Gewerkschaften bieten Lufthansa bis zu 50 Prozent Lohnsenkung und Sozialabbau an

Die drei bei der Lufthansa vertretenen Gewerkschaften haben mit der Konzernleitung Lohnsenkungen, Sozialabbau und Entlassungen vereinbart, die alles in den Schatten stellen, was es bisher an Zugeständnissen und Verzichtsangeboten von Gewerkschaftsseite gegeben hat.

Die Pilotengewerkschaft Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) und Verdi, die die etwa 35.000 Bodenbeschäftigen vertritt und bei der Lufthansa als Hausgewerkschaft fungiert, überbieten sich regelrecht mit Zugeständnissen. Nach eigenen Angaben bieten sie dem Lufthansa-Vorstand einen Einkommensverzicht von 1,2 Milliarden Euro an.

Cockpit hatte schon im Frühjahr zugestimmt, die Pilotengehälter bis zum Jahresende um bis zu 50 Prozent zu senken. Am Mittwoch kündigte Cockpit an, diese Gehaltskürzung bis Ende Juni 2022 zu verlängern. Neben Kurzarbeit sehe das Paket Zugeständnisse bei Gehalt und Altersversorgung vor, erklärte VC. „Die in diesem Frühjahr vereinbarten und nun zusätzlich angebotenen Zugeständnisse belaufen sich auf einen Wert von insgesamt über 600 Millionen Euro. Dies entspricht gegenüber der Vorkrisenzeit Gehaltsreduzierungen von bis zu 50 Prozent“, sagte VC-Präsident Markus Wahl.

Vor einem Jahr streikten Flugbegleiter der Lufthansa noch für bessere Löhne - nun werden sie halbiert

UFO hat im Sommer eine Vereinbarung mit Lufthansa unterschrieben, die dem Konzern bis Ende 2023 Einsparungen von einer halben Milliarde Euro bringt. Umgerechnet auf die 22.000 Kabinenmitarbeiter der Muttergesellschaft, für die die Vereinbarung gilt, bedeutet dies einen durchschnittlichen Einkommensverlust von 23.000 Euro im Verlauf von dreieinhalb Jahren.

Verwirklicht werden die Einsparungen durch das Aussetzen von Lohnerhöhungen, die Verkürzung der Arbeitszeit bei entsprechender Lohnsenkung, die Reduzierung der Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung sowie den Abbau von Arbeitsplätzen. Hinzu kommen „freiwillige“ Maßnahmen wie unbezahlter Urlaub, weitere Arbeitszeitabsenkungen sowie ein vorzeitiger Eintritt in die Rente. Die Betroffenen verlieren damit nicht nur einen großen Teil ihres gegenwärtigen Einkommens, sondern auch ihrer zukünftigen Altersversorgung.

Am Mittwoch stimmte nun auch Verdi einem Abgruppierungsvertrag für die Bodenbeschäftigten zu. Durch den sofortigen Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Lohnstopp und Verzicht auf Zulagen bis Ende 2021 „leisten die Bodenbeschäftigten einen Sparbeitrag von mehr als 200 Millionen Euro zur Bewältigung der Krise“, erklärte Verdi-Vizechefin Christine Behle, die auch stellvertretende Vorsitzende im Lufthansa-Aufsichtsrat ist. Durch die Einigung mit dem Bodenpersonal könnten im nächsten Jahr bis zu 50 Prozent Personalkosten dieser Beschäftigtengruppe eingespart werden, jubelte Personalchef Michael Niggemann im Manager Magazin.

Einen derartigen Einkommensverzicht von insgesamt 1,2 Milliarden Euro haben Gewerkschaften hierzulande bisher nicht vereinbart. Das ist eine neue Dimension des gewerkschaftlichen Ausverkaufs. Umgerechnet auf die Gesamtzahl der Beschäftigten von gegenwärtig etwa 130.000 bedeutet das, einen durchschnittlichen Einkommensverlust von fast 10.000 Euro pro Mitarbeiter.

Und damit nicht genug.

Verdi-Funktionärin Behle erklärte am Mittwoch, es handele sich um ein „erstes Ergebnis“, das nach „zähen Verhandlungen“ erreicht worden sei. Über weitere Sparmaßnahmen ab dem Jahr 2022 würden frühzeitig Gespräche vorbereitet.

Dazu kommt noch, dass alle drei Gewerkschaften und ihre Betriebsräte intensiv am Abbau von Arbeitsplätzen arbeiten, Entlassungslisten zusammenstellen, Einzelgespräche führen, um Aufhebungsverträge durchzusetzen und damit den Druck auf die Beschäftigten ständig erhöhen. Im Sommer war der Abbau von 22.000 Mitarbeitern als unumgänglich bezeichnet worden. Jetzt wurde der Arbeitsplatzabbau auf mindestens 30.000 erhöht.

Auf der anderen Seite kassieren die Vorstandmitglieder und Anteilseigner Millionen. Ein Blick in den jüngsten Geschäftsbericht 2019 zeigt, dass die unmittelbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie als Vorwand für eine radikale Umstrukturierung des Konzerns genutzt werden, die seit langem geplant ist, aber bisher am Widerstand der Beschäftigten scheiterte.

Ziel ist es, angesichts des weltweiten Wettbewerbs und wachsenden Handelskriegs den Konzern „zu verschlanken“, die Produktivität und Effizienz zu steigern und alle Bereiche auf Profit zu trimmen.

Schon im vergangenen Jahr – lange vor Corona – war der Umsatz gegenüber dem Vorjahr 2018 deutlich zurückgegangen und der Gewinn um 44 Prozent eingebrochen.

Im selben Zeitraum wurden die Gehälter der sechs Vorstandsmitglieder deutlich auf knapp 14 Millionen Euro erhöht. Allein Konzernchef Carsten Spohr kassierte knapp 4 Millionen Euro. Im Geschäftsbericht heißt es: „Darin nicht enthalten: Pensionsrückstellungen für die im Geschäftsjahr 2019 aktiven Vorstandsmitglieder betrugen 16,7 Mio. EUR (Vorjahr: 12,4 Mio. EUR).“

Dazu kommt noch „die Auszahlung von fälligen Aktienprogrammen in Höhe von 3,465 Mio. Euro für die sechs Vorstände“ und die „laufenden Zahlungen und sonstigen Bezüge an ehemalige Vorstandsmitglieder und ihre Hinterbliebenen“. Sie betrugen 6,4 Mio. Euro.

Auch die Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte, die im Aufsichtsrat sitzen, sahnen kräftig ab. Allen voran Verdi-Funktionärin Christine Behle als stellvertretende AR-Vorsitzende. Sie erhielt im vergangenen Jahr AR-Tantjemen von 140.000 Euro.

Ihr folgten mit jeweils 110.000 Euro Christina Weber (Betriebsrätin, Verdi), Alexander Behrens (bis Mai 2019 UFO-Vorstandsmitglied) und Jörg Cebulla (Vereinigung Cockpit). Ilja Schulz (Ex-Präsident Vereinigung Cockpit) kassierte 100.000 Euro. Und je 80.000 Euro gingen an Christian Hirsch (freigestellter Betriebsrat, Verdi), Klaus Winkler (Betriebsrat, Verdi), Olivia Stelz (UFO), Holger Benjamin Koch (Sprecher der Leitenden Angestellten) und Birgit Rohleder (Interessenvertretung der außertariflichen Angestellten).

Insgesamt erhielten die zehn so genannten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat für ihre enge Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung von Sparmaßnahmen und Entlassungen 1.070.000 Euro.

Im Sommer veröffentlichten wir den ArtikelLufthansa und der Bankrott der Gewerkschaften“. Darin heißt es: „Die Ereignisse bei Lufthansa zeigen eindrücklich den Bankrott der Gewerkschaften und ihrer Perspektive. Seit Jahrzehnten ordnen sie die Interessen der Arbeiter im Rahmen der Sozialpartnerschaft den Profitinteressen der Konzerne unter. Es gibt in Deutschland keine Massenentlassung und Betriebsstillegung, die nicht die Unterschrift der Gewerkschaften und ihrer Betriebsräte trägt. Bei Lufthansa gehen die Gewerkschaften nun soweit, Kundgebungen für ein ‚Rettungspaket‘ zu organisieren, dass die Vernichtung zehntausender Arbeitsplätze und einen massiven Lohn- und Sozialabbau beinhaltet!“

Mit den Sanierungs-Verträgen im Umfang von 1,2 Milliarden Euro zu Lasten der Beschäftigten wird die Verwandlung der Gewerkschaften in Unternehmensberater, die die Interessen der Konzerne und der Regierung verteidigen, völlig offensichtlich. In der tiefsten globalen Krise des Kapitalismus seit 75 Jahren sind sie entschlossen, den Lebensstandard der Arbeiter zu dezimieren, um die Profite „ihrer“ nationalen Konzerne im internationalen Handelskrieg zu verteidigen – und das nicht nur bei der Lufthansa, sondern auch in der Auto-, Maschinenbau-, Stahl- und Chemieindustrie und allen anderen Branchen.

Es ist Zeit, mit diesen korrupten Organisationen zu brechen. Arbeitsplätze, Löhne und soziale Errungenschaften können nur in einer Rebellion gegen diese Gewerkschaften verteidigt werden. Dazu ist es notwendig, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die sich international und konzernübergreifend vernetzen und den Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Löhnen organisieren.

Das erfordert eine sozialistische Perspektive, die nicht den Profit und die Bereicherung der Kapitaleigner, sondern die Interessen der arbeitenden Bevölkerung ins Zentrum stellt. Die Krise der Luftfahrtindustrie kann nicht auf kapitalistischer Grundlage und im nationalen Rahmen gelöst werden. Sie erfordert die Enteignung der Konzerne und ihre Überführung in demokratisch kontrollierte, öffentliche Institutionen, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht dem Profit dienen.

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