offiziell bei einer Inzidenz von rund 100 Infektionsfällen pro 100.000 Einwohner liegen – also im dunkelroten Bereich, der einen regulären Präsenzunterricht unter medizinischen Gesichtspunkten strikt verbietet. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte vor zwei Woche bereits eine entsprechende Handlungsempfehlung veröffentlicht, die von den Bildungsministerien allerdings ignoriert wird.

In einem offenen Brief an das Kultusministerium spricht der Landesschülerrat von Bayern von einer „Notenjagd“ mit bis zu vier Leistungsnachweisen pro Woche. Das setze die Schülerinnen und Schüler „einem ungeheuren Leistungsdruck aus, der in keinem Verhältnis zur aktuellen Lage steht“.

Im Oktober hatte der Bayrische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) den „gravierenden Lehrermangel“ gegeißelt, der dazu führe, dass Schulleitungen und Lehrkräfte „völlig überlastet“ seien. Ähnlich sehen dies auch die Elternvertreter des Landes.

Ein offener Brief der Landeselternvereinigung der Gymnasien (LEV) und des Bayerischen Elternverbandes (BEV) kritisiert, der „Takt der Leistungserhebungen“ sei „seit Schuljahresbeginn massiv forciert“ worden, sodass „die Kinder und mit ihnen die Familien nur noch ächzen“. Auch die Hygienesituation sei katastrophal: „Im Bus stehen Kinder aller Klassen und Schulen trotz Verstärkerbussen noch eng an eng. Das widerspricht allen Regeln, die wir von unseren Kindern seit Beginn der Pandemie einfordern.“

Weiter heißt es in dem Brief: „Die zweite Welle der Pandemie zwingt bayernweit viele Familien in die Knie. Kinder laufen Gefahr, vollends abgehängt zu werden. In einem Viertel der bayerischen Elternhäuser herrscht Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit. Die Sorge um Einkommen und Arbeitsplatz drückt. (…) Die Finanzierung platzt. Die eigenen vier Wände wackeln.“

Anstatt den Leistungsdruck, der auf den Schülerinnen und Schülern lastet, inmitten dieser beispiellosen sozialen Krise zu verringern, werde er im Gegenteil noch erhöht: „Wie soll nun von Kindern der im letzten Jahr versäumte Stoff nachgelernt und gleichzeitig neue Inhalte verinnerlicht werden – quasi der doppelte Stoff verinnerlicht werden?“ Bisher gültige „Vereinbarungen zur Entzerrung der Schulaufgaben werden ohne Konsultation der Schulforen über den Haufen geworfen“.

Die Vorgabe an die Lehrer, weiterhin zu prüfen, als ob es keinen Notstand gebe, führe zu weiteren sozialen Verwerfungen unter Kindern und armen Familien: „Die Lehrerschaft soll um das goldene Kalb der Notengebung tanzen und kann sich dadurch auf das, was wirklich wesentliche Bildung ist, nicht konzentrieren. So werden viele Kinder durch die Pandemie zu Verlierern. (…) Ein sozialer Nachteilsausgleich ist unabdingbar, wird aber weder erwogen noch gewährt.“

Mit den Worten „Es reicht – bis hierher und nicht weiter“ fordert der offene Brief der Elternverbände schließlich „landesweite Lernstandserhebungen ohne Notengebung“, „ein Wiederholen im Pandemiejahr ohne Folgen“, sowie zentral koordinierte digitale Unterrichtsinhalte und deutlich reduzierte Lehrpläne.

Bereits im Oktober hatten zwanzig der größten Elternverbände in Deutschland gegen die brutale Schulpolitik und die Vertuschungsmaßnahmen der Gesundheitsbehörden protestiert. In einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere Bundespolitiker zeigten sie sich alarmiert darüber, „dass die jeweilige Schulklasse oder Jahrgangstufe nicht vollständig in Quarantäne gehen muss, sondern oftmals nur die jeweiligen Sitznachbarn der infizierten Person“.

Weiter stellten die Unterzeichner fest: „Die Ministerien lassen die Ansteckungswege jedoch nicht durch wissenschaftliche Sequenzanalysen untersuchen. Weil es in vielen Fällen nicht zur Testung der gesamten Kohorten kommt, können symptomfreie Ansteckungen überhaupt nicht verfolgt bzw. nachgewiesen werden.“

Mittlerweile hat dies dazu geführt, dass laut RKI in drei Vierteln aller Fälle „nicht bekannt“ ist, wo sich die Infektion ereignet hat. Dieses „diffuse Ausbruchsgeschehen“ dient den Regierungen wiederum als Vorwand, unwirksame Maßnahmen zu verhängen, während Schulen, Kitas und Betriebe geöffnet bleiben.

Wiederum in Bayern zeigt sich nun, welch bedrohlichen Folgen diese bewusste Durchseuchungspolitik hat. Eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums in München legt nahe, dass sich sechsmal mehr Kinder und Jugendliche mit dem Coronavirus infiziert haben, als bisher offiziell bekannt ist. Die Forscher um Markus Hippich und Anette-G. Ziegle haben 12.000 Kinder und Jugendliche aus Bayern zwischen einem und 18 Jahren auf Antikörper gegen den Erreger Sars-Cov-2 untersucht.

Dabei stellten sie fest, dass im Schnitt 0,87 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zwischen April und Juli Antikörper in sich trugen – sechsmal mehr als die tatsächlich bekannte Zahl an positiven Corona-Tests bei den bis zu 18-Jährigen. Da unter Kindern nur jede zweite Infektion symptomatisch verläuft, die Gesundheitsbehörden jedoch nur im Falle von Symptomen einen Test für die unmittelbar betroffenen Schüler verordnen, konnte sich das Virus unbemerkt ausbreiten.

Im vergangenen Monat publizierten Wissenschaftler des Princeton Evironmental Institute (PEI), der Johns Hopkins University und der University of California-Berkeley im Fachblatt Science die bislang größte je durchgeführte Kontaktverfolgungsstudie. Gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden der indischen Regionen Tamil Nadu und Andhra Pradesh analysierten die Forscher die Infektionswege und Sterberate von fast 600.000 Menschen, die mit knapp 85.000 Infizierten in Kontakt standen.

Die Studie stellte erneut die Bedeutung von sogenannten „Superspreader“-Individuen heraus und schlussfolgerte, dass Umgebungen wie „Büros, Haushalte, Schulen“ und Party-ähnliche Situationen in Innenräumen besonders gefährlich sind. Kinder und Jugendliche, so die Forscher, hätten eine „Schlüsselposition“ bei der Verbreitung und seien „sehr effiziente Überträger“.

Die Forschungsergebnisse bestätigen, wovor die World Socialist Web Site seit Beginn der Pandemie gewarnt hat: Der unsichere Präsenzunterricht an den geöffneten Schulen dient dazu, die Bevölkerung im Sinne einer angeblichen „Herdenimmunität“ unbemerkt zu durchseuchen. Umgekehrt haben internationale Studien wiederholt nachgewiesen, dass die Schließung von Schulen, Kitas und Industriebetrieben mit Abstand die wirkungsvollsten Maßnahmen sind, um die Pandemie zu bekämpfen. Doch eben diese Maßnahmen werden von der herrschenden Elite strikt abgelehnt.

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